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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art77 Abs3Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Entscheidung eines Landesverwaltungsgerichts entgegen der Sperrwirkung eines vom Verwaltungsgerichtshof gefassten Beschlusses nach §38a VwGG betreffend die Verhängung von Geldstrafen nach dem GlücksspielG; Auslösung der Sperrwirkung auf Grund hinreichender Publizität auch durch Kundmachung im Bundesgesetzblatt Teil ISpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Straferkenntnis vom 4. August 2020 verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich fünf Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 10.000,– wegen Übertretung des §52 Abs1 Z1 erstes Tatbild iVm §52 Abs2 dritter Tatbestand GSpG gegen den Beschwerdeführer.
1.2. Mit Erkenntnis vom 8. Oktober 2020 setzte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die verhängten Geldstrafen auf jeweils € 3.000,– pro Glücksspielgerät herab und wies die Beschwerde gegen das Straferkenntnis im Übrigen als unbegründet ab. Nach Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich folge aus der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs C 64/18 ua, Maksimovic, im Hinblick auf die Bestimmung des §52 Abs2 GSpG, dass die Gesamthöhe der bei mehrfacher Tatbestandsverwirklichung festzusetzenden Einzelstrafen verhältnismäßig zu sein habe. Wenngleich sich das rechtswidrige Verhalten des Beschwerdeführers auf fünf Glücksspielgeräte erstreckte und somit von einer erheblichen Beeinträchtigung der durch §52 Abs1 Z1 GSpG geschützten Rechtsgüter auszugehen sei, erweise sich die seitens der Behörde verhängte Strafe von insgesamt € 50.000,– sowie die Ersatzfreiheitsstrafe von insgesamt 20 Tagen als unverhältnismäßig und sei – bei unionsrechtskonformer Auslegung der Strafbestimmungen des Glücksspielgesetzes – entsprechend herabzusetzen.
2. Gegen diese Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich richtet sich die vorliegende Beschwerde nach Art144 B-VG. Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG und Art2 StGG. Mit Beschluss vom 27. April 2020 habe der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art267 AEUV die Frage der Übertragbarkeit der Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit im Urteil vom 12. September 2019, Rs C-64/18 ua, Maksimovic, auf Straftatbestände entsprechend dem §52 Abs1 Z1 GSpG zur Entscheidung vorgelegt. Weiters habe der Verwaltungsgerichtshof am 27. April 2020 einen Beschluss nach §38a VwGG unter anderem betreffend die Frage gefasst, ob §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG gegen Unionsrecht verstoße. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG sei am 30. Juni 2020 im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden. Die angefochtene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich sei somit entgegen der Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes gemäß §38a Abs3 VwGG ergangen und verletze den Beschwerdeführer in seinen Rechten nach Art7 B-VG und Art2 StGG.
3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legte die Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. In der Gegenschrift führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Folgendes aus:
"1. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH stellt es nicht nur eine einfachgesetzliche Zuständigkeitsverletzung, sondern darüber hinaus auch einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter dar, wenn ein Verwaltungsgericht während noch aufrechter Sperrwirkung gemäß §86a VfGG eine Sacherledigung vornimmt (vgl zB VfGH vom 14. März 2017, E3126/2016 = VfSlg 20147/2017).
Wegen im Wesentlichen inhaltsgleicher Formulierung beider Normen wird hinsichtlich einer auf §38a VwGG gegründeten Sperrwirkung wohl Analoges zu gelten haben.
2. Voraussetzung für den Eintritt einer derartigen Sperrwirkung ist allerdings jeweils, dass die Kundmachung des diese auslösenden höchstgerichtlichen Beschlusses ordnungsgemäß – d.h. im hier vorliegenden Anlassfall: den Anforderungen des §38[a] VwGG entsprechend – erfolgt ist. Ob dies zutrifft, ist von jedem Verwaltungsgericht (von Amts wegen) aufzugreifen; ein Verfahren, das aus diesem Grund nicht von einer Sperrwirkung erfasst wird, ist vom Verwaltungsgericht fortzuführen (vgl VfGH vom 8. Oktober 2020, V505/2020, RN 30).
3. Hinsichtlich des im gegenständlichen Beschwerdefall maßgeblichen Beschlusses des VwGH vom 27. April 2020, ZI. Ra 2020/17/0013-7, vertritt das LVwG OÖ die Auffassung, dass dessen Kundmachung schon in formeller Hinsicht deshalb fehlerhaft erfolgte, weil diese einerseits vom unzuständigen Organ – nämlich von der Bundesministerin für EU und Verfassung anstelle des Bundeskanzlers – und andererseits nicht im gesetzlich vorgesehenen Publikationsmedium – nämlich nicht im Teil II, sondern im Teil I des BGBl – vorgenommen wurde.
