TE Vwgh Beschluss 2022/2/14 Ra 2022/02/0006

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Veröffentlicht am 14.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §5 Abs2
StVO 1960 §5 Abs2 Z1
StVO 1960 §99 Abs1 litb
VStG §24
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des P in I, vertreten durch Mag. Christoph Arnold, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Stafflerstraße 2/EG, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 22. November 2021, LVwG-2021/40/2412-3, betreffend Übertretungen der StVO und des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 10. August 2021 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe zu jeweils näher genannten Tatzeiten an einem näher bezeichneten Tatort ein bestimmtes Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand in Betrieb genommen, wobei der Test am geeichten Alkomaten einen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,71 mg/l ergeben habe (Spruchpunkt 1.), er habe zu zwei bestimmten Tatzeiten näher dargestellte Anordnungen eines Straßenaufsichtsorganes (Verbleiben im Fahrzeug bis zur Abholung des Fahrzeuges) nicht befolgt, obwohl dies ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich gewesen wäre, indem er ausgestiegen sei und die Pannenbucht sowie die Fahrbahn betreten habe (Spruchpunkte 2. und 4.), und er habe zu zwei verschiedenen Tatzeiten als Lenker außerhalb des Fahrzeuges keine Warnkleidung getragen (Spruchpunkte 3. und 5.). Er habe dadurch § 99 Abs. 1a iVm § 5 Abs. 1 StVO (Spruchpunkt 1.), § 97 Abs. 4 StVO (Spruchpunkte 2. und 4.) sowie § 102 Abs. 10 KFG (Spruchpunkte 3. und 5.) verletzt. Über ihn wurden deshalb Geldstrafen von € 1.400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Tage) gemäß § 99 Abs. 1a StVO (betreffend Spruchpunkt 1.) sowie von jeweils € 70,-- (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag, acht Stunden) gemäß § 99 Abs. 3 lit. j StVO (betreffend Spruchpunkte 2. und 4.) und jeweils € 70,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Stunden) gemäß § 134 Abs. 1 KFG (betreffend Spruchpunkte 3. und 5.) verhängt.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabeänderung ab, dass es in Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses der belangten Behörde statt „in Betrieb genommen“ richtigerweise „gelenkt“ zu lauten habe. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit im Revisionsverfahren noch relevant - aus, der Revisionswerber habe zur Tatzeit das Fahrzeug auf der S Schnellstraße aus der Fahrtrichtung B kommend bis zu einem bestimmten Straßenkilometer gelenkt, wo er in der dortigen Pannenbucht angehalten habe und ca. eine viertel bis eine halbe Stunde gestanden sei, bis die Polizei eingetroffen sei. Diese Feststellungen ergäben sich aus den übereinstimmenden Aussagen des Revisionswerbers und der von ihm namhaft gemachten Zeugin (der Beifahrerin). Der Revisionswerber habe sich bei dieser Fahrt in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft 0,71 mg/l) befunden. Dies sei mittels eines aufrecht geeichten näher bestimmten Alkomaten ordnungsgemäß gemessen worden. Ein Nachtrunk sei nie behauptet worden. Die Zeugin habe ferner angegeben, dass sie beide vor Fahrtantritt „etwas getrunken“ hätten. Die Tatzeit sei der Zeitpunkt, zu dem der Revisionswerber zur Ablegung des Alkomattests aufgefordert worden sei. Dass der Revisionswerber entgegen der Aufforderung der anwesenden Beamten, die Wartezeit bis zu Abholung des Fahrzeuges durch einen vom Revisionswerber verständigten Bekannten im Fahrzeug zu verbringen, zwei Mal ausgestiegen sei und sich in der Pannenbucht sowie der Fahrbahn der Schnellstraße ohne Verwendung einer Warnweste aufgehalten habe, sei unstrittig. Hinsichtlich der unter Spruchpunkt 2. bis 5. dem Revisionswerber vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen handle es sich um kein fortgesetztes Delikt, weil nach der Rechtsprechung das Vorliegen eines einschlägigen Gesamtvorsatzes unverzichtbar sei; das allgemeine Motiv, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gleichartige strafbare Handlungen zu begehen, stelle diesen Gesamtvorsatz noch nicht her. Bei beiden Zuwiderhandlungen gegen die Anordnung der einschreitenden Polizeibeamten seien der Verantwortung des Revisionswerbers zufolge jeweils unterschiedliche Motive vorgelegen. Der Revisionswerber habe daher jeweils zwei in sich abgeschlossene Tathandlungen verwirklicht, zumal er sich unbestrittener Maßen jeweils wiederum in das Fahrzeug gesetzt habe und einen neuen Willensentschluss gefasst habe, das Fahrzeug wiederum zu verlassen. Dass er dabei jeweils keine Warnweste getragen habe, sei unbestritten.

4        Die Revision erweist sich als unzulässig.

5        Das vom Revisionswerber angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, fünf verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin fünf voneinander unabhängige Spruchpunkte. Auch das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der fünf angelasteten Verwaltungsübertretungen mit der Abänderung des Spruchpunktes 1. des in Beschwerde gezogenen Straferkenntnisses und der Abweisung der Beschwerde und damit der Bestätigung der übrigen Spruchpunkte des Straferkenntnisses getrennte Absprüche getroffen (vgl. VwGH 15.10.2019, Ra 2019/02/0109). Liegen - wie hier - trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2021/02/0105, mwN).

6        Soweit sich die Revision gegen die Bestätigung der Spruchpunkte 2. und 4. des Straferkenntnisses richtet, erweist sie sich als absolut unzulässig:

7        Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache eine Geldstrafe von bis zu € 750,-- und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu € 400,-- verhängt wurde.

