Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* S*, vertreten durch Dr. Hermann Rieder, Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie der auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin m* GmbH, *, vertreten durch Dr. Andreas Fink, Dr. Christopher Fink, Rechtsanwälte in Imst, gegen die beklagte Partei C* W*, vertreten durch Dr. Harald Wille, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1. (ausgedehnt) 40.624,60 EUR sA, 2. Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 12.472,73 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. Juni 2021, GZ 5 R 6/21b-89, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Februar 2021, GZ 66 Cg 76/17d-80, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die im Übrigen in Rechtskraft erwachsen sind und von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden im Umfang der Abweisung des Teilbegehrens von 12.472,73 EUR samt 4 % Zinsen aus 7.452,38 EUR ab 12. 9. 2016, aus 3.395,24 EUR ab 14. 11. 2019 und aus 1.625,11 EUR ab 20. 1. 2021 aufgehoben.
Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Polizistin. Sie wurde vom Beklagten im Zug einer Amtshandlung (Festnahme) am 10. 7. 2016 durch mehrere Tritte verletzt. Durch diesen Angriff erlitt sie eine Knorpelfraktur der inneren Oberschenkelrolle und einen Riss am Hinterhorn des Innenmeniskus am rechten Kniegelenk sowie eine Prellung an der linken Hand. Am 16. 8. 2016 wurde eine Kniegelenksarthroskopie und Meniskuschirurgie durchgeführt. Es folgten zahlreiche ambulante Kontrolluntersuchungen und am 23. 3. 2019 eine weitere arthroskopische Sanierung. Nach weiteren ambulanten Kontrolluntersuchungen fand am 2. 11. 2020 ein neuerlicher operativer Eingriff statt.
[2] Mit ihrer Klage vom 1. 8. 2017 begehrte die Klägerin 1. aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung von insgesamt 28.610,21 EUR sA und 2. die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche der Klägerin aus dem Vorfall vom 10. 7. 2016 in Hinkunft entstehenden Nachteile. Das Geldleistungsbegehren umfasste Schmerzengeld, den Ersatz des Verdienstentgangs, der Fahrtkosten, der Kosten einer Haushaltshilfe sowie der Selbstbehalte für Heilmittel und Heilbehelfe. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind (nur noch) die Positionen Verdienstentgang, Fahrtkostenersatz und Selbstbehalte.
[3] Der Beklagte wandte ein, die Klageforderung bestehe weder dem Grunde noch der Höhe nach zu Recht. Davon abgesehen seien sämtliche Forderungspositionen unschlüssig. Die Klägerin habe ihrer Behauptungslast nicht entsprochen und die Forderungspositionen nicht nachvollziehbar gemacht.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Klägerin sei der Beweis der Kausalität des Vorfalls vom 10. 7. 2016 für die Knieschädigungen nicht gelungen.
[5] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf. Im Sinn des § 362 Abs 2 ZPO sei die Einholung eines zusätzlichen radiologischen Gutachtens zur Klärung der medizinischen Fragen geboten. Das Berufungsgericht verwies ferner auf die Grundsätze der Rechtsprechung zur Schlüssigkeit von Klagen und den Rechtsfolgen der Unschlüssigkeit; aus diesen zog es den Schluss, dass der Unschlüssigkeitseinwand des Beklagten berechtigt sei. Das Erstgericht habe im zweiten Rechtsgang zu erörtern, dass jedes Klagebegehren erst dann rechtlich schlüssig sei, wenn das Sachbegehren materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden könne. Dies sei hier bezüglich sämtlicher Positionen des Leistungsbegehrens – mit Ausnahme des Schmerzengeldes – noch nicht der Fall, zumal die Klägerin die einzelnen Positionen lediglich beziffert, aber mit keinem diese Positionen hinreichend nachvollziehbar machenden Tatsachensubstrat unterlegt habe. Der Inhalt beigebrachter Urkunden könne ein entsprechendes Vorbringen nicht ersetzen. Zum Verdienstentgang habe die Klägerin keine Prozessbehauptungen zu den von ihr vor und nach dem Verletzungsereignis lukrierten Bezügen und den zur Forderungsermittlung herangezogenen Bezugszeiträumen erstattet. Zu den Fahrtkosten fehle ein Vorbringen, aus welchen konkreten, mit den vorfallsbedingten Gesundheitsstörungen zusammenhängenden Fahrten die Gesamtkilometeranzahl resultiere und wann zu welchen konkreten Zwecken welche Ziele angefahren worden seien. Auch wie sich der aus dem Titel des Kostenselbstbehalts geforderte Betrag konkret zusammensetze, also auf welche der Klägerin aufgrund welcher Leiden verschriebenen und von ihr konkret angeschafften Heilmittel und Heilbehelfe sich der aus diesem Titel geltend gemachte Betrag beziehe, sei völlig unerfindlich. Das Erstgericht werde daher der Klägerin im fortgesetzten Verfahren einen Auftrag zur Schlüssigstellung der das Leistungsbegehren bildenden Forderungspositionen zu erteilen haben.
