TE Vwgh Erkenntnis 1996/8/27 96/05/0078

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Veröffentlicht am 27.08.1996
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Index

L10013 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt
Niederösterreich;
L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs3;
BauO NÖ 1976 §96 Abs1 Z2;
GdO NÖ 1973 §63 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Marktgemeinde Bisamberg, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29. Jänner 1996, Zl. R/1-V-94082/01, betreffend eine Bausache (mitbeteiligte Partei: W in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Marktgemeinde Bisamberg Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 16. Juni 1993 beantragte der Mitbeteiligte die Erteilung der Baubewilligung für eine auskragende Terrasse an einem Badesee in einer Länge von 7,60 m und einer Tiefe von 4,20 m sowie die Herstellung von fünf Stiegen als Neuzugang. Begründet wurde das Ansuchen damit, daß durch das Absinken des Wasserstandes die Sanierung, Erneuerung und Vergrößerung der Uferverbauung erforderlich sei.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 16. November 1993 wurde dem Beschwerdeführer die beantragte Bewilligung zur Vergrößerung der Uferverbauung erteilt, jedoch nur im Ausmaß von 3 m; die weiteren 1,20 m der beantragten Verbauung wurden nicht bewilligt; dies mit der Begründung, daß bei einer Weiterverbauung und weiterem Wasserrückgang das Endergebnis eine "Zubetonierung" der Wasserfläche bedeuten würde.

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung wandte sich der Mitbeteiligte dagegen, daß die Baubewilligung nicht im gesamten beantragten Ausmaß erteilt wurde.

Mit Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde vom 17. März 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 16. November 1993 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Bauvorhaben stehe im Widerspruch zum Flächenwidmungsplan, wonach das Gebiet des Badeteiches als Bauland-Sondergebiet-Badeteich gewidmet sei. Weiters wurde ausgeführt, da diese Anlage im Miteigentum stehe und die Teichfläche wohl als gemeinsame Einrichtung verstanden werden müsse, werde die Auffassung vertreten, daß bei Bauführungen auf der Wasserfläche jedenfalls die Zustimmung sämtlicher Miteigentümer vorliegen müsse. Schon aus der Eingabe des Beschwerdeführers gehe hervor, daß nicht sämtliche Miteigentümer dieser Bauführung zustimmten. Jedenfalls erscheine es dem Gemeinderat erforderlich, die Baubewilligung des Bürgermeisters vom 16. November 1993 sämtlichen Miteigentümern zuzustellen, um Gegnern der Uferverbauung Gelegenheit zu geben, allenfalls ihre fehlende Zustimmung in einem Berufungsverfahren geltend zu machen.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung des Mitbeteiligten hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 9. März 1995 den Bescheid des Gemeinderates vom 17. März 1994 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Marktgemeinde Bisamberg verwiesen. Die Aufhebung wurde damit begründet, daß die Gemeinde zu Unrecht davon ausgegangen sei, daß das Bauvorhaben im Widerspruch zur Flächenwidmung stehe.

Im fortgesetzten Verfahren hat die Gemeinde den Mitbeteiligten mit Schreiben vom 10. Mai 1995 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 13 Abs. 3 AVG unter Fristsetzung aufgefordert, die Zustimmung sämtlicher Miteigentümer zur Vergrößerung der Uferverbauung um insgesamt 4,20 m anzuschließen. Gegen die Bewilligung der Uferverbauung um 3 m sei seitens der Miteigentümer kein Einwand erhoben worden.

Mit Schreiben vom 31. Mai 1995, gerichtet an die Vizebürgermeisterin der beschwerdeführenden Gemeinde, wies der Mitbeteiligte darauf hin, daß die Vorstellungsbehörde in ihrem Bescheid vom 9. März 1995 festgestellt habe, daß der Mitbeteiligte durch die Limitierung der Terrasse auf 3 m in seinen Rechten verletzt worden sei. Der Bescheid des Gemeinderates vom 17. März 1994 sei behoben worden und der Gemeinderat sei nunmehr angewiesen, aufgrund der Bindungswirkung im Sinne der Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde neuerlich und nunmehr für die Vergrößerung der Uferverbauung auf 4,20 m zu entscheiden. Die geforderte Zustimmung der Miteigentümer wurde nicht vorgelegt.

