TE Vfgh Beschluss 1994/9/27 G213/94, G214/94

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Veröffentlicht am 27.09.1994
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art49 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
AlVG §1 Abs1 idF BGBl 817/1993

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung einer Bestimmung des AlVG betreffend den Umfang der Versicherungspflicht mangels aktueller Betroffenheit des antragstellenden Dienstgebers bzw Dienstnehmers angesichts des erst zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzten Inkrafttretens der angefochtenen Bestimmung

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragsteller, ein Kreditunternehmen in der Rechtsform einer Sparkassen AG (zu G213/94) und einer seiner Dienstnehmer (zu G214/94), begehren - gestützt auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG -, die am 1. Jänner 1995 in Kraft tretende Wortfolge "oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben" in §1 Abs1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. 609, in der Fassung des BG BGBl. 817/1993 als verfassungswidrig aufzuheben.

2. §1 AlVG umschreibt den Umfang der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Nach seinem Abs1 sind Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind (lita), bestimmte Lehrlinge (litb), Heimarbeiter (litc) und verschiedene andere Personengruppen (litd - j) arbeitslosenversichert,

"soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert oder selbstversichert (sind) (§19 a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955) oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben und nicht nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen versicherungsfrei sind".

(Die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben.)

3. a) Zum Nachweis ihrer Antragslegitimation führt die antragstellende Gesellschaft aus, sie sei Dienstgeberin von Dienstnehmern, die definitiv gestellt seien. Diese Dienstnehmer seien nach §5 Abs1 Z3 lita ASVG von der Vollversicherung nach dem ASVG ausgenommen und auch von keiner Teilversicherung (§§7 f. ASVG) erfaßt; sie seien dementsprechend bislang nicht arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen. Für die definitiv gestellten Dienstnehmer bestünden arbeitsvertraglich Ansprüche auf Krankenvorsorge (durch die Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien) und auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, auf Pension und Karenzurlaubsgeld sowie auf Unterstützung im Fall des Arbeitsplatzverlustes. Für den Dienstgeber bestehe eine "Gewährträgerhaftung" der Gemeinde Wien nach §92 Abs9 BWG und §2 Abs1 letzter Satz SparkassenG, die auch Dienstnehmeransprüche umfasse. Damit sei eine Sicherheit gegeben, die derjenigen entspreche, die Dienstnehmer einer Gebietskörperschaft genießen.

Da durch die mit der Novelle BGBl. 817/1993 in §1 Abs1 AlVG eingefügte und von ihr bekämpfte Wortfolge die Arbeitslosenversicherungspflicht auch dieser aufgrund der derzeitigen Rechtslage nicht arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstnehmer bewirkt werde, habe sie ab 1. Jänner 1995 als Dienstgeberin insbesondere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu leisten.

Diese Beitragspflicht sei nach Art und Ausmaß durch das Gesetz eindeutig bestimmt und bedürfe keiner weiteren Konkretisierung, sodaß das Gesetz in ihre Rechtssphäre (Eigentumsrecht) unmittelbar eingreife. Dieser Eingriff sei ab 1. Jänner 1995 auch "aktuell"; nach VfSlg. 10606/1985 (vgl. auch VfSlg. 12227/1989) müsse mit einer Antragstellung gemäß Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG nicht zugewartet werden, bis die Legisvakanz eines rechtwirksam erlassenen Gesetzes abgelaufen sei. Ein anderer zumutbarer Weg, um die Normbedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, bestehe nicht, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes weder die Erwirkung eines Bescheides durch Setzung eines rechtswidrigen Verhaltens, nämlich die Nichtentrichtung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, noch die Erwirkung eines Feststellungsbescheides (hier: gemäß §45 AlVG) einen solchen darstelle, zumal es fraglich sei, ob ein Feststellungsbescheid überhaupt erwirkt werden könne, weil infolge der Ausnahme der definitiven Arbeitnehmer von der Versicherungspflicht nach dem ASVG es keinen zur Bescheiderlassung zuständigen Versicherungsträger geben dürfte.

