TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Fr 2021/08/0005

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z3
VwGVG 2014 §12
VwGVG 2014 §16 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über den Fristsetzungsantrag der M GmbH in W, vertreten durch die Dr. Peter Wolf Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1060 Wien, Lehargasse 3A, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend die Feststellung der Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Fristsetzungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die antragstellende Partei beantragte mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) unter Bezugnahme auf eine (näher bezeichnete) Niederschrift über eine GPLA die „Erlassung rechtsmittelfähiger Bescheide“ und konkretisierte diesen Antrag mit Schreiben vom 18. Dezember 2020.

2        Mit einem sowohl bei der ÖGK als auch beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachten Schriftsatz vom 27. April 2021 erhob die antragstellende Partei Säumnisbeschwerde und machte den Ablauf der Frist zur Entscheidung über den Antrag vom 20. Oktober 2020 geltend.

3        Mit Schreiben vom 9. Juli 2021 legte die ÖGK die Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss der Akten zur Entscheidung vor und teilte gleichzeitig der antragstellenden Partei mit, dass die Beschwerde vorgelegt worden sei und allfällige weitere Eingaben beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen seien.

4        Mit Schriftsatz vom 2. November 2021 brachte die antragstellende Partei unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einen Fristsetzungsantrag ein, in dem die Verletzung der Pflicht des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über die Säumnisbeschwerde geltend gemacht wurde. Der Verwaltungsgerichtshof leitete diesen Fristsetzungsantrag mit Verfügung vom 16. November 2021 zuständigkeitshalber dem Bundesverwaltungsgericht weiter, wo er am 24. November 2021 einlangte.

5        Mit Beschluss vom 9. Dezember 2021, W178 2241883-2/5E, wies das Bundesverwaltungsgericht den Fristsetzungsantrag als unzulässig zurück und begründete dies damit, dass ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden könne, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht innerhalb der (hier maßgeblichen) Frist von sechs Monaten gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG entschieden habe. Diese Frist habe mit der Vorlage der Säumnisbeschwerde durch die ÖGK am 9. Juli 2021 zu laufen begonnen und sei daher im Zeitpunkt der Stellung des Fristsetzungsantrages noch nicht abgelaufen gewesen.

6        Die antragstellende Partei beantragte gemäß § 30b Abs. 1 VwGG die Vorlage des Fristsetzungsantrags an den Verwaltungsgerichtshof.

7        Das Bundesverwaltungsgericht legte diesen Vorlageantrag samt dem Fristsetzungsantrag und den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof mit Bericht vom 17. Dezember 2021 vor.

8        Der Fristsetzungsantrag erweist sich als nicht zulässig.

9        Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat.

10       Die Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts wird (erst) mit dem Einlangen der Beschwerde beim Verwaltungsgericht ausgelöst (vgl. VwGH 14.11.2019, Fr 2019/22/0012, mwN). Erst das tatsächliche Einlangen beim Verwaltungsgericht ist maßgeblich (VwGH 30.11.2018, Fr 2018/08/0021).

11       Die antragstellende Partei wendet sich im Vorlageantrag gegen die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach seine Entscheidungspflicht durch Vorlage der Säumnisbeschwerde mit Schreiben der ÖGK vom 9. Juli 2021 ausgelöst worden sei. Diese Auffassung sei unzutreffend, weil bereits die antragstellende Partei selbst die Säumnisbeschwerde am 27. April 2021 unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht habe.

12       Dieses Vorbringen übersieht, dass der ÖGK gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG (ab Einlangen der Säumnisbeschwerde bei ihr - vgl. dazu VwGH 27.5.2015, Ra 2015/19/0075) eine Frist von drei Monaten zukam, um im Verfahren über die Säumnisbeschwerde den Bescheid zu erlassen. § 16 Abs. 1 VwGVG räumt der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit ein, innerhalb der Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen, ohne dass es erforderlich wäre, dass ihr dafür vom Verwaltungsgericht ausdrücklich eine Frist eingeräumt werden müsste. Diese Möglichkeit der Nachholung des Bescheides baut darauf auf, dass die Säumnisbeschwerde gemäß § 12 VwGVG bei der säumigen Verwaltungsbehörde einzubringen ist und setzt auch voraus, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung in der zu erledigenden Verwaltungsangelegenheit nicht schon allein aufgrund der Einbringung einer - zulässigen und berechtigten - Säumnisbeschwerde auf das angerufene Verwaltungsgericht übergeht (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421, mwN).

13       Infolge einer (zulässigen und berechtigten) Säumnisbeschwerde geht die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden (erst) nach Vorlage derselben oder ungenütztem Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG auf das Verwaltungsgericht über (vgl. VwGH 30.4.2020, Ra 2019/12/0082, mwN).

14       Die ÖGK hat die Säumnisbeschwerde vom 27. April 2021 dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 9. Juli 2021 (beim Bundesverwaltungsgericht am gleichen Tag eingelangt) noch vor Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG vorgelegt. Erst dadurch ist die Zuständigkeit an das Verwaltungsgericht übergegangen und die Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts ausgelöst worden. Ein Fall, in dem die Zuständigkeit durch ungenützten Ablauf der Nachfrist gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG bereits auf das Verwaltungsgericht übergegangen wäre, so dass es - ausnahmsweise - der antragstellenden Partei (als beschwerdeführender Partei im Verfahren über die Säumnisbeschwerde) selbst zugekommen wäre, die Beschwerde mit der Rechtsfolge an das Verwaltungsgericht vorzulegen, dass dadurch die Entscheidungsfrist zu laufen beginnt (vgl. dazu VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421), lag hier nicht vor.

15       Die in § 34 Abs. 1 VwGVG normierte Entscheidungsfrist begann somit am 9. Juli 2021 zu laufen und war am 24. November 2021, an dem der Fristsetzungsantrag beim Bundesverwaltungsgericht einlangte, noch nicht abgelaufen.

16       Der Fristsetzungsantrag war folglich gemäß § 38 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu seiner Erhebung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Aufgrund des Vorlageantrags der antragstellenden Partei tritt diese Entscheidung an die Stelle des Zurückweisungsbeschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes (vgl. zB VwGH 30.11.2018, Fr 2018/08/0021).

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:FR2021080005.F00

Im RIS seit

07.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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