TE Vfgh Erkenntnis 2021/12/16 E1853/2021

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
Genfer Flüchtlingskonvention Art1 Abschnitt A
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya; Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auf Grund der staatlichen Bedrohung wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya geboten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Angehöriger des sunnitischen Glaubens und der Volksgruppe der Rohingya, wurde in Myanmar geboren und ist im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern nach Bangladesch geflüchtet. Er stellte am 27. Dezember 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab diesbezüglich an, dass er bereits als Minderjähriger Kontakt zu seinen Eltern verloren habe und in Bangladesch als Rohingya diskriminiert und misshandelt worden sei, da die Gesellschaft Angehörige seiner Volksgruppe nicht akzeptiere. Er habe auch keinen Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt. Bei einer Rückkehr nach Myanmar wäre sein Leben in Gefahr.

2. Mit Bescheid vom 6. August 2018 (in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 27. September 2018) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch fest und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 25. Juni 2020 als unbegründet ab.

3. Der Verfassungsgerichtshof hob diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 25. Februar 2021, E2687/2020, auf. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes verletzte den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), weil es auf Grund von widersprüchlicher Feststellungen für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar war, ob und welches Vorbringen vom Gericht als glaubhaft erachtet wurde und worauf sich in weiterer Folge die Beurteilung desselben als nicht glaubhaft stützte. Das Erkenntnis war daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich. Zudem hatte es das Bundesverwaltungsgericht auch unterlassen, sich mit den Länderberichten zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang hielt der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich fest, dass sich das Bundesverwaltungsgericht "im fortgesetzten Verfahren daher nicht nur mit der Frage zu befassen haben [wird], inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (vgl zur Asylrelevanz von Gruppenverfolgungen im Allgemeinen zuletzt VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407 mit Verweis ua auf VwGH 29.4.2015, Ra 2014/20/0151; VfGH 23.2.2021, E3215/2020)."

4. Mit dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wiederum als unbegründet abgewiesen, dem Beschwerdeführer aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die Rückkehrentscheidung und die daran anknüpfenden Spruchpunkte des Bescheides des BFA hat das Bundesverwaltungsgericht ersatzlos behoben.

Die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der Beschwerdeführer eine individuelle asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Mit Verweis darauf, dass der Beschwerdeführer ein Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya sei und deswegen nicht ausgeschlossen werden könne, dass diesem ein "real risk" einer Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat Bangladesch drohe, erkennt das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu:

"Es konnte keine allgemein lebensbedrohliche Situation bzw landesweite (Bürger-)Kriegslage in Bangladesch, dem Herkunftsstaat des BF, festgestellt werden. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in […] Bangladesch zudem gewährleistet. Der BF erstattete in diesem Zusammenhang auch kein anderslautendes Vorbringen, weshalb eine Gewährung subsidiären Schutzes aufgrund der allgemeinen Sicherheits- bzw Versorgungslage in seinem Herkunftsstaat nicht in Betracht kommt.

Der Beschwerdeführer ist jedoch Angehöriger der Volksgruppe der Rohingyas.

Dem BF ist [es] sohin im konkreten Einzelfall gelungen, im Entscheidungszeitpunkt ein 'real risk' einer Verletzung seiner Rechte im Falle einer Rückführung in seinem Herkunftsstaat Bangladesch aufzuzeigen.

[…]

Dem Vorbringen des BF, in Bangladesch aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer – faktischen - Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch Ignoranz der inländischen Behörden einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, kann unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte nicht entgegengetreten werden."

Dieser Entscheidung legt das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

"Festgestellt wird, dass der BF ein Rohingya ist.

[…]

Es wird auf Grund der aktuellen Länderberichte festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch der BF einer unmittelbaren (staatlichen) Bedrohung ausgesetzt ist."

Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auszugsweise aus:

"Eine über die (allgemeine) Verachtung der durchschnittlichen Bevölkerung gegenüber den Rohingyas hinausgehende persönliche Verfolgung brachte der BF nicht vor, wenn gleich er beispielhaft etwa die Verweigerung von der Bezahlung seiner Arbeitsleistung mit seiner Abstammung in Verbindung brachte.

Die Stellung des BF auch innerhalb der Volksgruppe der Rohingyas war nicht herausragend, sodass auf Grund dieser Stellung eine besondere Verfolgung des BF hervorgekommen wäre. Die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe ist jedoch für sich allein genommen noch kein Asylgrund (VwGH 23.05.1995, 94/20/0816), es bedarf einer individuellen Verfolgung. Eine derartige Verfolgung konnte der BF auch in der Verhandlung vor dem BVwG nicht darlegen.

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen vermochte der BF im Ergebnis auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubhaft darzulegen, dass der BF einer unmittelbaren Verfolgungsgefährdung – sei es durch die Polizei oder durch Privatpersonen – ausgesetzt gewesen sei."

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer groben Verkennung der Rechtslage (zB VfSlg 19.838/2013).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 GFK droht. Die Gefahr einer Verfolgung iSd §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK muss nicht nur auf individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen beruhen, sondern kann auch darin begründet sein, dass die Verfolgung in zielgerichteten, regelmäßigen Maßnahmen gegen eine in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannte Gruppe liegt und sohin auch der Fremde, der dieser Personengruppe angehört, Grund hat, eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe" (VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407; 12.3.2021, Ra 2020/19/0315).

Vor dem Hintergrund der Länderberichte zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya in Bangladesch und des Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Februar 2021, E2687/2020, hatte sich das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren nicht nur mit der Frage zu befassen, inwieweit dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Bangladesch eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch zu prüfen, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt im fortgesetzten Verfahren fest, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Rohingya angehört und er auf Grund der Länderberichte "einer unmittelbaren (staatlichen) Bedrohung" ausgesetzt ist. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten kommt es zu dem Schluss, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers "in Bangladesch aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer – faktischen - Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch Ignoranz der inländischen Behörden einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, […] unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte nicht entgegengetreten werden [kann]".

2.3. Wenn das Bundesverwaltungsgericht ungeachtet dieser Ausführungen dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten (und nicht den Status des Asylberechtigten) zuerkennt, verkennt es, dass eine Person, deren Leben oder Freiheit von staatlichen Behörden wegen der Zugehörigkeit zu einer in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Gruppe bedroht wird, als Flüchtling anzuerkennen und ihr gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist. Indem das Bundesverwaltungsgericht daher den Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya staatlicher Bedrohung ausgesetzt ist, nicht als Flüchtling iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK anerkannt hat, hat es im Hinblick auf §3 Abs1 AsylG 2005 die Rechtslage grob verkannt. Das Erkenntnis ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Völkerrecht, Auslegung völkerrechtlicher Verträge

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1853.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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