TE Lvwg Erkenntnis 2022/2/22 VGW-101/032/1052/2022

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Entscheidungsdatum

22.02.2022

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §45 Abs1
StVO 1960 §45 Abs2
StVO 1960 §94d Z6

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des Mag. A. B. gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 11. Oktober 2021, Zl. ..., mit welchem der Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung für zwei Jahre von der im 1. Wiener Gemeindebezirk geltenden höchstzulässigen Parkdauer von zwei Stunden in der flächendeckend kundgemachten Kurzparkzone für das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen: W-... gemäß § 45 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO abgewiesen wurde,

IN NAMEN DER REPUBLIK

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 45 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 idF BGBl. I 6/2017, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, soweit sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Hauptstraßen B iSd Verordnung des Gemeinderates betreffend Feststellung der Hauptstraßen und Nebenstraßen, Abl. 2021/35, im 1. Wiener Gemeindebezirk bezieht.

sowie den

BESCHLUSS

gefasst:

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß Art. 132 Abs. 5 B-VG mangels Erschöpfung des administrativen Instanzenzugs zurückgewiesen.

III. Gegen diese Entscheidung ist hinsichtlich Spruchpunkt II. die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, im Übrigen ist sie nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ein Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung für zwei Jahre von der im 1. Wiener Gemeindebezirk geltend gemachten höchstzulässigen Parkdauer von zwei Stunden in der flächendeckend kundgemachten Kurzparkzone für das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen W-... gemäß § 45 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO abgewiesen.

2.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige und zulässige Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer inhaltliches Vorbringen erstattet und beantragt, "den angefochtenen Bescheid […] ersatzlos auf[zu]heben", in eventu "den angefochtenen Bescheid […] auf[zu]heben und die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurück[zu]verweisen".

3.       Die belangte Behörde erließ keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor. Zugriff auf den elektronisch geführten Akt wurde eingeräumt.


II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der Beschwerdeführer ist eingetragener Rechtsanwalt und betreibt eine Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzlei in Wien, C.-straße. Dem Beschwerdeführer steht derzeit kein privater Stellplatz für seinen PKW in der unmittelbaren Nähe seiner Kanzleiräumlichkeiten zur Verfügung. Der Beschwerdeführer benutzt seinen PKW regelmäßig zur Anreise zu Gerichts- und Kliententerminen bzw. zum Transport von Unterlagen zu diesen Terminen. Diese Fahrten finden mehrmals wöchentlich vorrangig innerhalb Wiens statt, etwa zwei Mal im Monat fährt der Beschwerdeführer mit seinem PKW von seinem Kanzleisitz zu einem Termin im Wiener Umland. Bei den dabei fallweise zu transportierenden Unterlagen handelt es sich um Aktenordner, welche in den Kofferraum des PKW des Beschwerdeführers passen.

Im räumlichen Umfeld der Kanzlei des Beschwerdeführers gibt es mehrere öffentliche Parkgaragen, diese sind regelmäßig überfüllt und es kommt bei der Einfahrt zu Wartezeiten von bis zu 30 Minuten.

2.       Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens.

Dass dem Beschwerdeführer kein privater Stellplatz in der unmittelbaren Nähe seiner Kanzleiräumlichkeiten zur Verfügung steht, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 24. September 2021. Die Feststellungen zu den beruflichen Fahrten des Beschwerdeführers beruhen auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers. In der von ihm im behördlichen Verfahren vorgelegten "Aufstellung der betriebserforderlichen Fahrzeugbewegungen" lassen sich über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten zahlreiche Fahrten des Beschwerdeführers innerhalb Wiens und vier Fahrten zu Zielen außerhalb Wiens im Wiener Umland (Bruck an der Leitha, Hennersdorf, Wiener Neustadt, Baden) ersehen. Aus der Aufstellung ist zudem ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bei diesen Fahrten teilweise, aber nicht immer, Unterlagen zu transportieren hatte.

