Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §38Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed, Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Hallein, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 30. September 2021, Zl. 405-8/230/1/5-2021, betreffend einen Vergütungsanspruch nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hallein; mitbeteiligte Partei: Gemeinde A, vertreten durch den Bürgermeister, in A), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Gemeinde hatte mit Schreiben vom 21. Jänner 2021 einen Antrag auf Vergütung von geleisteten Entgeltzahlungen für die behördliche Absonderung der bei ihr beschäftigten Dienstnehmerin LS gestellt und dabei als „Zeitraum der behördlichen Maßnahme (Absonderung)“ den Zeitraum von 20. November 2020 bis 30. November 2020 genannt.
2 Mit Bescheid vom 12. April 2021 entschied die Bezirkshauptmannschaft Hallein, die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und nunmehrige Revisionswerberin (iF auch: BH), über diesen Antrag dahin, dass ein Betrag in Höhe von insgesamt Euro 798,07 als Vergütung des durch die Behinderung des Erwerbs entstandenen Vermögensnachteils für den Zeitraum von 24. November 2020 bis 30. November 2020 zuerkannt und der geltend gemachte Mehrbetrag von Euro 455,82 abgewiesen werde.
3 Dem legte sie im Wesentlichen zu Grunde, dass die mit Bescheid vom 24. November 2020 ausgesprochene behördliche Absonderung der Dienstnehmerin von 24. November 2020 bis 30. November 2020, also 7 Tage, gedauert habe. Für den „zu viel beantragten Zeitraum“ (die Mitbeteiligte habe eine Vergütung ab 20. November beantragt) sei eine Absonderung nach § 7 EpiG durch die Behörde nicht verfügt worden, ein Ersatzanspruch für diesen Zeitraum daher nicht gegeben.
4 Über die dagegen von der Mitbeteiligten erhobene Beschwerde entschied das Verwaltungsgericht mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis dahin, dass der Mitbeteiligten als Vergütung für die Behinderung des Erwerbs der Dienstnehmerin LS für den Zeitraum von 20. November 2020 bis 30. November 2020 ein Betrag in der Höhe von Euro 1.254,10 zuerkannt wurde; die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.
5 Dem wurde im Wesentlichen Folgendes zu Grunde gelegt:
6 Die bei der Mitbeteiligten beschäftigte LS sei am 20. November 2020 darüber informiert worden, dass sie Kontakt mit einer positiv getesteten Person gehabt habe, woraufhin sie sich in sofortige Quarantäne begeben habe. In weiterer Folge sei sie am 24. November 2020 durch die Gesundheitsbehörde telefonisch kontaktiert und die häusliche Quarantäne bzw. Absonderung verkündet worden. Am gleichen Tag sei zudem der (schriftliche) Absonderungsbescheid der BH ergangen, mit dem verfügt wurde, dass LS „die Wohnung ... für 10 Tage ab Kontakt mit einer SARS-CoV-2 positiven Person (ab 20.11.2020) bis einschließlich 30.11.2020 nicht verlassen darf“.
7 Die Dienstnehmerin habe folglich ihre Arbeitsleistung bei der Mitbeteiligten beginnend mit 20. November 2020 nicht erbringen können.
8 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung legte das Verwaltungsgericht - nach einer Darstellung der maßgebenden Vorschriften - im Wesentlichen Folgendes dar: Strittig sei, wie der Spruch des Absonderungsbescheids zu werten sei und für welchen Zeitraum die beantragte Vergütung zuzusprechen sei. Absonderungsmaßnahmen nach § 7 EpiG könnten kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen erfassen und zwar (gemäß § 2 der Verordnung RGBl. Nr. 39/1915 idF der Verordnung BGBl II Nr. 21/2020) auf die Dauer der Ansteckungsgefahr derart, dass eine Weiterverbreitung der Krankheit hintangehalten wird. Unter diesen Vorgaben habe die BH mit Bescheid vom 24. November 2020 verfügt, dass LS für zehn Tage ab Kontakt mit einer SARS-CoV-2-positiven Person ab 20. bis einschließlich 30. November 2020 ihre Wohnung nicht verlassen dürfe. Aus dem Spruch dieses Bescheids ergebe sich unzweifelhaft, dass die Dienstnehmerin von 20. bis einschließlich 30. November 2020 abgesondert wurde. Die telefonische Verkündung des Bescheids am 24. November 2020 ändere nichts daran, dass ein rechtskräftiger Bescheid vorliege, der den gesamten Zeitraum vom 20. bis 30. November 2020 als Absonderungszeitraum vorgebe, „um auch die gesamte Dauer der Ansteckungsgefahr und die tatsächliche Zeit der Absonderung abzubilden“.