4. Weiters kommt aus materiellem Blickwinkel hinzu, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung als Grundsatz postuliert, dass die Frage der Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht von jedem Gericht eigenständig zu beurteilen ist. Davon ausgehend steht das LVwG OÖ auf dem Standpunkt, dass der EuGH die vom VwGH in dessen Beschluss vom 27. April 2020 aufgeworfenen Fragestellungen im Urteil vom 12. September 2019, C-64/18, bereits umfassend geklärt hat (in diesem Sinne wohl auch zB VfGH vom 27. November 2019, E2047/2019), sodass ein analoges Vorabentscheidungsersuchen als nicht erforderlich angesehen wird. Würde man demgegenüber annehmen, dass dann, wenn sich ein auf §38a VwGG gegründeter Beschluss inhaltlich auf unionsrechtliche Fragen bezieht, ebenfalls eine entsprechende Sperrwirkung bestünde, so mündete dies letztlich in eine unionsrechtswidrige Umgehung des vorerwähnten Prinzips der autonomen Beurteilung der Unionsrechtskompatibilität von nationalem Recht (vgl dazu schon die im o.a. Beschluss des VfGH in RN 9 [bzw S. 6 bis 8] wiedergegebenen Ausführungen des LVwG OÖ).
5. Sohin erweist sich die Kundmachung BGBI I 55/2020 nach Ansicht des LVwG OÖ sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht als nichtig mit der Folge, dass eine Sperrwirkung gemäß §38[a] Abs[3] VwGG effektiv nicht eingetreten ist (vgl beispielsweise LVwG OÖ vom 17.11.2020, LVwG-413736 […], S. 36 f).
Daher kann das mit der gegenständlichen Beschwerde angefochtene Erkenntnis nach hg. Auffassung jedenfalls wohl nicht als ein Willkürakt qualifiziert werden.
6. Vielmehr könnte der Bf. lediglich insofern als in seinen Rechten verletzt erscheinen, als die mit dieser Entscheidung vorgenommene Qualifikation der nicht ordnungsgemäßen Kundmachung des VwGH-Beschlusses im Ergebnis fehlerhaft erfolgte.
Die im Zusammenhang mit der Kundmachung eines auf §38a VwGG fußenden Beschlusses verfassungsrechtlich relevanten Fragen wurden jedoch mit der Entscheidung des VfGH vom 8. Oktober 2020, V505/2020, bereits umfassend geklärt.
Die Beurteilung, ob das LVwG OÖ im angefochtenen Erkenntnis im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Kundmachung des VwGH-Beschlusses vom 27. April 2020, ZI. Ra 2020/17/0013-7, fehlerhaft erfolgt ist, berührt somit nach hg. Auffassung bloß Fragen der Auslegung des §38a VwGG und somit einfachgesetzlicher Rechtsvorschriften, deren Klärung primär in den Kompetenzbereich des Verwaltungsgerichtshofes fällt.
7. Aus rechtspolitischem Blickwinkel darf abschließend darauf hingewiesen werden, dass allein im Tätigkeitsbereich des LVwG OÖ bereits derzeit eine nicht unerhebliche Anzahl von zur gegenständlichen VfGH-Beschwerde parallel gelagerten Fällen anhängig ist.
Berücksichtigt man weiters die additiv-durchschnittliche Verfahrensdauer beim EuGH und beim VwGH, so lässt sich – bei Zugrundelegung des insoweit seit geraumer Zeit konstanten hg. Akteneinganges – wohl nur schlussfolgern, dass sich in den nächsten drei Jahren jedenfalls bei den VwG der sog 'Erlaubnisländer' ein erheblicher Rückstau an (für den Fall der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Kundmachung BGBl I 55/2020) nicht erledigbaren Beschwerden gegen eine Bestrafung gemäß §52 GSpG anhäufen wird, wobei dieser letztlich kaum mit den Anforderungen an eine Entscheidung binnen angemessener Frist i.S.d. Art6 Abs1 EMRK bzw Art47 EGRC zu vereinbaren sein wird.
Ob sich angesichts dessen innerstaatliche Regelungen wie §38a VwGG und §86a VfGG mit dem Unionsrecht vereinbaren lassen, müsste letztlich wiederum durch den EGMR und/oder den EuGH geklärt werden."
4. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Rechtslage
1. Art77 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl 1/1930 (WV), idF BGBl 171/1959 lautet:
"Artikel 77. (1) Zur Besorgung der Geschäfte der Bundesverwaltung sind die Bundesministerien und die ihnen unterstellten Ämter berufen.
(2) Die Zahl der Bundesministerien, ihr Wirkungsbereich und ihre Einrichtung werden durch Bundesgesetz bestimmt.
(3) Mit der Leitung des Bundeskanzleramtes ist der Bundeskanzler, mit der Leitung der anderen Bundesministerien je ein Bundesminister betraut. Der Bundespräsident kann die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten, und zwar auch einschließlich der Aufgaben der Personalverwaltung und der Organisation, unbeschadet des Fortbestandes ihrer Zugehörigkeit zum Bundeskanzleramt eigenen Bundesministern übertragen; solche Bundesminister haben bezüglich der betreffenden Angelegenheiten die Stellung eines zuständigen Bundesministers.