Das Verwaltungsgericht Wien sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Aufstellung zu zweifeln, zumal die Tätigkeit eines Rechtsanwalts regelmäßig von Gerichts- und Besprechungsterminen außerhalb seiner Kanzleiräumlichkeiten geprägt ist. Diese Aufstellung kann daher als repräsentative Grundlage für eine Feststellung der durchschnittlichen Fahrzeugbewegungen des Beschwerdeführers herangezogen werden. Die in der Beschwerde vertretene Auffassung, wonach der Beschwerdeführer "regelmäßig die Gelegenheit von weit außerhalb von Wien liegenden Geschäftsterminen" wahrnehme "um außerhalb von Wien zu bleiben", findet hingegen in der vom Beschwerdeführer vorgelegten Aufstellung keine Deckung, dort sind keine Örtlichkeiten "weit außerhalb von Wien" erkennbar.

Das Verwaltungsgericht Wien zweifelt nicht daran, dass bei einigen der Termine Unterlagen in Form von Aktenordnern im Ausmaß einer PKW-Kofferraumbeladung zu transportieren sind, wie es der Beschwerdeführer in seiner Lichtbildbeilage zur Stellungnahme vom 24. September 2021 beispielhaft dargelegt hat.

Die Feststellungen zum Bestand mehrerer öffentlicher Parkgaragen im räumlichen Umfeld der Kanzlei des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Auflistung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer ist diesem Umstand nicht entgegengetreten. Es kann zudem als notorische Tatsache angenommen werden, dass es in der Wiener Innenstadt mehrere öffentliche Parkgaragen gibt. Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass diese Parkgaragen regelmäßig überfüllt sind und es daher zu Wartezeiten von bis zu 30 Minuten kommt, kann als wahr unterstellt werden.

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO, BGBl. 159 idF BGBl. I 37/2019, lauten (auszugsweise):

"§ 45. Ausnahmen in Einzelfällen.

(1) Die Behörde kann auf Antrag durch Bescheid die Benützung von Straßen mit einem Fahrzeug oder einer Ladung mit größeren als den zulässigen Maßen und Gewichten bewilligen, wenn das Vorhaben im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft liegt, sich anders nicht durchführen läßt und keine erheblichen Erschwerungen des Verkehrs und keine wesentlichen Überlastungen der Straße verursacht. Antragsberechtigt sind der Fahrzeugbesitzer oder die Person, für welche die Beförderung durchgeführt werden soll. Liegt bereits eine entsprechende kraftfahrrechtliche Bewilligung vor, so ist eine Bewilligung nach diesem Absatz nicht erforderlich.

(2) In anderen als in Abs. 1 bezeichneten Fällen kann die Behörde Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die für die Benützung der Straßen gelten, auf Antrag bewilligen, wenn ein erhebliches persönliches (wie zB auch wegen einer schweren Körperbehinderung) oder wirtschaftliches Interesse des Antragstellers eine solche Ausnahme erfordert, oder wenn sich die ihm gesetzlich oder sonst obliegenden Aufgaben anders nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen ließen und weder eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, noch wesentliche schädliche Einwirkungen auf die Bevölkerung oder die Umwelt durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe zu erwarten sind.

[…]

§ 94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:

[…]

6. die Bewilligung von Ausnahmen (§ 45) von den erlassenen Beschränkungen und Verboten,

[…]"

2.       Zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Wien:

2.1.    Der Antrag des Beschwerdeführers richtet sich aus die Erteilung einer Ausnahmebewilligung iSd § 45 Abs. 2 StVO und bezieht sich dabei auf die gesamte Fläche des 1. Wiener Gemeindebezirks.

2.2.    Im Beschwerdeverfahren ist zunächst zu klären, ob ein solches Verfahren auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung iSd § 45 StVO von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen ist. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich der in Art. 118 Abs. 4 zweiter Satz B-VG vorgesehene innergemeindliche Instanzenzug in Wien nicht grundsätzlich ausgeschlossen (VwGH 12.11.2021, Ro 2019/04/0001). In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde kann Beschwerde beim Verwaltungsgericht gemäß Art. 132 Abs. 5 B-VG erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden. Der Materiengesetzgeber hat von der ihm nach Art. 118 Abs. 4 zweiter Satz B-VG eingeräumten Ermächtigung nicht Gebrauch gemacht hat und den innergemeindlichen Instanzenzug in der Straßenverkehrsordnung nicht ausgeschlossen.

