TE Lvwg Erkenntnis 2022/1/13 VGW-101/042/11586/2021, VGW-101/V/042/11587/2021

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Veröffentlicht am 13.01.2022
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Entscheidungsdatum

13.01.2022

Index

95/01 Elektrotechnik

Norm

ETG 1992 §3
ETG 1992 §4 Abs1
ETG 1992 §4 Abs2
ETG 1992 §9
ETV 2020 §1
ETV 2020 §2
ETV 2020 §3
ETV 2020 §4
ETV 2020 §5
ETV 2020 §6
ETV 2020 Anhang I

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag. DDr. Tessar über die Beschwerden der A. GmbH und des Herrn Dr. B. C., jeweils vertreten durch Rechtsanwalt, jeweils gegen die mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 36 vom 28.6.2021, Zl. ..., den Beschwerdeführern auferlegten Aufträge zu Recht:

1) zu VGW-101/042/11586/2021 (A. Ges.m.b.H.)

I. Gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.

2) zu VGW-101/V/042/11587/2021 (Dr. B. C.)

I. Gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Der Spruch und die Begründung des gegenständlichen Bescheidausfertigung vom 28.6.2021, Zl. ..., lauten wie folgt:

„Gemäß § 9 Abs. 3 in Verbindung m it § 3 Abs. 1 und 2 des Elektrotechnikgesetzes 1992, BGBl. Nr. 106/1993, werden Herrn Dr. Mag. B. C. und der A. GmbH als Betreiber und Betreiberin der elektrischen Anlage in der Wohnung Top 14 im Hause auf der Liegenschaft in Wien, D.-gasse folgende Aufträge erteilt:

1) An der elektrischen Anlage sind binnen 2 Wochen ab Zustellung des Bescheides folgende Arbeiten durchführen zu lassen zu lassen:

a) Der Fehlerstromschutzschalter im Elektroverteiler ist gegen einen ordnungsgemäßen Fehlerstromschutzschalter (mit einem Nennfehlerstrom von 30 mA) zu tauschen.

b) Fehlende Abdeckungen an Steckdosen sind zu ergänzen.

c) Die Steckdose im Esszimmer ist gegen eine Schutzkontaktsteckdose zu tauschen und ordnungsgemäß an den Schutzerdungsleiter anzuschließen.

d) Die Schutzkontaktsteckdosen im Esszimmer und im Wohnzimmer sind an einen wirksamen Schutzerdungsleiter anzuschließen.

e) Für die elektrische Anlage in der gesamten Wohnung ist ein wirksamer Fehlerschutz (Schutzmaßnahme bei indirektem Berühren) gemäß den Österreichischen Bestimmungen für die Elektrotechnik Ö V E /Ö N O R M E 8001-1 vorzusehen.

f) Frei und ungeschützt verlegte Leitungen sind stolpersicher zu verlegen.

2) Über den ordnungsgemäßen Zustand der elektrischen Anlage sowie die fachgerechte Durchführung der mit Punkt 1) aufgetragenen Arbeiten ist von einem hiezu befugten Fachmann ein m angelfreier Überprüfungsbefund erstellen zu lassen und der Magistratsabteilung 36 unaufgefordert binnen 2 Wochen nach Zustellung dieses Bescheides vorzulegen.

Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wird hinsichtlich des Punktes 1) gemäß § 13 Abs. 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes-VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF ausgeschlossen.

B e g r ü n d u n g

Bei der am 14.06.2021 abgehaltenen Verhandlung wurde festgestellt:

Der Fl-Schalter im Wohnungsverteiler weist einen Nennauslösestrom von 100 mA auf.

Im Wohnzimmer links der Türe fehlt bei einer Steckdose die Abdeckung. Im Esszimmer befindet sich hinter der Bank eine Steckdose ohne Schutzleiterkontakt (2-polige Ausführung).

Im Vorzimmer liegt eine Verlängeru8ngsleitung nicht stolpersicher verlegt am Boden.

Die Schutzkontaktsteckdosen im Esszimmer und im Wohnzimmer weisen keinen Schutzleiter auf.

Folgende Messwerte wurden ermittelt:

Badezimmer: Ta = 64 ms, Ub = 8,3 V, Rs = 76 Ohm, RISOl-pe - 6,0 MOhm, RISOn-pe = 6,0 M O hm

Wohnzimmer Tischverteiler: Ta = 16 ms, Ub = 5,7 V, Rs = 53 Ohm, RISOl-pe = 6,0 MOhm, RISOn-pe = 6,0 M Ohm

Küche: Ta = 15 ms, Ub = 7,4 V, Rs = 68 Ohm, RISOl-pe = 6,0 M Ohm , RISOn-pe = 6,0 M Ohm

Neben den oben angeführten Mängeln kann nicht ausgeschlossen werden, dass noch weitere versteckte Mängel bestehen, da zur Beurteilung des Sachverhalts keine bzw. keine zeitaufwendigen Zerlegearbeiten vorgenommen wurden.

Gemäß § 3 Abs. 1 des Elektrotechnikgesetzes 1992 (ETG 1992) sind elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen so zu errichten, herzustellen, instand zu halten und zu betreiben, dass ihre Betriebssicherheit, die Sicherheit von Personen und Sachen, ferner in ihrem Gefährdungs- und Störungsbereich der sichere und ungestörte Betrieb anderer elektrischer Anlagen und Betriebsmittel, sowie sonstiger Anlagen gewährleistet ist bzw. gemäß § 3 Abs. 2 des Elektrotechnikgesetzes 1992 sind im Gefährdungs- und Störungsbereich elektrischer Anlagen jene Maßnahmen zu treffen, welche für alle aufeinander einwirkenden elektrischen und sonstigen Anlagen sowie Betriebsmittel zur Wahrung der elektrotechnischen Sicherheit und des störungsfreien Betriebes erforderlich sind.

Die Behörde hat gemäß § 9 Abs. 3 leg. cit. den Betreiber der elektrischen Anlage oder den über das elektrische Betriebsmittel Verfügungsberechtigten aufzutragen, den gesetzmäßigen Zustand in angemessener Frist herzustellen.

Die Missstände stellen infolge der Nichteinhaltung der Österreichischen Vorschriften und Bestimmungen für die Elektrotechnik (ÖVE) eine Gefahr fü r die Sicherheit von Personen und Sachen dar.

Die gestellten Fristen sind nach der Art der angeordneten Maßnahmen angemessen.

Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ist hinsichtlich des Punktes 1) auszuschließen, weil die vorzeitige Vollstreckung nach dem Wesen der festgestellten Mängel im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzuge dringend geboten ist.“

In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde führten die Beschwerdeführer aus wie folgt:

„Der angefochtene Bescheid wird bekämpft wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, unrichtiger Tatsachenfeststellungen und Verletzung von Verfahrensvorschriften.

I. Rechtswidriqkeit

Die belangte Behörde stützt die den Beschwerdeführern auferlegten Pflichten offenbar auf § 9 Abs 3 Elektrotechnikgesetz 1992 (ETG 1992). In der Begründung wird auch § 3 Abs 1 und Abs 2 ETG 1992 angeführt, wobei aber dem Spruch und der Begründung nach offensichtlich § 9 Abs 3 als Grundlage für den Bescheid dient.

§ 9 Abs 3 ETG 1992 (idgF) lautet: Wird festgestellt, dass der Zustand oder Betrieb einer elektrischen Anlage diesem Bundesgesetz oder den auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen nicht entspricht, hat die Behörde dem Betreiber der elektrischen Anlage mit Bescheid aufzutragen, den gesetzmäßigen Zustand innerhalb einer gleichzeitig festzusetzenden angemessenen Frist herzustellen. Als Betreiber der Anlage gilt deren Eigentümer, dessen Stellvertreter oder Beauftragte, subsidiär der Anlageninhaber sowie jede sonstige, offenkundig mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Person.

Die belangte geht offenkundig - ohne jegliche Begründung - davon aus, dass die Beschwerdeführer als „Betreiber" im vorgenannten Sinn von der elektrischen Anlage in der Wohnung Wien, D.-gasse …/14 anzusehen sind.

Tatsächlich sind die Beschwerdeführer bücherliche Eigentümer der Liegenschaft EZ ... der KG E., auf welcher sich auch die gegenständliche Wohnung befindet.

Dennoch ist es unrichtig, unsachlich und ungerecht, die Beschwerdeführer hier als „Betreiber“ iSd § 9 Abs 3 ETG 1992 einzuordnen. Dies aus folgenden Gründen:

Unbestimmtheit des Gesetzes

Aufgrund der Formulierung des § 9 Abs 3, letzter Satz, können unterschiedlichste Personen als „Betreiber" betrachtet werden. Es werden (offenbar primär) der Eigentümer, dessen Stellvertreter oder Beauftragte, hingegen ausdrücklich subsidiär der Anlageninhaber, sowie jede sonstige, offenkundig mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Person als „Betreiber“ genannt.

Grundsätzlich ist lebensnah davon auszugehen, dass die Anführung einer Vielfalt an potenziellen „Betreibern“ den Zweck verfolgt, dass die überwachende Behörde Aufträge zur Behebung von Mängeln im Sinne des Gesetzes an die am ehesten greifbaren Personen, möglichst rasch erteilt werden können und Verzögerungen vermieden werden; dies aus Sicherheitsaspekten.

Dieser letzte Satz des § 9 Abs 3 ETG 1992 ist jedoch in mehrerer Hinsicht undeutlich und missverständlich:

Zunächst geht daraus nicht hervor, ob stets nur eine der genannten Personen als „Betreiber“ angesehen werden kann, oder auch mehrere der darin genannten Personen zugleich als „Betreiber“ betrachtet (und daher von der Behörde belangt) werden können.

Darüber hinaus wird der Behörde damit ein Auswahlermessen darüber eingeräumt, wen Sie als Betreiber ansehen und belangen darf, wobei in dieser Bestimmung jegliche Festlegung fehlt, nach welchen Maßstäben dieses Ermessen auszuüben ist. Es bleibt zum Einen im Unklaren, nach welchen Kriterien a) der Eigentümer, b) dessen Vertreter, c) dessen Beauftragter, d) der Anlageninhaber und/oder e) sonstige, offenkundig mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Personen als „Betreiber" anzusehen sind. Zum Anderen bleibt auch im Dunklen, ab wann bzw. unter welchen Umständen die subsidiäre Heranziehung des Anlageninhabers oder sonstige, offenkundig mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Personen entschieden werden darf (oder muss?).

Daher verstößt der letzte Satz des § 9 Abs 3 ETG 1992 gegen das Bestimmtheitsgebot des Art 18 B-VG. Nachdem die Heranziehung des „Betreibers“ nach dem ETG 1992 völlig unabhängig von etwaigen Instandhaltungsverpflichtungen, von wirtschaftlichen Aspekten sowie völlig verschuldensunabhängig zu erfolgen hat, aber - je nach Art und Zustand der elektrischen Anlage - eine enorme finanzielle Belastung für die von der Behörde belangte(n) Person(en) darstellen kann, ist hier ein strenger Maßstab anzulegen. Selbst unter dem Gesichtspunkt, dass bei elektrischen Anlagen den Sicherheitserwägungen der Vorrang zu geben ist, hat das Gesetz irgendwelche Anhaltspunkte zu geben, wer nach welchen Kriterien als Betreiber herangezogen werden darf. Das Gesetz muss den Sinn, der bei der Ermessensausübung maßgebend sein soll, normieren; die Einräumung von Ermessen ohne jede Eingrenzung in welchem Sinne das Ermessen zu üben ist, wäre verfassungswidrig (vgl. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht11 Rz 576, mwN). Die ggst. Regelung hält den Kriterien des Art. 18 B-VG nicht stand und ist verfassungswidrig.

Unsachlichkeit (Gleichheitswidriqkeit)

Ferner ist § 9 Abs 3 letzter Satz ETG 1992 unsachlich und unverhältnismäßig: Es erhellt sich nicht, weshalb primär der Eigentümer einer elektrischen Anlage (und dessen Gehilfen), hingegen nur subsidiär der Anlageninhaber belangt werden kann. Im gegenständlichen Lebenssachverhalt führt das in Zusammenschau mit den rechtlichen Rahmenbedingungen zu einem völlig unbilligen Ergebnis. Der derzeitige Mieter der Wohnung ist im Jahr 2003 in das Mietverhältnis seines Vaters eingetreten, welcher wiederum vor vielen Jahrzehnten in das Mietverhältnis seines Vaters eingetreten ist, welcher diese Wohnung Erzählungen zufolge in den 1930er-Jahren bezogen hat. Das auf der gegenständlichen Liegenschaft befindliche Mehrparteienhaus wurde im Jahr 1896 errichtet; das Mietverhältnis unterliegt dem Kündigungsschutz des Mietrechtsgesetzes. Die Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft haben daher seit ungefähr 90 Jahren keine Verfügungsgewalt über die gegenständliche Wohnung; sie unterliegen als Vermieter auch nur der beschränkten Erhaltungspflicht gemäß § 3 Mietrechtsgesetz. Der gegenwärtige Zustand der elektrischen Anlage in der Wohnung Top 14 und etwaige Schäden derselben sind ausschließlich dem Mieter als Anlageninhaber zuzurechnen. Nur er hat den jederzeitigen Zugang zur Anlage und benützt diese seit vielen Jahrzehnten. Der aktuelle Zustand der elektrischen Anlage erweckt den Eindruck, dass diese in den 1970er- oder 1980-er Jahren erneuert wurde, wobei dies vom Mieter (Anlageninhaber) gemacht wurde. Die Beschwerdeführer haben keine Kenntnis vom Zustand der elektrischen Anlage.