(4) Der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister können ausnahmsweise auch mit der Leitung eines zweiten Bundesministeriums betraut werden."
2. §38a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG, BGBl 10/1985, idF BGBl I 33/2013 lautet:
"Gleichartige Rechtsfragen in einer erheblichen Anzahl von Verfahren
§38a. (1) Ist beim Verwaltungsgerichtshof eine erhebliche Anzahl von Verfahren über Revisionen anhängig, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind, oder besteht Grund zur Annahme, dass eine erhebliche Anzahl solcher Revisionen eingebracht werden wird, so kann der Verwaltungsgerichtshof dies mit Beschluss aussprechen. Ein solcher Beschluss hat zu enthalten:
1. die in diesen Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften;
2. die auf Grund dieser Rechtsvorschriften zu lösenden Rechtsfragen;
3. die Angabe, welche der Revisionen der Verwaltungsgerichtshof behandeln wird.
Die Beschlüsse werden von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat gefasst.
(2) Beschlüsse gemäß Abs1 verpflichten, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch um Gesetze, politische, gesetzändernde oder gesetzesergänzende Staatsverträge oder Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, ansonsten die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zu ihrer unverzüglichen Kundmachung.
(3) Mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Beschlusses gemäß Abs1 treten folgende Wirkungen ein:
1. in Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat:
a) Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
b) Die Revisionsfrist beginnt nicht zu laufen; eine laufende Revisionsfrist wird unterbrochen.
c) Die Frist zur Stellung eines Fristsetzungsantrages sowie in den Bundes- oder Landesgesetzen vorgesehene Entscheidungsfristen werden gehemmt.
2. in allen beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahren gemäß Abs1, die im Beschluss gemäß Abs1 nicht genannt sind:
Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
(4) In seinem Erkenntnis fasst der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsanschauung in einem oder mehreren Rechtssätzen zusammen, die nach Maßgabe des Abs2 unverzüglich kundzumachen sind. Mit Ablauf des Tages der Kundmachung beginnt eine unterbrochene Revisionsfrist neu zu laufen und enden die sonstigen Wirkungen des Abs3."
3. §§2, 3, 4 und 5 Bundesgesetz über das Bundesgesetzblatt 2004 (Bundesgesetzblattgesetz – BGBlG), BGBl I 100/2003, idF BGBl I 24/2020 lauten:
"Einteilung des Bundesgesetzblattes
§2. Das Bundesgesetzblatt besteht aus drei Teilen. Die Verlautbarungen sind darin nach dem Jahr der Kundmachung fortlaufend nummeriert.
Bundesgesetzblatt I
§3. Das Bundesgesetzblatt I (BGBl I) ist bestimmt zur Verlautbarung
1. der Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates (Art49 Abs1 B-VG);
2. der gemeinsamen Kundmachungen des Bundeskanzlers und der zuständigen Bundesminister über die Wiederverlautbarung eines Bundesgesetzes (Art49a Abs1 B-VG);
3. der Kundmachungen des Bundeskanzlers über die Aufhebung eines Bundesgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof und über den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass ein Bundesgesetz verfassungswidrig war, einschließlich der sonstigen Aussprüche im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sowie des Ausspruches in einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die im aufhebenden Erkenntnis für das Außerkrafttreten bestimmte Frist erstreckt wird (Art140 Abs5 bis 7 B-VG; §§64 Abs2, 64a und 65 VfGG);
4. der gemeinsamen Kundmachungen des Bundeskanzlers und der zuständigen Bundesminister über die Aufhebung einer Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Bundesgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof und über den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass eine solche Kundmachung gesetzwidrig war, einschließlich der sonstigen Aussprüche im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sowie des Ausspruches in einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die im aufhebenden Erkenntnis für das Außerkrafttreten bestimmte Frist erstreckt wird (Art139a B-VG; §61b VfGG);
5. der Kundmachungen des Bundeskanzlers über das Außerkrafttreten eines Ausführungsgesetzes des Bundes infolge des Inkrafttretens von Ausführungsgesetzen der Länder (Art15 Abs6 B-VG) oder über das Außerkrafttreten eines Bundesgesetzes infolge des Inkrafttretens von Landesgesetzen oder Verordnungen einer Landesbehörde (Art16 Abs4 B-VG und Art23d Abs5 B-VG);
6. der Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern oder zwischen dem Bund und einzelnen Ländern (Art15a Abs1 B-VG), die mit Genehmigung des Nationalrates abgeschlossen worden sind, und der Vereinbarungen zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden (Art1 Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes über Ermächtigungen des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes, BGBl I Nr 61/1998);
7. von Kundmachungen über das Inkrafttreten oder das Außerkrafttreten eines Bundesgesetzes oder einer in §5 Abs1 Z1 oder Z5 genannten Rechtsvorschrift, soweit an deren Inkrafttreten oder Außerkrafttreten in den im Bundesgesetzblatt I zu verlautbarenden Rechtsvorschriften Rechtsfolgen geknüpft sind.
