Index
E6JNorm
AVG §68 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des F A A E M in N, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 16. Oktober 2020, LVwG-2019/42/1560-4, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Landeck), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 28. Mai 2018 wurde der Revisionswerber als Inhaber und Betreiber einer näher bezeichneten Tankstelle der dreifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG schuldig erkannt, weil er als „Zugänglichmacher“ dafür Sorge getragen habe, dass den Spielern drei Glücksspielgeräte betriebsbereit zur Verfügung gestanden seien, dass ihnen Auskunft über Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung (der Ausspielungen) erteilt worden sei und dass ihnen über deren Wunsch die erzielten Gewinne in Form von Bargeld ausbezahlt worden seien. Es wurden über ihn drei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 10.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Weiters wurden die Kosten gemäß § 64 VStG bestimmt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) der vom Revisionswerber dagegen erhobenen Beschwerde insoweit statt, als es das angefochtene Straferkenntnis hinsichtlich eines näher bezeichneten Glücksspielgerätes behob und das Strafverfahren diesbezüglich einstellte. Hinsichtlich der beiden anderen Glücksspielgeräte wies es die Beschwerde unter Modifikation des Spruches des Straferkenntnisses als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.). Das LVwG bestimmte die Kosten des Beschwerdeverfahrens (Spruchpunkt 2.) und sprach aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 3.).
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Zu den im Zulässigkeitsvorbringen der gegenständlichen Revision geäußerten unionsrechtlichen Bedenken ist zunächst festzuhalten, dass die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV klar bzw. geklärt sind. Ebenso sind die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt (vgl. EuGH 15.9.2011, Dickinger und Ömer, C-347/09, Rn. 83 f; 30.4.2014, Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; 30.6.2016, Admiral Casinos & Entertainment AG, C-464/15, Rn. 31, 35 ff; 28.2.2018, Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 28, 62 ff; sowie 6.9.2018, Gmalieva s.r.o. u.a., C-79/17, Rn. 22 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat an dieser Gesamtwürdigung mit Erkenntnis vom 11. Juli 2018, Ra 2018/17/0048, 0049, mit näherer Begründung festgehalten. Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht im Revisionsfall nicht abgewichen. Anders als die Revision vermeint hat das LVwG nämlich durchaus eine Kohärenzprüfung durchgeführt und in deren Rahmen auch Feststellungen getroffen. Die angefochtene Entscheidung steht daher nicht im Widerspruch zum Urteil des EuGH vom 30. April 2014, Pfleger, C-390/12. Die Revision zeigt - auch unter Berücksichtigung der Beweisthemen der behauptetermaßen zu Unrecht nicht durchgeführten Beweisanträge - keine Umstände auf, die zu einer anderen Beurteilung geführt hätten.
6 Mit dem Vorbringen, das angefochtene Erkenntnis stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic u.a., C-64/18 u.a., wird ebenfalls keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Nach dem Erkenntnis der Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 2020, Ro 2020/17/0015, auf das zur näheren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, steht in Bezug auf § 52 Abs. 2 zweiter Strafsatz GSpG das Unionsrecht der uneingeschränkten Anwendung des GSpG nicht entgegen, u.a. deshalb, weil auch dieser Strafsatz sowohl eine klar definierte Höchstgrenze für die einzelne Übertretung als auch eine Obergrenze für die Summe der Strafen (in Summe EUR 90.000,--) beinhaltet. Es ist nicht ersichtlich, dass die Strafdrohung des zweiten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG angesichts des in den Tatbildern des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG typisierten - und vor allem wie vorliegend im Wiederholungsfall nochmals erhöhten - Unrechts, des öffentlichen Interesses an der wirksamen Vollziehung des GSpG und des üblicherweise in beträchtlicher Höhe erzielten finanziellen Vorteils aus einer Verletzung dieser Vorschriften unter dem Blickwinkel des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Sachlichkeitsgebotes als unverhältnismäßig zu beurteilen wäre (vgl. auch VwGH 16.7.2021, Ra 2020/17/0110, 0111, mwN, sowie das Urteil des EuGH vom 14. Oktober 2021, MT, C-231, zum dritten Strafsatz). Dass die Regelungen nach § 52 Abs. 2 zweiter Strafsatz GSpG und jene über die Auferlegung der Verfahrenskosten gegen die Dienstleistungsfreiheit verstießen, wird in den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.
