TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Ra 2021/18/0353

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der S K, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2021, W189 2009449-2/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin stellte am 27. November 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie bezeichnete sich selbst als Staatsangehörige der Russischen Föderation, wo sie zuletzt auch gewohnt habe, und brachte vor, seit ihrer Geburt an Kinderlähmung zu leiden und wegen der harten Lebensbedingungen in Russland dort nicht mehr überleben zu können.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines im zweiten Rechtsgang ergangenen entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 4. April 2017 zur Gänze ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise. Die Revision erklärte das BVwG für unzulässig.

3        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, die Staatsangehörigkeit der Revisionswerberin habe aufgrund ihrer nicht nachvollziehbaren Angaben in Verbindung mit den amtswegig vorgenommenen Ermittlungen nicht festgestellt werden können. Die Revisionswerberin habe sich zwar als russische Staatsangehörige bezeichnet und behauptet, über einen russischen Inlandsreisepass verfügt zu haben, den ihr die Schlepper abgenommen hätten. Ihre diesbezügliche Aussage sei aber aus näher dargelegten Gründen nicht plausibel. Der russische Migrationsdienst habe außerdem die Auskunft erteilt, dass weder eine russische Staatsangehörigkeit noch ein Wohnsitz der Revisionswerberin in der Russischen Föderation bestätigt werden könne. Auch eine aufgrund des Geburtsorts Baku und der Angaben der Revisionswerberin zu ihrer angeblich aserbaidschanischen Mutter denkbare aserbaidschanische Staatsangehörigkeit der Revisionswerberin sei vom Verwaltungsgericht überprüft worden, könne aber, auch mangels Antwort der aserbaidschanischen Botschaft auf entsprechende Anfragen des BVwG, nicht verifiziert werden. Ebenso bloße Spekulation wäre eine Staatenlosigkeit der Revisionswerberin infolge Zerfalls der UdSSR, zumal die Revisionswerberin selbst erklärt habe, einen russischen Inlandsreisepass besessen zu haben, und nicht ersichtlich sei, weshalb sie respektive ihre Mutter sich nicht um den Erwerb einer Staatsangehörigkeit entsprechend den Normen der Nachfolgestaaten gekümmert hätten bzw. die Revisionswerberin wiederum nichts vorgebracht habe, was in diese Richtung deuten würde. Vielmehr sei aus dem gesamten - zum Teil nicht nachvollziehbaren - Vorbringen der Revisionswerberin (auch in Bezug auf den Verbleib ihrer Mutter) erkennbar, dass sie nicht wahrheitsgemäße Angaben gemacht und zumindest Teile ihrer wahren Identität und Lebensumstände zu verschleiern versucht habe. Die wahre Staatsangehörigkeit der Revisionswerberin könne deshalb nicht festgestellt werden.

4        Auf dieser Grundlage sei ihr kein Asyl zu gewähren, da ihr Herkunftsstaat nicht zu ermitteln sei. Selbst unter Zugrundelegung ihres behaupteten Herkunftsstaates (Russische Föderation) drohe ihr dort aber nach ihrem eigenen Vorbringen keine Verfolgung aus Konventionsgründen. Die Abweisung des Antrags in Bezug auf den begehrten subsidiären Schutz gründe sich auf § 8 Abs. 6 AsylG 2005.

5        Zur Rückkehrentscheidung führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei zwar seit fast acht Jahren in Österreich aufhältig. Ihre Kenntnisse der deutschen Sprache seien aber gering und nicht geeignet, selbst eine einfache Konversation mit ihr zu führen. In sozialer Hinsicht habe die Revisionswerberin lediglich unspezifisch behauptet, mit einer österreichischen Familie befreundet zu sein, eine besonders intensive Beziehung sei aber nicht behauptet worden. Sonstige Schritte sozialer Integration (etwa ehrenamtliche Tätigkeiten, Teilnahme am Dorf- und Vereinsleben, etc.) lägen nicht vor. Die Revisionswerberin besuche auch keine Ausbildungsprogramme, gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, beziehe seit ihrer Antragstellung Leistungen aus der Grundversorgung und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Wenn auch miteinzubeziehen sei, dass die Revisionswerberin durch ihre Erkrankung in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sei, könne sie nicht damit überzeugen, ihren Aufenthalt in Österreich zu einer selbst geringen Integration genutzt zu haben, zumal anzumerken sei, dass die Revisionswerberin - gerade im Hinblick auf den Spracherwerb - geistig völlig gesund sei und sie selbst vorgebracht habe, ungeachtet ihrer Erkrankung vor ihrer Ausreise durch Arbeit für ihren Lebensunterhalt gesorgt zu haben. Die Revisionswerberin habe sich während ihres Aufenthalts auch stets des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Das Ausmaß ihrer Bindungen zum Herkunftsstaat könne angesichts der ungeklärten Staatsangehörigkeit wie auch des ungeklärten Aufenthalts vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet in die Interessenabwägung nicht einbezogen werden. Insgesamt sei davon auszugehen, dass die Interessen der Revisionswerberin an einem Verbleib in Österreich nur ein geringes Gewicht hätten und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund treten würden.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit wird zusammengefasst geltend gemacht, die „Nichtgewährung des Aufenthaltstitels als Asylberechtigter gem § 3 AsylG sowie die Nichtgewährung des subsidiären Schutzes“ widerspreche deutlich der - nicht näher präzisierten - herrschenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Ebenfalls widerspreche die „Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK deutlich der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs iVm der geltenden EU-Richtlinie.“