Bundesgesetzblatt II
§4. (1) Das Bundesgesetzblatt II (BGBl II) ist bestimmt zur Verlautbarung
1. der allgemeinen Entschließungen des Bundespräsidenten;
2. der Verordnungen der Bundesregierung und der Bundesminister, des Präsidenten des Nationalrates, des Präsidenten des Rechnungshofes, des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft, soweit sie nicht im Bundesgesetzblatt III zu verlautbaren sind, nicht jedoch der an unterstellte Verwaltungsorgane gerichteten allgemeinen Weisungen (Verwaltungsverordnungen);
3. der Kundmachungen der Bundesregierung oder der zuständigen Bundesminister über das Außerkrafttreten einer im Bundesgesetzblatt kundgemachten Verordnung infolge des Inkrafttretens von Landesgesetzen oder Verordnungen einer Landesbehörde (Art16 Abs4 B-VG und Art23d Abs5 B-VG);
4. der Kundmachungen der Bundesregierung oder der zuständigen Bundesminister über die Aufhebung einer Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof und über den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass eine Verordnung gesetzwidrig war, einschließlich der sonstigen Aussprüche im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sowie des Ausspruches in einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die im aufhebenden Erkenntnis für das Außerkrafttreten bestimmte Frist erstreckt wird (Art139 Abs5 und 6 B-VG; §§59 Abs2, 60 und 61 VfGG);
5. der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes (Art136 B-VG; §19 VwGG) und der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes (Art148 B-VG; §14 VfGG);
6. der Geschäftsordnung und der Geschäftsverteilung der Volksanwaltschaft (Art148h Abs4 B-VG; §4 VolksanwG);
6a. der Geschäftsordnung des ständigen gemeinsamen Ausschusses des Nationalrates und des Bundesrates im Sinne des §9 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948 – F-VG 1948, BGBl Nr 45/1948 (§9 Abs9 F-VG 1948);
7. der Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern oder zwischen dem Bund und einzelnen Ländern (Art15a Abs1 B-VG), soweit sie nicht unter §3 Z6 fallen;
8. von Kundmachungen über das Inkrafttreten oder das Außerkrafttreten einer in §5 Abs1 Z1 oder Z5 genannten Rechtsvorschrift, soweit an deren Inkrafttreten oder Außerkrafttreten in den im Bundesgesetzblatt II zu verlautbarenden Rechtsvorschriften Rechtsfolgen geknüpft sind.
(2) Sonstige Kundmachungen der Bundesregierung oder der Bundesminister, des Präsidenten des Nationalrates, des Präsidenten des Rechnungshofes, des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft, können, soweit sie nicht im Bundesgesetzblatt III zu verlautbaren sind, im Bundesgesetzblatt II dann verlautbart werden, wenn sie verbindliche Kraft haben oder wenn ihre Verlautbarung im Bundesgesetzblatt in anderen Rechtsvorschriften angeordnet ist.
(3) Durch Verordnung des Bundeskanzlers kann im Einvernehmen mit dem zuständigen Bundesminister die Verlautbarung der Verordnungen anderer Bundesbehörden im Bundesgesetzblatt II angeordnet werden, wenn dies im Interesse der erleichterten Zugänglichkeit gelegen ist. Die sonstigen Kundmachungen der in einer solchen Verordnung genannten Bundesbehörden können im Bundesgesetzblatt II dann verlautbart werden, wenn sie verbindliche Kraft haben oder wenn ihre Verlautbarung im Bundesgesetzblatt II in anderen Rechtsvorschriften angeordnet ist.