2.3.    Gemäß § 94d Z 6 StVO ist eine Ausnahmebewilligung iSd § 45 StVO dann im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu besorgen, wenn sich die Ausnahmebewilligung "auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll".

2.3.1.  In seinem Erkenntnis vom 29. Juni 1972, G 6/72, VfSlg. 6770, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass alle Verkehrsflächen, die überwiegend übergeordneten Interessen dienten, zum damaligen Zeitpunkt in Wien als Bundesstraßen erklärt und die "übrigen Verkehrsflächen auf den Lokalverkehr innerhalb des Stadtgebietes" beschränkt seien; letztere seien deshalb als Verkehrsflächen im Sinne des Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG und § 76 Z 4 der Wr. StV zu sehen. Diese Entscheidung ist im Licht der damals geltenden Rechtslage zu verstehen.

Gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 9 B-VG können Straßenzüge wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr durch Bundesgesetz als Bundesstraßen erklärt werden. Diese Erklärung als Bundesstraßen erfolgte mit dem Bundesstraßengesetz 1971 – BStG, BGBl. 286. Dort wurden neben Autobahnen und Bundesschnellstraßen auch bestimmte Straßenzüge ("Bundesstraßen B") als "übrige Bundesstraßen" festgelegt (§ 2 Abs. 1 lit. c BStG idF vor der Novelle BGBl. I 50/2002), dazu zählte etwa in Wien die B1 "Wiener Straße" mit dem Verlauf (ua.) "Wien (Uraniabrücke (B 227) - Wienzeile - Gaudenzdorf - Auhof) – Purkersdorf" (Verzeichnis 3 zum BStG idF vor der Novelle BGBl. I 50/2002).

Mit dem Bundesgesetz über die Auflassung und Übertragung von Bundesstraßen, BGBl. I 50/2002, wurde ein großer Teil der österreichischen Bundesstraßen (ua. jene im Verzeichnis 3 zum BStG als "Bundesstraßen B" aufgelisteten Bundesstraßen) als solche aufgelöst und den Bundesländern übertragen ("Verländerung der Bundesstraßen"); darunter befand sich auch die B1 "Wiener Straße". Damit gingen jene Straßenzüge in den Regelungsbereich der Bundesländer über, welche zuvor wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr als "Bundesstraßen B" vom Bundesstraßengesetz erfasst waren.

2.3.2.  In Wien wurde bislang kein eigenes Landesstraßengesetz erlassen, in der Wiener Rechtsordnung findet sich keine Legaldefinition des Begriffs "Landesstraße" oder "Gemeindestraße" (vgl. demgegenüber § 4 Z 3 lit. a und b NÖ Straßengesetz oder die Regelung zu Landes- und Gemeindestraßen in den §§ 22 und 23 OÖ Straßengesetz). Materielle Bestimmungen zur Straßenorganisation finden sich aber – unter anderem – in den §§ 16 und 17 Wiener Bauordnung, in den § 76 Z 4 und § 103 Abs. 2 Wiener Stadtverfassung – Wr. StV und der Verordnung des Gemeinderates betreffend Feststellung der Hauptstraßen und Nebenstraßen.

In § 103 Abs. 2 Wr. StV wurde als Reaktion auf die Verländerung der Bundesstraßen mit der Novelle LGBl. 18/2002 eine Unterscheidung in "Hauptstraßen A" und "Hauptstraßen B" eingeführt, welche – unter anderem – für die Befugnisse der Bezirksverwaltung in § 103 Abs. 1 Wr. StV relevant ist; die konkrete Einteilung der Straßenzüge in Hauptstraßen A und Hauptstraßen B wurde einer Verordnung des Gemeindesrats vorbehalten. Mit dieser Verordnung des Gemeinderates betreffend Feststellung der Hauptstraßen und Nebenstraßen, Abl. 22/2002, wurde die Unterscheidung in Hauptstraßen A und Hauptstraßen B nachvollzogen und dabei der Straßenzug "B1" als Hauptstraße B definiert. Diese Hauptstraße B der Bezeichnung "B1" in der Verordnung gleicht in ihrem Verlauf im Wiener Stadtgebiet der als Bundesstraße aufgelassenen "B1" im Verzeichnis 3 BStG idF vor der Novelle BGBl. I 50/2002.