[6] Im zweiten Rechtsgang erteilte das Erstgericht der Klägerin den Verbesserungsauftrag, die Klage im Sinn der Ausführungen des Berufungsgerichts in seinem Aufhebungsbeschluss schlüssig zu stellen. Mit Schriftsatz vom 20. 2. 2019 brachte die Klägerin daraufhin ergänzend vor, sie habe sich aufgrund der ihr vom Beklagten beigebrachten Verletzungen, insbesondere der Knieverletzungen, vom 16. 8. bis 7. 11. 2016, vom 8. 11. bis 29. 11. 2016 sowie vom 30. 11. 2016 bis 31. 3. 2017 im Krankenstand befunden. Der daraus entstandene Verdienstentgang aus Nebengebühren habe an anteiligem Pensionsbeitrag 763,87 EUR brutto und fallweisen Nebengebühren 6.688,51 EUR brutto, sohin insgesamt 7.452,38 EUR brutto betragen. Die ihr im Zeitraum August 2016 bis März 2017 entgangenen Nebengebühren seien aus dem Schnitt der von ihr im Zeitraum 1. 12. 2015 bis 31. 7. 2016 erzielten Nebengebühren ermittelt worden. Zum Beweis dieser Behauptungen bot die Klägerin eine Verdienstentgangsbestätigung des LPD Tirol sowie ihre Parteieneinvernahme an. Zur Schlüssigstellung des Begehrens auf Fahrtkostenersatz listete die Klägerin die auf den Zeitraum 29. 7. 2016 bis 1. 3. 2017 bezogenen einzelnen Fahrtdaten, Fahrtziele und Fahrtgründe sowie die jeweiligen Kilometerdistanzen detailliert auf. Diese Angaben fasste sie dahin zusammen, dass sie insgesamt 2.109,40 km an vorfalls- bzw verletzungsbedingten Fahrten zu Ärzten, medizinischen Einrichtungen und Therapeuten mit dem Privatfahrzeug habe zurücklegen müssen. Diese Fahrten habe ihr der Beklagte zum amtlichen Kilometergeldsatz von 0,42 EUR, daher mit dem Gesamtbetrag von 885,95 EUR (zuzüglich Mautgebühren) zu refundieren. Die Klägerin listete auch die angeblich vorfallbedingt aufgewendeten Heilbehelfs-, Medikamenten- und Therapiekosten, die diesbezüglich von Versicherungsträgern geleisteten Zahlungen und Leistungsdaten sowie die ihr nach Abzug dieser Versicherungsleistungen verbliebenen Selbstbehalte im Einzelnen auf. Dies ergab einen Gesamtbetrag von 446,92 EUR.
[7] Die Beklagte wandte in seiner Replik – ohne jegliche weitere Konkretisierung – ein, dass das Vorbringen weiter unschlüssig sei und er sämtliche Einwendungen wiederhole.
[8] In der Tagsatzung vom 13. 11. 2019 dehnte die Klägerin den aus dem Titel des Verdienstentgangs begehrten Betrag um weitere 3.395,24 EUR auf 10.847,62 EUR aus, ohne diesen weiteren Anspruch näher zu begründen. Sie legte allerdings eine weitere Verdienstentgangsberechnung des LPD Tirol vor. Der Beklagte bestritt, erhob aber keinen Einwand der Unschlüssigkeit.