8        Diese Voraussetzungen treffen für den Abspruch des Verwaltungsgerichtes zu den Spruchpunkten 2. und 4. des Straferkenntnisses zu. Über den Revisionswerber wurde wegen Übertretung des § 97 Abs. 4 StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. j StVO eine Geldstrafe in Höhe von jeweils € 70,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 8 Stunden) verhängt, wobei der Strafrahmen der anzuwendenden Strafnorm € 726,-- beträgt. Bei der im Sinne des § 25a Abs. 4 Z 1 VwGG in der Strafdrohung vorgesehenen „Freiheitsstrafe“ muss es sich um eine primäre Freiheitsstrafe handeln (vgl. VwGH 5.1.2021, Ra 2020/02/0279, mwN). Eine solche ist hinsichtlich der vorgenannten Übertretung der StVO jedoch nicht vorgesehen.

9        Die Revision erweist sich daher, soweit das Verwaltungsgericht über die Beschwerde gegen Spruchpunkte 2. und 4. des Straferkenntnisses entschieden hat, gemäß § 25a Abs. 4 VwGG als absolut unzulässig.

10       Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend die übrigen Spruchpunkte des Straferkenntnisses richtet, ist Folgendes auszuführen:

11       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

12       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14       In der Zulässigkeitsbegründung sieht der Revisionswerber eine grundsätzliche Rechtsfrage darin, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob in Bezug auf den Alkoholgehalt bei einem parkenden Fahrzeug in der Pannenbucht auf die Inbetriebnahme während der Amtshandlung oder auf das Lenken vor dem Verweilen in der Pannenbucht abgestellt werden könne und ferner, ob es sich beim mehrmaligen Aussteigen aus dem Fahrzeug während ein und derselben Amtshandlung nicht doch um ein fortgesetztes Delikt handle.

15       Soweit der Revisionswerber damit als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung die Frage anspricht, ob sein konkretes Verhalten einen Verdacht im Sinne von § 5 Abs. 2 Z 1 StVO begründet hat, nämlich ob er sein Fahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hat, ist er darauf zu verweisen, dass es sich dabei um eine Beurteilung im Einzelfall handelt, die vom jeweils festgestellten Sachverhalt abhängt und keine darüber hinausgehende Bedeutung hat. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung - was vorliegend nicht zutrifft - in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre.

16       Das Verwaltungsgericht hat in schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt, dass der Revisionswerber das Fahrzeug unmittelbar vor der Amtshandlung an die Stelle (die Pannenbucht) gelenkt hat, an der er es dann abgestellt hat und dort bis zum Eintreffen der Polizisten zwischen einer viertel und einer halben Stunde gestanden ist. Dies wird vom Revisionswerber auch nicht bestritten. Bestand im Zeitpunkt der Aufforderung zur Alkoholkontrolle - wie im vorliegenden Fall gegeben - der durchaus begründet gewesene Verdacht des Lenkens eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, so ist der vermutliche Lenker nach der Judikatur verpflichtet, sich einer entsprechenden Untersuchung gemäß § 5 Abs. 2 StVO zu unterziehen. Diese Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob dem Beschwerdeführer dieser Verdacht zur Kenntnis gebracht wird (vgl. VwGH 13.12.2016, Ra 2016/02/0243; 11.9.2017, Ra 2017/02/0046). Ab dem Moment, in dem konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht gegeben sind, dass eine Person in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt hat, besteht die Berechtigung zur Atemluftuntersuchung, auch wenn der Zeitpunkt des Lenkens allenfalls länger zurückliegt (vgl. dazu etwa VwGH 29.2.2008, 2007/02/0357). Insofern ist die vom Revisionswerber aufgeworfene Frage, ob auch im Falle eines bereits abgestellten Fahrzeugs der Revisionswerber als Lenker zum Alkoholtest aufgefordert werden durfte, entgegen seiner Behauptung in der Judikatur geklärt.

17       Soweit der Revisionswerber in dieser Hinsicht auf die Frage der Inbetriebnahme hinweist, entfernt sich der Revisionswerber damit vom festgestellten Sachverhalt, der den Ausgangspunkt der Prüfung bildet, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt. Eine solche wird damit daher nicht aufgezeigt.

18       Schließlich wendet sich der Revisionswerber gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes des zweimaligen Aussteigens aus dem Fahrzeug ohne Verwendung einer Warnweste als zwei separate Tathandlungen und behauptet, diese seien vielmehr als fortgesetztes Delikt zu werten.

19       Das Verwaltungsgericht kam in seinen Erwägungen mit Blick auf die Verantwortung des Revisionswerbers und die Aussagen der einschreitenden Polizeibeamten zum Ergebnis, dass kein Gesamtvorsatz vorlag, bei beiden Zuwiderhandlungen gegen die Anordnung der Polizeibeamten unterschiedliche Motive vorgelegen waren und der Revisionswerber sich jeweils wieder ins Fahrzeug gesetzt hat und einen neuen Willensentschluss gefasst hat, das Fahrzeug zu verlassen. Somit seien zwei abgeschlossene Tathandlungen, nicht aber ein fortgesetztes Delikt verwirklicht worden. Die Revision tritt diesen Erwägungen nicht konkret entgegen und zeigt daher nicht auf, inwiefern diese fallbezogen vorgenommene Beurteilung eine Fehlbeurteilung wäre. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Übrigen nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (VwGH 3.9.2018, Ra 2018/02/0243), was der Revisionswerber hier nicht aufgezeigt hat und was auch nicht zu sehen ist.

20       In der Revision werden - im Hinblick auf die übrigen angefochtenen Spruchpunkte - somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 14. Februar 2022

Schlagworte

Alkotest Voraussetzung Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020006.L00

Im RIS seit

10.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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