TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/7 Ra 2018/04/0140

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Veröffentlicht am 07.02.2022
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Index

97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2006 §123
BVergG 2006 §129
BVergG 2006 §78
BVergG 2006 §79

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der H GmbH in B, vertreten durch die Müller Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rockhgasse 6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Mai 2018, Zl. VGW-123/077/3868/2018-7, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei: Stadt Wien - Unternehmung Wiener Krankenanstaltenverbund, vertreten durch die Strehn Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Wipplingerstraße 22, Mezzanin), zu Recht erkennt:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1        1. Die mitbeteiligte Partei führte als Auftraggeberin ein offenes, in Lose gegliedertes Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich betreffend einen Lieferauftrag nach dem Bestbieterprinzip. Die Revisionswerberin hat zu Los 1 (Beschaffung von „Beatmungsgeräten mit Transportfahrgestell“) ein Angebot gelegt.

2        Mit Schreiben vom 14. März 2018 teilte die mitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) der Revisionswerberin mit, dass ihr Angebot zu Los 1 ausgeschieden werde. Dies wurde damit begründet, dass das von der Revisionswerberin angebotene Produkt die Mindestanforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ nicht erfülle. Bei der Funktion „IntelliSync+“ handle es sich bloß um eine neuartige pneumatische Trigggertechnologie, deren Funktionsprinzip auf der Analyse der Flow-Kurve basiere. Diese könne zwar den Zeitpunkt der Einatembemühung erkennen, nicht aber das Ausmaß der geänderten Anstrengung des Patienten. Folglich sei das Ausmaß der jeweiligen Druckunterstützung - im Gegensatz zu einer „proportionalen Druckunterstützung“ - nicht proportional zur aktuellen Einatemanstrengung des Patienten.

3        2.1. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 9. Mai 2018 wies das Verwaltungsgericht Wien den Antrag der Revisionswerberin auf Nichtigerklärung dieser Ausscheidensentscheidung (ebenso wie den Antrag auf Pauschalgebührenersatz) als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

4        2.2. In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Revisionswerberin ein Angebot zu Los 1 abgegeben habe und zunächst als Bestbieterin ermittelt worden sei. Im Prüfbericht vom 31. Juli 2017 sei zum Kriterium „proportionale Druckunterstützung“ festgehalten worden, dass die sachlich technische Prüfung die Einhaltung dieser Mindestanforderung durch das von der Revisionswerberin angebotene Produkt ergeben habe. Gegen die in der Folge ergangene Zuschlagsentscheidung zugunsten der Revisionswerberin habe die zweitgereihte Bieterin beim Verwaltungsgericht Wien einen Nachprüfungsantrag eingebracht und gerügt, das Angebot der Revisionswerberin würde die Voraussetzung der „proportionalen Druckunterstützung“ nicht erfüllen. Am 6. Dezember 2017 sei die Zuschlagsentscheidung von der Auftraggeberin zurückgenommen und die Revisionswerberin mit konkreten Fragen zur detaillierten Aufklärung ersucht worden, auf welche Weise das von ihr angebotene Produkt die Mindestanforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ erfülle. Die Revisionswerberin habe mit Aufklärungsschreiben vom 13. Dezember 2017 detaillierte technische Angaben zu dem von ihr angebotenen Produkt gemacht. Zu diesem Aufklärungsschreiben, dem mehrere Fachbeiträge in englischer und deutscher Sprache angeschlossen gewesen seien, habe Priv.-Doz. Dr. F ein Gutachten erstattet, wonach die von der Revisionswerberin gegebene Aufklärung in mehreren Punkten nicht zutreffend sei und die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ durch das von ihr angebotene Produkt nicht erfüllt werde.