Unter den gegebenen Umständen erscheint es daher völlig ungerecht und unsachlich, primär die Eigentümerseite mit der Behebung von Mängeln an der elektrischen Anlage zu belangen.

Sachlich geboten wäre es hier, den Mieter als langjährigen Anlageninhaber und Rechtsbesitzer des Mietgegenstands heranzuziehen. Die ggst. Bestimmung ist hinsichtlich der (offenbar) primären Betreibereigenschaft des Eigentümers gegenüber der subsidiären Betreibereingenschaft des Anlageninhabers undifferenziert und behandelt unterschiedliche Lebenssachverhalte gleich. Nicht zuletzt haben im gegenständlichen Fall die Eigentümer gar keinen Zugang zur elektrischen Anlage in der Wohnung, solange diese nicht vom Mieter gewährt wird. Daher ist auch unter Sicherheitserwägungen bzw. unter dem Aspekt der möglichst schnellen Behebung eines mangelhaften oder gar gefährlichen Zustands in derartigen Fällen die primäre Belangung des Anlageninhabers zweckmäßig und angemessen. Im Ergebnis bedeutet die Regelung des § 9 Abs 3 letzter Satz ETG 1992 hinsichtlich der enthaltenen Subsidiarität eine unsachliche und damit verfassungswidrige Differenzierung. Dabei handelt es sich nicht um einen besonderen Einzelfall, denn es gibt sehr viele Altmietverhältnisse unter vergleichbaren Verhältnissen.

Rechtswidrige Ermessensausübung:

Darüber hinaus wird vorsorglich auch die unrichtige Ermessensausübung bzw. der Verstoß gegen die im Gesetz auffindbaren Wertungsrichtlinien durch die belangte Behörde eingewendet. In einem anderen Teil des ETG 1992 finden sich durchaus Regelungen, die gewisse Kriterien für die Ermessensausübung enthalten bzw. eine Abwägung der Behörde vorsehen. Insbesondere in § 3 ETG 1992 betreffend Sicherheitsmaßnahmen auf dem Gebiet der Elektrotechnik hat zB gemäß Abs 11 letzter Satz die Behörde „...darauf Bedacht zu nehmen, daß die Beseitigung dieser Gefährdung oder Störung auf wirtschaftlichstem Wege unter möglichster Wahrung der Interessen der Betroffenen herbeigeführt wird." § 3 Abs 12 lautet: „Die Kosten für Vorkehrungen nach Abs. 11 hat grundsätzlich derjenige zu tragen, der diese durch das Hinzutreten, die Änderung oder die Erweiterung seiner elektrischen Anlagen, elektrischen Betriebsmittel oder sonstigen Anlagen erforderlich gemacht hat. Die Behörde kann jedoch, unter Abwägung des mit dem Betrieb der elektrischen oder sonstigen Anlage oder des elektrischen Betriebsmittels verfolgten Zweck, eine hievon abweichende Entscheidung treffen."

In diesem Fall definiert das Gesetz also doch, dass die Behörde wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen hat und dass derjenige, der eine Anlage errichtet, geändert oder erweitert hat, auch die Kosten dafür tragen soll. Insofern hätte die belangte Behörde bei der Ausübung ihres Auswahlermessens, wer als Betreiber iSd § 9 Abs 3 heranzuziehen ist, in analoger Anwendung der oben genannten Kriterien, aufgrund der gegebenen Umstände, den Bescheid an den Anlageninhaber adressieren müssen.

Überschießende Anordnungen

Selbst wenn die Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs 3 ETG 1992 hier zur Behebung eines gesetzwidrigen Zustands verpflichtet werden dürfen, sind die behördlich angeordneten Maßnahmen überschießend und nicht mit dem ETG 1992 vereinbar:

§4 Abs 1 ETG 1992 lautet:

(1) Auf bestehende elektrische Anlagen und elektrische Betriebsmittel, welche nach den zur Zeit ihrer Errichtung oder Herstellung verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumenten errichtet beziehungsweise hergestellt wurden, finden neue verbindlich erklärte elektrotechnische Normen und verbindlich erklärte elektrotechnische Referenzdokumente keine Anwendung. Für diese elektrischen Anlagen und elektrischen Betriebsmittel sind die zur Zeit ihrer Errichtung oder Herstellung in Geltung gestandenen verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente weiter anzuwenden.

Die belangte Behörde lässt in ihrer Begründung offen, nach welcher Norm die gegenständliche Anlage grundsätzlich errichtet wurde und wird nicht begründet, weshalb für die gesamte elektrische Anlage ein Fehlerschutz gem. § 1 e) nach ÖNORM E-8001-1 vorzusehen ist, bzw. weshalb hier (offenbar) nach § 4 Abs 2 Z 1 vorgegangen wird.

Ferner ist Punkt 2) des Bescheids nicht mit dem ETG vereinbar; die Behörde hat Überprüfungen nach § 9 selber durchzuführen und hat der Betreiber einer Anlage dies zu dulden. Es besteht jedoch keine „Bringschuld" des Eigentümers im Hinblick auf elektrotechnischer Befunde; dies ist von § 9 Abs 3 ETG nicht gedeckt.

II. Gefahr im Verzug - Ausschluss der aufschiebenden Wirkung

(i) Die gegenständliche Elektroanlage stammt dem Aussehen nach aus den 1970er-Jahren oder frühen 1980er-Jahren und ist seither ununterbrochen in Verwendung. Den Beschwerdeführern ist kein Fall bekannt, wonach in den letzten 40 Jahren durch diese elektrische Anlage jemand verletzt worden wäre. Insofern ist die plötzliche Annahme von Gefahr in Verzug lebensfremd und unglaubwürdig. Darüber hinaus ist im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführer aus allen oben angeführten Gründen nicht gemäß § 9 Abs 3 ETG 1992 verpflichtet werden dürfen, auch der Ausspruch über die aufschiebende Wirkung unberechtigt, weil ein derartiger Bescheid an den Anlageninhaber zu adressieren ist.

