TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/3 95/08/0283

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Veröffentlicht am 03.09.1996
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Index

41/02 Melderecht;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24 Abs1;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §27 Abs2;
AlVG 1977 §27 Abs4;
AlVG 1977 §38;
MeldeG 1991 §2 Abs1 idF 1994/505;
MeldeG 1991 §3 Abs1;
NotstandshilfeV §2 Abs1;
NotstandshilfeV §2 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der A in H, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in H, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 9. August 1995, Zl. LA1 7022 B-He/S, VSNr.: 1994 23 07 62, betreffend Rückforderung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Widerrufs und der Rückforderung von Notstandshilfe im Zeitraum vom 1. Jänner 1992 bis 29. Juni 1993 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin bezog u.a. vom 1. Jänner 1992 bis 29. Juni 1993 Notstandshilfe und vom 26. Oktober 1993 bis 20. Mai 1994 erhöhtes Karenzurlaubsgeld.

Das Arbeitsmarktservice Hartberg erließ mit Datum 7. April 1995 zwei Bescheide: Mit einem Bescheid wurde gemäß § 38 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG der Bezug der Notstandshilfe für den Zeitraum vom 1. Jänner 1992 bis 29. Juni 1993 widerrufen und die Beschwerdeführerin gemäß § 38 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe im Ausmaß von S 105.509,-- verpflichtet. Mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tag wurde gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG das Karenzurlaubsgeld für den Zeitraum vom 26. Oktober 1993 bis 20. Mai 1994 der Höhe nach berichtigt und die Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes im Ausmaß von S 18.113,-- verpflichtet.

Diese Bescheide wurden (übereinstimmend) damit begründet, daß die Beschwerdeführerin in den angegebenen Zeiträumen die jeweils von dem Bescheid betroffene Leistung zu Unrecht bezogen habe, da sie die Lebensgemeinschaft mit einem namentlich bezeichneten Mann (dem Vater zweier ihrer Kinder) nicht gemeldet habe.

Die Beschwerdeführerin erhob am 19. April 1995 Berufung mit folgender Begründung:

"Herr (Kindesvater) hat mit mir nie eine Lebensgemeinschaft

gehabt und wird es auch nie haben. Momentan ist er in der

Strafvollzugsanstalt Graz. Er ist ein unzuverlässiger Mensch,

und da ich schon eine Scheidung hinter mir habe, möchte ich das

meinen Kindern nicht nochmals antun. Er kommt ansonsten nur am

Wochenende seine Kinder besuchen. Bei der Vorladung auf das

Arbeitsamt Hartberg wurde ich auch gefragt, ob ich seine Wäsche

wasche und das habe ich verneint. Auch sagte ich, daß er bei

mir nicht wohnt. Es gibt Streitigkeiten in seiner Familie mit

einer ehemaligen Schwägerin und diese versucht nun alles um

andere in Schwierigkeiten zu bringen. Sie ist bei der

Polizei ... durch ihre dauernden Anzeigen von

Familienangehörigen schon bekannt. Auch das Gericht ... mußte

sich schon mit ihr befassen."

Die belangte Behörde hat mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der Berufung keine Folge gegeben. Nach der Begründung dieses Bescheides hielt die belangte Behörde das Bestehen einer Lebensgemeinschaft zwischen der Beschwerdeführerin und dem Vater zweier ihrer Kinder in den fraglichen Zeiträumen für erwiesen und damit den Widerruf und die Rückforderung der Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung für gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes - der Sache nach auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet sich nur insoweit gegen den angefochtenen Bescheid, als diesem die Annahme zugrundeliegt, sie habe mit dem Vater ihres Kindes in den Streitzeiträumen in Lebensgemeinschaft gelebt: sie führt in ihrer Beschwerde dazu aus, daß der Kindesvater nur gelegentlich bei ihr wohne und die Woche in Wien "bei seinem Arbeitgeber" verbringe, wo er über eine Unterkunft verfüge. Zur Wirtschaftsgemeinschaft - als unabdingbare Voraussetzung einer Lebensgemeinschaft - gehöre die gemeinsame Bestreitung des Unterhaltes und die "sogenannte gemeinsame Kassa". Dazu fehle es an Beweisergebnissen. Der Umstand, daß der Kindesvater mit der Beschwerdeführerin zwei gemeinsame Kinder habe, sei "noch lange kein Beweis, daß eine Geschlechtsgemeinschaft (bestehe)". Dazu lägen auch keine Beweisergebnisse vor.

Zunächst ist im Beschwerdefall zwischen den beiden unterschiedlichen Ansprüchen auf Karenzurlaubsgeld bzw. Notstandshilfe zu unterscheiden: in bezug auf die Notstandshilfe war das Einkommen des Kindesvaters zu berücksichtigen, sofern dieser vom 1. Jänner 1992 bis 29. Juni 1993 der mit der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebende Lebensgefährte gewesen ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 NHV iVm § 36 Abs. 2 Satz 2 und 3 AlVG). Für die Bemessung des Karenzurlaubsgeldes kam es hingegen darauf an, ob der Kindesvater mit der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 26. Oktober 1993 bis 20. Mai 1994 an der gleichen Adresse gemeldet war oder anzumelden gewesen wäre, also bei der Beschwerdeführerin Unterkunft genommen hatte (§ 27 Abs. 4 AlVG idF vor der Novelle BGBl. Nr. 297/1995; vgl. dazu u.a. die Erkenntnisse vom 12. Dezember 1995, 95/08/0230, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0188).

