TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/3 Ra 2020/17/0059

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VStG §24
VwGG §42 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §44

Beachte


Vorabentscheidungsverfahren:
* Ausgesetztes Verfahren:
Ra 2020/17/0059 B 16.12.2020
* EuGH-Entscheidung:
EuGH 62020CJ0231 B 14.10.2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der D K in S, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 21. April 2020, LVwG 30.9-1542/2018-16, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis vom 27. April 2018 erkannte die belangte Behörde die Revisionswerberin der fünffachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG schuldig und verhängte über sie fünf Geldstrafen in der Höhe von jeweils 5.000 Euro (samt Ersatzfreiheitsstrafen).

2        Das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) gab mit Erkenntnis vom 16. Juli 2019 der von der Revisionswerberin dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge, als es u.a. die Tatzeit auf den Kontrollzeitpunkt einschränkte, die Geldstrafen auf jeweils EUR 4.000,-- (sowie die Ersatzfreiheitsstrafen) herabsetzte und aussprach, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3        Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2020, Ra 2019/09/0133, dieses Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge Fehlens einer Kohärenzprüfung auf.

4        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde wieder insoweit Folge, als es u.a. die Tatzeit auf den Kontrollzeitpunkt einschränkte (Spruchpunkt I.), die Geldstrafen auf jeweils EUR 4.000,-- (sowie die Ersatzfreiheitsstrafen) herabsetzte (Spruchpunkt II.) und aussprach, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).

5        Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

6        Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

7        Mit Beschluss vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013, legte der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV im Zusammenhang mit dem - auch im vorliegenden Revisionsfall anzuwendenden - § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG stehende Fragen zur Vorabentscheidung vor.

8        In der Folge setzte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH in der Rechtssache C-231/20 über die mit Vorlageentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, EU 2020/0002 (Ra 2020/17/0013), vorgelegten Fragen aus.

9        Der EuGH entschied mit Urteil vom 14. Oktober 2021, MT, C-231/20, über die ihm vorgelegten Fragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision u.a. vor, das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil im zweiten Rechtsgang keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Die Voraussetzungen für ein Unterbleiben der mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 bis Abs. 5 VwGVG seien nicht erfüllt gewesen. Weiters hätte das LVwG das Absehen von der mündlichen Verhandlung begründen müssen.

11       Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig und begründet.

12       Gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist vom Verwaltungsgericht nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen.

13       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt der Grundsatz der mündlichen Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen auch nach Aufhebung von Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes im zweiten Rechtsgang, selbst wenn im ersten Rechtsgang eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, sodass das Verwaltungsgericht auch im zweiten Rechtsgang nur von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen kann, wenn die Voraussetzungen des § 44 VwGVG vorliegen. Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang Sachverhaltselemente wie das Verschulden klären muss. Ebenso ist dies nicht der Fall, wenn das Verwaltungsgericht sein Ermittlungsverfahren zu ergänzen hat, um (neue) Feststellungen zu treffen (vgl. VwGH 29.9.2020, Ra 2020/17/0074, mwN).

14       Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung im zweiten Rechtsgang findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das LVwG mit Erkenntnis entschieden hat bzw. kein Antrag der Parteien vorliegt, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG wurde nicht festgestellt. Auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VwGVG liegen nicht vor, weil die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde die Durchführung einer Verhandlung beantragt hatte.

15       Wenn die belangte Behörde in ihrer Revisionsbeantwortung in Bezug auf die Verhandlungspflicht die Auffassung vertritt, die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit hätten im Revisionsfall unangewendet zu bleiben, weil es sich im Revisionsfall „um einen reinen Binnensachverhalt, ohne ein transnationales Element“ handle, so ist sie darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 29. Jänner 2020, Ra 2019/09/0133, dem LVwG die Pflicht zur Durchführung einer Kohärenzprüfung überbunden hat (§ 63 Abs. 1 VwGG).

16       Da im zweiten Rechtsgang daher ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich der fehlenden Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Monopolregelung den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht, zu führen war und der Sachverhalt aufgrund des Vorbringens der Revisionswerberin hiezu nicht geklärt war, wäre das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG verpflichtet gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels war nicht näher zu prüfen, weil eine grundsätzlich die Verhandlungspflicht begründende „strafrechtliche Anklage“ im Sinn des Art. 6 EMRK vorlag (vgl. z.B. VwGH 8.9.2020, Ra 2020/17/0037, mwN).

17       Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen war.

18       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. Februar 2022

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020170059.L00

Im RIS seit

07.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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