(ii) Selbst wenn ein gefährlicher Zustand vorliegt, werden dadurch weder öffentliche Interessen, noch die Interessen einer Verfahrenspartei berührt. Die elektrische Anlage befindet sich im Privatbereich und dient der ausschließlichen Benützung durch den Wohnungsmieter. Somit sind die Voraussetzungen des § 13 Abs 2 VwGVG nicht gegeben.

Unzumutbarkeit / Unmöglichkeit der eingeräumten Frist

In eventu wird eingewendet, dass die den Beschwerdeführern eingeräumte Frist zur Behebung von Mängeln binnen 14 Tagen zu kurz ist und geradezu unmöglich gewahrt werden kann. Die Beschwerdeführer haben nach Zustellung des Bescheids 5 Elektrounternehmen kontaktiert, von welchen 4 angegeben haben, dass eine Ausführung der von der Behörde aufgetragenen Maßnahmen aufgrund der Urlaubszeit frühestens im August oder September begonnen werden könnte. Ein Elektrounternehmen hat angegeben, dass es die notwendigste Maßnahmen zur Abwendung von Gefahr im Verzug in der Woche ab 19.7.2021 durchführen kann. Völlig unpräjudiziell auf den Rechtsstandpunkt der Beschwerdeführer haben diese dem Unternehmen aus Vorsichtsgründen den Auftrag erteilt.

Die Beschwerdeführer beantragen daher die ersatzlose Behebung des Bescheids.

Beweisanbote im weiteren Verfahren (ZV, PV, SV-Gutachten) bleiben ausdrücklich vorbehalten.“

Aus dem der Beschwerde beigeschlossenen Akt ist ersichtlich:

Mit Schriftsatz vom 16.5.2021 langte bei der belangten Behörde eine Email von Herrn Dr. F. G., dem Hauptmieter der gegenständlichen Wohnung, ein. In dieser Mail führte er aus wie folgt:

„Betrifft: Anzeige von Elektro Mängel ich bin Hauptmieter der Wohnung in Wien D.-gasse .../14

In diesen Räumlichkeiten kam es zum Zusammenbruch der elektrische Leitungen mit der Folge dass ein Teil des Stroms ausfiel der herbeigerufene Elektriker erstellte dabei ein Gutachten demzufolge eine Gefahr für Personen und Sachschäden sowie vor allem durch Brand besteht. Ich habe damit die Hausverwaltung konfrontiert die eine Sanierung auf ihre Kosten (laut Mieterschutzvereinigung gesetzwiedrig) abgelehnt hat.

Ich ersuche Sie daher im Hinblick auf die Dringlichkeit unverzüglich allfällige Maßnahmen zu setzen und mich über einen allfälligen Briefwechsel mit der Hausinhabung in Kenntnis zu setzen.

Anbei die Stellungnahme des Elektrikers sowie einen Grundbuchauszug des gegenständlichen Hauses“

Diesem Schreiben beigeschlossen war eine undatierte Stellungnahme eines Elektrounternehmers, in welcher ausgeführt wurde:

„Nach Besichtigung der elektrischen Anlage in der Wohnung am 27.04.2021 ist aufgefallen, dass es schwere Mängel an der Anlage gibt, die nicht durch Reparaturarbeiten zu beheben sind.

Die Anlage verfügt über keine wirksame Fehlerschutzmaßnahme sowie keinen Zusatzschutz. Die Basisisolierung der Leitungen in der Wohnung sowie die Zuleitung ist veraltet und erfüllen nicht mehr ihren Zweck.

Es besteht eine Gefahr von Personen- und Sachschäden durch elektrischen Schlag sowie Brand. Die Anlage ist so rasch wie möglich zu demontieren und eine neue, samt Zuleitung zu errichten.“

In Hinblick auf dieses Schreiben wurde das gegenständliche Verfahren eingeleitet.

Aus dem seitens der belangten Behörde beigeschafften Grundbuchsauszug geht hervor, dass die BeschwerdeführerInnen die EigentümerInnen der gegenständlichen Liegenschaft sind.

In weiterer Folge wurde seitens der erstinstanzlichen Behörde am 14.6.2021 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. In der anlässlich dieser Verhandlung aufgenommenen Verhandlungsschrift wird u.a. ausgeführt wie folgt:

Im Zuge der Überprüfung wird Folgendes festgestellt:

„Der Fl-Schalter im Wohnungsverteiler weist eine Nennauslösestrom von 100 mA auf.

Im Wohnzimmer links der Türe fehlt bei einer Steckdose die Abdeckung. Im Esszimmer befindet sich hinter der Bank eine Steckdose ohne Schutzleiterkontakt (2- polige Ausführung).

Im Vorzimmer liegt eine Verlängeru8ngsleitung nicht stolpersicher verlegt am Boden.

Die Schutzkontaktsteckdosen im Esszimmer und im Wohnzimmer weisen keinen Schutzleiter auf.

Folgende Messwerte wurden ermittelt:

Badezimmer: TA = 64 ms, UB = 8,3 V, Rs = 76 Ohm, RISOL-PE = 6,0 MOhm, RISON-PE = 6,0 MOhm

Wohnzimmer Tischverteiler: TA = 16 ms, UB = 5,7 V, Rs = 53 Ohm, RISOL-PE = 6,0 MOhm, RISON-PE = 6,0 MOhm

Küche: TU = 15 ms, UB = 7,4 V, Rs = 68 Ohm, RISOL-PE = 6,0 MOhm, RISON-PE = 6,0 MOhm“

Seitens des erkennenden Gerichts wurde der für das gegenständliche Verfahren zuständige Amtssachverständige der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 31.8.2021 aufgefordert, zu den einzelnen gegenständlichen Auflagenpunkten darzulegen, aufgrund welcher der jeweils im Anhang I der Elektrotechnikverordnung 2020 angeführten technischen Normen die jeweilige Auflage als geboten erachtet wurde, und erging zugleich die Aufforderung, zu jedem Auflagenpunkt mit Gutachten detailliert und durch Belege (Fotos etc.) dokumentiert darzulegen, welche konkrete Norm der jeweiligen oa Norm im konkreten Fall nicht eingehalten worden ist. Zudem erging das Ersuchen, eine Stellungnahme zum Beschwerdeschriftsatz zu erstatten.

