TE Vfgh Beschluss 2022/3/1 G28/2022 ua

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

23 Insolvenzrecht, Exekutionsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
EO §14 Abs1
IO §6 Abs1, §59, §78 Abs2, §78 Abs3, §123b Abs2, §167, §259 Abs4
VfGG §7 Abs2, §62a Abs1 Z8

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrages mangels Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen des VfGG, der EO und der IO

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehren die Antragstellerinnen, der Verfassungsgerichtshof möge,

"1) §62a Abs1 Z8 VfGG, Ausnahme des Antragsrechts gem. Art140 B-VG in Insolvenzsachen, in seiner Gesamtheit, […]

2) §14 Abs1 EO in eventu §14 EO in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst und faktisch totes Recht ist, […]

3) §6 Abs1 IO in eventu §6 IO, Zuständigkeit des Masseverwalters in Angelegenheiten, die nicht die Masse betreffen, in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst ist, […]

4) §59 IO, Aufhebung des Konkurses, in der Wortfolge '[...] aus sonstigen Gründen [...]' in eventu §59 IO in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst ist, […]

5) §78 Abs2 und 3 IO, Postsperre, in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst ist, […]

6) §123b Abs2 IO, Aufhebung des Konkurses, in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst ist, […]

7) §167 IO, in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst ist, […]

und

8) §259 Abs4 IO, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in seiner Gesamtheit, da dieser nicht ausreichend definiert gefasst ist, […]"

aufheben.

II. Rechtslage

1. §62a Abs1 Z8 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl I 107/2016 lautet:

"§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:

[…]

8. im Insolvenzverfahren;

[…]"

2. §14 des Gesetzes vom 27. Mai 1896, über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung – EO), BGBl 79/1896, idF BGBl I 86/2021 lautet:

"Anwendung mehrerer Exekutionsmittel

§14. Die gleichzeitige Anwendung mehrerer Exekutionsmittel ist gestattet; die Bewilligung kann jedoch auf einzelne Exekutionsmittel beschränkt werden, wenn aus dem Exekutionsantrag offenbar erhellt, dass bereits eines oder mehrere der beantragten Exekutionsmittel zur Befriedigung des betreibenden Gläubigers hinreichen."

3. §6 Abs1, §59, §78 Abs2 und Abs3, §123b Abs2, §167 und §259 Abs4 Bundesgesetz über das Insolvenzverfahren (Insolvenzordnung – IO), BGBl 337/1914 idF BGBl I 147/2021 lauten:

"Wirkung in Ansehung von Rechtsstreitigkeiten

§6. (1) Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecken, können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner weder anhängig noch fortgesetzt werden.

[…]

Rechte des Schuldners nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens

§59. Durch den rechtskräftigen Beschluss des Insolvenzgerichts, dass der Sanierungsplan oder der Zahlungsplan bestätigt, das Abschöpfungsverfahren eingeleitet oder aus sonstigen Gründen das Insolvenzverfahren aufgehoben wird, tritt der Schuldner wieder in das Recht, über sein Vermögen frei zu verfügen, soweit dieses Bundesgesetz nicht eine Einschränkung festlegt.

[…]

Sicherungsmaßnahmen und Benachrichtigungen von der Eröffnung

des Insolvenzverfahrens

§78. […]

(2) Das Gericht hat zugleich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Post- und Telegraphendienststellen, die nach Lage der Wohnung und der Betriebsstätte in Betracht kommen, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu benachrichtigen. Solange es keinen gegenteiligen Beschluß faßt, haben diese Stellen dem Insolvenzverwalter alle Sendungen auszuhändigen, die sonst dem Schuldner auszufolgen wären. Das gilt nicht für die mit der Post beförderten gerichtlichen oder sonstigen amtlichen Briefsendungen, sofern sie mit einem auf die Zulässigkeit der Zustellung trotz der Postsperre hinweisenden amtlichen Vermerk versehen sind.

(3) Der Insolvenzverwalter darf die ihm ausgehändigten Sendungen öffnen. Er hat gerichtliche und sonstige amtliche Schriftstücke, die die Masse nicht berühren, mit einem auf die Anhängigkeit des Insolvenzverfahrens hinweisenden Vermerk zurückzusenden. Ansonsten hat der Insolvenzverwalter dem Schuldner Einsicht in die an diesen gerichteten Mitteilungen zu gewähren und ihm die Sendungen, die die Masse nicht berühren, unverzüglich auszufolgen.

[…]

Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Einverständnis der Gläubiger

§123b. […]

(2) Der ausdrücklichen Zustimmung eines Gläubigers bedarf es nicht, wenn seine Forderung befriedigt oder beim Insolvenzverwalter sichergestellt worden ist oder wenn bei bestrittenen Forderungen die Klagefrist abgelaufen und die Klage nicht spätestens an dem Tag, an dem die Aufhebung des Insolvenzverfahrens beantragt wird, angebracht worden ist.

[…]

Antrag

§167. (1) Das Insolvenzverfahren ist als Sanierungsverfahren zu bezeichnen, wenn der Schuldner

1. dessen Eröffnung sowie

2. unter Anschluss eines zulässigen Sanierungsplans die Annahme eines Sanierungsplans beantragt und dieser Antrag vom Gericht nicht zugleich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgewiesen wird.