2.3.3.  Im Lichte dieser gesetzgeberischen Entwicklungen geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass es sich bei den im Zuge der Verländerung der Bundesstraßen aufgelassenen Bundesstraßen und in der Folge in Wien in der Verordnung des Gemeinderates betreffend Feststellung der Hauptstraßen und Nebenstraßen als Hauptstraße B bezeichneten Straßenzügen um solche mit einer Bedeutung für den Durchzugsverkehr handelt, die überwiegend übergeordneten Interessen dienen. Diese dienen folglich nicht dem Lokalverkehr innerhalb des Stadtgebiets und unterliegen daher nicht dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde iSd Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG. Damit handelt es sich bei diesen Hauptstraßen B um Straßen, die in verfassungskonformer Interpretation iSd § 94d StVO Bundes- oder Landesstraßen gleichzuhalten sind. Akte der Vollziehung betreffend diese Straßen sind folglich von der Gemeinde nicht im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen.

2.3.4.  Im Beschwerdefall ist diese Unterscheidung deshalb von Bedeutung, weil der 1. Wiener Gemeindebezirk sowohl Hauptstraßen A, als auch Hauptstraßen B und Nebenstraßen iSd Verordnung des Gemeinderates betreffend Feststellung der Hauptstraßen und Nebenstraßen umfasst. Die Hauptstraßen B sind nach dem eben Gesagten dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde entzogen, die Verwaltung betreffend die übrigen Straßen ist gem. § 94d StVO im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu besorgen.

Im Beschwerdefall ist daher, soweit sich der angefochtene Bescheid auf dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde unterliegende Straßen bezieht, der administrative Instanzenzug nicht erschöpft und die Beschwerde in diesem Umfang zurückzuweisen. Die weitere inhaltliche Prüfung und Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts Wien hat sich ausschließlich auf jene Straßenzüge des 1. Wiener Gemeindebezirks zu beschränken, welche in der Verordnung des Gemeinderates betreffend Feststellung der Hauptstraßen und Nebenstraßen als Hauptstraße B qualifiziert sind.

3.       In der Sache:

3.1.    Bei Prüfung der Voraussetzungen zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung gem. § 45 Abs. 2 StVO ist ein strenger Maßstab anzulegen, sodass eine solche nur bei Vorliegen von gravierenden, den Antragsteller außergewöhnlich hart treffenden Gründen zu erteilen ist (VwGH 12.10.2018, Ra 2017/02/0147).

Um das nach § 45 Abs. 2 StVO erforderliche wirtschaftliche Interesse darzutun, bedarf es eines konkreten, einer Überprüfung zugänglichen Vorbringens des Antragstellers über die wirtschaftlichen Auswirkungen, die die Kurzparkzonenregelung auf den Betrieb des Antragstellers hat. Die erforderliche rasche Lieferung von Material sowie der Transport von Material und Werkzeug für Installationsarbeiten oder etwa notwendige direkte Kontakt zu Kunden stellen für sich allein noch nicht das Vorliegen von gravierenden (insbesondere wirtschaftlichen) Gründen dar, weil die mit dem Parken in Kurzparkzonen verbundenen Nachteile auch andere Betriebsinhaber in vergleichbarer Lage durchaus in ähnlicher Form treffen (VwGH 12.10.2018, Ra 2017/02/0147).

3.2.    Der Beschwerdeführer begründet sein erhebliches persönliches oder wirtschaftliches Interesse iSd § 45 Abs. 2 StVO mit der Notwendigkeit, regelmäßig berufliche Fahrten innerhalb und außerhalb Wiens zu verrichten, bei welchen teilweise Unterlagen zu transportieren seien. Ein verspätetes Eintreffen zu Gerichtsterminen führe zu einem ungünstigen Verfahrensausgang für seine Klienten und habe den Abbruch der Geschäftsbeziehungen sowie standesrechtliche Konsequenzen zur Folge.

