Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Kodek, MMag. Matzka sowie Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K* GmbH als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der A*gmbH, *, 2. H* W*, und 3. A* W*, zweit- und drittbeklagte Partei jeweils vertreten durch die Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 31.436,89 EUR sA, über die außerordentliche Revision der zweit- und drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2021, GZ 1 R 94/21g-32, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der im November 2016 eingeleitete Prozess ist hinsichtlich der vormaligen Erstbeklagten unterbrochen, weil über ihr Vermögen im März 2018 der Konkurs eröffnet wurde. Das angefochtene Urteil betrifft nur den Anspruch der Klägerin gegen den Zweit- und die Drittbeklagte.
[2] Die Klägerin stand mit der vormaligen Erstbeklagten (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) in einer Geschäftsbeziehung und lieferte Bier ua für ein von dieser saisonal betriebenes Lokal im Burgenland. Der Zweit- und die Drittbeklagte waren Gesellschafter und Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und gingen in dieser Eigenschaft verschiedene persönliche Haftungen ein.
[3] Die Insolvenzschuldnerin schloss im März 2010 mit einer GmbH einen Pachtvertrag über ein Geschäftslokal. Im April 2010 schloss die Insolvenzschuldnerin mit
der Klägerin einen (ersten) Bierbezugsvertrag (Lieferübereinkommen 2010), dem der Zweit- und die Drittbeklagte als Garanten beitraten. Darin wurde auch vereinbart, dass die Klägerin das Inventar des Geschäftslokals der Insolvenzschuldnerin verkauft. Mangels ausreichender Erfüllung dieser Kaufpreisschuld wurden die drei Beklagten in einem Vorprozess im Jahr 2011 zur Zahlung von 84.800 EUR sA an die Klägerin rechtskräftig verurteilt.
[4] Nach Einleitung der Exekution und teilweiser Zahlung der offenen Forderungen durch die Insolvenzschuldnerin schloss diese im September 2013 mit der Klägerin einen neuen Bierbezugsvertrag (Lieferübereinkommen 2013). Vereinbart wurde eine fünfjährige Laufzeit, wobei der Insolvenzschuldnerin aber ein monatliches Kündigungsrecht eingeräumt wurde (im Lieferübereinkommen 2010 wurde nur ein jährliches Kündigungsrecht gewährt). Auch nach diesem Vertrag stand der Klägerin das ausschließliche Recht zu, die Betriebsstätte der Insolvenzschuldnerin mit Bier zu beliefern, und zwar mit 100 hl pro Jahr (im Lieferübereinkommen 2010 waren noch 60 hl vereinbart). Diese Menge wurde anhand des Bierbezugs aus dem Jahr 2013 (110,815 hl) und einer errechneten und zu erwartenden Bierbedarfsmenge von der Klägerin festgesetzt. Auch dem Lieferübereinkommen 2013 traten der Zweit- und die Drittbeklagte als solidarisch haftende Garanten bei. Gleichzeitig gewährte eine Bank der Insolvenzschuldnerin einen Einmalkredit von 63.000 EUR.
[5] Die Klägerin übernahm im Liefer-übereinkommen 2013 die Haftung als Bürge und Zahler für den von der Bank der Insolvenzschuldnerin gewährten Kredit. Die Klägerin war aber berechtigt, den offenen Kreditsaldo vorzeitig abzudecken und den bezahlten Betrag samt Zinsen und einer Haftungsprovision von den Beklagten zu verlangen. Laut Punkt 7 des Lieferübereinkommens 2013 hatte die Klägerin im Falle der Vertragsverletzung durch die Insolvenzschuldnerin, insbesondere bei Bezugsunterbrechung von mehr als acht Wochen und dauerhafter Bezugseinstellung, das Recht auf vorzeitige Auflösung des Vertrags und Befreiung der Garantieverpflichtung durch Abdeckung oder Sicherstellung des offenen Kreditsaldos.