9 Da dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei, komme ihm Bindungswirkung zu. Dies gelte auch für objektiv rechtswidrige Bescheide. Auch wenn mit dem Bescheid vom 24. November 2020 (teilweise) rückwirkend über den Absonderungszeitraum 20. November 2020 bis 30. November 2020 abgesprochen worden sei, und eine Verfügung für die Vergangenheit im Regelfall nicht mehr befolgt werden könne und ins Leere ginge, sei doch - im Kontext des EpiG, das die Absonderung mit dem Zeitraum des Auftretens der Krankheit verknüpfe - zu beachten, dass die kranken oder krankheitsverdächtigen Personen ab dem Zeitpunkt des Auftretens der Krankheit bzw. des Krankheitsverdachts abzusondern seien, was dem Sinn und Zweck des EpiG entspreche.
10 Da sich die Dienstnehmerin aufgrund der Information, dass sie Kontakt mit einer SARS-CoV-2-positiven Person gehabt habe, seit 20. November 2020 in Quarantäne befunden habe, sei mit dem Absonderungsbescheid ihr Recht, sich frei zu bewegen, nur rückwirkend bzw. zeitraumbezogen angepasst und gestaltet worden; es sei also ein Umstand durch Bescheid abgebildet worden, der bereits vorgelegen habe.
11 Da Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorgaben des EpiG sei, den gesamten Zeitraum der Krankheit bzw. Ansteckungsgefahr zu erfassen und im Absonderungsbescheid abzubilden, an den die Regelung zum Ersatz des Verdienstentgangs in § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG anknüpfe, sei die belangte Behörde nicht berechtigt gewesen, bei Berechnung des Verdienstentgangs den Anspruchszeitraum zu verkürzen. Der Vergütung für Verdienstentgang sei daher der Gesamtzeitraum von 20. November 2020 bis 30. November 2020 zu Grunde zu legen gewesen.
12 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Zeitraumbezogenheit von Absonderungsbescheiden bzw. der Wirksamkeit eines rückwirkenden bescheidmäßigen Abspruchs im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie als Entscheidungsgrundlage für die Zuerkennung eines Vergütungsanspruchs nach § 32 EpiG fehle.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - ordentliche - Revision, deren Zulässigkeitsbegründung auf die des Verwaltungsgerichts verweist und ergänzend geltend macht, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (zitiert wird VwGH 23.10.2008, 2006/21/0182) insoweit, als das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, zur Auslegung des (für sich genommen unklaren) Spruchs des Absonderungsbescheids dessen Begründung heranzuziehen. Zwar liege mittlerweile hinsichtlich der Zeitraumbezogenheit das Erkenntnis VwGH 22.9.2021, Ra 2021/09/0189, vor, doch fehle nach wie vor Judikatur zur Frage der Kausalität einer angeordneten Maßnahme für den allenfalls eingetretenen Verdienstentgang.
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
17 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Kontrolle der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht nur für den Fall einer außerordentlichen Revision, sondern auch bei ordentlichen Revisionen auf die Wahrnehmung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung begrenzt. Wird in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht dargestellt und auch vom Revisionswerber nicht (gesondert) dargelegt, dass die Entscheidung der Revision von der Beantwortung einer (anderen als der vom Verwaltungsgericht angesprochenen) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhängt, so ist auch eine ordentliche Revision zurückzuweisen (vgl. VwGH 26.3.2021, Ro 2020/03/0004, mwN).
18 Ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage daher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtes oder selbst nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, ist eine Revision wegen fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht (mehr) zulässig (vgl. etwa VwGH 26.3.2021, Ra 2021/03/0017).
19 Eine derartige Konstellation liegt hier vor; es wird weder von der Revisionswerberin noch vom Verwaltungsgericht dargelegt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die gegenständliche Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen hätte:
20 Zwar hat eine Absonderung durch Bescheid nach § 7 EpiG in die Zukunft gerichtet zu sein und es besteht keine rechtliche Grundlage dafür, im Nachhinein - und damit rückwirkend - eine Absonderung durch Bescheid auszusprechen (vgl. VwGH 23.11.2021, Ra 2021/09/0173, auf welches Erkenntnis gemäß § 43 Abs. 2 iVm Abs. 9 VwGG verwiesen wird).
21 Liegen aber rechtskräftige Bescheide vor, die über die Zeiträume der Absonderung absprechen, binden diese Bescheide (ungeachtet der Frage ihrer Rechtmäßigkeit), weil die Rechtsfrage, ob und in welchem zeitlichen Umfang eine anspruchsbegründende Absonderung vorlag, eine für die Berechnung von Vergütungen notwendige Vorfrage darstellt (vgl. VwGH 22.9.2021, Ra 2021/09/0189, und die daran anknüpfende Folgejudikatur, jüngst etwa VwGH 24.1.2022, Ra 2021/09/0222).
