TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/3 95/08/0255

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.1996
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §500;
ASVG §502 Abs1;
ASVG §502 Abs6;
ASVGNov 32te;
ASVGNov 33te;
ASVGNov 41te;
ASVGNov 44te;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. August 1995, Zl. MA 15-II-F 13/95, betreffend Begünstigung nach §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Wien II, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 9. Juli 1932 geborene Beschwerdeführer stellte am 24. Jänner 1994 einen Pensionsantrag bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt. In einer am selben Tag mit ihm aufgenommenen Niederschrift gab er an, er habe 1938 aus "rassistischen Gründen" die Volksschule verlassen müssen und ersuche um Durchführung der Begünstigung (Aktenblatt 111).

Mit Bescheid vom 3. Februar 1995 wurde dem Beschwerdeführer die beantragte Pension zuerkannt (Aktenblatt 223). Mit Bescheid vom 21. April 1995 sprach die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt aus, die Begünstigung des Beschwerdeführers werde für die Zeit vom 4. März 1933 bis zum 31. März 1959 abgelehnt, weil der Beschwerdeführer nicht dem gemäß § 500 ASVG zu begünstigenden Personenkreis angehöre (Aktenblatt 238).

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er führte im wesentlichen aus, er habe aus Gründen der Abstammung als Sechsjähriger die Schule verlassen müssen und danach während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nur einmal einige Monate lang zur Schule gehen können. Dadurch sei ihm nach Kriegsende der Zugang zu höherer Bildung verschlossen geblieben und sein Eintritt in das Erwerbsleben erschwert und verzögert worden, was einen klaren Nachteil für seine sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse bewirkt habe. Der Beschwerdeführer habe am 12. März 1938 seinen Wohnsitz in Wien gehabt und 1938 sein 6. Lebensjahr vollendet, woraus sich nach § 502 Abs. 6 ASVG Ansprüche ergäben.

Darüber hinaus enthielt der Einspruch eine teilweise Wiedergabe der Erläuternden Bemerkungen zur 19. ASVG-Novelle sowie - in einem angeschlossenen Schreiben, auf das zur Begründung verwiesen wurde - weitere Hinweise auf die negativen Folgen des jahrelangen Ausschlusses vom Schulbesuch.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch ab. Sie führte aus, der Beschwerdeführer habe durch Vorlage einer Bescheinigung nach § 506 Abs. 3 ASVG glaubhaft dargetan, daß er aus Gründen der Abstammung in der Zeit von Oktober 1938 bis Kriegsende mit Ausnahme des Schuljahres 1940/41 keine Schulausbildung gehabt habe. Der versäumte Schulbesuch sei jedoch nicht begünstigungsfähig. Vor Beendigung der Schulpflicht könne kein Nachteil in den sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen eintreten. Der Beschwerdeführer sei bis Juni 1946, zu welchem Zeitpunkt er bereits wieder eine Schule in Wien besucht habe, schulpflichtig gewesen. Da die behauptete sozialversicherungsrechtliche Schädigung somit in einer Zeit liege, in der der Beschwerdeführer noch schulpflichtig gewesen sei, könne eine Begünstigung im Sinne des § 502 Abs. 1 und 6 ASVG nicht erfolgen, wozu auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1994, Zl. 94/08/0209, verwiesen werde.

Mit der vorliegenden Beschwerde bekämpft der Beschwerdeführer diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er macht geltend, der von ihm erlittene Nachteil bestehe nicht darin, daß er zwischen 1938 und 1945 keine Versicherungszeiten habe erwerben können, sondern darin, daß ihm aufgrund der ihm in dieser Zeit widerfahrenen Behinderung und Diskriminierung der Erwerb von Versicherungszeiten erst ab 1953 und nicht schon ab 1946 (dem Jahr der Vollendung seines 14. Lebensjahres) möglich gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch etwa 80 bis 90 Versicherungsmonate weniger erworben, als dies sonst der Fall gewesen wäre. § 500 ASVG schließe die Berücksichtigung von Auswirkungen, die erst nach dem Ende der rassistischen Benachteiligung eingetreten seien, nicht aus. Diese Auslegung finde eine Stütze darin, daß in den Fällen der Auswanderung Zeiten bis zum 31. März 1959 begünstigt anrechenbar seien und nach § 502 Abs. 5 ASVG eine Begünstigung sogar dann in Frage komme, wenn die Auswanderung selbst erst nach dem 9. Mai 1945 erfolgte.