5        In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hätten Priv.-Doz. Dr. O und Priv.-Doz. Dr. F jeweils schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass das von der Revisionswerberin angebotene Produkt die Definition des Begriffs der „proportionalen Druckunterstützung“ insoweit nicht erfülle, als das Produkt keine augmentierende Atemhilfe im Sinn einer Druckunterstützung proportional zur Atemarbeit des Patienten biete. Die angebotene Druckunterstützung sei - entgegen der bestandfesten Definition des Begriffs der „proportionalen Druckunterstützung“ - nicht proportional zur Atemanstrengung des Patienten, sondern berücksichtige stattdessen die Dauer des Vorgangs des Einatmens sowie ein voreingestelltes Atemvolumen. Eine Divergenz dieser beiden Systeme trete unter anderem dann auf, wenn ein Patient (etwa auf Grund von Fieber oder Aufregung) einen erhöhten ventilatorischen Bedarf habe und deshalb die Anstrengung des Einatmens zunehme. Ein solcher erhöhter ventilatorischer Bedarf werde vom Produkt der Revisionswerberin nicht erkannt, zumal ein solcher erhöhter Bedarf nicht zwangsläufig mit einer Verlängerung der Tätigkeit des Einatmens verbunden sei.

Die mündliche Verhandlung habe diesbezüglich ergeben, dass die Revisionswerberin unter einer „proportionalen Druckunterstützung“ nicht das verstehe, was von der Auftraggeberin in ihrer Definition festgelegt worden sei. Die Revisionswerberin gehe davon aus, ihr System erfülle die verlangte Funktion der „proportionalen Druckunterstützung“ dadurch, dass es sich über die Funktionen „Intellivent-ASV“ und „IntelliSync+“ individuell an den Bedarf des jeweiligen Patienten anpasse. Die Revisionswerberin habe sich dabei auf die Festlegung der Auftraggeberin, wonach die Funktion „IntelliSync+“ die Funktion der „proportionalen Druckunterstützung“ erfülle, gestützt und der Definition, was die Auftraggeberin unter einer „proportionalen Druckunterstützung“ verstehe, nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Ausgehend von diesem Verständnis habe die Revisionswerberin in ihrem Aufklärungsschreiben vom 13. Dezember 2017 zwar dargestellt, wie das von ihr angebotene Produkt funktioniere. Diese Darstellung sei jedoch nicht ident mit der verlangten augmentierenden Atemhilfe. Die Revisionswerberin habe weder im Aufklärungsschreiben noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass das von ihr angebotene Produkt die jeweilige Anstrengung des Patienten beim Vorgang des Einatmens messe und eine darauf abgestellte Druckunterstützung leisten würde.

6        Auf Grund des Aufklärungsersuchens der Auftraggeberin vom 6. Dezember 2017 hätte die Revisionswerberin insbesondere zu erklären gehabt, wie die Funktion der „proportionalen Druckunterstützung“ mit dem von ihr angebotenen Produkt konkret erfüllt werde, wie die automatische Anpassung der Druckunterstützungan den ventilatorischen Bedarf des Patienten erfolge und wie die Höhe der Druckunterstützung automatisch in Abhängigkeit der patienteneigenen Atemarbeit an der mit „IntelliSync+“ erfassten Triggerpunkte geändert werde. Außerdem hätte die Revisionswerberin eine graphische Darstellung der Beatmungskurve(n) inklusive einer technischen Erläuterung übermitteln sollen.

Diesem Aufklärungsersuchen habe die Revisionswerberin in der verlangten Form nicht nachkommen können. Insbesondere sei von ihr nicht erklärt worden, wie sich die „proportionale Druckunterstützung“ automatisch an den ventilatorischen Mehrbedarf des Patienten anpasse und wie sie das Ausmaß der Anstrengung beim Einatmen berücksichtige. Eine derartige Anpassung bzw. Berücksichtigung habe das angebotene Produkt zu leisten. Das Produkt der Revisionswerberin passe sich stattdessen an andere Faktoren, insbesondere an die Länge des Einatmens, an, weshalb die Revisionswerberin nur habe erklären können, wie die Anpassung an diese anderen Faktoren erfolge.

