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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AAV §21 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der X-AG in N, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheit einer gewerblichen Betriebsanlage, zu Recht erkannt:
Spruch
Gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG wird dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheit aufgetragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung nachstehender Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes binnen acht Wochen zu erlassen:
Ein Verkehrsweg i.S.d. § 25 AAV ist nur ein solcher, der dem betriebsüblichen Verkehr dient. Das kann für den Zugang zu einem bzw. Abgang von einem (engeren) Arbeitsbereich zutreffen, nicht aber für diesen selbst.
Als Durchgang zwischen Betriebseinrichtungen (§ 25 Abs. 1 zweiter Satz AAV) muß ein solcher Zu- und Abgang im Sinne eines Nebenverkehrsweges ausreichend, mindestens jedoch 0,60 m breit sein.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 4./5. Bezirk, hat der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 10. Februar 1994 eine näher bezeichnete Betriebsanlage "gemäß § 74 GewO 1973" genehmigt. Diese Genehmigung wurde unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, mit der sie die Abänderung des Bescheides dahingehend beantragte, daß die Auflagen Nr. 70, 74 und 76 ersatzlos zu entfallen hätten.
Mit Bescheid vom 24. November 1994 behob der Landeshauptmann von Wien die Auflage Nr. 70, und ersetzte die Auflagen Nr. 74 und Nr. 76 durch andere, wobei die Auflage Nr. 76 folgenden Wortlaut erhielt:
"76.) Der Zugang zum Arbeitsbereich hinter der Feinkosttheke und der Arbeitsbereich selbst haben eine Mindesbreite von 1,2 m aufzuweisen."
Zur Begründung wurde (hinsichtlich des Auflagenpunktes 76) ausgeführt, der Zugang zum innerhalb der Feinkostinsel gelegenen Arbeitsbereich sei als Hauptverkehrsweg anzusehen. Der Arbeitsbereich selbst weise ca. 5 m2 auf und habe stellenweise (insbesondere beim Backofen) nur eine Durchgangsbreite von ca. 70 cm. Dieser Backofen für halbfertige Produkte bewirke von Haus aus eine Wärmeabstrahlung und bei seinem Öffnen sogar eine große Wärmebeeinträchtigung der Arbeitnehmer. Wenn zwei Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Verkaufstätigkeit aneinander vorbeigehen müßten, und man die absolute Mindesbreite des Verkehrsweges pro Person mit bloß 60 cm annehmen wolle (gemäß § 25 Abs. 1 AAV), so ergebe sich schon dadurch eine erforderliche Mindestbreite des Zuganges, des Arbeitsbereiches und der Durchgangsbreite bei den Einbauten von 1,2 m. Durch die projektierte Gestaltung und Gliederung der Feinkostinsel insbesondere auch im Hinblick auf den in deren Umgrenzung vorgesehenen Backofen, der durch seine Tiefe in den Arbeitsbereich noch vorspringe, sei die vom Arbeitsinspektorat geforderte Verbreiterung des Arbeitsbereiches und des Zuganges zu diesem im Interesse der Arbeitnehmer unbedingt notwendig.
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 29. Dezember 1994 Berufung an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheit erhoben, die sich gegen die Vorschreibung der Auflage Nr. 76 richtet. In der Berufung wird u.a. der Auffassung des Arbeitsinspektorates für den zweiten Aufsichtsbezirk entgegengetreten, daß es sich beim Arbeitsplatz der Verkäuferinnen hinter der Feinkosttheke um einen Hauptverkehrsweg handle. Hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsbereich hinter der Feinkosttheke kämen als einschlägige Normen, "die jedenfalls die Wertung des Verordnungsgebers erkennen lassen," §§ 21 und 25 AAV in Betracht. Funktional sei der Zugang zum Arbeitsbereich als Ausgang i.S.d. § 21 AAV zu qualifizieren. Gemäß § 21 Abs. § AAV sei daher eine Mindestbreite von 0,80 m einzuhalten. Als Verkehrsweg sei der Zugang zum Arbeitsbereich nicht zu qualifizieren, da seine Zweckbestimmung nicht der ständige Verkehr sei; wollte man diesen Zugang dennoch als Verkehrsweg qualifizieren, so wäre es ein Nebenverkehrsweg, für den eine Mindesbreite von 0,60 m genüge.
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 1995 erhob die Beschwerdeführerin die gegenständliche Säumnisbeschwerde, weil "der Bundesminister für wirtschaftliche Angelgenheit ... über die Berufung bislang nicht entschieden und, soweit für die Beschwerdeführerin ersichtlich, keinerlei Aktivitäten gesetzt" habe. Es sei jedenfalls keinerlei Reaktion auf die eingebrachte Berufung erfolgt.
Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juli 1995 wurde gemäß 35 Abs. 3 VwGG das Vorverfahren eingeleitet, eine Frist zur Erlassung des versäumten Bescheides und Vorlage einer Abschrift desselben bestimmt sowie auf die Rechtsfolgen des § 38 Abs. 2 VwGG hingewiesen.
Mit einem am 29. September 1995 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz stellte die belangte Behörde den Antrag, die mit hg. Verfügung vom 20. Juli 1995 (zugestellt am 4. August 1995) gesetze Frist um weiter drei Monate zu verlängern.
Mit hg. Verfügung vom 4. Oktober 1995 wurde diesem Antrag stattgegeben und die gesetzte Frist um weitere drei Monate, sohin bis zum 4. Februar 1996 verlängert.
Im Schriftsatz der belangten Behörde vom 13. Februar 1996 heißt es sodann:
"Durch ein Versehen der belangten Behörde wurde es unterlassen, innerhalb der vom do. Gerichtshof mit Verfügung vom 4.10.1995, Zl. 95/04/0545, verlängerte Frist bis zum 4.2.1996 den versäumten Bescheid zu erlassen.
Es ist daher der do. Gerichtshof nunmehr zur Entscheidung über die Berufung der X-AG, vertreten durch ..., gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24.11.1994 ... zuständig. Demzufolge werden die Verwaltungsakten übermittelt und die Berufungswerberin von dem Übergang der Entscheidungspflicht in Kenntnis gesetzt."
Die belangte Behörde legte zwar Verwaltungsakten der Behörden erster und zweiter Rechtsstufe vor, nicht jedoch - rechtswidrigerweise - den Ministerialakt. Offenkundig aus letzterem wurde lediglich als einzelnes Eingangsstück die Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Zentral-Arbeitsinspektorat, vom 28. November 1995 vorgelegt.
Gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG kann in den Fällen des Art. 132 B-VG der Verwaltungsgerichtshof sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgebender Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, die im versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiemit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Anwendung dieser Ermächtigung erwogen:
Im Beschwerdefall erscheint als maßgebende Rechtsfrage, ob einerseits der Arbeitsbereich hinter der Feinkosttheke und andererseits der Zugang zu diesem ein Verkehrsweg i.S.d.
§ 25 AAV ist oder nicht. Bei Bejahung dieser Frage stellt sich die weitere Frage, ob es sich um einen Hauptverkehrsweg oder einen Nebenverkehrsweg i.S.d. § 25 Abs. 1 AAV handelt.
Das Arbeitsinspektorat für den zweiten Aufsichtsbezirk vertritt dazu in seiner - im Akt des Magistrates der Stadt Wien erliegenden - Stellungnahme vom 14. August 1995 (weiterhin) die Auffassung, daß "der Arbeitsverkehrsbereich hinter dem Feinkostpult eine räumliche und organisatorische Einheit bildet". Es könne nicht von einem "Ausgang" aus dem Feinkostbereich i.S.d. § 21 AAV gesprochen werden. Die 120 cm für diesen Hauptverkehrsweg erschienen daher i.S.d. Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer unbedingt erforderlich.
Demgegenüber vertritt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Zentral-Arbeitsinspektorat, die Auffassung, daß der Arbeitsbereich hinter der Feinkosttheke keinesfalls ein Verkehrsweg i.S.d. § 25 AAV sei, weil dieser Bereich von seiner Zweckbestimmung her nicht dem betriebsüblichen Verkehr von Personen diene (Hinweis auf § 24 Abs. 1 AAV). Es handle sich vielmehr um einen ortsfesten Arbeitsplatz und damit um einen Teil eines Arbeitsraumes. § 25 Abs. 1 AAV, wonach Verkehrswege eine bestimmte Mindestbreite aufweisen müßten, könne für diesen Bereich daher keine Anwendung finden. Der Zugang zur Feinkosttheke sei nach Auslegung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Zentral-Arbeitsinspektorat, (jedoch) ein Nebenverkehrsweg i.S.d. § 25 Abs. 1 AAV, weil es sich dabei um einen Durchgang zwischen Betriebseinrichtungen handle. Nebenverkehrswege müßten gemäß § 25 Abs. 1 AAV eine lichte Mindestbreite von 0,6 m aufweisen. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Zentral-Arbeitsinspektorat, sei der gegenständliche Auflagenpunkt aufzuheben.