[9] In der Tagsatzung vom 19. 1. 2021 dehnte die Klägerin das Begehren auf Ersatz von Fahrtkosten um 1.229,42 EUR auf insgesamt 2.115,37 EUR und das Begehren auf Ersatz der Kosten von Heilmittel, Heilbehelfe und Heilbehandlungen (Selbstbehalte) um 395,69 EUR auf 842,61 EUR aus. Diese weitere Klageausdehnung begründete die Klägerin (lediglich) damit, dass weitere Behandlungen, Therapien, Heilkosten und Fahrten notwendig geworden seien, sie letztlich 5.036,60 km zu verletzungsbedingten Heilbehandlungen und Therapien gefahren sei und dass sie für Heilbehelfe, die ihr nicht von Versicherungen erstattet worden seien, insgesamt 842,61 EUR habe aufwenden müssen. Eine detaillierte Aufschlüsselung unterblieb. Allerdings legte die Klägerin in dieser Tagsatzung – im Vorbringen nicht näher bezeichnete – Urkunden vor; darunter eine Kostenaufstellung über Selbstbehalte und Behandlungskosten Stand 18. 1. 2021 und eine Fahrtkostenaufstellung Stand 18. 1. 2021. Der Beklagte bestritt, erhob aber keinen Einwand der Unschlüssigkeit.
[10] Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 36.977,60 EUR sA zu zahlen; das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 3.647 EUR und das Zinsenmehrbegehren wies es ab. Das Erstgericht stellte zudem fest, dass der Beklagte der Klägerin für sämtliche ihr aus dem Vorfall vom 10. 7. 2016 in Hinkunft entstehenden Nachteile zu haften habe.
[11] Soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz, führte das Erstgericht dazu aus, dass die vorfalls- und verletzungsbedingt notwendig gewordenen – im Einzelnen detailliert festgestellten – PKW-Fahrten im Ausmaß von 5.036,60 km der Klägerin unter Bedachtnahme auf § 273 ZPO mit dem amtlichen Kilometergeld von 0,42 EUR abzugelten seien und vom Beklagten in der von der Klägerin begehrten Höhe von insgesamt 2.115,37 EUR zu ersetzen. Der Beklagte sei dieser Position ohnehin nur unsubstanziiert entgegengetreten.
[12] Unter der Position Heilmittelkosten habe die Klägerin ausschließlich Beträge geltend gemacht, die ihr weder von der Krankenversicherung noch von ihrer privaten Versicherung ersetzt worden seien und die sie deshalb selbst zu tragen gehabt habe. Alle diese – im Einzelnen detailliert festgestellten – Kosten seien vorfallskausal notwendig und für die Heilung zweckmäßig gewesen und/oder aufgrund ärztlicher Verordnungen angefallen. Der Beklagte habe der Klägerin daher auch diese Kosten in der begehrten Höhe von insgesamt 842,61 EUR zu ersetzen.
[13] Nach den getroffenen Feststellungen habe die Klägerin aufgrund des Vorfalls und der damit verbundenen wiederholten Krankenstände in der Zeit bis 18. 6. 2019 einen Bruttoverdienstentgang von 10.847,62 EUR erlitten. Die Höhe dieses Verdienstentgangs sei durch Bestätigungen des Dienstgebers der Klägerin nachgewiesen worden. Die mit dem Zufluss entstehende Steuer- und Abgabenlast sei durch Ausmessung mit dem Bruttoverdienst laut Berechnungen des Dienstgebers der Klägerin abgedeckt und im Sinn des § 273 ZPO ebenfalls angemessen. Der Beklagte habe also auch für diese – von ihm wiederum nicht substanziiert bestrittene – Forderungsposition in voller Höhe einzustehen.
[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge. Es reduzierte den Geldleistungsanspruch der Klägerin auf 24.504,87 EUR sA.