Auch wenn den Darlegungen der Revisionswerberin über die Funktionsweise ihres Gerätes Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit nicht abgesprochen werden könne, so habe sie damit gerade nicht die verlangte „proportionale Druckunterstützung“ im Sinn einer augmentierenden Atemhilfe, bei der die Druckunterstützung des Respirators proportional zur patienteneigenen Atemarbeit erfolge, nachgewiesen, sondern eine alternative Atemhilfe. Auch wenn es zutreffen möge, dass diese alternative Atemhilfe je nach Einsatzbereich besser oder schlechter sein könne als die verlangte augmentierende Atemhilfe im obigen Sinn, so sei sie dennoch etwas anderes als das in der Ausschreibung Verlangte.

7        In rechtlicher Hinsicht hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass die bestandfesten Ausschreibungsunterlagen mit einem Widerspruch behaftet seien. Zum einen werde inhaltlich festgelegt, was unter einer „proportionalen Druckunterstützung“ zu verstehen sei. Zum anderen sei festgelegt, dass durch bestimmte, beispielhaft angeführte Funktionen bzw. Produkte wie unter anderem „IntelliSync+“ die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte. Zusätzlich sei jedoch festgelegt, dass die Bieter nachzuweisen hätten, auf welche Weise sie die inhaltlichen Anforderungen an die „proportionale Druckunterstützung“ erfüllten. Dies werfe die Frage auf, was gelte, wenn ein Bieter die Anforderung „proportionale Druckunterstützung“ zwar inhaltlich nicht erfülle und folglich den geforderten Nachweis, auf welche Weise er diese Anforderung inhaltlich erfülle, gar nicht erbringen könne, auf der anderen Seite aber ein System angeboten habe, bei dem die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ auf Grund der bestandfesten Ausschreibungsunterlagen als erfüllt gelten solle.

8        Die Auftraggeberin habe zunächst die Rechtsansicht vertreten, dass mit der angebotenen Funktion „IntelliSync+“ das Erfordernis der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte. Einer inhaltlichen Hinterfragung, ob das angebotene Produkt diese Anforderung erfülle, stehe die Bestandfestigkeit der Ausschreibungsunterlagen entgegen. In der Folge habe die Auftraggeberin diese Rechtsansicht revidiert, die Frage der Erfüllung der Anforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ durch das angebotene Produkt der Revisionswerberin unbeschadet des Vorhandenseins der Funktion „IntelliSync+“ inhaltlich überprüft und auf Grund des Ergebnisses dieser inhaltlichen Prüfung die verfahrensgegenständliche Ausscheidensentscheidung getroffen.

9        Das Instrument der Bestandfestigkeit habe - so das Verwaltungsgericht - nicht die Funktion, eine inhaltliche Prüfung von festgelegten (oder auch vorausgesetzten) Anforderungen an das zu beschaffende Produkt auszuschließen und damit Bietern, die ein inhaltlich nicht entsprechendes Produkt anbieten, vor einer Überprüfung und vor einem Ausscheiden zu schützen. Die Festlegung, wonach mit der Funktion „IntelliSync+“ die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte, bewirke somit nicht, dass es der Auftraggeberin verboten wäre, die Anforderungen an das Vorliegen einer „proportionalen Druckunterstützung“ zu prüfen und das Angebot der Revisionswerberin im Fall einer inhaltlichen Nichterfüllung auszuscheiden.

10       Ebenso bewirke die Bestandfestigkeit der in Rede stehenden Festlegung nicht, dass die Revisionswerberin entbunden wäre, auf die Aufforderung der Auftraggeberin hin nachzuweisen, auf welche Weise sie konkret die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ inhaltlich erfülle. Sollte die Revisionswerberin nicht in der Lage sein, diese Aufklärung in ausreichender Weise zu geben, weil sie etwa die Anforderung inhaltlich nicht erfülle, so ändere dies nichts daran, dass sie damit die gebotene Aufklärung nicht gegeben bzw. nicht das ausgeschriebene Produkt angeboten habe. Sollte das angebotene Produkt hingegen das Erfordernis der „proportionalen Druckunterstützung“ inhaltlich erfüllen, sei die Revisionswerberin im Rahmen der die treffenden Aufklärungspflicht ebenfalls verpflichtet, dies nachvollziehbar darzulegen.