[6] Das Lieferübereinkommen 2013 wurde einerseits abgeschlossen, um der Insolvenzschuldnerin die Umschuldung aus dem Lieferübereinkommen 2010 zu ermöglichen. Weiters sollte dadurch die vollständige Erfüllung der Kaufpreisschuld für das Inventar ermöglicht werden. Der Klägerin waren die wirtschaftlichen Probleme der Insolvenzschuldnerin damals bewusst.
[7] In den Jahren 2014 und 2015 rief die Insolvenzschuldnerin weniger Bier ab als im Vertrag vereinbart. Aufgrund anhaltender Probleme mit der Betriebsanlagengenehmigung, einer Unrentabilität sowie wegen gesundheitlicher Probleme des Zweitbeklagten wurde der Betrieb im März 2016 nicht mehr geöffnet und die Klägerin informiert, dass kein Bier mehr bezogen werde. Diese rechnete das Vertragsverhältnis ab, kündigte die Garantieerklärung gegenüber der Bank und beglich den offenen Kreditsaldo.
[8] Die Klägerin begehrt den von ihr bezahlten Kreditsaldo sowie die vereinbarte Haftungsprovision und Zinsen.
[9] Die Beklagten wandten im Wesentlichen eine Unwirksamkeit des Lieferübereinkommens 2013 sowie der Vorgängervereinbarung aus dem Jahr 2010 wegen Sittenwidrigkeit ein.
[10] In Abänderung des abweisenden Urteils des Erstgerichts gab das Berufungsgericht der Klage statt. Es verneinte eine Sittenwidrigkeit des Liefer-übereinkommens 2013.
Rechtliche Beurteilung
[11] In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision machen der Zweit- und die Drittbeklagte keine erheblichen Rechtsfragen geltend.
[12] 1.1 Die Rechtsmittelwerber betonen, dass der Insolvenzschuldnerin im Jahr 2010 das erste Lieferübereinkommen und der Kauf des Inventars aufgedrängt worden sei.
[13] 1.2 Das Berufungsgericht hat damit argumentiert, dass hinsichtlich der aus diesem Vertrag erwachsenen Verpflichtungen der Beklagten ein rechtskräftiges Urteil vorliegt und der gegenständlichen Regressverpflichtung eine allfällige Sittenwidrigkeit des Lieferübereinkommens 2010 samt Kauf nicht entgegengehalten werden kann. Diese Rechtsansicht deckt sich mit der Rechtsprechung, wonach die aus der Rechtskraft eines Urteils abzuleitende Präklusionswirkung verhindert, dass eine Partei in einem Folgeprozess auf Tatsachen und Umstände zurückgreift, die sie bereits im Vorprozess geltend machen hätte können (RS0041321; vgl etwa zum präkludierten Einwand der Sittenwidrigkeit 8 ObA 19/11v). Das Gericht hat in einem solchen Fall von dem bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch auszugehen und ihn ohne weiteres seiner neuen Entscheidung zugrundezulegen (RS0041321 [T2]).
[14] 2.1 Die Beklagten stützen die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels zentral auf die Behauptung, dass das Berufungsgericht die höchstgerichtlich entwickelte Judikatur zu Bierbezugsverträgen im Ergebnis eklatant unrichtig angewendet habe. Die Rechtsmittelwerber heben hervor, dass die Klägerin mit dem Lieferübereinkommen 2013 1.) die Erhöhung der Abnahmeverpflichtung von 60 hl jährlich auf 100 hl jährlich, 2.) mehr Geld für das Inventar und 3.) eine längere Bezugsdauer erreicht habe und „im Gegenzug hierfür lediglich Bier liefern musste.“, sodass die auf § 879 Abs 1 ABGB gestützte Sittenwidrigkeit vorliege.