In Beantwortung dieses Schreibens führte dieser Amtssachverständige der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 10.9.2021 in Wesentlichen aus:

„Bezugnehmend auf den Bescheid der MA 36 vom 28.06.2021, GZ.: ... wird zu den einzelnen Punkten wie folgt festgestellt:

1a.) Im Wohnungsverteiler ist derzeit ein Fehlerstromschutzschalter mit einem Nennauslösefehlerstrom von 100 mA eingebaut (Foto 1). Um den Personenschutz zu gewährleisten wurde in der Elektrotechnikverordnung 2002/A2 – ETV 2002/A2 BGBl. 223/20210 im § 7a festgelegt, dass elektrische Anlagen in Wohnungen nur dann den Bestimmungen des Elektrotechnikgesetzes 1992 – ETG 1992, BGBl. 106/1993 entsprechen, wenn zumindest ein Fehlerstrom, Schutzschalter mit einem Nennfehlerstrom von nicht mehr als 30 mA vorgesehen ist.

1b.) Elektrische Betriebsmittel müssen gem. ÖVE/EN1-Teil 2/1993 und ÖVE/ÖNORM E 8001-2 so eingebaut und betrieben werden, dass der sichere Betrieb bei bestimmungsgemäßer Verwendung sichergestellt ist (Bild 2).

1c.) Für eine funktionierende Schutzmaßnahme (im vorliegenden Fall Nullung mit Fehlerstrom-Zusatzschutz) gegen indirektes Berühren (Fehlerschutz) ist ein wirksamer Schutzleiter bei Steckdosen erforderlich (ÖVE-EN1-Teil1/1993 und ÖVE/ÖNORM E 8001-1). In der Wohnung sind jedoch Steckdosen ohne Schutzleiteranschluss (2-polige Ausführung) vorhanden (Bild 3).

1d.) Für eine funktionierende Schutzmaßnahme (im vorliegenden Fall Nullung mit Fehlerstrom-Zusatzschutz) gegen indirektes Berühren (Fehlerschutz) ist ein wirksamer Schutzleiter bei Steckdosen erforderlich (ÖVE-EN1-Teil1/1993 und ÖVE/ÖNORM E 8001-1). In der Wohnung sind jedoch Steckdosen mit Schutzleiteranschluss (3-polige Ausführung) jedoch ohne angeschlossenen Schutzleiter vorhanden.

1e.) Sämtliche Auslässe (z.B. Decken- und Wandauslässe für Leuchtkörper) müssen eine funktionierende Schutzmaßnahme (im vorliegenden Fall Nullung mit Fehlerstrom-Zusatzschutz) gegen indirektes Berühren (Fehlerschutz) aufweisen (ÖVE-EN1-Teil1/1993 und ÖVE/ÖNORM E 8001-1).

1f.) Gem. ÖVE-EN1-Teil 3 § 42 müssen elektrische Leitungen vor mechanischer Beschädigung geschützt verlegt sein. Im gegenständlichen Fall liegen elektrische Leitungen lose am Boden.“

Da mit diesem Schreiben nicht die konkreten Anfragen des erkennenden Gerichts beantwortet worden waren, urgierte das erkennende Gericht mit hg Schriftsatz vom 20.9.2021, dass die belangte Behörde bekannt geben möge, welche konkrete Bestimmungen dieser von der belangten Behörde in ihrem Schreiben vom 10.9.2021 angeführten technischen Normen im konkreten Fall verletzt worden sind bzw. nicht beachtet wurden.

Daraufhin teilte dieser Amtssachverständige der belangten Behörde mit Schreiben vom 24.9.2021 mit wie folgt:

„Eingangs wird festgehalten, dass die zitierte Norm ÖVE-EN1 Teil 1/1993 falsch angegeben wurde, da diese Norm korrekterweise ÖVE-EN1 Teil 1/1989 heißen muss.

Die Normen ÖVE-EN1 Teil1/1989 und ÖVE/EN1-Tei 2/1993 können in der Elektrotechnikverordnung 1996 – ETV 1996 BGBl. 105/1996 im RIS abgerufen werden.

Die Norm ÖVE/ÖNORM E 8001-1 kann in der Elektrotechnikverordnung 2002 – ETV 2002 BGBl. 222/2002 im RIS abgerufen werden.

Als Datei elektronisch liegen diese alten Normen nicht auf.

Die Norm ÖVE/ÖNORM E 8001-2 kann in der Elektrotechnikverordnung 2002/A2 BGBl. 223/2010 im RIS abgerufen werden.

Grundsätzlich wird jedoch bemerkt, dass die beiden Normen ÖVE/ÖNORM E 8001-1 und ÖVE/ÖNORM E 8001-2 den heutigen Stand der Technik wiedergeben. Im Elektrotechnikgesetz wird jedoch immer auf den Errichtungszeitpunkt Bezug genommen.

Zu Pkt.1f) wird festgestellt, dass Mantelleitungen durch ihren Aufbau einen begrenzten ausreichenden mechanischen Schutz aufweisen, sodass frei am Boden liegende Leitungen an der Außenisolation durch permanentes Betreten oder „Einzwicken“ in Türen leicht beschädigt werden können und damit der Basisschutz nicht mehr gewährleistet ist.

Da somit weiterhin die bereits im hg Schriftsatz vom 31.8.2021 gestellte und mit hg Schreiben vom 20.9.2021 urgierte Frage nicht beantwortet worden war, urgierte das erkennende Gericht mit Schreiben vom 29.9.2021 neuerlich, dass die belangte Behörde bekannt geben möge, welche konkrete Bestimmungen dieser von der belangten Behörde in ihrem Schreiben vom 10.9.2021 angeführten technischen Normen im konkreten Fall verletzt worden sind bzw. nicht beachtet wurden.

Sodann teilte dieser Amtssachverständige der belangten Behörde mit Schreiben vom 1.10.2021 mit wie folgt:

„Bezugnehmend auf das Schreiben vom 10.09.2021 wird Folgendes konkretisiert:

Ad 1a.) Bereits mit der ÖVE-EN1 Teil 1/1989 § 6.1 wurde der Zusatzschutz durch einen Fehlerstromschutzschalter mit einem Nennfehlerstrom von 0,03 A empfohlen.

Um den Personenschutz zu gewährleisten wurde in der Elektrotechnikverordnung 2002/A2 – ETV 2002/A2 BGBl. 223/20210 im § 7a festgelegt, dass elektrische Anlagen in Wohnungen nur dann den Bestimmungen des Elektrotechnikgesetzes 1992 – ETG 1992, BGBl. 106/1993 entsprechen, wenn zumindest ein Fehlerstrom, Schutzschalter mit einem Nennfehlerstrom von nicht mehr als 30 mA vorgesehen ist.