b) Der Antragsteller zu G214/94 bringt vor, er sei seit 1. Jänner 1970 definitiver Dienstnehmer der Antragstellerin zu G213/94 und aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage von der Arbeitslosenversicherung nach dem AlVG nicht erfaßt. Er habe aus seinem Dienstverhältnis heraus Ansprüche auf Krankenvorsorge und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, auf Pension und Karenzurlaubsgeld sowie auf Unterstützung im Falle des Arbeitsplatzverlustes; seine Sicherheit entspreche damit derjenigen der Dienstnehmer von Gebietskörperschaften.

§1 Abs1 AlVG idF BGBl. 817/1993 greife insofern in sein Eigentumsrecht unmittelbar ein, als er ab 1. Jänner 1995 ex lege Versicherter iSd AlVG sei und alle Pflichten nach diesem Gesetz zu tragen, insbesondere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu leisten habe, die monatlich von seinem Entgelt abgezogen würden. Er könne nicht verhindern, daß der Dienstgeber die Beiträge nach dem AlVG von dem ihm gebührenden Entgelt abziehe; in der - zudem im vorliegenden Fall äußerst zweifelhaften - Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid ( hier: gemäß §45 AlVG) zu erwirken, habe der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung keinen "zumutbaren Umweg" gesehen.

Zur Frage der aktuellen Betroffenheit vertritt der Antragsteller dieselbe Auffassung wie die antragstellende Gesellschaft (vgl. I.3.a)).

4. Beide Antragsteller behaupten mit näherer Begründung die Gleichheitswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesstelle.

II. Die Anträge sind unzulässig:

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation ist sohin einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).

2. §1 Abs1 AlVG idF BGBl. 817/1993 tritt gemäß §79 Abs8 AlVG (ebenfalls idF des BG BGBl. 817/1993) mit 1. Jänner 1995 in Kraft.

Der Verfassungsgerichtshof stimmt den Antragstellern zu, daß ein Gesetz schon von seiner Kundmachung an dem Bestand der Rechtsordnung angehört (vgl. VfSlg. 4049/1961, 10606/1985). Es ist von diesem Zeitpunkt an ein Bundesgesetz iSd Art140 Abs1 B-VG und kann Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Gesetzesprüfungsverfahrens sein. Daß die Geltung eines Gesetzes nicht von seinem zeitlichen Anwendungsbereich abhängig ist, ergibt sich unmittelbar aus Art49 Abs1 zweiter Satz B-VG, der den Bundesgesetzgeber ermächtigt, den Beginn der verbindenden Kraft von Bundesgesetzen zu bestimmen.

Den Antragstellern ist jedoch nicht zu folgen, wenn sie daraus (und aus den Entscheidungen VfSlg. 10606/1985 und 12227/1989) ableiten, daß ihnen schon deshalb im Zeitpunkt der Antragstellung (2. August 1994) die Legitimation zustehe, das angefochtene Gesetz zu bekämpfen. Denn die Legitimation zur Erhebung eines Individualantrages auf Gesetzesprüfung ist eben - wie unter Pkt. II.1. dargelegt - noch von weiteren Voraussetzungen abhängig. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, daß die angefochtene Gesetzesstelle nach dem eigenen Vorbringen der beiden Antragsteller ihnen gegenüber erst mit 1. Jänner 1995 Wirkungen entfaltet. Bis zu diesem Zeitpunkt kann aber ebenso wie in dem mit VfSlg. 10606/1985 und anders als in dem mit VfSlg. 11402/1987 entschiedenen Fall nicht davon gesprochen werden, daß die Antragsteller durch die von ihnen bekämpfte Regelung aktuell betroffen sind.

3. Da es den Antragstellern sohin an der Legitimation iSd Art140 Abs1 B-VG mangelt, waren die Anträge gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand, Arbeitslosenversicherung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Kundmachung Gesetz, Gesetz Kundmachung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G213.1994

Dokumentnummer

JFT_10059073_94G00213_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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