Bundesgesetzblatt III
§5. (1) Das Bundesgesetzblatt III (BGBl III) ist bestimmt zur Verlautbarung
1. der Staatsverträge des Bundes einschließlich ihrer Übersetzung in die deutsche Sprache, der Beschlüsse des Nationalrates nach Art49 Abs2 und Art50 Abs2 Z4 B-VG, der Anordnungen des Bundespräsidenten nach Art65 Abs1 zweiter Satz B-VG sowie der Erklärungen des Beitritts zu solchen Staatsverträgen;
2. der gemeinsamen Kundmachungen des Bundeskanzlers und der zuständigen Bundesminister über die Wiederverlautbarung eines im Bundesgesetzblatt kundgemachten Staatsvertrages (Art49a Abs1 B-VG);
3. der Kundmachungen der Bundesregierung oder der zuständigen Bundesminister über die Feststellung der Gesetzwidrigkeit und der Kundmachungen des Bundeskanzlers über die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Staatsvertrages durch den Verfassungsgerichtshof einschließlich der sonstigen Aussprüche im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sowie des Ausspruches in einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die im feststellenden Erkenntnis bestimmte Frist, innerhalb der der Staatsvertrag weiterhin anzuwenden ist, erstreckt wird (Art140a Abs1 B-VG; §66 VfGG);
4. der gemeinsamen Kundmachungen des Bundeskanzlers und der zuständigen Bundesminister über die Aufhebung von Kundmachungen über die Wiederverlautbarung eines Staatsvertrages durch den Verfassungsgerichtshof und über den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass eine solche Kundmachung gesetzwidrig war, einschließlich der sonstigen Aussprüche im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (Art139a B-VG; §61b VfGG);
4a. der Beschlüsse des Nationalrates und des Bundesrates nach Art23i B-VG;
5. der für oder in Österreich verbindlichen Beschlüsse von internationalen Organen, die nicht auf andere allgemein zugängliche Weise verlautbart werden, einschließlich ihrer Übersetzung in die deutsche Sprache;
6. sonstiger Kundmachungen oder Verordnungen, die eine in Z1 oder Z5 genannte Rechtsvorschrift betreffen.
(2) Hat der Nationalrat anlässlich der Genehmigung eines Staatsvertrages gemäß Art50 Abs1 B-VG einen Beschluss nach Art49 Abs2 B-VG gefasst, so sind die Kundmachungen und Verordnungen gemäß Abs1 Z6, die diesen Staatsvertrag (oder nur dessen nicht im Bundesgesetzblatt kundgemachte Teile) betreffen, auf dieselbe Weise kundzumachen wie der Staatsvertrag (dessen nicht im Bundesgesetzblatt kundgemachte Teile) selbst.
(3) Ist
1. ein Staatsvertrag gemäß Abs1 Z1, der nicht unter Art50 B-VG fällt, oder
2. ein Beschluss gemäß Abs1 Z5 oder
3. eine amtlich kundzumachende ausländische Rechtsvorschrift
nur für einen beschränkten Kreis von Personen von Interesse und würde die Kundmachung dieser Rechtsvorschrift einschließlich ihrer Übersetzung in die deutsche Sprache im Bundesgesetzblatt (insbesondere im Hinblick auf ihren Umfang und die technische Gestaltung) einen wirtschaftlich nicht vertretbaren Aufwand verursachen, so kann der Bundeskanzler durch Verordnung anordnen, auf welche andere Weise (insbesondere durch Auflage zur öffentlichen Einsichtnahme während der Amtsstunden bei Behörden und sonstigen Ämtern) die Kundmachung der Rechtsvorschrift oder einzelner genau zu bezeichnender Teile derselben zu erfolgen hat. Verlautbarungen gemäß dem ersten Satz müssen allgemein zugänglich sein und in ihrer kundgemachten Form vollständig und auf Dauer ermittelt werden können. Hat der Bundeskanzler eine solche Verordnung erlassen, so sind die Kundmachungen und Verordnungen gemäß Abs1 Z6, die diese Rechtsvorschrift (oder nur deren nicht im Bundesgesetzblatt kundgemachte Teile) betreffen, auf dieselbe Weise kundzumachen wie die Rechtsvorschrift (deren nicht im Bundesgesetzblatt kundgemachte Teile) selbst.
(4) Ist ein Staatsvertrag in mehr als zwei Sprachen authentisch festgelegt worden, reicht es aus, wenn
1. zwei authentische Sprachfassungen und eine Übersetzung in die deutsche Sprache,
2. wenn jedoch die deutsche Sprachfassung authentisch ist, diese und eine weitere authentische Sprachfassung
kundgemacht werden."
4. Die Entschließung des Bundespräsidenten, mit der die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten einer eigenen Bundesministerin übertragen wird, BGBl II 17/2020, lautet (ohne die Hervorhebungen im Original):
"Aufgrund des Art77 Abs3 B-VG übertrage ich der Bundesministerin im Bundeskanzleramt Mag. Karoline EDTSTADLER die sachliche Leitung folgender, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten:
(1) […]
2. Angelegenheiten der staatlichen Verfassung, dazu gehören insbesondere auch:
Angelegenheiten der Bundesverfassung mit Ausnahme der Finanzverfassung und der in der Bundesverfassung vorgesehenen Wahlen, Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen; verfassungsrechtliche Angelegenheiten der staatlichen Organisation; Wahrnehmung der verfassungsmäßigen Führung der Regierungsgeschäfte des Bundes.
Angelegenheiten der Verfassungsgerichtsbarkeit; Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Ausnahme der organisatorischen Angelegenheiten und der Angelegenheiten des Bundesfinanzgerichtes; Vertretung der Republik Österreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
Angelegenheiten der Grund- und Freiheitsrechte.
Verfassungsrechtliche Angelegenheiten der immerwährenden Neutralität Österreichs.
