Index
L85003 Straßen Niederösterreich;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des C in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 9. Mai 1995, Zl. R/1-SB-L-4170, betreffend straßenrechtliche Bewilligung gemäß § 6 Nö LStrG (mitbeteiligte Partei: Land Niederösterreich, Landesstraßenverwaltung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Antrag vom 21. November 1994 ersuchte das Land Niederösterreich, Landesstraßenverwaltung, für die Umgestaltung der H-Straße, beginnend bei der Kreuzung L 4170/L 4171 (Nähe Bahnhof S) bis zur Einbindung in die L 4167 (A-Straße bei Ö), die Baubewilligung gemäß § 6 Nö Landesstraßengesetz zu erteilen. Um die Straße auch in den Wintermonaten zweispurig befahren zu können, sei eine Verbreiterung der Fahrbahn notwendig. Die Straße sei mit Übereinkommen vom 25. November 1993 vom Bundesland Niederösterreich als Landesstraße übernommen worden. Mit den Bauarbeiten sei bereits begonnen worden.
Der Beschwerdeführer machte vor der mündlichen Verhandlung
am 8. März 1995 schriftlich Folgendes geltend:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir erheben Einspruch bezüglich jeden Eingriffs bzw. Veränderung oder Umwidmung der in unserem Privatbesitz befindlichen Gründe und Straßen im H, da der Verkauf an die zuständigen Behörden noch nicht durchgeführt ist. Gegen jeden Eingriff in unseren Privatbesitz werden wir gerichtlich vorgehen.
Wir ersuchen diese Stellungnahme den zu verhandelnden Parteien mitzuteilen und in das Verhandlungsprotokoll aufzunehmen."
Dieses Schreiben wurde vom Beschwerdeführer und von K.K. unterschrieben.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 9. März 1995 wurde die beantragte Baubewilligung "für die Umgestaltung der Landesstraße 4170 von km 0,618 bis km 4,111 im Gemeindegebiet S" erteilt. Die mit dem Hinweis auf diesen Bescheid versehenen Planunterlagen lägen bei und bildeten einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides. Die Einwendung u.a. des Beschwerdeführers wegen Inanspruchnahme des in seinem Eigentum stehenden Grundstückes wurde als unzulässig zurückgewiesen.
Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Zunächst wurde festgestellt, daß die H-Straße etwa bei km 0,618 von der L 4170 abzweige und in ihrem gesamten (auch vom Projekt umfaßten) Verlauf nach wie vor eine Gemeindestraße und bisher noch nicht als Landesstraße übernommen worden sei. Es sei bisher lediglich ein Übereinkommen zwischen dem Land Niederösterreich und der betroffenen Gemeinde vom 25. November 1993 geschlossen worden. Sofern der Beschwerdeführer darauf hinweise, daß die Trassenbeschreibung der L 4170 in der Anlage B zum Nö Landesstraßengesetz und jene der vom Projekt betroffenen H-Straße differierten, so sei ihm entgegenzuhalten, daß es sich beim Bewilligungsverfahren gemäß § 6 Nö Landesstraßengesetz um ein Projektgenehmigungsverfahren handle, in dem die Behörde aufgrund des vom Antragsteller erarbeiteten Projektes die Frage der Bewilligungsfähigkeit zu beurteilen habe. Für die Beurteilung der Bewilligungsfähigkeit sei es gleichgültig, welche Bezeichnung das Projekt trage, sofern dem Antrag zu entnehmen sei, daß es sich um eine künftige Landes- oder Gemeindestraße handle. Dies sei Voraussetzung für die Beurteilung der Zuständigkeit. Daran könne der Umstand nichts ändern, daß die vom Projekt betroffene H-Straße derzeit keine Landesstraße sei und die Bezeichnung L 4170 zum Teil für eine andere Trasse verwendet werde. Betreffend den Einwand, daß hinsichtlich des Verkaufs von Grundstücksteilen an die "Behörden" noch keine Einigung erzielt worden sei, sei festzuhalten, daß - wie dies bereits von der erstinstanzlichen Behörde zutreffend ausgeführt worden sei - über die Frage der Inanspruchnahme von Grundstücken zum Zwecke des Straßenbaues (etwa im Wege der Enteignung) in einem gesonderten Verfahren gemäß §§ 7 ff Nö Landesstraßengesetz abzusprechen sei. Diese Fragen seien daher im Baubewilligungsverfahren gemäß § 6 Nö Landesstraßengesetz nicht zu berücksichtigen, sondern als unzulässig zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer sei ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Einwendungen, die nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht würden, fänden keine Berücksichtigung und es werde angenommen, daß die Beteiligten dem Parteienantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bildeten, zustimmten. Da der Beschwerdeführer vor der Bauverhandlung ausschließlich die erwähnte Einwendung hinsichtlich der Entschädigungshöhe erhoben habe, sei er bezüglich aller anderen erst in der Berufung erhobenen Einwendungen, da die Ladung zur Verhandlung ordnungsgemäß und rechtzeitig erfolgt sei, als präkludiert zu betrachten.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes, die Unzuständigkeit der belangten Behörde und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht gemäß § 6
