TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/4 95/20/0297

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Veröffentlicht am 04.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Mag. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Jänner 1995, Zl. 4.345.154/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Jänner 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 11. September 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 13. September 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. Oktober 1994, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 3. Oktober 1994 im wesentlichen angegeben: Er habe heuer nach der Matura mit einem Medizinstudium beginnen wollen. Den ersten Teil der Aufnahmeprüfung habe er bestanden, bei der zweiten Prüfung sei er durchgefallen. Er hätte erst in einem Jahr wieder zur Prüfung antreten können. Da er die Zulassung zum Studium nicht sofort geschafft habe, wäre er vor ca. zwei Monaten (d.i. Juli 1994) von der Militärbehörde zur Musterung aufgefordert worden. Er wolle den Militärdienst jedoch auf keinen Fall leisten und sei daher der Aufforderung zur Musterung nicht nachgekommen. Als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe würde er während seines Militärdienstes im Osten der Türkei gegen die eigenen Landsleute eingesetzt werden, dies wolle er auf keinen Fall. Sein Bruder K habe vor ca. sechs Jahren die Türkei verlassen. Dieser sei PKK-Mitglied gewesen und deshalb sei der Beschwerdeführer von der Polizei ständig belästigt und nach dem Aufenthalt seines Bruders befragt worden. Im Juni 1994 sei er in Zuge einer Razzia zusammen mit anderen Freunden von der Polizei festgenommen und auf einem Stützpunkt ca. 4-5 Stunden angehalten worden. Dabei sei er von Polizisten beschimpft worden und einer habe ihn geohrfeigt. Er habe trotz eines beabsichtigten Studiums nicht um einen Aufschub zur Ableistung des Wehrdienstes angesucht, da dieser höchstens für ein Jahr bewilligt worden wäre. Er wolle jedoch überhaupt keinen Wehrdienst ableisten. Über einen Mittelsmann habe er seinen Reisepaß ausgestellt erhalten. Aufgrund der Einladung seines in Wien lebenden Bruders habe er ein Visum für Österreich erhalten und sei am 11. September 1994 mittels Flugzeug von der Türkei nach Österreich gelangt.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ab. Es begründete zur Frage der Militärdienstleistung wie folgt:

"Ihr Vorbringen, in Ihrer Heimat keinen Militärdienst leisten zu wollen, kann die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen. Der Einberufung zur Militärdienstleistung stellt keine Verfolgung im Sinne des § 1 AsylG 1991 dar, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben ist, wenn die staatlichen Maßnahmen der Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflichten dienen. In diesem Sinne stellt die Militärpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme dar, weshalb eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion als solche keine Verfolgung im Sinne des § 1 AsylG 1991 darstellt. Ihre Beweggründe, der von Ihnen geforderten Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, sind asylrechtlich insoferne unbeachtlich, als sie für sich noch keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zulassen. Ihrem Vorbringen sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit Ihrer Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre."

Das übrige Vorbringen, von der Polizei wegen der PKK-Mitgliedschaft seines vor sechs Jahren ausgereisten Bruders ständig nach dessen Aufenthaltsort befragt und einmal im Zuge einer Razzia für vier bis fünf Stunden festgenommen worden zu sein, sei mangels Intensität nicht als Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 zu werten.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid. Darin übernahm sie die Sachverhaltsfeststellung und auch die "zutreffende rechtliche Beurteilung" des angefochtenen Bescheides. Sie führte darüber hinaus zum Vorbringen, der Beschwerdeführer sei wegen der "politischen Aktivitäten" seines Bruders und dessen Ausreise ständig von Polizisten belästigt, nach dessen Aufenthaltsort befragt und unter "Druck gesetzt worden", aus, daß neben dem Mangel der Eingriffsintensität die Flüchtlingseigenschaft allein schon mangels Vorliegens eines der fünf im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 taxativ aufgezählten Gründe, die staatlicher Verfolgung erst asylrechtliche Relevanz zu verleihen vermöchten, nicht begründet werden könne. Die behaupteten Handlungen der türkischen Polizei lägen lediglich in einem von den türkischen Behörden beim Beschwerdeführer vermuteten Sonderwissen über die Tätigkeit bzw. den Aufenthaltsort seines Bruders.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Nach der ständigen Rechtsprechtung des Verwaltungsgerichtshofes stellt weder die Flucht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst noch die Furcht vor einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung, einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar, soferne nicht Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion sei infolge einer der in Art. 1 Abs. A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen für den Beschwerdeführer ungünstiger erfolgt (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Einen derartigen Umstand hat der Beschwerdeführer aber bereits im Verwaltungsverfahren behauptet, denn er hat dargelegt, daß er als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe während seines Militärdienstes im Osten der Türkei gegen die eigenen Landsleute eingesetzt werden würde. Er behauptet sohin eine aufgrund der Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe erfolgende Behandlung während des Militärdienstes, die ihn einem vorprogrammierten Gewissenskonflikt aussetzt. Träfen die Behauptungen des Beschwerdeführers zu, so könnte ihnen nicht ohne Durchführung von Ermittlungen (etwa darüber, welche Praxis seitens der türkischen Behörden betreffend die Einberufung und Verwendung von Wehrpflichtigen kurdischer Herkunft im Vergleich zur Einberufung von Angehörigen anderer Volksgruppen in der Türkei gepflogen wird) die asylrechtliche Relevanz abgesprochen werden.

Dadurch, daß die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weil sie die erforderlichen Ermittlungen aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht unterließ (sekundärer Verfahrensmangel). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand Umsatzsteuer nicht zusteht (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 686).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200297.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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