Dem Beschwerdeführer kann darin gefolgt werden, dass in seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt regelmäßig ein pünktliches Erscheinen, insbesondere zu Gerichtsterminen, erforderlich ist. In dieser Hinsicht treffen ihn die mit dem Parken in Kurzparkzonen verbundenen Nachteile aber nicht härter als andere Rechtsanwälte oder sonstige Wirtschaftstreibende in vergleichbarer Lage, die Termine einhalten müssen.

Für das Verwaltungsgericht Wien ist zudem nicht nachvollziehbar, in welchem kausalem Zusammenhang mögliche Verzögerungen beim Einfahren in Parkgaragen in der Nähe des Kanzleisitzes des Beschwerdeführers mit dem pünktlichen Eintreffen bei Terminen fernab des Kanzleisitzes des Beschwerdeführers stehen sollen. Der Beschwerdeführer hat nicht eine Ausnahmebewilligung in der Nähe eines vom ihm regelmäßig aufzusuchenden Gerichts, wo er pünktlich erscheinen muss, beantragt, sondern eine Ausnahmebewilligung im räumlichen Nahebereich seines Kanzleisitzes, zu dem er nach dem jeweiligen Gerichtstermin zurückkehrt. Die Wartezeiten überfüllter Parkgaragen beziehen sich jedoch regelmäßig auf das Einfahren in diese Garagen, nicht auf das Ausfahren, sodass das pünktliche Erscheinen bei Gerichten durch solche Wartezeiten beim Einparken am Kanzleisitz des Beschwerdeführers von vornherein nicht berührt werden kann. Diese Überlegungen treffen auch auf die vom Beschwerdeführer angegeben Fahrten zu Besprechungen außerhalb Wiens zu. Ein pünktliches Erscheinen zu diesen Besprechungen kann durch Verzögerungen beim Einparken am Kanzleisitz des Beschwerdeführers nicht verursacht werden.

Zudem vermag das bloß allgemeine Vorbringen, das Aufsuchen von Parkgaragen in der Umgebung sei auf Grund der Entfernung, der hohen Kosten und des Umstandes, dass in den Parkgaragen häufig keine Plätze frei sind, nicht zumutbar, das Vorliegen eines erheblichen wirtschaftlichen Interesses im Sinne des § 45 Abs. 2 StVO nicht aufzuzeigen (VwGH 12.10.2018, Ra 2017/02/0147).

3.3.    Für Gerichts- oder Geschäftstermine innerhalb Wiens ist dem Beschwerdeführer außerdem die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder eines Taxis zuzumuten (vgl. zur rechtsanwaltlichen Tätigkeit im 1. Wiener Gemeindebezirk VwGH 4.2.1994, 93/02/0279). Die Benutzung eines Taxis bietet dem Beschwerdeführer dabei die gleichen Möglichkeiten zum Transport von Unterlagen wie die Benutzung seines eigenen PKW. Überdies kann auch in der behaupteten Notwendigkeit des gelegentlichen Transports von größeren Aktenmengen zu Gericht oder zu einer Besprechung mit Klienten noch kein Vorliegen einer "besonderen" Erschwernis ersehen werden, zumal für derartige Transporte auch alternativ etwa ein entsprechender Botendienst beauftragt werden könnte (VwGH 19.7.2011, 2010/02/0299).

Hinsichtlich der ohnehin seltenen, außerhalb von Wien liegenden Geschäftstermine wäre es dem Beschwerdeführer – sollte er die von der belangten Behörde angeführten Carsharing-Anbieter nicht nutzen wollen, weil er die Geschäftstermine wahrnimmt "um außerhalb von Wien zu bleiben" – zudem möglich, seinen PKW an beliebiger Stelle im Wiener Stadtgebiet abzustellen und dort mit einem Taxi oder öffentlichem Verkehrsmittel hinzufahren, um den Termin außerhalb Wiens schließlich mit seinem eigenen PKW wahrzunehmen. Dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich wäre, im gesamten Wiener Stadtgebiet einen Stellplatz für seinen PKW zu mieten bzw. eine Parkgarage zu benutzen, hat er nicht dargelegt und wäre auch lebensfremd.