Nö Landesstraßengesetz, daß das danach vorgesehene Verfahren vor den zuständigen Behörden durchgeführt werde, und gemäß §§ 58 und 59 AVG, daß einem Antragsteller nicht mehr oder etwas anderes bewilligt werde, als er beantragt habe, verletzt.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 1 Nö Landesstraßengesetz, LGBl. 8500-0 (im folgenden: LStrG), sind öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes: 1. Landeshauptstraßen, 2. Landesstraßen,
3. Gemeindestraßen. Gemäß § 3 Abs. 2 leg. cit. werden die in der Anlage A zu diesem Landesgesetz bezeichneten Straßenzüge zu Landeshauptstraßen und die in der Anlage B angeführten Straßenzüge zu Landesstraßen erklärt. Alle übrigen Straßen sind gemäß § 3 Abs. 3 LStrG Gemeindestraßen. Gemäß § 6 Abs. 1 LStrG in der Fassung der Novelle LGBl. 8500-3 ist vor Inangriffnahme der Bauarbeiten für die Neuanlage, Umgestaltung oder Umlegung einer Landeshaupt- oder Landesstraße eine örtliche Verhandlung und Begehung der Trasse zum Zwecke der Begutachtung des Bauvorhabens vom Standpunkt der durch den Bauentwurf berührten Interessen durchzuführen. Hiebei ist insbesondere auch darauf Bedacht zu nehmen, daß sich die geplante Straße unter Schonung bestehender Natur- und Kunstdenkmale dem Landschaftsbild anpaßt und dem Verkehr, einschließlich eines allfälligen besonderen landwirtschaftlichen Verkehrsbedürfnisses gerecht wird. Weiters ist auf die Umweltverträglichkeit Bedacht zu nehmen. Gemäß § 6 Abs. 3 LStrG in der Fassung der Novelle LGBl. 8500-3 sind zu der Amtshandlung, die in den durchzogenen Gemeinden durch Anschlag an der Amtstafel durch acht Tage vor dem Verhandlungstag kundzumachen ist, außer den Entwurfsvertretern die Durchzugsgemeinden, die sonstigen beteiligten Behörden und Amtsstellen sowie alle bekannten Anrainer und sonstigen Beteiligten, insbesondere auch die in Betracht kommenden Stromversorgungsunternehmungen nachweislich zu laden. Nach Maßgabe des Ergebnisses der Begehung und Verhandlung ist gemäß § 6 Abs. 4 LStrG in der angeführten Fassung ein Baubewilligungsbescheid zu erlassen, in dem die Bedingungen festzusetzen sind, die bei der Durchführung des Bauentwurfes vom Standpunkt der öffentlichen und der als begründet erkannten Interessen der Beteiligten zu erfüllen sind.
Bei Neuanlage, Umgestaltung oder Umlegung von Gemeindestraßen und Wegen ist gemäß § 6 Abs. 6 LStrG in der angeführten Fassung das vorangeführte Verfahren durch den Gemeinderat durchzuführen. Die Landesregierung ist vor Ausschreibung der Verhandlung über das Bauvorhaben gutachtlich zu hören und zu dieser einzuladen. Den Baubewilligungsbescheid erläßt der Gemeinderat. Gemäß § 32 Abs. 1 LStrG darf die Übernahme einer öffentlichen Straße oder eines Straßenbauwerkes in die Gattung u.a. Landesstraße von der Landesregierung erst verfügt werden, wenn der Landtag mit Landtagsbeschluß die erforderlichen Geldmittel vorgesehen hat. Gemäß § 32 Abs. 7 LStrG ist Behörde im Sinne dieses Gesetzes, unbeschadet der im Gesetz selbst enthaltenen Sonderregelungen, hinsichtlich der Landeshauptstraßen und Landesstraßen in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde und in zweiter Instanz die Landesregierung, während für Gemeindestraßen der Bürgermeister in erster Instanz (in Städten mit eigenem Statut der Magistrat) und in zweiter Instanz der Gemeinderat bzw. der Stadtsenat zuständig sind. Gemäß § 34 Abs. 1 LStrG sind die in diesem Gesetz geregelten Aufgaben der Gemeinde, sofern sie sich auf Straßen gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 beziehen, von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen. Maßnahmen der Gemeinde u. a. gemäß § 6 Abs. 6 LStrG bedürfen gemäß § 34 Abs. 2 LStrG in der angeführten Fassung bei Vorliegen weiterer näher beschriebener Voraussetzungen, die im vorliegenden Fall nicht gegeben sind, der Genehmigung der Landesregierung.