Die Auftraggeberin habe somit dadurch, dass sie von der Revisionswerberin Aufklärung verlangt habe, in welcher Weise sie die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ inhaltlich erfülle, nicht gegen ihre bestandfesten Festlegungen verstoßen. Die Festlegung, wonach diese Anforderung durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gelte, schließe ein solches Aufklärungsersuchen nicht aus, auch wenn es zweckmäßig gewesen wäre, eine fundierte Prüfung der Frage, ob die Funktion „IntelliSync+“ eine „proportionale Druckunterstützung“ aufweise, vorzunehmen, bevor eine solche Festlegung Aufnahme in die Ausschreibungsunterlagen finde.

11       Die Revisionswerberin habe weder die verlangte Aufklärung gegeben, noch erfülle das von ihr angebotene Produkt in inhaltlicher Hinsicht die Anforderung der verlangten „proportionalen Druckunterstützung“ im Sinn einer augmentierenden Atemhilfe. Das von der Revisionswerberin angebotene Produkt sei daher hinsichtlich der inhaltlichen Definition der „proportionalen Druckunterstützung“ nicht ausschreibungskonform. Die Festlegung der Auftraggeberin, wonach beispielsweise durch die Funktion „IntelliSync+“ das Erfordernis der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte, ändere nichts daran, dass das angebotene Produkt über die in inhaltlicher Hinsicht verlangte augmentierende Atemhilfe verfügen müsse, anderenfalls es ausschreibungswidrig sei.

12       Selbst wenn man der rechtlichen Ansicht sein sollte, dass die Festlegung, wonach beispielsweise „IntelliSync+“ die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ erfülle, der inhaltlichen Definition dieser Funktion vorginge und das Produkt daher als ausschreibungskonform zu gelten habe (obwohl es inhaltlich nicht ausschreibungskonform sei), so ändere dies nichts daran, dass die Revisionswerberin hätte aufklären müssen, auf welche Weise sie diese - inhaltlich nicht vorhandene, sondern allenfalls kraft Bestandfestigkeit als vorhanden geltende - Funktion konkret sicherstelle.

13       3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die mitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) erstattete im eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

II.

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

15       1.1. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil eine Bindung der Auftraggeberin an die von ihr selbst getroffenen und bestandfest gewordenen Festlegungen verneint worden sei. Das Verwaltungsgericht habe dies damit begründet, dass auf Grund der Bestandfestigkeit eine inhaltliche Prüfung von festgesetzten (oder auch vorausgesetzten) Anforderungen nicht ausgeschlossen sei. Auch sei die Revisionswerberin nicht davon entbunden, auf die Aufforderung der Auftraggeberin hin nachzuweisen, auf welche Weise sie konkret die Anforderung „proportionale Druckunterstützung“ erfülle. Allein darin liege schon ein grobes Verkennen der Rechtslage. Das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Bestandfestigkeit der Ausschreibung dazu führe, dass die Auftraggeber an die Inhalte bzw. Festlegungen ihrer Ausschreibung gebunden seien.

16       1.2. Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich aus den folgenden Erwägungen auch als berechtigt.

17       2.1. Das Leistungsverzeichnis sah in Bezug auf die verfahrensgegenständlichen Beatmungsgeräte unter anderem die Mindestanforderung „Proportionale Druckunterstützung (Diese Anforderung gilt durch die Funktion PAV, PPS oder NAVA als erfüllt)“ vor.

In ihrer Rückfragebeantwortung vom 14. Juli 2017 wurde von der Auftraggeberin zum einen der Satz ergänzt, dass „vom Bieter [...] eine detaillierte funktionale Beschreibung dem Angebot beizulegen [ist], die zeigt, wie die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ im angebotenen Produkt umgesetzt ist“, und zum anderen - damit alle Bieter vom selben Verständnis des Begriffs der proportionalen Druckunterstützung ausgehen - dieser Begriff zur Klarstellung näher definiert.

