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E1ENorm
GSpG 1989 §52Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das am 24. September 2019 mündlich verkündete und mit 4. Mai „2019“ (offenbar gemeint: 2020) datierte schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, 1. VGW-002/011/5224/2019-17 und 2. VGW-002/V/011/5225/2019, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. I P und 2. N GmbH, beide vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Ausspruches über die verhängte Strafe und die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses wurde der Erstmitbeteiligte als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der zweitmitbeteiligten Partei der achtfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall Glücksspielgesetz - GSpG schuldig erkannt. In der Straffrage gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde „unter Bindung an EuGH 12.09.2019, verb Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18“ insoweit Folge, als es über den Erstmitbeteiligten anstelle der von der belangten Behörde gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG verhängten acht Geldstrafen (für den Fall der Uneinbringlichkeit acht Ersatzfreiheitsstrafen) eine „Gesamtstrafe von 20.000 Euro“ und eine „Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen“ verhängte. Ferner wurden die Kosten des Strafverfahrens neu bemessen (§ 64 Abs. 1 und 2 VStG) und ausgesprochen, dass die „beschwerdeführende Partei“ keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe. In Spruchpunkt II. sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei und dass die zweitmitbeteiligte Partei für die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte.
2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Nach deren ausdrücklicher Anfechtungserklärung richtet sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, soweit mit diesem die verhängten Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen als Gesamtstrafe verhängt und neu bemessen und soweit mit diesem Spruchpunkt die Kosten neu bestimmt wurden.
3 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
4 Mit Beschluss vom 11. Jänner 2021 setzte der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-231/20 über die mit Vorlageentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, EU 2020/0002 (Ra 2020/17/0013), vorgelegten Fragen aus.
5 Der EuGH hat über diesen Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichtshofes mit Urteil vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, Folgendes erkannt:
„1. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer wegen Verstoßes gegen das Glücksspielmonopol verhängten Sanktion befasst ist, in einem Verfahren über die Verhängung von Sanktionen wegen eines solchen Verstoßes speziell prüfen muss, ob die in der anwendbaren Regelung vorgesehenen Sanktionen unter Berücksichtigung der konkreten Methoden für deren Bestimmung mit Art. 56 AEUV vereinbar sind.
2. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die im Fall der unternehmerischen Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen Folgendes zwingend vorsieht:
– die Festsetzung einer Mindestgeldstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtsumme der verhängten Geldstrafen, sofern der Gesamtbetrag der verhängten Geldstrafen nicht außer Verhältnis zu dem durch die geahndeten Taten erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil steht;
– die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe für jeden nicht bewilligten Glücksspielautomaten ohne Höchstgrenze der Gesamtdauer der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen, sofern die Dauer der tatsächlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafe im Hinblick auf die Schwere der festgestellten Taten nicht übermäßig lang ist, und
– einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen, sofern dieser Beitrag im Hinblick auf die tatsächlichen Kosten eines solchen Verfahrens weder überhöht ist noch das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf Zugang zu den Gerichten verletzt.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht sei von der näher genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beachtung des Kumulationsprinzipes gemäß § 22 VStG abgewichen, als zulässig und begründet.
7 Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Dezember 2021, Ra 2020/17/0013, ausgesprochen hat, sind die Rechtsgrundlagen
i) für die Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz - GSpG, BGBl. Nr. 620/1989 idF BGBl. I Nr. 13/2014,
ii) für die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 16 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG und
iii) für die Vorschreibung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 2 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013,
grundsätzlich mit dem Unionsrecht (insbesondere Art. 56 AEUV und Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) vereinbar. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
8 Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG macht sich strafbar, „wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt“. Im Revisionsfall wurde der Erstmitbeteiligte wegen des näher konkretisierten unternehmerisch Zugänglichmachens verbotener Ausspielungen mit acht Glücksspielgeräten schuldig erkannt. Die Verhängung von Strafen war daher grundsätzlich für jedes einzelne Gerät zulässig und geboten (vgl. zum Kumulationsprinzip im GSpG bereits z.B. VwGH 7.10.2013, 2013/17/0274, mwN).
9 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Strafe jedoch nicht pro Glückspielgerät, sondern in Form einer Gesamtstrafe (in der Höhe von 20.000,-- Euro bzw. vier Tage Ersatzfreiheitstrafe) verhängt, während die belangte Behörde acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils 10.000,-- Euro sowie Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von jeweils 7 Tagen verhängt hatte.
10 Da die Verhängung kumulierter Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen bei Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG iVm dem VStG jedoch grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist (vgl. erneut VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013), verstößt das angefochtene Erkenntnis gegen das Kumulationsprinzip des § 22 VStG, dem zufolge über jemanden, der durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind.
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang - und damit hinsichtlich des Ausspruchs über die verhängte Gesamtstrafe und hinsichtlich des davon abhängigen Ausspruchs über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 3. Februar 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 62020CJ0231 M.T. VORABSchlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170079.L00Im RIS seit
07.03.2022Zuletzt aktualisiert am
14.03.2022