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß weder die belangte Behörde noch die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen für die Erlassung der straßenrechtlichen Baubewilligung zuständig gewesen seien, da - wie dies auch im angefochtenen Bescheid ausgeführt sei - die H-Straße nach wie vor eine Gemeindestraße sei. Es liege bisher nur ein Übereinkommen auf Übernahme der Straße als Landesstraße vom 25. November 1993 vor. Die gemäß § 32 Abs. 1 Nö Landesstraßengesetz erforderliche Zurverfügungstellung der erforderlichen Geldmittel mit Landtagsbeschluß, aufgrund der die Übernahme einer öffentlichen Straße oder eines Straßenbauwerkes in die Gattung der Landeshaupt- oder Landesstraße erst verfügt werden dürfe, sei bisher nicht erfolgt. Es handle sich somit bei der H-Straße nach wie vor um eine Gemeindestraße. Für die Bewilligung der Umgestaltung einer Gemeindestraße sei gemäß § 6 Abs. 6 LStrG der Gemeinderat zuständig.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer, welcher unstrittig Partei des verwaltungsbehördlichen Verfahrens ist, im Recht. Die Frage, ob und inwieweit der unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG geladene Beschwerdeführer in bezug auf Einwendungen gemäß § 42 AVG präkludiert ist, muß im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden, weil die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde wie auch des Verwaltungsgerichtshofes in einem Bereich nicht eingeschränkt ist, in dem keine Präklusion eintreten konnte, wie etwa bei der Frage der Zuständigkeit der Unterinstanz (vgl. das
hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A). Im Sinne des zitierten Erkenntnises darf auch eine ansonsten präkludierte Partei eine derartige Frage in der Berufung geltend machen. Auch die belangte Behörde geht davon aus, daß die von dem Projekt erfaßte H-Straße nach wie vor (insbesondere im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) eine Gemeindestraße sei. Die belangte Behörde ist aber der Auffassung, daß für die Frage der Zuständigkeit gemäß dem LStrG maßgeblich sei, ob sich ein Projekt auf eine künftige Landes- oder Gemeindestraße beziehe. Dieser Auffassung kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anschließen. Im vorliegenden Fall geht es um die Umgestaltung einer vorhandenen Straße. Gemäß § 3 Abs. 2 LStrG ist in der Anlage A zu dem genannten Gesetz bzw. in der Anlage B jeweils festgelegt, welche Straßenzüge Landeshauptstraßen bzw. Landesstraßen sind. Die Landesstraße 4170 führt von der B 306 in Semmering zur Bahnstation und ist 1 km lang. Die vom Projekt erfaßte Haidbachgrabenstraße stellt - wie dies die belangte Behörde auch ausführt - eine Gemeindestraße dar. § 6 Abs. 1 leg. cit. spricht von der Neuanlage, Umgestaltung oder Umlegung einer Landeshaupt- oder Landesstraße bzw. § 6 Abs. 6 LStrG von der Neuanlage, Umgestaltung oder Umlegung von Gemeindestraßen. Diese Bestimmung geht also jedenfalls im Zusammenhang mit der Umgestaltung von BESTEHENDEN Landeshaupt-, Landes- oder Gemeindestraßen aus, die sich aus § 3 LStrG i.V.m. den Anlagen A und B ergeben. Der Wortlaut des § 6 LStrG und auch der systematische Zusammenhang der Regelungen dieses Gesetzes bieten keinen Anhaltspunkt dafür, daß danach bei der Umgestaltung einer Straße maßgeblich sein soll, ob es sich um zukünftige Landeshaupt-, Landes- oder Gemeindestraßen handelt. Die belangte Behörde hätte somit den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen wegen deren Unzuständigkeit aufzuheben gehabt. Da die belangte Behörde diese Rechtswidrigkeit nicht aufgegriffen hat, belastete sie ihrerseits den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Da der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war, erübrigte sich ein Eingehen auf die weiteren Rügen der Beschwerde.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
sachliche ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995050185.X00Im RIS seit
20.11.2000