TE OGH 2021/12/16 4Ob151/21s

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Marktgemeinde *, vertreten durch Dr. Herbert Schrittesser, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die Beklagte * GmbH, *, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wegen Beistellung einer Bankgarantie (Streitwert 100.000 EUR) und 166.223,64 EUR sA, über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Juni 2021, GZ 1 R 56/21v-40, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Beklagte errichtete als Bauträgerin auf einer im Gemeindegebiet der Klägerin gelegenen Liegenschaft eine Wohnhausanlage. Im Rahmen der Herstellung der Pkw-Pflichtstellplätze auf einer nahe gelegenen Grundfläche schlossen die Streitteile am 13. 4. 2017 eine Vereinbarung, wonach die Beklagte die Kosten der Errichtung eines Fuß- und Radwegs zur Anbindung der Wohnhausanlage an die Parkplätze übernimmt und diese Verpflichtung mit einer Bankgarantie über 100.000 EUR besichert. In der Sitzung des Gemeinderats der Klägerin vom 29. 11. 2017 wurde allgemein eine Reduktion der verpflichtenden Stellplätze von Wohnanlagen beschlossen, da die Klägerin in Zukunft nicht mehr länger zu einer Steigerung der Wohnpreise beitragen wollte. Der vereinbarungsgemäß von der Klägerin errichtete Fuß- und Radweg wurde Ende 2019 fertiggestellt. Die Beklagte verweigerte die Zahlung der Baukosten sowie die Verlängerung der bereits ausgelaufenen Bankgarantie.

[2]                     Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zurverfügungstellung einer Bankgarantie von 100.000 EUR sowie die Zahlung von 166.223,64 EUR sA, gestützt auf die Vereinbarung vom 13. 4. 2017.

[3]                     Die Beklagte wendete im Wesentlichen den Wegfall der Geschäftsgrundlage ein, denn sie hätte die Vereinbarung nie abgeschlossen, wenn sie von der Änderung der Stellplatzverpflichtung erfahren hätte.

[4]                     Das Erstgericht verpflichtete mittels Teil- und Zwischenurteils die Beklagte zur Verfügungstellung einer Bankgarantie über 100.000 EUR und sprach aus, dass das Zahlungsbegehren von 166.223,64 EUR dem Grunde nach zu Recht bestehe. Ein Sachverhalt, der eine Anfechtung wegen Arglist oder Irrtums ermöglicht hätte, sei nicht festzustellen gewesen. Geschäftsgrundlage der Vereinbarung sei die Vermeidung der Stellplatzausgleichsabgabe durch Ermöglichung der Schaffung von Ersatzstellplätzen gewesen. Wenn die Beklagte den Fehlbedarf an Pflichtstellplätzen nicht auf die erfolgte Weise abgedeckt hätte, wäre sie aufgrund der damaligen Rechtslage mit Bescheid zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe in Höhe von 330.308 EUR verpflichtet worden. Sie sei daher zur Stellung der Bankgarantie sowie zur Zahlung der Errichtungskosten für den Weg verpflichtet. Zur bestrittenen Höhe des Klagebegehrens sei allerdings noch ein Beweisverfahren zu führen.

[5]                     Das Berufungsgericht wies das Begehren hinsichtlich der Stellung der Bankgarantie ab, weil deren Sicherstellungszeitraum vereinbarungsgemäß einen Monat nach Fertigstellung des Fuß- und Radwegs ausgelaufen sei. Der vertragliche Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Errichtungskosten für den Weg bestehe aber zu Recht, denn eine gesetzliche Verpflichtung zur Schaffung von Kfz-Abstellplätzen sei keine typische Voraussetzung einer Vereinbarung der Errichtung eines Wegs. Wenn die Beklagte die Kfz-Stellplätze mittlerweile aufgelassen habe, sei dies aufgrund einer wirtschaftlichen Entscheidung erfolgt, die ausschließlich ihrer eigenen Sphäre zuzurechnen sei. Die Stellplatzverpflichtung sei im Vertrag nicht als Bedingung der Verpflichtung zur Tragung der Kosten der Wegerrichtung vereinbart worden, hingegen hätten die Parteien die erforderliche Umwidmung der in Aussicht genommenen Kfz-Abstellfläche ausdrücklich zur aufschiebenden Bedingung gemacht. Auch eine Irrtumsanfechtung gehe fehl, weil die von der Beklagten genannten Umstände erst nach dem Abschluss der strittigen Vereinbarung eingetreten seien.