Angelegenheiten staatlicher Hoheitszeichen, soweit sie nicht in die Zuständigkeit eines anderen Bundesministeriums fallen.
Allgemeine Angelegenheiten der Amts- und Organhaftung.
Angelegenheiten der Landesverfassungen.
Allgemeine Angelegenheiten der Landesgesetzgebung.
3. Allgemeine Angelegenheiten der staatlichen Verwaltung, soweit sie nicht in den Wirkungsbereich eines anderen Bundesministeriums fallen. Dazu gehören insbesondere auch: Allgemeine Angelegenheiten der Rechtsordnung, der Legistik und der Gesetzessprache einschließlich der Wahrung der Einheitlichkeit der die Rechtsetzung des Bundes vorbereitenden Tätigkeit der Bundesministerien; Angelegenheiten der Rechtsbereinigung.
Allgemeine Angelegenheiten der Organisation und des Verfahrens der Verwaltungsbehörden, Ämter und sonstigen Einrichtungen, die Aufgaben der staatlichen Verwaltung besorgen. Allgemeine Angelegenheiten des Verwaltungsrechts einschließlich des Verwaltungsstrafrechts und des Verwaltungsvollstreckungsrechts.
Kundmachungswesen des Bundes.
Angelegenheiten der Einrichtung und Organisation der Bundesministerien.
[…]
(2) Abs1 gilt nicht für Aufgaben der Personalverwaltung und der Organisation.
(3) Abs1 gilt nicht für Angelegenheiten, die dem Bundeskanzler durch Bundesverfassungsrecht vorbehalten sind.
(4) Diese Entschließung tritt mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft. Zugleich tritt die Entschließung vom 8. Jänner 2020, BGBl II Nr 8/2020, außer Kraft."
5. Die im Teil I des Bundesgesetzblattes 55/2020 erfolgte Kundmachung der Bundesministerin für EU und Verfassung über den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes in dem zur Zl Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß §38a VwGG lautet:
"Gemäß §38a Abs2 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl Nr 10, in Verbindung mit der Entschließung BGBl I Nr 17/2020, wird kundgemacht:
Der Verwaltungsgerichtshof hat am 27. April 2020, der Bundesministerin für EU und Verfassung zugestellt am 2. Juni 2020, in dem zur Zl Ra 2020/17/0013 anhängigen Verfahren gemäß §38a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl Nr 10, folgenden Beschluss gefasst:
I. Beim Verwaltungsgerichtshof besteht Grund zur Annahme, dass im Sinne des §38a Abs1 VwGG eine erhebliche Anzahl von Revisionen eingebracht werden wird, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind: Es geht um die Fragen, ob §52 Abs2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz – GSpG sowie im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß §52 Abs2 dritter Strafsatz leg. cit., die §§16 und 64 VStG gegen Unionsrecht (Art56 AEUV sowie Art49 Abs3 GRC) verstoßen und ob die vor dem Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark wegen der allenfalls daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist.
II. Zur Beantwortung der in Spruchpunkt I. genannten Rechtsfragen hat der Verwaltungsgerichtshof §52 Abs2 dritter Strafsatz Glücksspielgesetz, BGBl Nr 620/1989, idF BGBl I Nr 13/2014, sowie §16 VStG, BGBl Nr 52/1991 und §64 Abs2 VStG, BGBl Nr 52/1991 idF BGBl I Nr 33/2013, anzuwenden.
III. Der Verwaltungsgerichthof wird die Rechtsfragen in dem zu Ra 2020/17/0013 protokollierten Revisionsverfahren behandeln.
IV. Der Bundeskanzler ist gemäß §38a Abs2 VwGG zur unverzüglichen Kundmachung des Spruches dieses Beschlusses im Bundesgesetzblatt verpflichtet. Auf die mit der Kundmachung eintretenden, in §38a Abs3 VwGG genannten Rechtsfolgen, wird verwiesen."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes stellt es eine Verletzung des Art83 Abs2 B-VG dar, wenn das Verwaltungsgericht entgegen der Sperrwirkung eines Beschlusses nach §86a Abs3 VfGG entscheidet (VfSlg 20.147/2017, 20.148/2017; VfGH 14.3.2017, E3177/2016). Gleiches gilt für Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes im Bereich der Sperrwirkung eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a (Abs3) VwGG.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, ausgesprochen, es bestehe Grund zur Annahme, dass im Sinne des §38a Abs1 VwGG eine erhebliche Anzahl von Revisionen eingebracht werden würde, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen seien. Konkret gehe es um die Fragen, ob §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG sowie im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG, die §§16 und 64 VStG gegen Unionsrecht (Art56 AEUV sowie Art49 Abs3 GRC) verstießen und ob die vor dem Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogene Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes wegen der allenfalls daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen sei. Zur Beantwortung dieser Rechtsfragen habe der Verwaltungsgerichtshof §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG, BGBl 620/1989, idF BGBl I 13/2014 sowie §16 VStG, BGBl 52/1991, und §64 Abs2 VStG, BGBl 52/1991, idF BGBl I 33/2013 anzuwenden.