[15] Der Beklagte habe in erster Instanz wiederholt auf die Unschlüssigkeit der aus den Titeln Verdienstentgang, Fahrtkosten, Selbstbehalte für Heilmittel, Heilbehelfe und Therapien geltend gemachten Schadenersatzforderungen hingewiesen. Das Berufungsgericht habe in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang die Unschlüssigkeit dieser Klagepositionen dezidiert bestätigt und dem Erstgericht einen Verbesserungsversuch aufgetragen.
[16] Diesem Verbesserungsauftrag habe die Klägerin zwar insoweit Rechnung getragen, als sie nunmehr den Fahrtkostenersatz und die begehrten Selbstbehalte für Heilbehelfe, Heilmittel etc. hinreichend aufgeschlüsselt habe. Für den Fahrtkostenersatz sei dies durch Datums-, Ziel- und Kilometerangaben je schadenfallsbedingter Fahrt geschehen, für die Selbstbehalte durch Datums-, Leistungs- bzw Medizinproduktangaben sowie Auflistung der einzelnen Kostenpositionen, der diesbezüglich erhaltenen Versicherungsleistungen und der letztlich selbst zu tragenden Einzelbeträge.
[17] Für den geltend gemachten Verdienstentgang treffe dies hingegen nicht zu. Trotz dezidierten Hinweises im Aufhebungsbeschluss, dass es zur Schlüssigstellung dieser Forderungsposition einer Darstellung der von der Klägerin vor und nach dem Verletzungsereignis in konkret anzugebenden Bezugszeiträumen de facto lukrierten Bezüge bedürfe, habe die Klägerin lediglich die bereits im Aufhebungsbeschluss für unzulänglich befundenen Prozessbehauptungen wiederholt und vorgebracht, dass sich die Anspruchswerberin wegen der ihr vom Beklagten beigebrachten Knieverletzung vom 16. 8. 2016 bis 31. 3. 2017 im Krankenstand befunden habe, und der daraus entstandene Verdienstentgang an Nebengebühren aus anteiligem Pensionsbeitrag brutto 763,87 EUR und fallweisen Nebengebühren brutto 6.688,51 EUR, insgesamt also brutto (richtig:) 7.452,38 EUR, betragen habe, wobei die im Zeitraum August 2016 bis März 2017 entgangenen Nebengebühren aus dem Schnitt der von ihr im Zeitraum 1. 12. 2015 bis 31. 7. 2016 erzielten Nebengebühren ermittelt worden seien. Eine – im Aufhebungsbeschluss geforderte – Auflistung konkreter vor und nach dem Vorfall oder vor und während des genannten Krankenstandszeitraums lukrierter Bezüge und darauf fußende nachvollziehbare Differenzrechnung über das der Klägerin verletzungsbedingt Entgangene, sei sie jedoch schuldig geblieben. Daher scheitere schon die Verdienstentgangsforderung, die die Klägerin vor der späteren Klageausdehnung geltend gemacht hat, an der Unschlüssigkeit des diesbezüglichen Klagebegehrens. Die Ausdehnung des Klagebegehrens um einen weiteren Verdienstentgang von 3.395,24 EUR (auf eine Gesamtforderung von 10.847,62 EUR) habe die Klägerin überhaupt mit keinem Wort begründet. Sie habe weder den diese Klageausdehnung betreffenden Anspruchszeitraum genannt, noch dargelegt, wie sich der ausgedehnte Betrag zusammensetze. Die Ausdehnung der Klage um den behaupteten weiteren Verdienstentgang sei daher ebenfalls unschlüssig.
[18] Auch die Ausdehnung des Klagebegehrens um weitere Fahrtkosten und Selbstbehalte sei unschlüssig geblieben. Das diesbezügliche Prozessvorbringen der Klägerin habe nämlich lapidar gelautet, dass weitere Behandlungen und Therapien und damit neue Fahrten und Heilkosten notwendig geworden seien, wobei die Klägerin insgesamt 5.036,6 km an kausalen Fahrten zurückgelegt habe und an von der Versicherung nicht erstatteten Selbstbehalten letztlich insgesamt 842,61 EUR selbst habe tragen müssen. Die aus den genannten Titeln nunmehr neu geltend gemachten Beträge könnten daher infolge Unschlüssigkeit der diesbezüglichen Forderungen ebenfalls nicht zuerkannt werden.