Ad 1b.) Hier gilt ÖVE-EN1 Teil 2/1993 § 25.1.1 in Zusammenhang mit ÖVE-EN1 Teil 1/1989 § 4.1.

Ad 1c.) Die Schutzmassnahme Nullung erfordert einen Anschluss des Schutzleiters gem. ÖVE-EN1 Teil 1/1989 § 10.1.

Ad 1d.) Die Schutzmassnahme Nullung erfordert einen Anschluss des Schutzleiters gem. ÖVE-EN1 Teil 1/1989 § 10.1.

Ad 1e.) Die Schutzmassnahme Nullung erfordert einen Anschluss des Schutzleiters gem. ÖVE-EN1 Teil 1/1989 § 10.1.“

In Hinblick darauf, dass in den obangeführten Beantwortungen seitens des Sachverständigen negiert wurden, dass die Anführung einer in der Anlage I der Elektrotechnikverordnung erforderlich sei, wies das erkennende Gericht sodann mit Schriftsatz vom 12.10.2021 darauf hin, dass gemäß § 4 Abs. 1 Elektrotechnikgesetz auf bestehende elektrische Anlagen und elektrische Betriebsmittel, welche nach den zur Zeit ihrer Errichtung oder Herstellung verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumenten errichtet beziehungsweise hergestellt wurden, neue verbindlich erklärte elektrotechnische Normen und verbindlich erklärte elektrotechnische Referenzdokumente keine Anwendung finden. Für diese elektrischen Anlagen und elektrischen Betriebsmittel sind die zur Zeit ihrer Errichtung oder Herstellung in Geltung gestandenen verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente weiter anzuwenden. Gemäß § 4 Abs. 2 Elektrotechnikgesetz können aber durch Verordnung auch bestimmte, in der Verordnung konkret anzuführende rein österreichischer elektrotechnischer Normen für Altanlagen verbindlich erklärt werden. Von dieser Verordnungsermächtigung habe der zuständige Bundesminister im Rahmen der Erlassung der Elektrotechnikverordnung 2020 Gebrauch gemacht, und seien im Anhang I der Elektrotechnikverordnung 2020 bestimmte rein österreichische elektrotechnische Normen und elektrotechnischen Referenzdokumente auch für Altanlagen als verbindlich erklärt worden. In diesem Anhang finden sich, soweit ersichtlich, aber nicht die seitens der Magistratsabteilung 36 als Grundlage für ihre Beanstandung angeführten elektrotechnische Normen ÖVE-EN1 Teil 1/1989, der ÖVE-EN1 Teil 2/1993. Daher erging das weitere Ersuchen um Bekanntgebe, ob die seitens der Magistratsabteilung 36 festgestellten Mängel bzw. die durch den Magistrat im gegenständlich bekämpften Bescheid aufgetragenen Arbeiten auch auf eine oder mehrere der in den Anhängen I und II der Elektrotechnikverordnung 2020 angeführten elektrotechnische Normen gestützt wurden.

Mit Schreiben vom 10.11.2021 wurde dieser Auftrag folgend beantwortet:

„1a.) In der OVE E 8101 steht unter Pkt. 415.1.001.AT: Stromkreise mit Steckdosen in Anlagen für Wechselspannung mit einem Bemessungsstrom von höchstens 20 A sind bei Anwendung der Schutzmaßnahmen Nullung, Fehlerstrom-Schutzschaltung oder Überstrom-Schutzerdung zusätzlich durch Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen mit einem Bemessungsfehlerstrom IF kleiner –gleich 0,03 A zu schützen.

1b) In der OVE E 8101 steht unter Pkt. 411.2: Anforderungen an den Basisschutz (Schutz gegen direktes Berühren:

Alle elektrischen Betriebsmittel müssen mit einer der im Anhang 41.A oder, wenn zutreffend, der im Anhang 41B beschriebenen Schutzvorrichtungen für den Basisschutz (Schutz gegen direktes berühren) übereinstimmen.

Anhang 41.A Schutzvorkehrungen für den Basisschutz (Schutz gegen direktes Berühren): 41.A.1 Aktive teile müssen vollständig mit einer Isolierung abgedeckt sein, die nur durch Zerstörung entfernt werden kann.

1c.) +1d.) In der OVE E 8101 steht unter Pkt. 411.4.1: Eine Voraussetzung für die automatische Abschaltung im TN-System ist eine definierte, gut leitfähige Verbindung zwischen dem Schutzerdungsleiter der Verbraucheranlage einerseits und dem PEN-Leiter des speisenden Netzes andererseits.

1e.) In der OVE E 8101 steht unter Pkt. 411.1: Die Schutzvorkehrung automatische Abschaltung der Stromversorgung wird bei Schutzmaßnahmen eingesetzt, bei denen

-    der Basisschutz (Schutz gegen direktes Berühren) vorgesehen ist durch eine Basisisolierung der aktiven Teile oder durch Abdeckung oder Umhüllungen

-    der Fehlerschutz (Schutz bei indirektem Berühren) vorgesehen ist durch einen Schutzpotentialausgleich und automatischer Abschaltung im Fehlerfall.“

-    

Aufgrund dieses Schriftsatzes richtete das erkennende Gericht sodann einen mit 26.11.2021 datierten Schriftsatz, in welchem im Wesentlichen ausgeführt wurde wie folgt:

„Mit Schreiben vom 10.11.2021 führten Sie zu den 1a) bis 1e) Bestimmungen der OVE E 8101 zum Beleg der Gebotenheit der gegenständlichen Auflagenpunkte an.

Dazu ist auszuführen, dass die OVE E 8101 nicht in der Anlage I der Elektrotechnikverordnung 2020 angeführt ist, sondern vielmehr in der Anlage II der Elektrotechnikverordnung 2020.

Gemäß dem Einleitungssatz dieser Anlage II der Elektrotechnikverordnung 2020 handelt es sich bei den in dieser Anlage angeführten technischen Normen nicht um für alle Elektroanlagen verbindliche technische Normen i.S.d. § 2 Abs. 1 Elektrotechnikverordnung 2020 i.V.m. § 4 Abs. 2 Elektrotechnikgesetz. Vielmehr handelt es sich bei diesen in der Anlage II angeführten technischen Normen um solche i.S.d. § 2 Abs. 2 und 3 Elektrotechnikverordnung, daher um nützliche und zweckmäßig umsetzende technische Normen, welche aber nicht verbindlich sind.