Der vom Verwaltungsgerichtshof am 27. April 2020 zur Zahl Ra 2020/17/0013 gefasste Beschluss gemäß §38a Abs1 VwGG wurde von der Bundesministerin für EU und Verfassung am 30. Juni 2020 im Bundesgesetzblatt I 55/2020 kundgemacht.
3. Gemäß §38a Abs3 VwGG tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung eines Beschlusses nach §38a Abs1 VwGG unter anderem folgende (Sperr-)Wirkung ein: In Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat, darf das Verwaltungsgericht nur noch solche Handlungen vornehmen oder Anordnungen und Entscheidungen treffen, die durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder welche die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Diese Wirkung besteht gemäß §38a Abs4 zweiter Satz VwGG bis zum Ablauf des Tages, an dem die in Rechtssatzform ergehende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die gleichartigen Rechtsfragen kundgemacht wurde.
Für die Beurteilung, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gegen die Sperrwirkung des §38a Abs3 VwGG verstößt, ist jener Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung iSd §38a Abs3 Z1 lita VwGG "getroffen" wurde. Maßgeblich ist das Datum der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (vgl VfSlg 20.147/2017).
4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich traf die Entscheidung vom 8. Oktober 2020 nach Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes gemäß §38a Abs1 VwGG. Bei seiner Entscheidung hatte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG idF BGBl I 13/2014, somit eine jener Rechtsvorschriften anzuwenden, die im oben genannten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 nach §38a VwGG angeführt ist, und hatte damit eine in diesem Beschluss nach §38a VwGG genannte Rechtsfrage zu beurteilen. Eine die Sache des Verfahrens erledigende Entscheidung, wie sie das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im vorliegenden Fall getroffen hat, ist auch nicht als zulässige Handlung, Anordnung oder Entscheidung iSd §38a Abs3 Z1 lita VwGG anzusehen (vgl VwGH 4.9.2003, 2003/17/0124).
5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich begründet seine Entscheidung zusammengefasst damit, die Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG sei nicht eingetreten, weil der Beschluss nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden sei. Dieser Umstand sei nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2020, V505/2020, vom Verwaltungsgericht von Amts wegen aufzugreifen; das Verfahren sei vom Verwaltungsgericht fortzuführen.
Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich sei der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, in zweifacher Hinsicht "formell" fehlerhaft kundgemacht worden. Die Kundmachung sei zum einen von einem unzuständigen Organ, nämlich von der Bundesministerin für EU und Verfassung anstelle des Bundeskanzlers, und zum anderen im nicht gesetzlich vorgesehenen "Publikationsmedium", nämlich im Bundesgesetzblatt Teil I anstelle des Bundesgesetzblattes Teil II, erfolgt.
Weiters erachtet das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, in "materieller Hinsicht" für nichtig. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe die vom Verwaltungsgerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art267 AEUV vorgelegten Fragen bereits im Urteil vom 12. September 2019, Rs C-64/18 ua, Maksimovic, umfassend geklärt. Die Annahme einer Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, würde eine unionsrechtswidrige Umgehung des Prinzips der autonomen Beurteilung der Unionsrechtskonformität des nationalen Rechts durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bedeuten.
6. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich nicht:
6.1. Zur behaupteten fehlerhaften Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG:
6.1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2020, V505/2020, bereits zum Ausdruck gebracht hat, stellt die Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG eine besondere Form der Zustellung dar. Die Kundmachung bewirkt eine höhere Publizität des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes, durch welche die in §38a Abs3 VwGG bestimmten Rechtsfolgen (Sperrwirkungen) ausgelöst werden. Erfolgt die Kundmachung entgegen den gesetzlichen Vorgaben des §38a Abs2 VwGG, treten die in §38a Abs3 VwGG vorgesehenen Sperrwirkungen nicht ein.
6.1.2. Gemäß §38a Abs2 VwGG verpflichten Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a Abs1 VwGG, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch unter anderem um Gesetze handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, ansonsten die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zur unverzüglichen Kundmachung. Aus dem Wort "ansonsten" folgt, dass die Kundmachung ausschließlich dem Bundeskanzler bzw Landeshauptmann obliegt, wenn sich die Rechtsfragen zumindest auch auf Grund von Gesetzen ergeben (vgl Erläut zur RV 447 BlgNR 22. GP, 4). Betrifft der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a Abs1 VwGG somit ein Bundesgesetz, ist der Bundeskanzler gemäß §38a Abs2 VwGG zur Kundmachung verpflichtet.
