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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan mangels Auseinandersetzung mit dem vorgebrachten Fluchtvorbringen zur Tätigkeit für die amerikanischen Streitkräfte vor dem Hintergrund der LänderinformationenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der volljährige Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Er stellte am 19. Juni 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe "teilweise" mit seinem Bruder für "die Amerikaner" gearbeitet. Er sei daher von den Taliban bedroht worden, er solle seinen Job aufgeben, andernfalls werde er umgebracht.
3. Am 15. März 2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, er habe im selben Unternehmen wie sein Bruder gearbeitet. Dieses sei für "die Amerikaner" tätig gewesen. Auf Grund dessen habe er telefonische Drohungen seitens der Taliban erhalten.
4. Mit Bescheid vom 16. März 2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) sowie, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Begründend führte das BFA aus, dass die vom Beschwerdeführer "vorgebrachte Furcht" nicht festgestellt werden habe können. Es liege in seinem Fall keine Gefährdungslage in Bezug auf ganz Afghanistan vor.
5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30. September 2020, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, als unbegründet ab. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine individuelle, maßgebliche und aktuelle Verfolgung glaubhaft zu machen.
5.1. Dem vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgrund der Verfolgung durch die Taliban auf Grund seiner Tätigkeit "für die Amerikaner" komme keine asylrelevante Bedeutung zu. Dem Beschwerdeführer sei es insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Dass keine Verfolgung auf Grund der Taliban drohe, ergebe sich aus der Angabe, dass der Beschwerdeführer nur teilweise mit seinem Bruder für "die Amerikaner" gearbeitet habe. Es wäre ihm auch offen gestanden, diese Arbeit zu beenden und sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, wieso gerade der Beschwerdeführer einer Gefährdung durch die Taliban ausgesetzt sein solle. Er sei schließlich weder in einer Leitungsposition tätig gewesen noch habe es sich um eine politische exponierte Position gehandelt. Das Bundesverwaltungsgericht gehe vielmehr davon aus, dass die Taliban an höheren Positionen angesetzt und die Leiter von "Abteilungen" bzw den Chef des Unternehmens – der nach Angabe des Beschwerdeführers selbst Afghane sei – bedroht hätten. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer weiterhin verfolgt werden sollte, weil das Ziel der Taliban, den Beschwerdeführer von seiner Tätigkeit für die Amerikaner abzubringen, bereits erreicht worden sei.
5.2. Hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht einerseits aus, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative etwa nach Herat oder Mazar-e Sharif bestehe, weil diese Städte über deren Flughäfen erreichbar seien und in den Städten nur ein geringes Niveau an willkürlicher Gewalt bestehe. Andererseits verfüge der Beschwerdeführer über eine zwölfjährige Schulbildung und Berufserfahrung, sei gesund, in erwerbsfähigem Alter und spreche die Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Ferner sei es dem Beschwerdeführer auch ohne soziale bzw familiäre Anknüpfungspunkte – kein Familienmitglied des Beschwerdeführers lebe in Afghanistan – möglich, sich in Herat bzw Mazar-e Sharif eine Existenz aufzubauen.
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:
2.1. Für den Verfassungsgerichtshof ist mit Blick auf die vom Beschwerdeführer im Wesentlichen gleichbleibend geschilderten Bedrohungsszenarien nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht – ohne sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers ausreichend detailliert auseinanderzusetzen – zu dem Schluss kommt, dass dessen Vorbringen unglaubwürdig sei (vgl VfGH 22.9.2021, E1357/2021).
2.2. Dazu kommt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit den Länderberichten auseinandergesetzt hat, wenn es (alternativ) davon ausgeht, dass die vom Beschwerdeführer geschilderte Bedrohung nicht mehr aktuell und der Beschwerdeführer weder in einer Leitungsposition noch im Rahmen einer politisch exponierten Position tätig gewesen sei (vgl VfGH 22.9.2021, E1357/2021). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass "wohl höher angesetzt [werden müsse] und die Leiter von 'Abteilungen' bzw auch den Chef der Firma" Bedrohungen treffen könnten. Das Bundesverwaltungsgericht stellt ferner fest, dass keine Bedrohung vorliegen könne, wenn der Beschwerdeführer nicht mehr für das für die amerikanischen Streitkräfte tätige Unternehmen arbeite.
2.3. Diese Feststellungen stehen in Konflikt mit anderen Stellen im angefochtenen Erkenntnis, wonach "auch eine […] ACCORD-Anfragebeantwortung" zeige, dass "eine Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen, vor allem mit den amerikanischen Streitkräften, äußerst riskant sei". In den vorgelegten Gerichtsakten ist zudem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 29. Juni 2018 mit Stand 26. März 2019 und die UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, enthalten. An mehreren Stellen dieser Berichte wird angeführt, dass ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen würden.
2.4. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, dass sich die Bedrohungen der Taliban nur gegen aktive Mitarbeiter eines bestimmten Ranges richteten, während jene, die ihre Tätigkeit eingestellt haben, keine Drohungen zu erwarten hätten, findet somit in diesen Länderberichten ebenso keine Deckung wie jene, dass die Gefährdung nicht in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bestehe.
2.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher sein Erkenntnis mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3796.2020Zuletzt aktualisiert am
08.03.2022