Das Verwaltungsgericht Wien folgert daher aus dem Umstand, dass die Auflagen der Punkte 1a) bis 1e) nicht auf eine der in der Anlage I der Elektrotechnikverordnung angeführten technische Normen gestützt werden können, sodass die Auflage des Punkts 1f) ausschließlich auf § 42 der technischen Norm ÖVE-EN1-Teil3 gestützt werden kann.

Um eine Stellungnahme und allfällige Anführung von im Anhang I der Elektrotechnikverordnung 2020 genannte technische Normen, auf welche die gegenständlichen Auflagenpunkte gestützt werden können, wird binnen einer Frist von 14 Tagen ersucht.

Im Falle der Nichtbeantwortung binnen dieser Frist geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass keiner der Auflagenpunkte auf eine im Anhang I der Elektrotechnikverordnung 2021 angeführte technische Norm gestützt zu werden vermag.“

Dieses Schreiben wurde vom Amtssachverständigen mit Schriftsatz vom 4.1.2022 wie folgt beantwortet:

„Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 26.11.2021 wird hinsichtlich der Elektrotechnikverordnung vom 08.07.2020 Folgendes festgestellt:

Im Anhang I der zitierten Verordnung sind alle nationalen Sicherheitsvorschriften angeführt, welche verbindlich erklärt wurden. Diese Normen werden vom Österreichischen Verband für Elektrotechnik (früher ÖVE jetzt OVE) verfasst und veröffentlicht. Sie müssen als verbindliche Norm für jeden Bürger kostenlos verfügbar sein und sind daher auch im Internet lesbar.

Im Anhang II der zitierten Verordnung sind alle europäischen Sicherheitsvorschriften angeführt, welche aus rechtlichen Gründen nicht verbindlich erklärt werden können, und daher lediglich kundgemacht werden. Die rechtlichen Gründe sind, dass internationale Normen nur käuflich erwerbbar sind und somit nicht verbindlich erklärt werden können. Sie stellen jedenfalls den Stand der Technik dar und daher auch anzuwenden.

Die Verordnung sieht diesbezügliche Abweichungen nur nach Erstellen einer Risikobewertung vor, die jedoch in Umfang und Ausführung nicht gesetzlich definiert ist.“

Es daher davon auszugehen, dass keiner der gegenständlichen Auflagenpunkte auf eine im Anhang I der Elektrotechnikverordnung 2021 angeführte technische Norm gestützt zu werden vermag.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Wie zuvor ausgeführt, hat das durch das erkennende Gericht unter Beiziehung des für die gegenständliche Angelegenheit zuständigen Amtssachverständigen der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben, dass keiner der Auflagenpunkte auf eine im Anhang I der Elektrotechnikverordnung 2021 angeführte technische Norm gestützt zu werden vermag.

Unstrittig wurde die gegenständliche elektrotechnische Anlage vor etwa 80 Jahren entsprechend der damals gesetzlich vorgeschriebenen elektrotechnischen Vorgaben errichtet, sodass im Hinblick auf die gegenständliche Anlage die Bestimmung des § 4 Abs. 1 Elektrotechnikgesetz zu beachten ist.

§ 3 Elektrotechnikgesetz samt Überschrift lautet wie folgt:

„Sicherheitsmaßnahmen auf dem Gebiete der Elektrotechnik

(1) Elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen sind innerhalb des ganzen Bundesgebietes so zu errichten, herzustellen, instandzuhalten und zu betreiben, daß ihre Betriebssicherheit, die Sicherheit von Personen und Sachen, ferner in ihrem Gefährdungs- und Störungsbereich der sichere und ungestörte Betrieb anderer elektrischer Anlagen und Betriebsmittel sowie sonstiger Anlagen gewährleistet ist. Um dies zu gewährleisten, ist gegebenenfalls bei Konstruktion und Herstellung elektrischer Betriebsmittel nicht nur auf den normalen Gebrauch sondern auch auf die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Benutzung Bedacht zu nehmen. In anderen Rechtsvorschriften enthaltene Bestimmungen über den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Personen werden durch diese Bestimmungen nicht berührt.

(2) Im Gefährdungs- und Störungsbereich elektrischer Anlagen und elektrischer Betriebsmittel sind jene Maßnahmen zu treffen, welche für alle aufeinander einwirkenden elektrischen und sonstigen Anlagen sowie Betriebsmittel zur Wahrung der elektrotechnischen Sicherheit und des störungsfreien Betriebes erforderlich sind.

(3) Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft kann durch Verordnung zu den Abs. 1 und 2 nähere Regelungen treffen.

(4) Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft kann nach Anhörung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und der Bundesarbeitskammer unter Bedachtnahme auf internationale Abkommen durch Kundmachung im Bundesgesetzblatt Bestimmungen für die Elektrotechnik verlautbaren, deren Anwendung zwar nicht verbindlich ist, bei deren Anwendung aber die Anforderungen der Abs. 1 und 2 als erfüllt angesehen werden. Diese Kundmachung hat die Titel und die Fundstellen dieser Bestimmungen für die Elektrotechnik anzugeben.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 27/2017)

(6) Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft kann durch Verordnung regeln, unter welchen Bedingungen die Anforderungen der Abs. 1 und 2 als erfüllt angesehen werden, wenn die Bestimmungen für die Elektrotechnik nach Abs. 4 nicht angewandt werden.

(Anm.: Abs. 7 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 27/2017)

(8) Elektrische Betriebsmittel, die dem Abs. 1 oder den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen nicht entsprechen, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.

(9) Abs. 8 gilt nicht für elektrische Betriebsmittel, die einer technischen Prüfung unterzogen werden sollen oder musealen oder demonstrativen Zwecken dienen, insbesondere wenn diese für Messen oder Ausstellungen Verwendung finden.

(Anm.: Abs. 10 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 129/2015)

(11) Die in den Abs. 1, 2 und 8 festgelegten Verpflichtungen hat je nach Art derselben derjenige zu erfüllen, der die elektrische Anlage oder die elektrischen Betriebsmittel errichtet, herstellt, einführt, instand hält, betreibt oder in Verkehr bringt. Unbeschadet der Pflichten der Wirtschaftsakteure gemäß § 9a ff kann der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft durch Verordnung oder die Behörde (§ 13) durch Bescheid auch dem Eigentümer der elektrischen Anlage oder des elektrischen Betriebsmittels die Erfüllung dieser Verpflichtungen auferlegen. Maßnahmen nach Abs. 2 können auch denjenigen aufgetragen werden, die über elektrische Anlagen, elektrische Betriebsmittel oder sonstige Anlagen im Gefährdungs- und Störungsbereich verfügungsberechtigt sind, sie errichten, herstellen, instandhalten oder betreiben. Hiebei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Beseitigung dieser Gefährdung oder Störung auf wirtschaftlichstem Wege unter möglichster Wahrung der Interessen der Betroffenen herbeigeführt wird.