Art77 Abs3 zweiter Satz B-VG erlaubt es, die sachliche Leitung bestimmter, zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörender Angelegenheiten "eigenen" – gemeint vom Bundeskanzler verschiedenen – Bundesministern zu übertragen (sogenannte "Kanzleramtsminister"; vgl Raschauer, Art77 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 50 ff.). Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 29. Jänner 2020, BGBl II 17/2020, übertrug der Bundespräsident der im Bundeskanzleramt angesiedelten Bundesministerin für EU und Verfassung unter anderem die sachliche Leitung der Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
6.1.3. Die – auch für Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständige – Bundesministerin für EU und Verfassung war daher – entgegen der Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich – gemäß §38a Abs2 VwGG iVm der Entschließung des Bundespräsidenten vom 29. Jänner 2020, BGBl II 17/2020, für die am 30. Juni 2020 erfolgte Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 zuständig.
6.2. Anders als das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich weiters meint, stellt auch die Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes im Teil I des Bundesgesetzblattes keine gesetzwidrige Kundmachung dar:
6.2.1. Im Spruchpunkt IV. des Beschlusses vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, verpflichtete der Verwaltungsgerichtshof zur Kundmachung des Beschlusses "im Bundesgesetzblatt".
§38a Abs2 VwGG verpflichtet zur unverzüglichen Kundmachung eines Beschlusses nach §38a Abs1 VwGG, enthält aber keine Regelung darüber, wo ein solcher Beschluss kundzumachen ist. Eine zwingende Kundmachung eines Beschlusses nach §38a VwGG im Teil II des Bundesgesetzblattes wird – anders als das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich meint – auch in §4 Abs2 BGBlG nicht bestimmt.
6.2.2. Die erfolgte Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG vom 27. April 2020 im Bundesgesetzblatt I war nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes zweifellos geeignet, alle Adressaten des Beschlusses von dessen Inhalt in Kenntnis zu setzen. Im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a VwGG jedenfalls hinreichend Publizität erlangt, sodass der Beschluss die in §38a Abs2 VwGG vorgesehenen Rechtswirkungen entfaltet. Im Hinblick darauf ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht weiter zu untersuchen, in welchem Teil des Bundesgesetzblattes die Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach dem Bundesgesetzblattgesetz einzureihen ist.
6.3. Der im Übrigen vertretenen Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich, der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020, Ra 2020/17/0013-7, verstoße gegen die "autonome Beurteilung der Unionsrechtskompatibilität von nationalem Recht" durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu folgen:
6.3.1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union haben alle Gerichte der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und für die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Normen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (EuGH 9.3.1978, Rs 106/77, Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal, Slg. 1978, I-629 [Rz 21/23]; siehe auch zB VfGH 27.11.2019, E2047/2019 ua).
6.3.2. Anders als das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich meint, steht die Sperrwirkung eines Beschlusses nach §38a VwGG dem unionsrechtlichen Gebot der unmittelbaren Anwendbarkeit von Unionsrecht durch die innerstaatlichen Gerichte nicht entgegen. §38a Abs3 VwGG bewirkt, dass vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängige Verfahren betreffend die im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a Abs1 VwGG genannten Rechtsvorschriften und Rechtsfragen – mit Ausnahme der Fälle des §38a Abs3 Z1 lita VwGG – bis zur Kundmachung der Rechtssätze durch den Verwaltungsgerichtshof nach §38a Abs4 VwGG unterbrochen sind. Ein Beschluss nach §38a VwGG bewirkt jedoch nicht, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Rahmen seiner Zuständigkeit innerstaatliche gesetzliche Vorschriften zugrunde zu legen hat, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Unionsrechtes widersprechen. Das diesbezügliche Vorbringen geht somit ins Leere.
6.3.3. Soweit das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich weiters einen Verstoß des §38a Abs3 VwGG gegen Art6 EMRK und Art47 GRC behauptet, weil die Sperrwirkung des Beschlusses nach §38a VwGG in Verwaltungsstrafsachen mit den "Anforderungen an eine Entscheidung binnen angemessener Frist" nicht vereinbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des §38a VwGG – im Interesse des Beschwerdeführers – der Verfahrensökonomie und der Sicherstellung der (Unions-)Rechtskonformität der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte dienen. Ein Verstoß des §38a Abs3 VwGG gegen Art6 EMRK oder Art47 GRC liegt insoweit nicht vor.
6.4. Die angefochtene Entscheidung wurde entgegen der Sperrwirkung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes nach §38a Abs3 VwGG gefasst: Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich traf nach Kundmachung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes im Bundesgesetzblatt I 55/2020 am 20. Juni 2020 eine die (Beschwerde-)Sache des Beschwerdeführers erledigende Entscheidung, in der das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die im Punkt II des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 genannten Rechtsvorschriften des §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG anzuwenden und die in Punkt I des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 2020 genannten Rechtsfragen zu beurteilen hatte.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Glücksspiel, Verwaltungsgerichtshof, Kundmachung, Bindung (der Verwaltungsgerichte an VwGH), Verwaltungsstrafrecht, EU-RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E4041.2020Zuletzt aktualisiert am
11.05.2022