Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Schlitzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei W* Ges.m.b.H, *, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 12.261,10 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Oktober 2021, GZ 7 Ra 41/21k-17, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Offenbar auffallen muss ein Irrtum, wenn er bei verkehrsüblicher Sorgfalt erkennbar gewesen wäre oder der Partner wenigstens Verdacht hätte schöpfen müssen (RIS-Justiz RS0053188). Ob dem Vertragspartner der dem anderen Teil unterlaufene Irrtum auffallen musste, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (RS0016211).
[2] 2. Das Berufungsgericht hat der einredeweise geltend gemachten Irrtumsanfechtung ua mit der Begründung Erfolg beschieden, die Klägerin hätte zumindest den Verdacht haben müssen, dass ihr mit dem im Oktober 2020 von der Personalabteilung übermittelten und mit „Einvernehmliche Lösung“ betitelten Schreiben kein vom Willen der Beklagten getragenes Anbot auf Abänderung des Auflösungsgrundes von einer (bereits vor Antritt der Bildungskarenz der Klägerin im Jahr 2019 zum 1. 11. 2020 erfolgten) Dienstnehmerkündigung in eine einvernehmliche Auflösung unterbreitet wurde.
[3] 3. Dem hält die Revisionswerberin entgegen, ihr hätte der Irrtum nicht auffallen müssen, weil die einvernehmliche Auflösung ihrem ursprünglich (im Sommer 2019) mit dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten erörterten Wunsch entsprochen habe und das Schreiben vom Oktober 2020 auch von ihrer in die Vorgänge 2019 voll involvierten unmittelbaren Vorgesetzten unterzeichnet worden sei. Vielmehr habe sie sich gefreut, dass ihre über 20-jährige Tätigkeit für die Beklagte letztlich doch wertgeschätzt worden sei.
[4] Mit diesen Ausführungen zeigt die Klägerin allerdings schon deshalb keine krasse Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht auf, weil sie entscheidende Sachverhaltsfeststellungen außer Acht lässt: Demnach wandte sie sich im Oktober 2020 (nur) aus dem Grund an das Personalbüro der Beklagten, weil sie statt der im Sommer 2019 auf 2. 9. 2020 vordatierten und von der damaligen Personalabteilungsleiterin sowie der unmittelbaren Vorgesetzten der Klägerin unterfertigten „Personalpapiere“, darunter ein Schreiben, mit dem ausdrücklich ihre „mündlich ausgesprochene Kündigung“ zum 1. 11. 2020 bestätigt wurde, „aktualisierte Unterlagen“ wünschte, die von den zum 2. 9. 2020 tatsächlich für die Beklagte vertretungsbefugten Organen unterschrieben waren. Nachdem sie ein Dienstzeugnis erhalten hatte, das zu dem bereits 2019 übergebenen textident, aber vom neuen Leiter der Personalabteilung bzw ihrer unmittelbaren Vorgesetzten unterzeichnet war, fragte sie ausdrücklich „bezüglich der Kündigung“ rück. Daraufhin wurde ihr das Schreiben übermittelt, aus dem sie nunmehr eine – einem Abfertigungsanspruch nicht hinderliche – einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses ableiten möchte.
[5] In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass dann, wenn die Parteien eine mündliche „Vereinbarung“ bloß schriftlich festlegen und hierbei durch einen Fehler vom wirklich Vereinbarten abgewichen wurde, nicht das Beurkundete gilt, sondern das, was tatsächlich vereinbart wurde. Wenn die Parteien nichts anderes wollen und erklären als die Absicht, das schriftlich niederzulegen, was sie vereinbart haben, lässt sich eine Änderung der Rechtslage unter keinen Umständen auf den Parteiwillen stützen (vgl RS0017226). Nichts anderes gilt in diesem Fall, in dem insbesondere auch das Bestätigungsschreiben „bezüglich der Kündigung“ nur mit den Unterschriften der zum Ende der Bildungskarenz der Klägerin tatsächlichen Vertreter der Beklagten versehen werden sollte. Auf den Einwand der Klägerin, die Irrtumsanfechtung scheide wegen überwiegenden Verschuldens der Beklagten aus (s auch RS0016215), muss bei dieser Sach- und Rechtslage nicht mehr eingegangen werden.
[6] 4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Textnummer
E134089European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00093.21S.0125.000Im RIS seit
14.03.2022Zuletzt aktualisiert am
14.03.2022