Die - als Bundesgesetz geltende (vgl. § 106 Abs. 3 Z. 3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG, BGBl. Nr. 450/1994) - Bestimmung des § 21 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) hat folgenden Wortlaut:
"(1) Ausgänge müssen so angelegt und beschaffen sein, daß der im Betrieb übliche Fußgänger- und Fahrzeugverkehr sicher erfolgen kann und die Betriebsräume und Betriebsgebäude von den Arbeitnehmern rasch und sicher verlassen werden können. Ausgänge aus Räumen müssen so angelegt sein, daß, sofern § 26 Abs. 2 nicht anderes bestimmt, der zurückzulegende Weg zu einem Stiegenhaus, zu einem unmittelbar ins Freie führende Ausgang (Endausgang) oder zu einem brandbeständig ausgeführten Gang, der ein Entfernen aus dem Gefahrenbereich leicht ermöglicht, von jedem Punkt der Baulichkeit nicht mehr als 40 m beträgt; bei brandgefährdeten Räumen ohne selbsttätig wirkende Feuerlöschanlagen darf diese Entfernung nicht mehr als 30 m und bei explosionsgefährdeten Räumen nicht mehr als 20 m betragen. Ausgänge, die nicht als Fluchtweg benützt werden können, müssen entsprechend gekennzeichnet sein."
§ 24 Abs. 1 lautet:
"(1) Verkehrswege müssen so angelegt und beschaffen sein, daß der im Betrieb übliche Verkehr sicher erfolgen kann und die Betriebsräume, Betriebsgebäude und das Betriebsgelände von den Arbeitnehmern rasch und sicher verlassen werden können. Verkehrswege dürfen keine Stolperstellen aufweisen. Verkehrswege müssen eine gleitsichere Oberfläche oder einen gleichsicheren Belag haben."
Der mit "Verkehrswege in Betriebsräumen und im Freien" überschriebene § 25 leg. cit. bestimmt in seinem Abs. 1:
(1) Hauptverkehrswege in Betriebsräumen müssen eine ausreichende Breite, mindestens eine solche von 1,20 m besitzen. Nebenverkehrswege in Betriebsräumen, wie Durchgänge zwischen Lagerungen, Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen, müssen ausreichend, mindestens jedoch 0,60 m breit sein. In Verkehrswege, die allgemein benützt werden, dürfen Hindernisse von oben nur so weit hineinragen, daß in diesem Bereich die nach den Betriebsverhältnissen notwendige lichte Höhe der Verkehrswege, mindestens jedoch eine solche von 2 m gegeben ist."
Wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Zentral-Arbeitsinspektorat, zutreffend in der Stellungnahme vom 28. November 1995 hervorhebt, ist ein Verkehrsweg i.S.d. § 25 leg. cit. nur ein solcher, der von seiner Zweckbestimmung her dem betriebsüblichen Verkehr dient, wie sich dies aus dem systhematischen Zusammenhang mit der Regelung des § 24 Abs. 1 leg. cit. ergibt. Wollte man der vom Arbeitsinspektorat für den zweiten Aufsichtsbezirk vertretenen Auffassung einer "räumlichen und organisatorischen Einheit" folgen, so gäbe es in Betriebsräumen und Betriebsgebäuden konsequenterweise (nahezu) nur Hauptverkehrswege. Daß ein solches Auslegungsergebnis mit dem systematischen Aufbau der AAV (und auch dem Zweck der Regelung) unvereinbar ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Da es sich beim Arbeitsbereich hinter der Feinkosttheke - als einer dem betriebsüblichen Verkehr nicht dienenden Fläche - um keinen Verkehrsweg handelt, erübrigt sich diesbezüglich eine Fragestellung, ob es sich um einen Haupt- oder einen Nebenverkehrsweg handelt.
Was den Zugang zum Arbeitsbereich hinter der Feinkosttheke betrifft vertritt der Verwaltungsgerichtshof folgende Rechtsanschauung:
Der Zugang zu einem bzw. von einem (engeren) Arbeitsbereich - innerhalb eines Betriebsraumes - ist, anders als die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung (zunächst) meint, kein Ausgang i.S.d. § 21 AAV. § 21 Abs. 1 AAV stellt nämlich auf "Ausgänge" aus "Betriebsräumen und Betriebsgebäuden" ab. Ein "Raum" liegt aber schon nach der eigentümlichen Bedeutung des Wortes nur dann vor, wenn eine Fläche (zumindest teilweise) von WÄNDEN umschlossen und von einer Deckfläche abgeschlossen ist (vgl. dazu etwa die Begriffsbestimmung des § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien, wonach ein Raum vorliegt, wenn eine Fläche zumindest zur Hälfte ihres Umfanges von Wänden umschlossen und von einer Deckfläche abgechlossen ist).
Eine, wenn auch durch Betriebseinrichtungen abgegrenzte Fläche ist i.d.S. kein "Raum". Wohl aber stellt der Zu- und Abgang zu einer derartigen Fläche einen Verkehrsweg dar, dient er doch dem betriebsüblichen Verkehr von Personen zwischen einem abgegrenzten Arbeitsplatz und den übrigen Verkehrswegen. Als ein Durchgang zwischen Betriebseinrichtungen (vgl. § 25 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit.) muß ein solcher Zu- und Abgang i. S. eines Nebenverkehrsweges in Betriebsräumen ausreichend, mindestens jedoch 0, 60 m breit sein.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 Abs. 1 VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995040145.X00Im RIS seit
11.07.2001