[19] Für die Durchführung eines nochmaligen Verbesserungsversuchs bestehe kein Anlass. Die Klägerin sei bereits sowohl vom Gegner als auch vom Berufungsgericht anspruchsbezogen auf die Schlüssigkeitskritierien hingewiesen worden. Diesen Erwägungen stehe nicht entgegen, dass das Erstgericht zu den besagten Forderungspositionen Feststellungen getroffen habe. Diese Feststellungen seien vom Prozessvorbringen der Klägerin letztlich nicht gedeckt und – weil „überschießend“ – rechtlich unbeachtlich.
[20] Gegen den klageabweisenden Teil dieses Urteils des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus den Rechtsmittelgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Klägerin beantragt den Zuspruch auch der in zweiter Instanz wegen Unschlüssigkeit abgewiesenen Beträge (Verdienstentgang 10.847,62 EUR, Fahrtkostenersatz 1.229,42 EUR und Selbstbehalte 395,69 EUR).
[21] Der Beklagte beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[22] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht mit der sofortigen Abweisung der Teilbegehren, die es im Gegensatz zum Erstgericht als nicht ausreichend bestimmt und unschlüssig ansah, eine Überraschungsentscheidung getroffen hat. Die Revision ist daher im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[23] 1.1. Die Klage hat ein bestimmtes Begehren zu enthalten und die Tatsachen, auf welche sich der Anspruch des Klägers gründet, sind im einzelnen kurz und vollständig anzugeben (§ 226 ZPO). Zu den Bestimmtheitserfordernissen eines Schadenersatzanspruchs zählt daher – neben dem ziffernmäßig bestimmten Begehren – die ausreichende Konkretisierung und Begründung des eingetretenen Schadens und der Schadenshöhe (vgl RIS-Justiz RS0037550; 8 Ob 341/97y).
[24] 1.2. Bei mehreren in einer Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüchen muss jeder einzelne von ihnen ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein (RS0031014 [T2, T8, T29]). Setzt sich aber ein auf einen einheitlichen Anspruchsgrund gestütztes Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammen, die während eines längeren Zeitraums aufgelaufen sind, so würde das Gebot nach einer Präzisierung des Vorbringens überspannt, würde man für jeden einzelnen von unter Umständen hunderten Fällen ein gesondertes detailliertes Vorbringen fordern. Die mangelnde Aufgliederung in einzelne Posten oder Zeiträume nimmt dem diesbezüglichen Vorbringen daher nicht die Schlüssigkeit (RS0037907). Die Rechtsprechung stellt auf die Zumutbarkeit einer Aufgliederung ab. In solchen Fällen reicht daher auch ein Verweis im Vorbringen auf die vorgelegten Urkunden; die einzelnen Positionen und die ihnen zugeordneten Beträge müssen also nicht in der Klageerzählung ziffernmäßig angeführt werden (RS0037907 [T13, T19]).
[25] 1.3. Werden nicht mehrere Ansprüche, sondern wird ein einheitlicher Anspruch (zum Beispiel ein einheitlicher Gesamtschaden aufgrund derselben Schadensursache) geltend gemacht, würde es auch eine Überspannung der Verpflichtung zur Präzisierung bedeuten, würde man vom Kläger eine genaue Aufschlüsselung der einzelnen unselbständigen Teilpositionen fordern (RS0031014 [T30]; RS0037907 [T9]).
[26] 2.1. Ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht beziehungsweise wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist im Allgemeinen eine Frage des Einzelfalls (RS0042828). Auch die Beurteilung, ob Schadenspositionen geltend gemacht werden, die einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal zugänglich sind, oder ob ein einheitlicher Anspruch vorliegt (RS0031014 [T37]; RS0037907 [T10]), bzw ob im ersteren Fall die Aufschlüsselung zumutbar ist (RS0037907 [T16]), richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls.