7 Die Revision erweist sich jedoch im Hinblick auf den von ihr aufgezeigten Widerspruch des angefochtenen Erkenntnisses zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a VStG als zulässig und auch begründet.
8 § 44a VStG regelt, welche Bestandteile der Spruch eines Straferkenntnisses zu enthalten hat. Dazu zählen unter anderem die als erwiesen angenommene Tat (Z 1) und die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist (Z 2). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 1 VStG muss der Spruch eines Straferkenntnisses so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgt, also aus der Tathandlung sogleich auf das Vorliegen der angelasteten Übertretung geschlossen werden kann. Der Beschuldigte hat zudem ein subjektives Recht darauf, dass ihm die als erwiesen angenommene Tat und die verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten werden. Die Identität der Tat muss unverwechselbar feststehen (vgl. z.B. VwGH 17.5.2019, Ra 2018/17/0246, mwN).
9 Im Spruch des Straferkenntnisses, der durch das angefochtene Erkenntnis durch die Abweisung der Beschwerde insofern übernommen wurde, wurde dem Revisionswerber die Verwirklichung des dritten Tatbilds des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG vorgeworfen. Das unternehmerisch Zugänglichmachen iSd dritten Tatbilds verwirklicht eine Person, die etwa ein Glücksspielgerät in ihrer Gewahrsame hat und damit Spielern die Teilnahme an verbotenen Ausspielungen ermöglicht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Wirt die Aufstellung eines solchen Glücksspielgerätes durch einen Dritten duldet, weil er etwa dafür eine „Miete“ erhält oder sich durch das Vorhandensein dieses Gerätes in seinem Lokal eine Belebung seiner Getränkeumsätze erhofft (vgl. wieder VwGH 17.5.2019, Ra 2018/17/0246, mwN)
10 Dagegen ist mit dem vierten Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG eine Person gemeint, die nicht Veranstalter ist, sondern sich nur in irgendeiner Weise an der Veranstaltung unternehmerisch im Sinn des § 2 Abs. 2 GSpG beteiligt. So kann das entgeltliche Überlassen von Räumlichkeiten das vierte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG erfüllen, sofern entsprechende Feststellungen zur subjektiven Tatseite der die Räumlichkeiten überlassenden Person getroffen werden (vgl. dazu ausführlicher VwGH 25.6.2020, Ra 2019/15/0144, mwN).
11 Im Spruch des Straferkenntnisses hat die belangte Behörde dem Revisionswerber Handlungen vorgeworfen, die sowohl mit der Verwirklichung des dritten als auch des vierten Tatbilds des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG verbunden sein könnten. Auch das angefochtene Erkenntnis ist in dieser Hinsicht nicht eindeutig. In seiner Begründung trifft das LVwG nämlich die Feststellung, der Dachbodenraum des im Eigentum des Revisionswerbers stehenden Tankstellengebäudes sei im Zeitpunkt der Kontrolle vom Revisionswerber an die G Ltd vermietet gewesen. In diesem Dachbodenraum seien bei der Kontrolle die Glücksspielgeräte eingeschaltet und betriebsbereit vorgefunden worden. Der Revisionswerber habe die Bespielung dieser Glücksspielgeräte durch Gäste der Tankstelle zumindest geduldet. Unklar bleibt, ob dieser Dachbodenraum noch Teil des Lokals des Tankstellenbetreibers gewesen ist und der Revisionswerber deswegen noch Gewahrsame an den vorgefundenen Glücksspielgeräten gehabt hat oder dieser Dachbodenraum eine vom Lokal des Revisionswerbers getrennte vermietete Räumlichkeit darstellte und der Revisionswerber der G Ltd ausschließlich Leistungen iSd vierten Tatbilds erbrachte, indem er ihr diesen Raum vermietete und darüber hinaus sein Personal zu Betreuungsleistungen in Bezug auf die Glücksspielgeräte und die Spieler anhielt oder diese Leistungen zumindest duldete. Hätte der Revisionswerber aufgrund der Vermietung des Dachbodens an die G Ltd keine Gewahrsame an den dort vorgefundenen Glücksspielgeräten gehabt, dann wäre die Erfüllung des vierten Tatbilds des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG zu prüfen, die aber Kenntnis von den dort durchgeführten verbotenen Ausspielungen voraussetzt (vgl. wieder VwGH 25.6.2020, Ra 2019/15/0144, mwN). Dazu hat das LVwG keine Feststellungen getroffen.