In der Rückfragebeantwortung vom 19. Juli 2017 führte die Auftraggeberin aus, dass die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ beispielsweise auch durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gelte. Zudem wurde erneut darauf hingewiesen, dass „vom Bieter [...] eine detaillierte funktionale Beschreibung dem Angebot beizulegen [ist], die zeigt, wie die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ im angebotenen Produkt umgesetzt ist.“

18       Das Verwaltungsgericht kam ausgehend davon zum Ergebnis, dass ungeachtet der Bestandfestigkeit der gegenständlichen Festlegung die Revisionswerberin nicht davon entbunden wäre, auf Nachfrage der Auftraggeberin hin nachzuweisen, auf welche Weise das von der Revisionswerberin angebotene Produkt die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ inhaltlich erfülle. Die Festlegung, wonach mit der Funktion „IntelliSync+“ die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte, bedeute - so das Verwaltungsgericht - nicht, dass es der Auftraggeberin verboten wäre, die Anforderungen an das Vorliegen einer „proportionalen Druckunterstützung“ zu prüfen.

19       2.2. Die Revision hält dem entgegen, die Auftraggeberin habe mit der Rückfragenbeantwortung vom 19. Juli 2017 ausdrücklich klargestellt, dass die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gelte. Da die Rückfragenbeantwortung bestandfest geworden sei, dürfe ein Angebot, mit dem ein Produkt mit der Funktion „IntelliSync+“ angeboten werde, nicht ausgeschieden werden.

20       2.3. Die Auftraggeberin verweist in ihrer Revisionsbeantwortung zwar ebenso auf die Bestandsfestigkeit der Ausschreibungsbestimmungen. Sie argumentiert jedoch, dass die Auftraggeberin mit den erwähnten Rückfragebeantwortungen das Mindestkriterium „proportionale Druckunterstützung“ und den Nachweis dieses Kriteriums näher präzisiert habe. Die Revisionswerberin hätte - wenn sie sich durch diese Festlegungen beschwert erachte - die Ausschreibungsunterlage anfechten müssen. Das habe sie aber nicht gemacht. Vielmehr versuche die Revisionswerberin im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens diese bestandfeste Festlegung in den Ausschreibungsunterlagen zu bekämpfen.

21       3. Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall eine Auslegung der gegenständlichen Ausschreibungsbestimmung vorgenommen (wodurch auch der Argumentation der Revisionsbeantwortung, die Revisionswerberin hätte die Ausschreibungsbestimmungen anfechten müssen, der Boden entzogen ist).

22       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Prüfung der Ausschreibungskonformität eines Angebotes zwar stets eine im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung dar. Ob ein Angebot einen zum Ausscheiden führenden Mangel aufweist, ist am Maßstab der Ausschreibungsbestimmungen zu messen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2018/04/0007, mwN).

Auch hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die in vertretbarer Weise vorgenommene einzelfallbezogene Auslegung von Parteierklärungen oder Ausschreibungsunterlagen keine grundsätzliche Rechtsfrage bildet, bzw. dass einer vertretbaren Auslegung keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann als revisibel anzusehen, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl. VwGH 17.4.2020, Ra 2017/04/0124, mwN).

23       Eine solche vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit des angefochtenen Erkenntnisses liegt gegenständlich jedoch vor.

24       Wie von der Revision zu Recht ins Treffen führt, teilte die Auftraggeberin mit der - bestandfest gewordenen - Rückfragenbeantwortung vom 19. Juli 2017 ausdrücklich mit, dass die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gelte (vgl. oben Rn. 18).

Damit brachte die Auftraggeberin klar zum Ausdruck, dass ein angebotenes Produkt mit dieser Funktion jedenfalls die betreffende Anforderung der Ausschreibung erfüllt, sodass die teilnehmenden Bieter dies bei Angebotslegung voraussetzen durften.

25       Ausgehend davon hätte das von der Revisionswerberin mit der Funktion „IntelliSync+“ angebotene Produkt nicht mit der Begründung ausgeschieden werden dürfen, dass es die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ nicht erfülle.

26       4. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und das Ausscheiden des Angebots der Revisionswerberin für rechtmäßig erachtete, hat es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

27       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

28       Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 7. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2018040140.L00

Im RIS seit

11.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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