TE OGH 2022/2/16 13Os127/21g

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Veröffentlicht am 16.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Rechtspraktikant Mag. Jäger, BA, in der Strafsache gegen R* N* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. August 2021, GZ 42 Hv 36/21a-35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Konfiskationserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde R* N* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (A I), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (A II) und mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B I und B II) schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er in W* und an anderen Orten

(A) am 16. Mai 2021

I) * L* absichtlich schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er mit einem 20 cm langen Küchenmesser von oben herab eine ausholende Schnittbewegung in Höhe ihres Gesichts ausführte, wobei sie den Arm schützend vor ihr Gesicht hielt, sodass sie eine etwa 5 cm lange und 1 cm tiefe stark blutende Schnittwunde am linken Unterarm erlitt, sowie

II) * T* am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig am Körper verletzt, indem er ihm einen Stoß versetzte, sodass der Genannte zu Boden stürzte und eine Wunde an der Nase erlitt, weiters

(B) * L* jeweils durch die Äußerung, er werde sie sonst umbringen, somit durch gefährliche Drohung, zu einer Handlung zu nötigen versucht, und zwar

Iam 23. April 2021 zur Übergabe von 20.000 Euro und

IIam 16. Mai 2021 zur gemeinsamen Rückkehr in die Slowakei.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5a und „9“ StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4]            Nach der Aktenlage ist der Sohn des Angeklagten, Ro* N*, ein potentieller Tatzeuge, weil er bei der Auseinandersetzung seiner Eltern (des Angeklagten und der Zeugin L*) am 16. Mai 2021 – von allen Beteiligten unbestritten (ON 34 S 5 f, S 25 und S 28 f) – am Tatort anwesend war. Nach der Beiziehung einer Dolmetscherin und erfolgter Belehrung über seine Aussagebefreiung gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO erklärte N* aber bereits im Ermittlungsverfahren, nicht aussagen zu wollen und legte die Gründe für diese Entscheidung dar (ON 7 S 39 f).

[5]            Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der in der Hauptverhandlung gestellte Antrag des Angeklagten, seinen Sohn Ro* N* als Zeugen zu vernehmen (ON 34 S 61 f), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen (ON 34 S 62 f).

[6]            Die an keine besonderen Förmlichkeiten gebundene Erklärung eines Zeugen, von dem ihm zustehenden Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, kann schon vor der Hauptverhandlung wirksam abgegeben werden. Nur in den – hier gerade nicht vorliegenden – Fällen, dass das Gericht, dem alleine die diesbezügliche Beurteilung obliegt (RIS-Justiz RS0111315 und RS0121344 [T2]; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 74), die Erklärung für missverständlich, bedenklich oder nicht endgültig erachtet oder dass in einem Antrag auf (neuerliche) Vernehmung des Zeugen Anhaltspunkte vorgebracht werden, welche dessen (nunmehrige) Aussagebereitschaft plausibel erscheinen lassen, hat die Abklärung der Aussagebereitschaft (durch unmittelbare Befragung des Zeugen) in der Hauptverhandlung zu erfolgen (15 Os 27/19p, siehe auch RIS-Justiz RS0121344 und RS0117928; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 331; insoweit missverständlich 14 Os 7/06w).

[7]            Weshalb erwartet werden könne, dass sich der Zeuge – ungeachtet seiner Erklärung, in dem gegen seinen Vater geführten Strafverfahren nicht aussagen zu wollen – dennoch zur Aussage in der Hauptverhandlung bereit finden werde, machte der Antragsteller aber nicht klar.

[8]       Im Rechtsmittel nachgetragene Ausführungen zur Antragsfundierung haben angesichts des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).

[9]            Die Tatsachenrüge (Z 5a) wendet sich zur Gänze nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[10]           Indem die Rechtsrüge (gemeint wohl: Z 9 lit a) Konsumtion des vom Schuldspruch B II umfassten Vergehens der Nötigung durch das vom Schuldspruch A I umfasste Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung einwendet, lässt sie die gebotene Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565) vermissen, weshalb hier eine der Fallgruppen des angesprochenen Scheinkonkurrenzverhältnisses (hiezu Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 57–69) gegeben sein soll.

[11]           Der Verweis auf die Entscheidung 12 Os 109/17x ist in diesem Zusammenhang unverständlich, weil sich diese Entscheidung auf das Scheinkonkurrenzverhältnis der (materiellen) Subsidiarität und die Tatbestände der §§ 75, 83 und 107 StGB bezieht.

[12]     Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[13]     Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem angefochtenen Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Konfiskationserkenntnis dem Angeklagten zum Nachteil gereichende, nicht geltend gemachte, von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil das Erstgericht die in § 19a Abs 2 StGB zwingend vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung gänzlich unterließ (RIS-Justiz RS0088035 [insbesondere T7]).

[14]     Da das Konfiskationserkenntnis nicht mit Berufung bekämpft wird (RIS-Justiz RS0130617), war der Ausspruch bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

[15]     Vorerst hat das Oberlandesgericht über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe zu entscheiden (§ 285i StPO).

[16]       Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E134008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00127.21G.0216.000

Im RIS seit

07.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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