Rechtliche Beurteilung

[6]                     Die Beklagte macht in ihrer außerordentlichen Revision im Wesentlichen geltend, dass die Klägerin selbst die Geschäftsgrundlage vor beidseitiger Erfüllung der Vereinbarung beseitigt habe. Damit zeigt sie jedoch keine grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf. Die Revision ist daher in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und somit zurückzuweisen.

[7]                     1. Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist grundsätzlich nur als letztes Mittel heranzuziehen (1 Ob 17/17g). Die Vertragstreue erfordert es, dass jeder Vertragsteil die von ihm übernommenen Verpflichtungen erfüllt und das Risiko eines Fehlschlags seiner Erwartungen tragen muss (3 Ob 143/18b). Ein Rückgriff auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage hat zu unterbleiben, wenn ein Vertrag nach seinem von den Parteien festgelegten immanenten Zweck nicht lückenhaft ist (3 Ob 513/94; 6 Ob 148/07v). Es herrscht somit der Grundsatz der Subsidiarität der Geschäftsgrundlagenlehre.

[8]                     2. An die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung – wie von der Revisionswerberin im Zusammenhang mit der Geschäftsgrundlagenlehre
vorgebracht – stellt § 863 Abs 1 Satz 2 ABGB strenge Anforderungen, da bei der Feststellung der Schlüssigkeit des Verhaltens stärker als bei einer ausdrücklichen Erklärung die Gefahr der Fehlinterpretation im Sinne einer Abweichung vom tatsächlich Gewollten besteht. Danach darf kein vernünftiger Grund übrig bleiben, daran zu zweifeln, dass eine Willenserklärung gewollt ist (1 Ob 17/12z). Bei der Annahme einer konkludenten Bedingungsvereinbarung ist daher Zurückhaltung geboten: Der andere Vertragsteil müsste das Motiv nicht nur als solches, sondern „als Vertragsinhalt“ akzeptieren (3 Ob 62/14k). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen vertretbar verneint, dass die Parteien bei Vertragsabschluss die Stellplatzverpflichtung zur Bedingung erheben wollten. Hätten sie dies gewollt, so hätten sie dies unter Punkt V. der Vereinbarung getan, wo sich bereits eine andere Bedingung befindet, oder sie hätten dies zumindest unmissverständlich in der Präambel ausgedrückt.

[9]                     3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine Änderung der Gesetzeslage wegen einseitiger Risikosphäre grundsätzlich nicht beachtlich ist, es sei denn, dass der Bestand eines Gesetzes offensichtlich zur Geschäftsgrundlage gemacht wurde oder gar ein Rechtsverhältnis auf ein bestimmtes Gesetz aufbaute (RS0018849; 7 Ob 232/97m). Im vorliegenden Fall haben die Vertragsparteien die Stellplatzverpflichtung weder ausdrücklich noch stillschweigend zur Bedingung erhoben; nachträgliche Veränderungen in diesem Umstand können somit nicht als Wegfall der Geschäftsgrundlage berücksichtigt werden.

[10]                    4. Liegt somit in der gesetzlichen Verpflichtung zur Schaffung von Kfz-Abstellplätzen keine geschäftstypische, sondern bloß eine individuelle Vertragsvoraussetzung, ist es auch unerheblich, dass die Klägerin selbst auf die Änderung der Rechtslage Einfluss hatte. Schließlich haben die Vorinstanzen – mangels entsprechender Tatsachenelemente vertretbar – jegliches irreführendes oder arglistiges Verhalten der Klägerin verneint.

[11]       5. Die geltend gemachten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E133992

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00151.21S.1216.000

Im RIS seit

04.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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