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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §22;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des R in S, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Dezember 1995, Zl. MD-VfR - B XI- 22/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 21. März 1995 wurde dem Beschwerdeführer als Miteigentümer des Grundstückes .584 Baufläche, N-Straße 195, inneliegend der Liegenschaft EZ 435, KG X, gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien aufgetragen, binnen 12 Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides das ohne baubehördliche Bewilligung erweiterte bzw. umgebaute Gasthaus im Gesamtausmaß von ca. 400 m2 zu beseitigen.
Im die Zustellung dieses Bescheides dokumentierenden Rückschein (Form 4 der Zustellformularverordnung zu § 22 des Zustellgesetzes) ist als Datum der Übernahme der 23. März 1995 und die Übernahme durch den "Empfänger" beurkundet. Die Unterschrift des Übernehmers ist unleserlich.
In seiner Eingabe vom 21. Juli 1995, beinhaltend einen Antrag auf Zustellung des Bescheides vom 21. März 1995, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, einen Antrag auf aufschiebende Wirkung sowie eine Berufung gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 21. März 1995, führte der Beschwerdeführer u.a. aus, es liege keine wirksame Zustellung des Bescheides des Magistrates der Stadt Wien vom 21. März 1995 vor, da einerseits eine Ersatzzustellung unzulässig gewesen sei, andererseits dieser Bescheid nicht von ihm, sondern von seinem Sohn übernommen worden sei, welcher mit ihm weder im gemeinsamen Haushalt wohne noch sein Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber sei. Zum Nachweis der Richtigkeit dieses Vorbringens beantragte der Beschwerdeführer die Einvernahme mehrerer Personen. Erst anläßlich einer mündlichen Verhandlung vor dem Landesgericht für ZRS Wien am 7. Juli 1995 habe sein Rechtsvertreter vom erstinstanzlichen Bescheid Kenntnis erhalten.
Mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Dezember 1995 wurde die am 21. Juli 1995 zur Post gegebene Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 21. März 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde hiezu aus, dem Akteninhalt sei zu entnehmen, daß der erstinstanzliche Bescheid am 23. März 1995 laut Rückschein zugestellt worden sei, dieser Bescheid enthalte eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung. Der Beschwerdeführer bestreite die Verspätung nicht, da er gleichzeitig einen Antrag auf Zustellung des Bescheides vom 21. März 1995 sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung des Wiedereinsetzungsantrages gestellt habe. Diese Anträge habe die Behörde erster Instanz mit Bescheid vom 9. August 1995 abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung habe die Bauoberbehörde für Wien ebenfalls abgewiesen. Die am 21. Juli 1995 zur Post gegebene Berufung gegen den Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 23. März 1995 sei daher unzulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich seinem Vorbringen zufolge durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Nichtzurückweisung seiner Berufung verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 21 AVG sind Zustellungen nach dem Zustellgesetz vorzunehmen.
Gemäß § 22 AVG ist eine schriftliche Ausfertigung, wenn wichtige Gründe hiefür vorliegen, mit Zustellnachweis zuzustellen. Bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe oder wenn es gesetzlich vorgesehen ist, ist die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu bewirken.
Mangels gesetzlicher Regelung der hier maßgeblichen Bauordnung für Wien war die Baubehörde erster Instanz - entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers - befugt, die Zustellung ihres Bescheides vom 21. März 1995 mittels Ersatzzustellung gemäß § 16 ZustG anzuordnen.
Im Hinblick auf die Bestimmung des § 72 Abs. 1 AVG, wonach durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 Abs. 1 AVG) das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat, war die belangte Behörde befugt, über die Berufung des Beschwerdeführers vor Erledigung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 21. September 1995, Zl. 95/07/0094).
Zu Recht rügt jedoch der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde nicht die von ihm unter Beweis gestellte Behauptung, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei nicht an ihn, sondern an seinen Sohn erfolgt, überprüft hat.
Gemäß § 22 Abs. 1 des ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden.
Die vom Zusteller erstellten Zustellausweise sind öffentliche Urkunden, die den Beweis dafür erbringen, daß die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. Der Gegenbeweis ist jedoch gemäß § 292 Abs. 2 ZPO offen. Behauptet jemand, es lägen Zustellmängel vor, so hat er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzubieten, die die vom Gesetz im Zusammenhang mit einem vorhandenen Rückschein aufgestellte Vermutung der vorschriftsmäßigen Zustellung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0073, u.a.).
In seiner Eingabe vom 21. Juli 1995 hat der Beschwerdeführer diesbezüglich nicht bloß auf Vermutungen gegründete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Zustellscheines vorgebracht, sondern unter Anbot entsprechender Beweise behauptet, daß der erstinstanzliche Bescheid nicht zu eigenen Handen, sondern mittels Ersatzzustellung an seinen Sohn zugestellt worden sei; letzterer wohne mit ihm weder im gemeinsamen Haushalt noch sei er sein Arbeitnehmer oder Arbeitgeber.
Gemäß § 16 Abs. 2 ZustG kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides, mit welchem die Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurückgewiesen worden ist, ging die belangte Behörde - ohne auf die Behauptungen und das Beweisanbot des Beschwerdeführers einzugehen - davon aus, "daß der gegenständliche Bescheid am 23. März 1995 laut Rückschein zugestellt wurde".
Die Behörde darf einen Beweis nur dann von vorneherein ablehnen, wenn er, objektiv gesehen, nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern (vgl. hiezu Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Seite 618). Die vom Beschwerdeführer zum Beweis der Unrichtigkeit des vom Zusteller im Zustellnachweis beurkundeten Zustellvorganges angebotenen Beweise sind aber objektiv geeignet, den vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt, welcher vom festgestellten abweicht, unter Beweis zu stellen. In der Unterlassung der beantragten Beweisaufnahmen durch die belangte Behörde liegt daher ein Verfahrensmangel, bei dessen Vermeidung nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid leidet somit an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß die Behauptung des Beschwerdeführers, der Bescheid sei unzulässigerweise an seinen Sohn zugestellt worden, richtig ist, werden auch Feststellungen darüber erforderlich sein, ob der erstinstanzliche Bescheid gegenüber dem Beschwerdeführer bereits erlassen worden ist, zumal § 7 ZustG eine Heilung von Zustellmängeln nur für den Fall vorsieht, daß das zuzustellende Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist, tatsächlich zugekommen ist. Ob dies der Fall ist, kann auf Grund der Aktenlage derzeit nicht beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Im pauschalierten Schriftsatzaufwand ist die Umsatzsteuer bereits enthalten. Das diesbezügliche Mehrbegehren war daher abzuweisen. Stempelgebührenaufwand konnte nur für die erforderlichen Beschwerdeausfertigungen und die vorgelegte Urkunde zuerkannt werden.
Im Hinblick auf die Erledigung des Beschwerdeverfahrens erübrigte sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996050054.X00Im RIS seit
20.11.2000