12 Damit ist dem angefochtenen Erkenntnis angesichts dieser unlösbar widersprüchlichen Tatanlastungen nicht unverwechselbar zu entnehmen, welche Tathandlungen dem Revisionswerber konkret vorgeworfen wurden und unter welches Tatbild diese Tathandlungen nach Ansicht des Verwaltungsgerichts allein zu subsumieren sind.
13 Das angefochtene Erkenntnis entspricht somit nicht den Anforderungen des § 44a Z 1 und 2 VStG (vgl. VwGH 22.3.2021, Ra 2021/17/0019, 0020, mwN). Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
14 Darüber hinaus erweist sich das angefochtene Erkenntnis aber auch noch aus einem anderen Grund als rechtswidrig:
15 Die Revision macht auch geltend, das LVwG habe keine Feststellungen darüber getroffen, ob die vom LVwG der Anwendung des zweiten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG zugrunde gelegten beiden Vorstrafen zum maßgeblichen Tatzeitpunkt bereits formell rechtskräftig gewesen seien, was von der Revision in Abrede gestellt wird.
16 Das LVwG hat bei der Bestrafung des Revisionswerbers ausdrücklich den zweiten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG angewandt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann von einer „Wiederholung“ im Sinn dieser Gesetzesbestimmung nur dann gesprochen werden, wenn zumindest eine einschlägige Vorstrafe vorliegt. Nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes bestimmt die Einordnung der Vortat, ob ein „Wiederholungsfall“ im Sinn des zweiten Strafsatzes (bei einer Vorstrafe wegen höchstens drei Übertretungen) bzw. vierten Strafsatzes (bei einer Vorstrafe wegen mehr als drei Übertretungen) vorliegt. Der im Fall „der erstmaligen und weiteren Wiederholung“ vorgesehene zweite Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG setzt nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes die Bestrafung wegen einer Vortat nach dem ersten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG voraus, bezieht sich das strafsatzbestimmende Kriterium der Wiederholung in diesem Fall doch auf die Übertretung des Abs. 1 Z 1 leg. cit. mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen. Maßgeblich sind dabei „Vorstrafen“, die im Tatzeitraum bereits formell rechtskräftig waren (vgl. VwGH 22.3.2021, Ra 2020/17/0025, mwN).
17 Das LVwG hat die Anwendung des zweiten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG lediglich damit begründet, dass im Verwaltungsvorstrafenregister „zwei einschlägige Vorstrafen aus dem Jahr 2017“ aufschienen. Ob es sich dabei um einschlägige und im Tatzeitpunkt rechtskräftige Vorstrafen gehandelt hat, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, womit das LVwG seiner Begründungsplicht nicht Genüge getan hat. Im fortzusetzenden Verfahren wird das LVwG somit auch in dieser Hinsicht eindeutige Feststellungen zu treffen haben.
18 Das angefochtene Erkenntnis war aus den oben dargelegten Gründen wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. Februar 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORABSchlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170127.L00Im RIS seit
11.03.2022Zuletzt aktualisiert am
22.03.2022