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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über den Antrag des A und der MS in J, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in N, das in der Säumnisbeschwerdesache Zl. 95/05/0064 mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1995 eingestellte Verfahren wiederaufzunehmen, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
Die Antragsteller haben zu Zl. 95/05/0064 eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Gemeinderat der Marktgemeinde Jois in einer Bauangelegenheit eingebracht. Es habe der Gemeinderat der Marktgemeinde Jois innerhalb der im § 27 VwGG statuierten sechsmonatigen Frist bisher keine Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Jois vom 2. August 1994 getroffen.
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 1995 legte die belangte Behörde eine Abschrift des Berufungsbescheides des Gemeinderates der Marktgemeinde Jois vom 19. Juni 1995 vor. Am 19. September 1995 wurde dieser Bescheid auch von den Antragstellern vorgelegt und um Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens und Zuspruch der Kosten desselben ersucht.
Der Verwaltungsgerichtshof stellte in der Folge mit Beschluß vom 19. September 1995 das angeführte Säumnisbeschwerdeverfahren wegen Nachholung des versäumten Bescheides gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ein.
Mit Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 13. Mai 1996 wurde der von den Antragstellern erhobenen Vorstellung keine Folge gegeben. Es wurde die Auffassung vertreten, daß die Erledigung des Gemeinderates vom 19. Juni 1995 kein Bescheid sei, da diese zwar die Paraphe eines Organes des Gemeinderates, nämlich des Vizebürgermeisters, nicht jedoch die leserliche Beifügung des Namens dessen enthalte, der die Erledigung unterfertigt und genehmigt habe. Der "Bescheid" sei somit absolut nichtig. Der angeführte Bescheid der Burgenländischen Landesregierung wurde den Beschwerdeführern am 17. Mai 1996 zugestellt.
Mit dem vorliegenden, am 28. Mai 1996 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Antrag vom 20. Mai 1996 wird von den Antragstellern die Wiederaufnahme des angeführten Säumnisbeschwerdeverfahrens beantragt. Gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG sei die Wiederaufnahme eines durch Beschluß abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung eingestellt worden sei, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt habe, jedoch nachträglich behoben worden sei. Im vorliegenden Fall liege zwar keine nachträgliche Behebung der behördlichen Maßnahme, sondern die Feststellung der absoluten Nichtigkeit dieser Maßnahme vor. § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG sei auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden.
Die Fertigungsklausel des Bescheides des Gemeinderates der Marktgemeinde Jois vom 19. Juni 1995 lautet wie folgt:
"Für den Gemeinderat:
Der Vizebürgermeister:"
Es folgt eine unleserliche Unterschrift des Genehmigenden.
Gemäß § 18 Abs. 4 AVG müssen alle schriftlichen Ausfertigungen neben der Bezeichnung der Behörde und dem Datum mit der unter leserlichen Beifügung des Namens abgegebenen Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat. Nach der hg. Judikatur genügt es, wenn sich aus einer Ausfertigung der Name des Genehmigenden in leserlicher Form ergibt; ist die Unterschrift jedoch unleserlich, muß - bei sonstiger absoluter Nichtigkeit - der Name leserlich beigefügt werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 5. Juni 1985, Zl. 84/11/0178, vom 30. Juni 1987, Zl. 86/11/0167, und vom 13. Oktober 1994, Zl. 93/09/0302). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, daß im Falle einer unleserlichen Unterschrift die leserliche Beifügung des Namens nicht durch die Angabe einer bloßen Funktionsbezeichnung (z.B. "der Bürgermeister") ersetzt werden kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Mai 1992, Zl. 88/12/0085, und vom 11. Oktober 1994, Zl. 94/05/0097). Auch für vervielfältigte Ausfertigungen sieht § 18 Abs. 4 letzter Satz AVG die Unterschrift des Genehmigenden oder deren Beglaubigung vor.
Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem vom Beschwerdeführer vorgelegten "Berufungsbescheid" des Gemeinderates der Marktgemeinde Jois vom 19. Juni 1995 um keine vervielfältigte Ausfertigung, da diese Erledigung eine originale, wenn auch nicht leserliche Unterschrift des Vizebürgermeisters trägt. Dieser "Bescheid" enthält nun im Sinne des ersten Satzes des § 18 Abs. 4 AVG weder eine leserliche Unterschrift des Genehmigenden noch eine leserliche Beifügung des Namens des Genehmigenden. Diese den Antragstellern zugestellte Ausfertigung der Erledigung des Gemeinderates vom 19. Juni 1995 stellt somit im Sinne der angeführten hg. Judikatur keinen Bescheid dar.
Gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG ist die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluß abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn
- das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung
oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlaßten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde.
Gemäß § 45 Abs. 2 VwGG ist der Antrag beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen von dem Tag, an dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung des Erkenntnisses oder des Beschlusses zu stellen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. die hg. Beschlüsse vom 11. Februar 1970, Slg. Nr. 7727/A, und vom 8. Juni 1972, Zl. 528/72) § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG auch in jenen Fällen für anwendbar erklärt, in denen die behördliche Maßnahme, wie im vorliegenden Fall, überhaupt nicht rechtsverbindlich gesetzt worden war.
Der Wiederaufnahmeantrag wurde auch rechtzeitig innerhalb der im § 45 Abs. 2 VwGG vorgesehenen Frist von dem Tag an, an dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, gestellt. Im vorliegenden Fall erlangten die Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund im Zeitpunkt der Zustellung des angeführten Vorstellungsbescheides der Burgenländischen Landesregierung Kenntnis. Dies war der 17. Mai 1996. Der vorliegende Wiederaufnahmeantrag wurde innerhalb der von diesem Zeitpunkt an laufenden zweiwöchigen Frist (Postaufgabe am 23. Mai 1996) eingebracht.
Dem Antrag auf Wiederaufnahme des zur hg. Zl. 95/05/0064 eingestellten Säumnisbeschwerdeverfahrens war daher gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG Folge zu geben.
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder BescheidcharakterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996050147.X00Im RIS seit
25.01.2001