22 Die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage, mit der die Zulässigkeit der Revision begründet wurde, ist vom Verwaltungsgerichtshof also schon beantwortet worden. Dies gilt auch für die von der Revision vermisste Judikatur zur Frage der Kausalität, wurde doch im eben genannten Erkenntnis VwGH Ra 2021/09/0189 gerade die Bindungswirkung des Absonderungsbescheids für die Frage, ob eine anspruchsbegründende (und damit für den Verdienstentgang kausale) Absonderung vorlag, bejaht.
23 Auch mit dem Vorbringen, der im Spruch des behördlichen Absonderungsbescheids genannte Absonderungszeitraum sei unklar gewesen, weshalb zur Auslegung die Begründung heranzuziehen gewesen wäre, ist für die Revision nichts zu gewinnen: Der Spruch des Bescheids nennt als Beginn der Absonderung („ab“) den 20. November 2020 und als Ende den 30. November 2020 („bis einschließlich 30.11.2020“) und begründet daher keinen - gegebenenfalls durch Rückgriff auf die Begründung zu lösenden - Auslegungsbedarf.
Abgesehen davon wird in der Begründung fallbezogen nur ausgeführt, dass bei der BH am 23. November 2020 eine „Verdachtsmeldung auf Kontakt von LS mit einer an SARS-CoV-2 erkrankten Person eingegangen“ sei und „somit alle Maßnahmen zu ergreifen [seien] und u.a. die Krankheitsverdächtige gemäß den Bestimmungen des Epidemiegesetzes bzw. der Absonderungsverordnung zu isolieren“ sei. Die Absonderung müsse „so lange aufrecht bleiben, bis klargestellt ist, dass kein Infektionsrisiko mehr gegeben ist und sie daher von der zuständigen Behörde aufgehoben werden kann“. Diese Begründung bietet entgegen der Revision keine ausreichende Basis für die Annahme, es sei - entgegen dem Spruch - die Absonderung (erst) ab 24. November 2020 verfügt worden.
24 Im Übrigen: Soll durch die Absonderung nach § 7 EpiG die Weiterverbreitung der Krankheit möglichst verhindert werden (explizites Ziel der Regelung), hat die Absonderung möglichst frühzeitig (mit Auftreten der Krankheit bzw. dem Vorliegen eines Krankheits- oder Ansteckungsverdachts) einzusetzen.
25 § 7 Abs. 1a EpiG macht die behördliche Absonderung u.a. davon abhängig, dass nach dem Verhalten des Betroffenen die Gefahr für die Gesundheit anderer durch gelindere Mittel nicht beseitigt werden kann.
26 Es wäre daher ein dem Gesetzgeber nicht zu unterstellender Wertungswiderspruch, einen Vergütungsanspruch eines von einer später erfolgten behördlichen Absonderung Betroffenen zwar für den Zeitraum ab Ausspruch der behördlichen Absonderung zu bejahen, für den davor liegenden Zeitraum, in dem bereits ein „Ansteckungsverdacht“ bestanden und in dem sich der Betroffene aus eigenem abgesondert hat, aber zu verneinen, wenn der später erlassene Absonderungsbescheid ohnehin (wenngleich „rückwirkend“) den Gesamtzeitraum erfasst. Durch die eigenständig vorgenommene „Selbstabsonderung“ hat der Betroffene immerhin das Seinige unternommen, um eine Weiterverbreitung der Krankheit möglichst zu vermeiden und damit genau jenes Verhalten gesetzt, dass das EpiG vom verständigen Bürger erwartet, wenn es in § 7 Abs. 1a die behördliche Absonderungsmaßnahme u.a. vom „Verhalten des Betroffenen“ abhängig macht.
27 Dies gilt umso mehr, als es zu der - nach dem oben unter Rz. 20 Gesagten unzulässigen - „Rückwirkung“ regelmäßig nur dann kommen wird, wenn die behördliche Absonderung insofern zu spät ausgesprochen wird, als sie nicht schon ab Beginn des Krankheits- bzw. Ansteckungsverdachts einsetzt (was aber erforderlich wäre, um das von § 7 EpiG gesteckte Ziel zu erreichen).
28 Hinzu tritt, dass der Gesetzgeber selbst mit § 3b EpiG - wenngleich erst durch die Novelle BGBl. I Nr. 23/2011 eingefügt und für die dort genannten Fälle einer „selbstüberwachten Heimquarantäne“ - die sinngemäße Anwendung der Ersatzregelungen des § 32 EpiG für Fälle abseits einer behördlich verfügten Absonderung angeordnet, insoweit also offenkundig den Bedarf an einer Gleichsetzung gesehen hat.
29 Nach dem Gesagten werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
Wien, am 10. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022030002.J00Im RIS seit
08.04.2022Zuletzt aktualisiert am
17.05.2022