[27] 2.2. Die einzelnen von der Klägerin unter den Positionen Fahrtkosten und Selbstbehalte geltend gemachten Beträge sind an sich jeweils selbständige Einzelforderungen, weshalb eine Aufschlüsselung der einzelnen Fahrten sowie der angefallenen Selbstbehalte, wie sie die Klägerin in Entsprechung des diesbezüglichen Verbesserungsauftrags in Bezug auf das ursprüngliche Klagebegehren letztlich vornahm, grundsätzlich angezeigt ist. Das Vorbringen zu den Beträgen, um die die Klägerin ihre Klage in diesen beiden Schadenspositionen Fahrtkostenersatz und Ersatz für Selbstbehalte ausdehnte, blieb hingegen unsubstanziiert. Die Klägerin hat in ihrem Vorbringen auch nicht etwa auf die Aufschlüsselung in einer der vorgelegten Urkunden verwiesen.
[28] 2.3. Der Verdienstentgang ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei welcher der hypothetische Vermögensstand ohne schädigendes Ereignis mit dem tatsächlich nach dem schädigenden Ereignis gegebenen verglichen wird (2 Ob 1/15h; 2 Ob 235/14v mwN). Eine Aufspaltung des Verdienstentgangs nach Zeiträumen ist nicht zulässig. Es kann daher nicht schon deshalb ein Ersatz begehrt werden, weil in einem vom Verletzten willkürlich herausgegriffenen Zeitraum der tatsächliche Verdienst geringer war als jener, den er ohne den Unfall erzielt hätte, wenn für den gesamten Zeitraum keine solche Differenz besteht (RS0030638). Zur Berechnung des Verdienstentgangs bedarf es daher der Angabe der Höhe des konkreten Nettoverdienstes vor dem schädigenden Ereignis und des konkreten Nettoverdienstes nach dem schädigenden Ereignis bzw soweit lediglich der Ersatz von Nebengebühren begehrt wird, einer entsprechenden Aufschlüsselung dieser Einkünfte. Eine solche detaillierte Aufschlüsselung nahm die Klägerin hier in ihrem Vorbringen nicht vor; sie beschränkte sich auf die Bezifferung des Anspruchs, der Bekanntgabe des Krankenstandzeitraums und den Vergleichszeitraum.
[29] 2.4. Vor diesem Hintergrund ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Klagebegehren sei für die genannten Positionen nicht ausreichend bestimmt und insoweit unschlüssig, keine Fehlbeurteilung. Zur Bestimmtheit eines Begehrens ist es zwar nicht stets erforderlich, dass alle Angaben zur Identifizierung im Vorbringen selbst erschöpfend wiedergegeben werden; es kann vielmehr auch auf Urkunden oder auf andere Unterlagen verwiesen werden, wenn diese zu einem Bestandteil des Begehrens gemacht werden (RS0037420). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin solche Urkunden nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Bestandteil ihres Vorbringens machte. Die vorgelegten komplexen Verdienstentgangsberechnungen in Tabellenform sind zudem nicht ohne Weiteres nachvollziehbar und ohne ein erklärendes Vorbringen dazu in diesem Sinn nicht geeignet, die Bestimmtheit des diesbezüglichen Klagebegehrens herzustellen.
[30] 3.1. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Gericht, bevor es ein unbestimmtes, unschlüssiges oder widersprüchliches Begehren abweist, dessen Verbesserung anzuregen (RS0037166 [T1]; RS0031014 [T10]; RS0037516 [T4]). Das Gericht darf eine Partei in seiner Entscheidung nicht mit seiner Rechtsansicht überraschen (RS0037300). Das gilt auch für das Berufungsgericht (RS0037300 [T38]).