Was die in § 502 Abs. 1 bis 6 geregelten Fälle anlange, so sei deren Aufzählung nicht taxativ. Der Gesetzgeber habe vielmehr den Willen zum Ausdruck gebracht, alle sozialversicherungsrechtlichen Nachteile und somit auch solche, die ihre Ursache im verspäteten Antritt einer sozialversicherungsrechtlich relevanten Tätigkeit hätten, zu berücksichtigen. Selbst wenn man unter Zugrundelegung (gemeint: Ablehnung) der Rechtsansicht, daß die Benachteiligung des Beschwerdeführers den im Gesetz geregelten Fällen der Haft, Anhaltung, Auswanderung usw. gleichwertig sei, eine unmittelbare Anwendung des § 502 Abs. 1 und 4 ASVG ablehne, so sei auf den Beschwerdeführer doch § 502 Abs. 6 dieses Gesetzes sinngemäß anzuwenden. Daraus ergebe sich - wenn diese Altersgrenze sinngemäß heranzuziehen sei - zumindest die Möglichkeit einer begünstigten Versicherungszeitenanrechnung für den Zeitraum nach der Vollendung des 15. Lebensjahres des Beschwerdeführers am 9. Juli 1947. Es wären daher "sämtliche Monate (bis spätestens zum 31. März 1959)", die der Beschwerdeführer "infolge nationalsozialistischer Benachteiligung nicht durch eine entsprechende Tätigkeit selbst als Versicherungszeiten erwerben konnte, im Sinne der §§ 500, 502 Abs. 1 (allenfalls in Verbindung mit 502 Abs. 6) ASVG als beitragsfrei zu berücksichtigen, in eventu im Sinne der §§ 500, 502 Abs. 4 (allenfalls in Verbindung mit 502 Abs. 6) ASVG als begünstigt nachentrichtungsfähig zu qualifizieren gewesen". Zumindest hätte die belangte Behörde aber alle jene Zeiten "berücksichtigen" müssen, in denen der Beschwerdeführer die seiner Schulpflicht entsprechenden Monate seiner Schulausbildung nachgeholt habe.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 500 ASVG unterscheidet in der derzeit geltenden, seit der 33. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 684/1978, nicht mehr veränderten Fassung zwischen "Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben", einerseits und "Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind", andererseits, und spricht aus, Personen der ersten Gruppe würden "nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506", solche der zweiten Gruppe "nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506" begünstigt.

Diese Verweisungen sind redaktionell fehlerhaft, weil sie vor allem den Änderungen durch die 41. und die 44. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 111/1986 und Nr. 609/1987 (und hinsichtlich der ersten der genannten Personengruppen schon der Neubezeichnung des ursprünglichen § 502 Abs. 5 durch die 32. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 704/1976) nicht angepaßt wurden (vgl. dazu in bezug auf § 502 Abs. 6 in der Fassung der 41. ASVG-Novelle schon das Erkenntnis vom 10. November 1988, Zl. 87/08/0281). Welche Begünstigungen für welche der genannten Personengruppen gelten, ist daher im einzelnen anhand der §§ 501 ff ASVG zu beurteilen. In Verbindung mit diesen zeugt § 500 ASVG aber vom klaren Willen des Gesetzgebers, nur der Gruppe der aus den genannten Gründen ausgewanderten Personen die Möglichkeit zu eröffnen, für Zeiträume bis zum 31. März 1959 begünstigt Versicherungszeiten zu erwerben. Diese Verschiedenbehandlung ist - aus hier nicht zu untersuchenden Gründen - beabsichtigt. Eine analoge Anwendung nach dem Gesetzeswortlaut nur für Auswanderer geltender Begünstigungen auf den Beschwerdeführer, der dieser Personengruppe nicht angehört, kommt daher nicht in Betracht.

Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten, nicht in einer Auswanderung bestehenden Benachteiligungen sind bei dieser Rechtslage keine geeignete Voraussetzung für einen begünstigten Erwerb von Versicherungszeiten NACH dem 9. Mai 1945. Der angefochtene Bescheid bedarf daher nur insoweit einer weiteren Überprüfung, als er sich auf die Zeiten während der nationalsozialistischen Herrschaft bezieht, in denen dem Beschwerdeführer der Besuch der Schule aus Gründen der Abstammung verwehrt wurde.