Mit Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Gemeinde vom 19. Oktober 1995 wurde das Bauansuchen des Beschwerdeführers betreffend jenen Teil, der über die 3 m hinausragt (1,2 m), in Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen. Begründet wurde dies damit, daß in jedem Stadium eines Verfahrens zu überprüfen sei, ob die formellen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung vorlägen. Dazu gehöre im Falle des Miteigentumes, in diesem Fall auch aufgrund des Vorhandenseins einer Benützungsregelung, die Zustimmung der übrigen Miteigentümer (§ 96 Abs. 1 Z. 2 der Nö. Bauordnung 1976, LGBl. Nr. 8200/12), die aber im vorliegenden Fall trotz einer Aufforderung der Baubehörde gemäß § 13 Abs. 3 AVG nicht beigebracht worden sei. Als Ergänzung zu der Benützungsregelung vom 10. Dezember 1992 sei auch eine Vereinbarung vom 11. September 1993 zwischen sämtlichen Miteigentümern des Badeteiches abgeschlossen worden, in der unter Punkt II. festgehalten wurde, daß sich das Recht der alleinigen Benützung ausschließlich auf die im Lageplan ersichtlichen Grundparzellen beziehe und das gesamte Gewässer im gemeinsamen Eigentum der Miteigentümer stehe, sodaß darüber ein einzelner Miteigentümer keinerlei Verfügung treffen könne. Die Vereinbarung sei auch vom Mitbeteiligten unterzeichnet worden. Die vom Bürgermeister erteilte Genehmigung, die Uferverbauung um 3 m zu erweitern, sei von keinem der Miteigentümer beeinsprucht worden. Für die Verbauung von (insgesamt) 4,2 m liege jedoch keine schriftliche Zustimmung sämtlicher Miteigentümer vor. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung des Mitbeteiligten hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Bescheid des Gemeinderates vom 19. Oktober 1995 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der beschwerdeführenden Marktgemeinde verwiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, der Gemeinderat habe im ersten Rechtsgang (Bescheid vom 17. März 1994) die Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 16. November 1993 als unbegründet abgewiesen; in diesem Bescheid habe der Gemeinderat in erster Linie den Widerspruch zum Flächenwidmungsplan angeführt, und in zweiter Linie, daß die Zustimmung der Miteigentümer fehle. Diesbezüglich habe der Gemeinderat dem Bürgermeister empfohlen, in Zukunft die Zustimmung sämtlicher Miteigentümer zu verlangen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 13 Abs. 3 AVG sei die Berufungsbehörde berechtigt, Formgebrechen, deren Vorliegen die Behörde erster Instanz übersehen hatte, aufzugreifen und deren Behebung anzuordnen, wenn ohne eine solche Mängelbehebung eine Entscheidung über das Bauansuchen nicht möglich sei. Der Gemeinderat hätte jedoch im ersten Rechtsgang die Behebung des obzitierten Formgebrechens nach § 13 Abs. 3 AVG anordnen müssen. Er habe jedoch eine Entscheidung in der Sache selbst getroffen, da er die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters als unbegründet abgewiesen habe, da seiner Ansicht nach das Bauvorhaben in Widerspruch zum Flächenwidmungsplan stehe. Da der Gemeinderat im ersten Rechtsgang davon ausgegangen sei, daß eine Entscheidung über das Bauansuchen möglich sei, sei es rechtlich unzulässig, im zweiten Rechtsgang mit einem Verbesserungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen und den Antrag - mangels Erfüllung des Verbesserungsauftrages - als unzulässig zurückzuweisen. Der Gemeinderat hätte eine sachliche Entscheidung über die Berufung unter Berücksichtigung des § 61 Abs. 5 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 treffen müssen. Der Gemeinderat habe seinen Bescheid somit mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und Rechte des Mitbeteiligten verletzt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Gemeinde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie der Mitbeteiligte, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 61 Abs. 3 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973, LGBl. Nr. 1000-5 (Nö. GO 1973), ist die Gemeinde bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 22. Oktober 1971, Slg. Nr. 8091/A, sowie die hg. Erkenntnisse vom 11. Dezember 1984, Zl. 84/05/0133, BauSlg. Nr. 351, sowie vom 7. September 1993, Zl. 93/05/0074, kommt nur den tragenden Aufhebungsgründen eines aufsichtsbehördlichen Bescheides für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu. Bindungswirkung tritt dann nicht ein, wenn sich der Sachverhalt (in einem wesentlichen Punkt) oder die Rechtslage geändert hat.