(2) Das Sanierungsverfahren kann auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit eröffnet werden, jedoch nicht während eines Konkursverfahrens über das Vermögen des Schuldners.

(3) Die Bezeichnung ist auf Konkursverfahren abzuändern, wenn

1. der Insolvenzverwalter angezeigt hat, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Masseforderungen zu erfüllen, oder

2. der Schuldner den Sanierungsplanantrag zurückzieht oder das Gericht den Antrag zurückweist oder

3. der Sanierungsplan in der Sanierungsplantagsatzung abgelehnt und die Tagsatzung nicht erstreckt wurde oder

4. dem Sanierungsplan vom Gericht die Bestätigung versagt wurde.

(4) Die Änderung der Bezeichnung auf Konkursverfahren ist öffentlich bekannt zu machen. Gegen die Bezeichnung und deren Änderung ist kein Rekurs zulässig; die Bezeichnung kann jedoch auf Antrag oder von Amts wegen vom Gericht berichtigt werden.

[…]

Fristen, Versäumnis

§259. […]

(4) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet weder gegen die Versäumung einer Tagsatzung noch gegen die Versäumung einer Frist statt."

III. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Dem Antrag liegt folgendes Verfahren zugrunde:

1.1. Die Antragstellerinnen sind Beklagte in einem vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz geführten Verfahren. In diesem Zivilverfahren begehrt der Kläger von den Antragstellerinnen die Zahlung von in mehreren rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteilen bzw Beschlüssen zugesprochenen Prozesskosten.

1.2. Mit Teilurteil vom 30. Dezember 2021, 15 Cg 47/17k-89, wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz den Antrag der Antragstellerinnen auf Unterbrechung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sanierungsplanverfahrens im Verfahren zur Zahl 27 S 92/18h "und/oder" bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zur Zahl 11 Cg 74/15y ab und erklärte die Antragstellerinnen zur Zahlung des Betrages in Höhe von € 25.786,49 samt (näher bezifferter) Zinsen für schuldig und wies das darüber hinausgehende Zinsbegehren des Klägers ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz aus, dass die Voraussetzungen für die von den Antragstellerinnen angestrebte Unterbrechung nicht vorlägen, weil kein "Rechtsverhältnis" iSd §190 Abs1 ZPO zu klären sei. Es sei zudem ein Teilurteil gemäß §391 Abs3 ZPO betreffend den Klagsanspruch zu fällen, weil die von den Antragstellerinnen eingewendeten Gegenforderungen in keinem rechtlichen Zusammenhang zur Klagsforderung stünden. Nach Auffassung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz bestehe die Forderung des Klägers auf Grund der rechtskräftigen Entscheidungen aus anderen Verfahren gegenüber den Antragstellerinnen zu Recht und seien diese daher zur Zahlung zu verpflichten.

1.3. Gegen dieses Teilurteil erhoben die Antragstellerinnen Berufung und stellten den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG.

2. In ihrem Antag nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG behaupten die Antragstellerinnen (pauschal) einen Verstoß des §62a Abs1 Z8 VfGG, des §14 Abs1 EO sowie des §6 Abs1, (bestimmter Wortfolgen) des §59, des §78 Abs2 und Abs3, des §123b Abs2, des §167 und des §259 Abs4 IO gegen näher bezeichnete Verfassungsbestimmungen.

IV. Zulässigkeit

1. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl zB VfSlg 20.010/2015; VfGH 19.11.2015, G498/2015 ua; 13.10.2016, G33/2016 ua; VfSlg 20.108/2016).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich der vorliegende Antrag als unzulässig:

Der Kläger brachte im Anlassverfahren eine Klage auf Zahlung offener Forderungen in Höhe von insgesamt € 82.202,40 samt Zinsen im Wesentlichen mit der Begründung ein, bei den Antragstellerinnen handle es sich um unbeschränkt haftende Gesellschafter einer durch mehrere rechtskräftige und vollstreckbare Urteile bzw Beschlüsse zur Zahlung von Prozesskosten verpflichteten Gesellschaft. Weder die Gesellschaft noch die Antragstellerinnen hätten diese Zahlungen geleistet, weshalb Forderungen in begehrter Höhe ausständig seien.

In seiner Entscheidung vom 30. Dezember 2021 wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz den Antrag der Antragstellerinnen auf Unterbrechung des Verfahrens wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des §190 Abs1 ZPO ab und sprach dem Kläger sein Zahlungsbegehren in Höhe von € 25.786,49 samt Zinsen zu. In diesem Verfahren hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz die von den Antragstellerinnen angefochtenen Bestimmungen des §62a Abs1 Z8 VfGG, des §14 Abs1 EO sowie des §6 Abs1, (bestimmter Wortfolgen) des §59, des §78 Abs2 und Abs3, des §123b Abs2, des §167 und des §259 Abs4 IO nicht angewendet und hatte diese auch nicht anzuwenden gehabt.

3. Die angefochtenen Bestimmungen sind daher allesamt nicht präjudiziell und der Antrag ist unzulässig (vgl zB VfGH 20.6.2018, G117/2017).

4. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.

5. Der Antrag ist somit gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Präjudizialität, Exekutionsrecht, Insolvenzrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G28.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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