[31] 3.2. Nach der Meinung des Berufungsgerichts bedurfte es hier keines solchen erneuten Verbesserungsauftrags, weil die Klägerin bereits im ersten Rechtsgang auf fehlendes Vorbringen zu diesen Positionen hingewiesen worden sei; nämlich sowohl vom Beklagten (vgl RS0122365) als auch vom Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluss. Dabei lässt das Berufungsgericht zunächst außer Betracht, dass seine klageabweisende Entscheidung (auch) die im zweiten Rechtsgang zusätzlich geforderten Beträge an Verdienstentgang, Fahrtkosten und Selbstbehalte betrifft, also Ansprüche, die die Klägerin nach dem einzigen auch substanziierten Unschlüssigkeitseinwand des Beklagten, nach der Anleitung zur Verbesserung durch das Berufungsgericht und nach (dem Versuch der) Schlüssigstellung des ursprünglichen Klagebegehrens neu erhoben hat. Erst diese Klageausdehnungen und das Vorbringen dazu lösten die erläuterte Anleitungspflicht aus. Vor allem aber berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, dass das Erstgericht die hier relevanten Teil-Begehren offenbar als ausreichend bestimmt und schlüssig erachtet hat. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass es mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar ist, wenn das Berufungsgericht ohne weitere Aufforderung ein vom Erstgericht als schlüssig gewertetes Klagebegehren unter Hinweis auf die fehlende Substanziierung abweist. Hält das Berufungsgericht das Klagebegehren – wie hier – im Gegensatz zum Erstgericht für nicht ausreichend bestimmt oder unschlüssig, so muss es den Kläger in einer mündlichen Verhandlung entweder selbst zur Verbesserung des Begehrens anleiten oder es muss das Urteil des Erstgerichts aufheben und diesem eine Verfahrensergänzung auftragen. Die sofortige Abweisung der Klage macht das Berufungsverfahren in einem solchen Fall mangelhaft (1 Ob 106/01x; 6 Ob 86/02v; 4 Ob 240/07h; 1 Ob 183/09g; 1 Ob 7/17m; 1 Ob 94/18g; RS0037300 [T35]; RS0036355).
[32] 3.3. Das gilt auch für den schon mit der Klage ursprünglich begehrten Verdienstentgang. Das Erstgericht hat nicht nur die (nach Auffassung des Berufungsgerichts) insoweit nicht ausreichende Erfüllung seines Verbesserungsauftrags zur Aufschlüsselung nicht mit den Parteien erörtert. Das Erstgericht hat dazu vielmehr Feststellungen getroffen und den von ihm festgestellten Sachverhalt rechtlich beurteilt, das Vorbringen der Klägerin dazu also offenbar als ausreichend substanziiert erachtet und auch dieses Teilbegehren für ausreichend bestimmt und schlüssig angesehen. Es hat die Klägerin jedenfalls in dem Glauben gelassen, eine § 226 ZPO genügende Aufschlüsselung vorgenommen zu haben. Der Klägerin wäre daher zur Vermeidung einer überraschenden Entscheidung (nochmals) Gelegenheit zur Vornahme einer entsprechenden Verbesserung zu geben (7 Ob 105/05z).
[33] 3.4. Zwar bedarf es in der Regel keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen – insbesondere in Richtung einer Unschlüssigkeit – erhoben hat (RS0037300 [T41]; RS0120056 [T4]). Der Beklagte hat im Verfahren erster Instanz zwar die Unschlüssigkeit des ursprünglichen Begehrens geltend gemacht, die Schlüssigkeit des ausgedehnten und verbesserten Klagebegehrens jedoch nicht neuerlich substanziiert in Zweifel gezogen. Der Beklagte hat seinen Einwand der Unschlüssigkeit und Unbestimmtheit nach Durchführung des vom Erstgericht angeordneten Verbesserungsverfahrens nur mit einem Satz pauschal wiederholt (Leerformel). Die Aufhebung zur Erörterung der Unschlüssigkeit wäre allenfalls nur dann entbehrlich gewesen, wenn der Prozessgegner diese substanziiert und klar eingewendet hätte (vgl RS0036355 [T21]).
[34] 4.1. Die Entscheidungen beider Vorinstanzen sind daher im noch streitverfangenen Umfang aufzuheben, um den bereits in erster Instanz, in deren Verfahren die Unbestimmtheit des Klagebegehrens unerkannt blieb, unterlaufenen Verfahrensmangel zu beheben (RS0036355 [T9]). Das Erstgericht wird der Klägerin im fortgesetzten Verfahren im aufgezeigten Sinn Gelegenheit zur Verbesserung des Klagebegehrens zu geben haben.
[35] 4.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E134039European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00177.21X.0113.000Im RIS seit
09.03.2022Zuletzt aktualisiert am
09.03.2022