Im ersten Rechtsgang hat die Aufsichtsbehörde in ihrem Bescheid vom 9. März 1995 festgestellt, daß Rechte des Mitbeteiligten durch den Bescheid des Gemeinderates verletzt wurden, weil der Gemeinderat zu Unrecht vom Widerspruch des Bauvorhabens zu den Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes ausgegangen sei. Nur in diesem Umfang kam dem aufsichtsbehördlichen Bescheid Bindungswirkung für das fortgesetzte Verfahren zu.

Es ist unbestritten, daß der gegenständliche Badeteich, dessen Teile für die Uferverbauung benötigt werden, im Eigentum von mehreren Miteigentümern steht und die Zustimmung der Miteigentümer nicht vorgelegt wurde.

Gemäß § 96 Abs. 1 Z. 1 der Niederösterreichischen Bauordnung, LGBl. Nr. 8200-6, ist dem Ansuchen um Erteilung einer Baubewilligung ein höchstens sechs Monate alter Grundbuchsauszug oder ein beglaubigter Auszug aus der Grundbuchsdatenbank anzuschließen. Gemäß Abs. 8 Z. 2 dieser Bestimmung ist dem Ansuchen die Zustimmung des Grundeigentümers, wenn der Bewilligungswerber nicht Grundeigentümer ist, anzuschließen.

Gemäß § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Formgebrechen schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr dem Einschreiter die Behebung der Formgebrechen mit der Wirkung aufzutragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird das Formgebrechen rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht. Die Berufungsbehörde ist berechtigt, Formgebrechen, deren Vorliegen die Verwaltungsbehörde erster Instanz übersehen hatte, aufzugreifen und deren Behebung gemäß § 13 Abs. 3 AVG anzuordnen, wenn eine Entscheidung über das Bauansuchen ohne eine derartige Mängelbehebung nicht möglich wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1974, Slg. Nr. 8622/A). Weder aus § 96 Abs. 1 Z. 2 Nö. BO, noch aus § 13 Abs. 3 AVG bzw. aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen läßt sich ein Rechtssatz ableiten, wonach dann, wenn die Gemeindebehörden im ersten Rechtsgang eine Baubewilligung versagt, das Baugesuch daher inhaltlich erledigt haben, die Baubehörden im zweiten Rechtsgang gehalten wären, einen vorliegenden Formmangel zu ignorieren. Auch § 63 Abs. 5 der Nö. GO 1973 kann keine Bestimmung entnommen werden, wonach die Gemeindebehörden infolge der Aufhebung eines gemeindebehördlichen Bescheides durch die Aufsichtsbehörde gehalten wären, einen bestehenden Formmangel - wenn dieser nicht im Zusammenhang mit den die Aufhebung tragenden Gründen gestanden ist - nicht aufzugreifen. Die Bindungswirkung des aufsichtsbehördlichen Bescheides vom 9. März 1995 reichte nur soweit, als die Baubehörde nicht im zweiten Rechtsgang das Bauvorhaben wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan versagen durfte. Für das Vorliegen anderer entscheidungswesentlicher Gründe hatte der Ausspruch der Aufsichtsbehörde keine Rechtswirkungen. Dem Gemeinderat war es daher rechtlich nicht versagt, im zweiten Rechtsgang den vorliegenden Formmangel aufzugreifen.

Da die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß der Gemeinderat im zweiten Rechtsgang das Vorliegen eines Formgebrechens nicht aufgreifen durfte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Formgebrechen behebbare Baurecht Verbesserungsauftrag Ausschluß Berufungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996050078.X00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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