[15] 2.2 Vom Berufungsgericht waren primär nicht die Rechte und Pflichten aus dem Bierbezugsvertrag im eigentlichen Sinn zu beurteilen. Zu klären war vielmehr die Frage, inwieweit sich die Klägerin bei den Beklagten für die von ihr getilgte Kreditschuld der Insolvenzschuldnerin regressieren kann. Zu dieser Problematik wirft das Rechtsmittel keine Rechtsfrage auf. Die Beklagten argumentieren vielmehr, dass die Regelungen zum Bierbezug im Lieferübereinkommen 2013 wegen Sittenwidrigkeit nichtig seien und dies die „Gesamtnichtigkeit“ des Lieferübereinkommens 2013 zur Folge hätte, sodass der klagsgegenständlichen Regressforderung die Grundlage entzogen sei.
[16] 2.2.1 Ein Bierbezugsvertrag ist dann wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit des Gastwirts durch die Ausschließlichkeitsbindung und ihre Ausgestaltung im Einzelfall in unvertretbarer Weise eingeengt wurden. Ob ein langfristiger Bierbezugsvertrag sittenwidrig ist, hängt nicht nur von der zeitlichen Dauer der vertraglichen Bindung, sondern ganz allgemein vom Inhalt, Motiv und Zweck des Vertrags ab (RS0016689).
[17] 2.2.2 Die Frage der Sittenwidrigkeit kann nur anhand des Einzelfalls beurteilt werden (RS0042881). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine solche Einzelfallentscheidung durch den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn dem Berufungsgericht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden muss (RS0021095; RS0044088).
[18] 2.2.3 Soweit die Revisionswerber die Gegenleistung der Klägerin lediglich auf die Lieferung von Bier beschränken, gehen sie nicht von den Feststellungen aus, weil die Klägerin auch die Haftung für den Kredit der Insolvenzschuldnerin übernahm, dessen aushaftenden Saldo sie letztlich auch im Sinne dieser Verpflichtung beglich. Insofern ist die außerordentliche Revision nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.
[19] 2.2.4 Davon abgesehen bedarf die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die (am bisherigen Verbrauch orientierte) Liefermenge keine Sittenwidrigkeit stützen kann, keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.
[20] 2.2.5 Das gilt auch für den Umstand, dass das Berufungsgericht die Höhe der letztlich für das Inventar entrichteten Zahlungen als unproblematisch qualifiziert hat, weil zum ursprünglich vereinbarten Kaufpreis noch Klags- und Exekutionskosten und Verzugszinsen hinzutraten.
[21] 2.2.6 Auch die im Lieferübereinkommen 2013 vereinbarte Bezugsdauer von fünf Jahren spricht nicht gegen das Ergebnis des Berufungsgerichts. Die im Rechtsmittel aufgeworfene Frage, ob die Laufzeit mehrerer jeweils noch innerhalb der Laufzeit des vorangegangenen Vertrags abgeschlossener „Anschluss-Bierlieferungsverträge“ bei der Beurteilung des zeitlichen Übermaßes der Bindung zusammenzurechnen ist oder nicht, hängt ebenfalls stets von den Umständen des Einzelfalls ab, also vor allem davon, ob in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Gastwirts gewahrt war oder nicht (RS0016673). Selbst wenn man im Sinne der Beklagten davon ausgeht, dass hier ein solcher Anschlussvertrag vorliegt und daher insgesamt von einer achtjährigen Vertragsdauer auszugehen ist, bleibt das Rechtsmittel jegliches Argument schuldig, warum das Lieferübereinkommen 2013 deshalb nichtig sein soll, zumal dieses monatlich gekündigt werden konnte und der Vertrag auch mit einer für die Beklagten günstigen Haftungsübernahme durch die Klägerin verbunden war. Konkrete Gründe, warum die vereinbarte Bezugsdauer „als unerträgliche Abhängigkeit“ von der Klägerin empfunden wurde, werden nicht dargelegt (vgl 4 Ob 147/93: wonach das sittenwidrige zeitliche Übermaß in der Bandbreite von 15 bis 20 Jahre angesetzt wird).
[22] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E134073European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00007.22S.0125.000Im RIS seit
11.03.2022Zuletzt aktualisiert am
11.03.2022