TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Ra 2021/18/0419

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/18/0420

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. A A und 2. H A, beide vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2021, I415 2201229-1/21E und I415 2201232-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerber, ein Ehepaar aus dem Irak, stellten am 29. August 2015 Anträge auf internationalen Schutz, welche sie zusammengefasst damit begründeten, als sunnitische Araber von einer schiitischen Miliz mit dem Tode bedroht worden zu sein, weshalb sie aus ihrer Heimat Bagdad geflohen seien.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 18. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge zur Gänze ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. November 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für die Behandlung der vorliegenden Revision relevant - aus, es sei zwar glaubhaft, dass eine schiitische Miliz das Wohnhaus der revisionswerbenden Parteien im Juli 2014 angegriffen habe. Dass es sich um eine gezielte Verfolgungshandlung durch Angehörige der schiitischen Miliz gegen die revisionswerbenden Parteien gehandelt habe, bleibe aber bloße Spekulation. Das BVwG könne aktuell keine Rückkehrgefährdung für die revisionswerbenden Parteien erkennen. Ein aktuelles Verfolgungsinteresse der Milizionäre sei nicht gegeben. Die getroffenen Feststellungen würden keine Anhaltspunkte dafür bieten, dass Einzelpersonen (wie die revisionswerbenden Parteien) auch nach Jahren der Abwesenheit aufgrund singulärer Vorfälle im Rückkehrfall gezielt verfolgt oder Todeslisten geführt würden. Gegen eine Befürchtung, die Milizen würden die revisionswerbenden Parteien umbringen, spreche bereits der Umstand, dass eine Tochter nach wie vor am Ort der angeblichen Bedrohung lebe, ohne zur Flucht veranlasst worden zu sein und zwei weitere Kinder der revisionswerbenden Parteien mit ihren Familien freiwillig in den Irak zurückgekehrt seien.

5        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, die Beweiswürdigung des BVwG sei grob fehlerhaft und die Rechtssicherheit dadurch beeinträchtigt. Das Gericht habe übersehen, dass die wohlhabenden revisionswerbenden Parteien als sunnitische Araber in das Visier schiitischer Milizen gelangt seien, welche Sunniten als „fünfte Kolonne“ des sogenannten Islamischen Staates angesehen hätten und diese aus schiitischen Siedlungsgebieten vertreiben wollten. Es habe sich um eine gezielte Attacke gehandelt. Nach der Flucht sei das Haus der revisionswerbenden Parteien durch Angehörige der Miliz in Besitz genommen worden, daher gehe von diesen auch weiterhin eine maßgebliche Gefahr aus, sollten die revisionswerbenden Parteien Ansprüche auf Restitution geltend machen.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist er als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/18/0201; 4.2.2021, Ra 2020/18/0115, je mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/18/0268 mit Verweis auf VwGH 17.5.2021, Ra 2021/20/0145).

11       Für die Asylgewährung kommt es weiters nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung (hier: des BVwG) bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 4.11.2020, Ra 2020/18/0389, mwN).

12       Das BVwG setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eingehend mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien zu den Gründen ihrer Flucht auseinander und legte im Rahmen seiner vertretbaren Beweiswürdigung dar, weshalb es eine Rückkehrgefährdung für die revisionswerbenden Parteien bezogen auf den nach der zitierten Rechtsprechung maßgeblichen Zeitpunkt verneinte. Es stützte sich dabei insbesondere darauf, dass ein aktuelles Interesse schiitischer Milizen am Erstrevisionswerber und seiner Familie nicht erkennbar sei. In diesem Zusammenhang würdigte es auch den Umstand, dass zwei der Kinder in den Irak zurückgekehrt und nun in Erbil (autonome Region Kurdistan) wohnhaft seien, sowie den Umstand, dass eine weitere Tochter mit ihrem schiitischen Ehemann in Bagdad verblieben sei und dort weiterhin lebe.

13       Dem vermag die Revision nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen. Wenn sie anführt, die schiitischen Milizen seien nach wie vor mächtig, die religiösen Gruppen und Ethnien im Irak seien nicht versöhnt und Vertreibungen seien nicht rückgängig gemacht worden, trifft dies nach den - unbekämpften - Länderfeststellungen des BVwG zwar zu. Gleichzeitig übergeht die Revision aber die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis, wonach die Sicherheitslage in Bagdad weitgehend stabilisiert sei. Dass die revisionswerbenden Parteien bei Rückkehr in gleicher Weise angegriffen würden wie vor ihrer Flucht im Jahr 2014, lässt sich daraus nicht ableiten. Soweit die Revision kritisiert, das BVwG habe sich nicht damit beschäftigt, ob den revisionswerbenden Parteien bei Rückforderung ihres Eigentums von den schiitischen Milizionären Gefahr drohen würde, ist lediglich anzumerken, dass die revisionswerbenden Parteien im Beschwerdeverfahren ausdrücklich verneinten, bei Rückkehr einen derartigen Rückforderungsanspruch geltend zu machen.

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021180419.L00

Im RIS seit

02.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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