3.4.    Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller seine Einkommenssituation zur Begründung eines wirtschaftlichen Interesses im Einzelnen darzulegen, die "kostenmäßige Zumutbarkeit" ist in Verbindung mit dem Einkommen und der "finanziellen Verkraftbarkeit" maßgebend. Der Antragsteller ist somit verpflichtet, bei der Feststellung seines Betriebsergebnisses mitzuwirken (VwGH 12.10.2018, Ra 2017/02/0147). In Zusammenhang mit seinem auf wirtschaftliche Interessen gestützten Vorbringen, wonach eine Verspätung bei Terminen zum Abbruch von Geschäftsbeziehungen führe, hat der Beschwerdeführer nicht einmal andeutungsweise den Umfang des drohenden wirtschaftlichen Schadens erkennen lassen und damit dem Konkretisierungsgebot nicht entsprochen (vgl. zur rechtsanwaltlichen Tätigkeit VwGH 28.2.2003, 2000/02/0324).

4.       In Anbetracht dieser Erwägungen erweist sich die von der belangten Behörde getroffene Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers im Ergebnis als zutreffend, sodass nicht weiter darauf einzugehen ist, ob angesichts der auf ersatzlose Behebung bzw. Behebung und Zurückverweisung gerichteten Beschwerdeanträge eine Erteilung der Ausnahmebewilligung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren überhaupt in Betracht käme.

5.       Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ohne Durchführung einer – im Übrigen von keiner Verfahrenspartei beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil im Beschwerdeverfahren der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026).

6.       Die ordentliche Revision ist hinsichtlich Spruchpunkt II. zulässig, da – soweit für das Verwaltungsgericht Wien überblickbar – bislang keine ausdrückliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage vorliegt, ob überhaupt bzw. welche Straßen in Wien iSd § 94d StVO in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen. Mehreren nach der Verländerung der Bundesstraßen und vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes lagen Verfahrenskonstellationen zugrunde, in welchen über eine Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid sowohl vom (damaligen) Berufungssenat der Stadt Wien hinsichtlich der Straßen mit untergeordneter Bedeutung als auch der Wiener Landesregierung hinsichtlich der Straßen mit übergeordneter Bedeutung entschieden worden war (VwGH 19.7.2011, 2010/02/0299; 7.9.2015, 2013/02/0022, 8.3.2016, 2013/02/0257). In diesen Entscheidungen wurde die parallele behördliche Entscheidungspraxis vom Verwaltungsgerichtshof nicht beanstandet, ausdrückliche Ausführungen zur rechtlichen Relevanz der Unterscheidung von Straßen mit unter- und übergeordneter Bedeutung finden sich in diesen Entscheidungen aber nicht. Für das Verwaltungsgericht Wien handelt es dabei sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, weil vergleichbare Fallkonstellationen regelmäßig bei ihm anhängig werden und sich die Beantwortung der Frage nicht ausreichend klar aus dem Gesetzeswortlaut ergibt.

Hinsichtlich der beantragten Ausnahmebewilligung gem. § 45 Abs. 2 StVO hat sich das Verwaltungsgericht Wien an der umfassenden zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert und ist von dieser nicht abgewichen; die Revision ist daher im Übrigen nicht zulässig.

Schlagworte

Benützung von Straßen; Ausnahmen in Einzelfällen; Ausnahmebewilligung; eigener Wirkungsbereich der Gemeinde; Zuständigkeit; Hauptstraße A; Hauptstraße B; Verkehrsflächen, die überwiegende übergeordneten Interessen dienen; Bundesstraße; Landesstraße; Verländerung der Bundesstraßen; Bedeutung für den Durchzugsverkehr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.101.032.1052.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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