Auf der Grundlage der Aussage der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Einvernahme vom 21. November 1994 (deren Richtigkeit sie auch in der Beschwerde nicht in Zweifel zieht), wonach der Kindesvater die ganze Woche über in Wien arbeite und am Wochenende "immer zu (ihr)" komme, durfte die belangte Behörde davon ausgehen, daß der Kindesvater mit der Beschwerdeführerin gemeinsam wohne bzw. Unterkunft genommen habe und deshalb nach den Bestimmungen des Meldegesetzes 1972 zu melden gewesen wäre.

Eine Unterkunftnahme liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn von einer Unterkunft widmungsgemäßer Gebrauch gemacht wird, d.h. eine Person diese tatsächlich zum Wohnen oder Schlafen, d.h. zur Befriedigung eines, wenn auch nur vorübergehenden Wohnbedürfnisses, wozu auch das "Sichdarinaufhalten", seine Sachen zu verwahren und hievon andere grundsätzlich auszuschließen, zählen, benützt (vgl. das Erkenntnis vom 30. September 1991, Slg. Nr. 13.500/A). Es steht der Annahme der Unterkunftnahme nicht entgegen, wenn diese Person aus besonderen Gründen, wie etwa einer auswärtigen Arbeitsverrichtung, wobei an deren Ort eine Unterkunft besteht, nur am Wochenende in die Wohnung zurückkehrt (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 92/08/0003).

Die belangte Behörde hat daher zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für das erhöhte Karenzurlaubsgeld im Zeitraum vom 26. Oktober 1993 bis 20. Mai 1994 nicht vorlagen.

Das Wesen einer Lebensgemeinschaft besteht in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Es kommt dabei regelmäßig auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei - wie bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal dieser Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft weniger ausgeprägt sein oder auch ganz fehlen kann.

Die aus der hier strittigen Beziehung stammenden Kinder der Beschwerdeführerin sind am 30. August 1993 und am 18. Juli 1994 geboren. Wenn die belangte Behörde bei dieser Sachlage von einer Geschlechts- und Wohngemeinschaft zwischen der Beschwerdeführerin und dem zumindest am Wochenende bei der Beschwerdeführerin regelmäßig wohnenden Kindesvater im Zeitraum bis 29. Juni 1993 ausgegangen ist (die offenkundig auch nach der Geburt des ersten Kindes fortdauerte), so ist dies nicht unschlüssig. Es wäre an der Beschwerdeführerin gelegen im Verfahren jene besonderen Umstände darzulegen, aus denen trotz des nahezu zwingenden äußeren Anscheins dieser Schluß nicht gezogen werden durfte.

Hinsichtlich der Wirtschaftsgemeinschaft als wesentliches Kriterium der Lebensgemeinschaft (vgl. neuerlich das bereits erwähnte Erkenntnis vom 5. September 1995) fehlen hingegen im angefochtenen Bescheid wesentliche Sachverhaltsfeststellungen:

die Beschwerdeführerin hat niemals behauptet oder eingeräumt, mit dem Kindesvater "in Lebensgemeinschaft" zu leben, sodaß - in Verbindung mit dem übrigen Beweisergebnis - die belangte Behörde vom Vorliegen einer Lebensgemeinschaft nicht ohne weiteres ausgehen durfte. Die Beschwerdeführerin hat lediglich zugegeben, daß ihr "Freund ... zwei Tage in der Woche bei (ihr)" sei. Feststellungen zur Frage des gemeinsamen Wirtschaftens sind auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft evident ist, liegt doch der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung eines Einkommens des Lebensgefährten offenkundig die Annahme (im Falle des Karenzurlaubsgeldes: die aus der Unterkunftnahme abgeleitete unwiderlegliche Vermutung) zugrunde, daß dieser wegen der Lebens- (Wohn-)gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der Miete oder der Ernährung) beiträgt. Wenngleich nach der Rechtsprechung der Annahme einer Lebensgemeinschaft nicht entgegensteht, daß im Einzelfall nicht alle ihrer typischen Elemente vorliegen müssen, ist doch jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, unverzichtbar. Dazu fehlen im Beschwerdefall aber jegliche Feststellungen - wie die Beschwerdeführerin insoweit mit Recht rügt - sodaß der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Jänner 1992 bis 29. Juni 1993 wegen Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.

Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Da in der genannten Verordnung nur Pauschalkosten von S 12.500,-- vorgesehen sind und Stempelgebühren nur im Ausmaß von S 300,-- entstehen konnten, mußte das S 12.800,-- übersteigende Kostenmehrbegehren abgewiesen werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995080283.X00

Im RIS seit

08.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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