7        Im Einzelnen führt die Revision aus, die Revisionswerberin habe immer eine russische Staatsangehörigkeit vorgebracht. Die russische Behörde habe die Staatsangehörigkeit der Revisionswerberin nicht bestätigen können oder wollen. Die Botschaft Aserbaidschans habe dem Verwaltungsgericht nicht geantwortet. Die mangelnde Bereitschaft anderer Staaten zur Zusammenarbeit mit den österreichischen Behörden dürfe nicht derart massiv zu Lasten des Flüchtlings ausschlagen, wie es gegenständlich passiert sei. Aufgrund der massiven, dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigung und der damit verbundenen verminderten Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit wäre die Gewährung von (zumindest) subsidiärem Schutz naheliegend gewesen. Auch bei der Beurteilung der Bindungen der Revisionswerberin zu Österreich seien dem BVwG massive Fehler unterlaufen. Nach fast achtjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet sei es unverhältnismäßig, gegen sie eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Der körperlich schwer behinderten Revisionswerberin den Mangel an etwa Freiwilligenarbeit vorzuwerfen, sei nicht redlich. Sie sei doch jemand, der auf solche Hilfe angewiesen sei.

8        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

10       Die Revision bekämpft die Entscheidung des BVwG zwar formal zur Gänze, zeigt aber nicht einmal ansatzweise auf, aus welchen Gründen der Revisionswerberin (bezogen auf welchen Herkunftsstaat) der Status der Asylberechtigten wegen asylrelevanter Verfolgung hätte erteilt werden sollen.

11       In Bezug auf die Abweisung des Antrags hinsichtlich des begehrten subsidiären Schutzes setzt sich die Revision weder mit der zugrundeliegenden Norm des § 8 Abs. 6 AsylG 2005 noch mit den Überlegungen des BVwG zur mangelnden Feststellbarkeit der Staatsangehörigkeit der Revisionswerberin näher auseinander. Anders als die Revision vermeint, führte das BVwG in seiner Beweiswürdigung näher aus, warum es den Angaben der Revisionswerberin zu ihrer angeblich russischen Staatsangehörigkeit keinen Glauben schenkte und weshalb es ihr den Vorwurf machte, an der Ermittlung der wahren Staatsangehörigkeit nicht hinreichend mitgewirkt zu haben. Das BVwG hat sich auch ausreichend, aber erfolglos bemüht, die Staatsangehörigkeit der Revisionswerberin durch amtswegige Ermittlungsschritte zu verifizieren. Es beschäftigte sich zudem mit der Frage, ob von einer Staatenlosigkeit der Revisionswerberin ausgegangen werden muss, und verneinte dies in einer (zumindest) vertretbaren Beweiswürdigung.

12       Ausgehend davon legt die Revision nicht dar, dass dem BVwG in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz insgesamt eine im Revisionsverfahren wahrzunehmende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

13       Zur Rückkehrentscheidung ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. etwa VwGH 9.11.2021, Ra 2021/18/0346, mwN).

14       Das BVwG beschäftigte sich in seiner Abwägung mit allen für und gegen den Verbleib der Revisionswerberin in Österreich sprechenden (feststellbaren) Umständen. Entgegen dem Revisionsvorbingen berücksichtigte es dabei auch die körperliche Behinderung der Revisionswerberin und die damit einhergehenden Einschränkungen, sah allein darin aber - näher begründet - keine ausreichende Erklärung dafür, dass die Revisionswerberin während ihres mehrjährigen Aufenthalts nicht einmal geringe Integrationsschritte (etwa den hinreichenden Erwerb der deutschen Sprache oder Schritte zur Eingliederung in das soziale Leben) gesetzt hat. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

15       In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021180353.L00

Im RIS seit

02.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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