TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/3 Ra 2020/17/0085

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §46

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des M D, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 24. März 2020, VGW-002/092/156/2020-13, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 15. November 2019 wurde der Revisionswerber der zehnfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall Glücksspielgesetz - GSpG schuldig erkannt. Es wurden über ihn zehn Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 7.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Der Revisionswerber habe vom 15. Jänner 2019 bis 1. April 2019 als Betreiber eines näher genannten Lokals verbotene Ausspielungen unternehmerisch zugänglich gemacht, indem er den Betrieb von zehn in seiner Gewahrsame befindlichen, betriebsbereit aufgestellten Glücksspielgeräten gestattet habe, um damit regelmäßige Einnahmen zu erzielen.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde ab und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis (Spruchpunkt I.). Das Verwaltungsgericht erlegte dem Revisionswerber einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auf (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).

3        Dagegen richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4        Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber zunächst vor, es liege ein Verstoß gegen die ständige Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur dynamischen Kohärenzprüfung vor. Das Verwaltungsgericht habe im Hinblick auf die amtswegige Beurteilung der Unionsrechtskonformität des GSpG lediglich Unterlagen aus dem Zeitraum 2010 bis 2016 zu Grunde gelegt, die vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen seien unberücksichtigt geblieben.

5        Dazu ist auszuführen, dass die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt sind (vgl. EuGH 15.9.2011, Dickinger und Ömer, C-347/09, Rn. 83 f; 30.4.2014, Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; 30.6.2016, Admiral Casinos & Entertainment AG, C-464/15, Rn. 31, 35 ff; 28.2.2018, Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 28, 62 ff; sowie 6.9.2018, Gmalieva s.r.o. u.a., C-79/17, Rn. 22 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat an dieser Gesamtwürdigung mit Erkenntnis vom 11. Juli 2018, Ra 2018/17/0048, 0049, mit näherer Begründung festgehalten. Von dieser Rechtsprechung ist das LVwG im Revisionsfall nicht abgewichen. Darüber hinaus wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht näher dargelegt (vgl. zu einem im Wesentlichen gleichlautenden Vorbringen VwGH 20.7.2020, Ra 2020/17/0050).

6        Weiters bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision vor, das LVwG habe gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Stattgabe von Beweisanträgen und zur Erforschung der materiellen Wahrheit verstoßen, indem es dem Beweisantrag des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung nicht entsprochen und von einer zeugenschaftlichen Einvernahme des Geschäftsführers der N Kft. Abstand genommen habe. Bei einer Einvernahme des genannten Zeugen hätte sich ergeben, dass nicht der Revisionswerber, sondern dessen Untermieterin, die N Kft., Betreiberin des gegenständlichen Lokals gewesen sei. Der Revisionswerber wäre daher nicht zu bestrafen gewesen.

7        Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und begründet.

8        Gemäß § 46 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die zur Entscheidung der Rechtssache erforderlichen Beweise aufzunehmen. Dabei darf es sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und Begründung hinwegsetzen (vgl. z.B. VwGH 30.11.2020, Ra 2020/17/0120, mwN).

9        Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Vorliegen von - nach Meinung des Verwaltungsgerichtes - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Vernehmung der zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. VwGH 15.10.2015, Ra 2014/20/0052, mwN).

10       Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers hat in der mündlichen Verhandlung u.a. den Antrag auf Einvernahme des des Geschäftsführers der N Kft. gestellt, und zwar zum Beweis dafür, dass das gegenständliche Lokal untervermietet gewesen sei.

11       Das Verwaltungsgericht hätte somit den beantragten Zeugen befragen oder nachvollziehbar begründen müssen, warum es auf dieses Beweismittel nicht ankomme oder dieses untauglich bzw. an sich nicht geeignet sei, über den beweiserheblichen Gegenstand einen Beweis zu liefern.

12       Das Verwaltungsgericht hat die Unterlassung der beantragten Einvernahme des Zeugen lediglich damit begründet, dass das Vorbringen, wonach ein Untermietverhältnis bestehe, nur eine Schutzbehauptung zu sein scheine und die Namhaftmachung des Zeugen allein der Verfahrensverzögerung diene.

13       Diese Begründung entspricht jedoch nicht den oben genannten Erfordernissen.

14       Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen in Bezug auf die Bemessung der Ersatzfreiheitsstrafe.

15       Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

16       Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

17       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. Februar 2022

Schlagworte

Allgemein Beweismittel Zeugen Beweismittel Zeugenbeweis Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des Beweisantrages Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170085.L00

Im RIS seit

11.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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