Eine Begünstigung hinsichtlich dieser Zeiträume würde voraussetzen, daß der Beschwerdeführer der ersten der in § 500 ASVG genannten Personengruppen angehört und in bezug auf einen der im § 502 Abs. 1 Satz 1 ASVG geregelten Fälle zumindest ein Analogieschluß zu seinen Gunsten möglich ist. Darüber hinaus müßte der Beschwerdeführer, der vor der geltend gemachten Benachteiligung schon aus Altersgründen keine Beitrags- oder Ersatzzeiten zurückgelegt haben konnte, am 12. März 1938 seinen Wohnsitz in Österreich gehabt haben (§ 502 Abs. 6 ASVG). Diese Voraussetzung ist nach der Aktenlage erfüllt. Daß § 502 "Abs. 6" ASVG nach dem Wortlaut des § 500 ASVG nur für Auswanderer zu gelten scheint, stünde der Begünstigung aus dem oben erwähnten Grund nicht entgegen (gemeint ist mit diesem Verweis in § 500 ASVG, ebenso wie mit dem Zitat des "Abs. 5" hinsichtlich der nicht ausgewanderten Personen, der heutige Abs. 8 des § 502 ASVG).

Der Beschwerdeführer vollendete erst am 9. Juli 1946 sein

14. Lebensjahr. Seine Begünstigung aus einem der in § 502 Abs. 1 Satz 1 ASVG genannten Gründe widerspräche daher der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Anrechnung von Zeiten, die noch im Pflichtschulalter zurückgelegt wurden, auch in den Fällen des § 502 Abs. 1 ASVG iVm dem durch die 41. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, eingeführten Abs. 6 dieser Bestimmung nicht in Betracht kommt (vgl. insbesondere die Erkenntnisse vom 16. April 1991, Zl. 90/08/0079, vom 12. Mai 1992, Zl. 90/08/0086, vom 11. Mai 1993, Zl. 92/08/0113, und vom 25. Oktober 1994, Zl. 94/08/0209; anders Ivansits, DRdA 1990, 190; vgl. auch die EB zur 41. ASVG-Novelle, 774 BlgNR 16. GP, Seite 49 ff; weiters die Materialien zur 44., 48. und 51. ASVG-Novelle).

Im vorliegenden Fall kommt es aber darauf nicht an, weil die geltend gemachte Benachteiligung keinem der Tatbestände des § 502 Abs. 1 Satz 1 ASVG zu unterstellen ist: Konkret käme nämlich dafür nur die Arbeitslosigkeit in Frage. Die Auslegung dieses Begriffes im Begünstigungsrecht bedient sich zwar als Orientierungshilfe der Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsrechtes, hat sich im gegebenen systematischen Zusammenhang der §§ 500 ff ASVG aber im Zweifel an deren Wiedergutmachungscharakter und nicht an den Grundwertungen des Arbeitslosenversicherungsrechtes zu orientieren (vgl. dazu näher das Erkenntnis vom 22. Mai 1990, Zl. 89/08/0236). Daß im besonderen die Einführung des § 502 Abs. 6 ASVG durch die 41. ASVG-Novelle auch das Verständnis des Begriffes "Arbeitslosigkeit" in Abs. 1 dieser Bestimmung beeinflußt, hat der Verwaltungsgerichtshof schon angedeutet (vgl. dazu das Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0318). Soll der während der anzurechnenden Zeit erlittene Nachteil aber im Entgang der Schulbildung bestehen, so ist dies mit dem Begriff der "Arbeitslosigkeit" nicht umschreibbar. In dieser Hinsicht liegt auch keine nachträgliche, durch § 502 Abs. 6 ASVG in den Fassungen seit der 41. ASVG-Novelle entstandene Lücke vor, die durch Analogie zu schließen wäre:

Die nicht nur demonstrative Aufzählung der in § 502 Abs. 1 ASVG geregelten Tatbestände in dieser Bestimmung ließ eine Einbeziehung von Zeiten, in denen der Begünstigungswerber aus Gründen des § 500 ASVG vom Besuch einer Schule oder Universität ausgeschlossen war, ohne zugleich auch einen der in § 502 Abs. 1 Satz 1 vertypten Nachteile erlitten zu haben, nach der Rechtslage vor der 41. ASVG-Novelle nicht zu. Daß diese Frage sich vor der Einbeziehung von Personen ohne Vorversicherungszeiten in den Anwendungsbereich des § 502 Abs. 1 ASVG gar nicht gestellt hätte, kann nicht gesagt werden. In dieser Hinsicht ist durch die 41. und die folgenden ASVG-Novellen daher keine entscheidende Änderung eingetreten. Aus Anlaß dieser Novellen hat der Gesetzgeber aber auch nicht zum Ausdruck gebracht, daß es auf die Erfüllung eines der Tatbestände des § 502 Abs. 1 ASVG generell nicht mehr ankommen und der Aufzählung der dort genannten einzelnen schädigenden Maßnahmen nur mehr die Bedeutung von Beispielen beizumessen sein sollte (vgl. ähnlich schon das zitierte Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0318).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995080255.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten