TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/3 Ro 2021/15/0009

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
32/08 Sonstiges Steuerrecht

Norm

EStG 1988 §1 Abs2
EStG 1988 §1 Abs4
EStG 1988 §33 Abs8
EStG 1988 §33 Abs8 Z4
EStG 1988 §98
EU-AbgÄG 1996
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ro 2021/15/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des 1. Finanzamts Österreich, Dienststelle Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, und 2. des J S in L, vertreten durch die 1A Steuerberatungs GmbH in 6130 Schwaz, Münchner Straße 26, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 25. März 2021, Zl. RV/6100425/2020, betreffend Einkommensteuer 2019, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Der Zweitrevisionswerber ist - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - tschechischer Staatsangehöriger und war im Streitjahr 2019 in Tschechien wohnhaft, wo er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 204.704,00 CZK (umgerechnet 7.854,90 €) erzielte, die in seinem Ansässigkeitsstaat der Besteuerung unterlagen. In Österreich bezog er vom 17. Juni bis 20. Dezember 2019 nichtselbstständige Einkünfte in Höhe von 10.893,18 € (nach Abzug des Werbungskosten-Pauschales 10.761,18 €); die Sozialversicherungsbeiträge für laufende Bezüge betrugen 2.506,29 €.

2        Mit Schreiben vom 15. Juli 2020 übte der Zweitrevisionswerber die Option gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 aus und legte die von der tschechischen Steuerbehörde am 20. Mai 2020 unterfertigte „Bescheinigung E 9“ vor.

3        Das Finanzamt legte der Besteuerung die in Österreich bezogenen Einkünfte und nach Berücksichtigung des Pauschbetrages für Sonderausgaben ein Einkommen in Höhe von 10.701,18 € zugrunde. Dies ergab eine Einkommensteuer von 0 €. Die Gutschrift eines Teiles der Sozialversicherungsbeiträge nach der Regelung des § 33 Abs. 8 EStG 1988 („negative Einkommensteuer“) nahm das Finanzamt nicht vor. In der Begründung wurde festgehalten, dass gemäß § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 die auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerbefreiten Einkünfte in Höhe von 7.854,90 € wie steuerpflichtige Einkünfte zu behandeln seien. Es habe daher keine Negativsteuer festgesetzt werden können.

4        Der Zweitrevisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BFG - nach abweisender Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts und Vorlageantrag des Zweitrevisionswerbers - die Beschwerde ab. Begründend führte es aus, für Zwecke der Berechnung der Negativsteuer sei § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 zu beachten. Auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreie Einkünfte seien demnach für Zwecke der Berechnung der Negativsteuer nach § 33 Abs. 8 Z 1 bis 3 EStG 1988 wie steuerpflichtige Einkünfte zu behandeln. Nach dem Willen des Gesetzgebers seien bei der Berechnung der Negativsteuer steuerfrei gestellte Einkünfte sohin mit einzubeziehen. Nur so könne sichergestellt werden, dass bloß Beziehende von niedrigen Einkommen von der Negativsteuer profitieren. Dies habe in gleicher Weise wie für unbeschränkt Steuerpflichtige auch für als unbeschränkt behandelte Steuerpflichtige (§ 1 Abs. 4 EStG 1988) zu gelten. Das bedeute, dass es nur insoweit zu einer Einkommensteuergutschrift komme, als das Einkommen auch unter Berücksichtigung der steuerbefreiten Beträge unter der Besteuerungsgrenze bleibe. Die vom Zweitrevisionswerber in Tschechien erwirtschafteten Einkünfte seien somit gemäß § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 bei der Berechnung der Negativsteuer zu berücksichtigen, wodurch sich im Revisionsfall keine Negativsteuer ergebe.

6        Die Revision ließ das BFG zu, weil zu den sich im gegenständlichen Fall ergebenden Rechtsfragen betreffend Berechnung der Negativsteuer noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.

7        Gegen dieses Erkenntnis erhob zunächst das Finanzamt als Erstrevisionswerber und sodann der Zweitrevisionswerber jeweils ordentliche Revision.

8        Das Finanzamt verwies in seiner zu Gunsten des Steuerpflichtigen erhobenen Revision darauf, dass der Zweitrevisionswerber durch seinen Antrag gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 in Österreich als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werde. Diese unbeschränkte Steuerpflicht umfasse inhaltlich nur Einkünfte im Sinne des § 98 EStG 1988, sodass nur die im Inland erzielten Einkünfte der Berechnung der Einkommensteuer zugrunde zu legen seien. Wenn aber durch die Option gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 keine grundsätzliche Steuerpflicht des Welteinkommens in Österreich eintrete, könnten nach Ansicht des erstrevisionswerbenden Finanzamtes die vom Zweitrevisionswerber in Tschechien erzielten Einkünfte nicht auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfrei sein, weil es schon an einem uneingeschränkten Besteuerungsanspruch Österreichs mangle. Die in Tschechien erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien nach österreichischem Steuerrecht als nicht steuerbar und nicht als steuerbefreit einzustufen. Sie hätten demnach beim vorliegenden Sachverhalt im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung und nach Maßgabe des § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 gänzlich außer Ansatz zu bleiben. Da das BFG diese Einkünfte in die Einkommensteuerberechnung miteinbezogen habe, sei das Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

9        Der Zweitrevisionswerber brachte als Mitbeteiligter zu dieser Revision eine Revisionsbeantwortung ein, in der er sich „der Amtsrevision in allen Punkten vollinhaltlich“ anschloss.

10       In seiner eigenen Revision führt der Zweitrevisionswerber zudem aus, die nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte als steuerfreie Einkünfte iSd § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 zu interpretieren, stelle einen rechtsunmöglichen Denkansatz dar. Von der österreichischen Einkommensteuer könnten nur jene Einkünfte befreit werden, die zuvor aufgrund des § 1 bzw. § 2 EStG 1988 von der Steuerpflicht erfasst seien bzw. der österreichischen Steuerpflicht unterlägen. Das BFG habe die Rechtslage verkannt, indem es angenommen habe, dass es zwischen den steuerfreien Einkünften gemäß § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 und den gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 nicht der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte keinen Unterschied gebe, und die nicht steuerbaren - nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden - Einkünfte den steuerfreien Einkünften gleichgestellt habe, wodurch die Einkommensteuer in unrichtiger Höhe festgesetzt worden sei.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der beiden Verfahren zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - erwogen:

12       Die Revisionen sind zulässig; sie sind jedoch nicht begründet.

13       § 1 Abs. 4 EStG 1988 normiert:

„Auf Antrag werden auch Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anzuwenden ist, als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 98 haben. Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90% der österreichischen Einkommensteuer unterliegen oder wenn die nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 11 000 Euro betragen. Inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, gelten in diesem Zusammenhang als nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegend. Die Höhe der nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte ist durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Abgabenbehörde nachzuweisen. Der Antrag kann bis zum Eintritt der Rechtskraft des Bescheides gestellt werden.“

14       Durch diese Bestimmung erhalten beschränkt Steuerpflichtige ein „Wahlrecht [...], bei beschränkt steuerpflichtigen Einkünften eingeschränkt auf diese Einkünfte wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt zu werden; damit sollen dem Steuerpflichtigen steuerliche Vorteile gewährt werden, die ansonsten nur unbeschränkt Steuerpflichtigen zustehen“ (Millauer in Doralt, EStG, 9. Lfg, Rz 58).

15       § 1 Abs. 4 EStG 1988 wurde ursprünglich mit dem EU-Abgabenänderungsgesetz, BGBl. Nr. 798/1996, in das EStG eingeführt. Auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage streichen dabei unter Hinweis auf diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH hervor, dass mit dem Wahlrecht - bei Vorliegen der darin formulierten Voraussetzungen - den beschränkt Steuerpflichtigen „die Begünstigungen der unbeschränkten Steuerpflicht“ eröffnet werden sollen (498 BlgNR 20. GP S 6):

„Den im Inland tätigen Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates oder - wegen der dem Art. 48 EG-Vertrag analogen Bestimmung des Art. 28 EWR-Abkommen - eines (anderen) EWR-Staates sollen daher unter den im Gesetz angeführten Voraussetzungen die Begünstigungen der unbeschränkten Steuerpflicht zustehen.“

16       Im Revisionsfall stellt sich nun erstmals die Frage, welche Auswirkungen die Ausübung der Option gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 auf die Berechnungsbestimmungen der Negativsteuer nach § 33 Abs. 8 EStG 1988 hat.

17       § 33 Abs. 8 EStG 1988 idF BGBl. Nr. 118/2015 regelt in seinen ersten drei Ziffern Tatbestände von Erstattungen von Absetzbeträgen bzw. Teilen von Sozialversicherungsbeiträgen („SV-Rückerstattung“) für Steuerpflichtige, bei denen sich nach § 33 Abs. 1 und 2 EStG 1988 eine Einkommensteuer unter Null ergibt (Negativsteuer).

18       Für die Berechnung der Einkommensteuer ergänzt § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 für alle drei Tatbestände Folgendes:

„Auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreie Einkünfte sind für Zwecke der Berechnung der Einkommensteuer gemäß Z 1 bis 3 wie steuerpflichtige Einkünfte zu behandeln. Der Kinderabsetzbetrag gemäß Abs. 3 bleibt bei der Berechnung außer Ansatz.“

19       Die Einführung dieser Berechnungsregel geht auf BGBl. I Nr. 34/2005 zurück. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage wird sie in Vorblatt, Allgemeinem Teil und Besonderem Teil wie folgt begründet (ErlRV 848 BlgNR 22. GP S. 1, 3 und 5):

„Probleme: [...]

-    Anspruch auf Negativsteuer besteht auch dann, wenn auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfrei gestellte Einkünfte bezogen werden.

Allgemeine Zielsetzungen: [...]

-    Einbeziehung auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfrei gestellter Einkünfte bei der Berechnung der Negativsteuer.

[...]

Nach Sinn und Zweck der Negativsteuer sollen davon die Bezieher niedriger Einkommen profitieren. Ist der Steuerpflichtige von einer Steuerbefreiung auf Grund zwischenstaatlicher Verträge oder anderer völkerrechtlicher Privilegien begünstigt, soll es nur insoweit zu einer Gutschrift kommen, als das Einkommen auch unter Berücksichtigung dieser steuerbefreiten Beträge unter der Besteuerungsgrenze bleibt.“

20       Die revisionswerbenden Parteien meinen, die tschechischen Einkünfte des Zweitrevisionswerbers könnten nicht als „auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreie Einkünfte“ iSd § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 gelten, weil Österreich für sie ohnedies kein Besteuerungsanspruch zukomme.

21       Mit dieser isolierten Betrachtung des § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 verkennen sie allerdings das Zusammenspiel von § 1 Abs. 4 und § 33 Abs. 8 EStG 1988. Die Ausübung des Antragsrechts nach § 1 Abs. 4 EStG 1988 führt nämlich dazu, dass im Wege einer gesetzlichen Fiktion für die Inanspruchnahme von Begünstigungen von einer unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich auszugehen ist („als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt“), unabhängig davon, dass in sachlicher Hinsicht nur die Einkünfte gemäß § 98 EStG 1988 der österreichischen Besteuerung unterliegen.

22       § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988, der sich selbst unmittelbar an unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 2 EStG 1988 wendet, muss im Sinne einer allgemeinen unbeschränkten Steuerpflicht angewendet werden. Wäre der die Option ausübende beschränkt Steuerpflichtige tatsächlich in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig (als solcher hat er ja beantragt „behandelt zu werden“), so wären die tschechischen Einkünfte im Revisionsfall - so sie in Österreich aufgrund einer abkommensrechtlichen Steuerfreistellung nicht unmittelbar Eingang in die Bemessungsgrundlage fänden - aufgrund § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 jedenfalls für die Berechnung der Negativsteuervoraussetzungen zu erfassen. Nichts anderes soll für beschränkt Steuerpflichtige iSd § 1 Abs. 4 EStG 1988 gelten.

23       Das bedeutet, es kann im Sinne der Teleologie des § 33 Abs. 8 EStG 1988 auch für beschränkt Steuerpflichtige nach einer Optionsausübung nur insoweit zu einer Einkommensteuergutschrift iSd § 33 Abs. 8 EStG 1988 kommen, als das Einkommen auch unter Berücksichtigung der nicht steuerbaren ausländischen Einkünfte unter der Besteuerungsgrenze bleibt.

24       Wie das BFG zu Recht ausgeführt hat, werden die tschechischen Einkünfte durch ihre Berücksichtigung nach § 33 Abs. 8 Z 4 EStG 1988 auch nicht der österreichischen Einkommensteuer unterworfen, sondern - ähnlich der Anwendung eines Progressionsvorbehalts - lediglich bei der Berechnung der negativen Einkommensteuer iSd § 33 Abs. 8 EStG 1988 entsprechend mit einbezogen, womit beschränkt Steuerpflichtige iSd § 1 Abs. 4 EStG 1988 bloß in gleicher Weise wie unbeschränkt Steuerpflichtige an den „Begünstigungen der unbeschränkten Steuerpflicht“ teilhaben (vgl. zur Berücksichtigung der gesamten „Steuerkraft“ eines Steuerpflichtigen gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 auch VwGH 25. 9.2012, 2008/13/0201, betreffend zulässiger steuerlicher Berücksichtigung ausländischer Verluste).

25       Die Revisionen waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 3. Februar 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021150009.J00

Im RIS seit

11.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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