(12) Die Kosten für Vorkehrungen nach Abs. 11 hat grundsätzlich derjenige zu tragen, der diese durch das Hinzutreten, die Änderung oder die Erweiterung seiner elektrischen Anlagen, elektrischen Betriebsmittel oder sonstigen Anlagen erforderlich gemacht hat. Die Behörde kann jedoch, unter Abwägung des mit dem Betrieb der elektrischen oder sonstigen Anlage oder des elektrischen Betriebsmittels verfolgten Zweck, eine hievon abweichende Entscheidung treffen.

§ 4 Elektrotechnikgesetz lautet wie folgt:

„(1) Auf bestehende elektrische Anlagen und elektrische Betriebsmittel, welche nach den zur Zeit ihrer Errichtung oder Herstellung verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumenten errichtet beziehungsweise hergestellt wurden, finden neue verbindlich erklärte elektrotechnische Normen und verbindlich erklärte elektrotechnische Referenzdokumente keine Anwendung. Für diese elektrischen Anlagen und elektrischen Betriebsmittel sind die zur Zeit ihrer Errichtung oder Herstellung in Geltung gestandenen verbindlichen elektrotechnischen Normen und verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente weiter anzuwenden.

(2) Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft kann jedoch generell durch Verordnung oder die Behörde (§ 13) individuell durch Bescheid bestehende elektrische Anlagen oder elektrische Betriebsmittel in den Geltungsbereich neuer verbindlich erklärter rein österreichischer elektrotechnischer Normen und verbindlich erklärter elektrotechnischer Referenzdokumente einbeziehen, wenn

1.

durch die Anwendung der neuen verbindlichen rein österreichischen elektrotechnischen Normen und der verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente erhebliche Missstände beseitigt werden, welche die Sicherheit von Personen oder Sachen, die Betriebs- und Störungssicherheit der elektrischen Anlagen und elektrischen Betriebsmittel sowie sonstiger Anlagen in ihrer Umgebung gefährden, oder

2.

die Umstellung auf die neuen verbindlichen rein österreichischen elektrotechnischen Normen und die verbindlichen elektrotechnischen Referenzdokumente ohne größere Beeinträchtigung des Betriebes durchgeführt werden kann und die Kosten der Umstellung für die Verpflichteten verhältnismäßig gering sind.“

§ 9 Elektrotechnikgesetz samt Überschrift lautet wie folgt:

„Die Überwachung elektrischer Anlagen

(1) Elektrische Anlagen unterliegen hinsichtlich der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen nach Maßgabe der folgenden Absätze der Überwachung durch die zuständige Behörde (§ 13). In anderen Rechtsvorschriften enthaltene Bestimmungen über die Überwachung von Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln werden hiedurch nicht berührt.

(2) Wer eine elektrische Anlage betreibt, hat den mit der Überwachung und sicherheitstechnischen Prüfung betrauten Personen Zutritt – bei Gefahr im Verzuge jederzeit – zu der elektrischen Anlage zu ermöglichen, jede erforderliche Unterstützung zu gewähren und ihnen die nötigen Auskünfte zu erteilen sowie die sicherheitstechnische Prüfung und eine zu ihrer Durchführung unerlässliche vorübergehende Inbetriebnahme oder Außerbetriebnahme der elektrischen Anlage zu dulden. Bei der Überwachung und sicherheitstechnischen Prüfung elektrischer Anlagen ist jede nicht unbedingt notwendige Störung oder Behinderung des Geschäftsbetriebes oder Betriebsablaufes zu vermeiden.

(3) Wird festgestellt, dass der Zustand oder Betrieb einer elektrischen Anlage diesem Bundesgesetz oder den auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen nicht entspricht, hat die Behörde dem Betreiber der elektrischen Anlage mit Bescheid aufzutragen, den gesetzmäßigen Zustand innerhalb einer gleichzeitig festzusetzenden angemessenen Frist herzustellen. Als Betreiber der Anlage gilt deren Eigentümer, dessen Stellvertreter oder Beauftragte, subsidiär der Anlageninhaber sowie jede sonstige, offenkundig mit der tatsächlichen Betriebsaufsicht betraute Person.

(4) Wird festgestellt, dass der Zustand oder Betrieb einer elektrischen Anlage diesem Bundesgesetz oder den auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen nicht entspricht und droht dadurch eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Personen oder für Sachen, hat die Behörde, wenn der gesetzmäßige Zustand nicht sofort hergestellt wird, jene Maßnahmen zu verfügen, die geeignet sind, die Gefahr abzuwenden; kann die Gefahr nicht anders abgewendet werden, hat die Behörde die Außerbetriebnahme der elektrischen Anlage in dem zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlichen Ausmaß zu verfügen, wobei auf den Betriebs- oder Versorgungszweck der elektrischen Anlage Bedacht zu nehmen ist.

(5) Die auf Grund der Abs. 3 und 4 zu erlassenden Bescheide haben die festgestellte Vorschriftswidrigkeit der elektrischen Anlage anzugeben. Getroffene Verfügungen sind auf Antrag aufzuheben, wenn der Behörde nachgewiesen wird, dass der gesetzmäßige Zustand hergestellt worden ist.“

§ 1 Elektrotechnikverordnung 2020 (ETV 2020), BGBl. II Nr. 308/2020, samt Überschrift lautet wie folgt:

„Geltungsbereich

(1) Der Geltungsbereich dieser Verordnung umfasst elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 des Elektrotechnikgesetzes 1992- ETG 1992, BGBl. Nr. 106/1993, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 27/2017, sowie Maßnahmen im Gefährdungs- und Störungsbereich elektrischer Betriebsmittel und elektrischer Anlagen.

(2) Elektrische Betriebsmittel und elektrische Anlagen, die auch Gegenstand anderer auf der Grundlage des ETG 1992 erlassener Verordnungen sind, unterliegen dieser Verordnung nur hinsichtlich jener Anforderungen des § 3 Abs. 1 und 2 ETG 1992,

Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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