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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art2, Art3Leitsatz
Verletzung im Recht auf Leben und im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden durch den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung eines Staatsangehörigen von Afghanistan; Verkennung der spätestens seit 20.07.2021 erkennbaren extremen Volatilität der Sicherheitslage begründet eine reale Gefahr der Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte durch die später ergangene EntscheidungSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, insoweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 EMRK auf Leben sowie gemäß Art3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Paschtunen angehört, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt und aus der Provinz Nangarhar stammt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Dezember 2015 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, die seither zweimal verlängert wurde.
2. Mit Bescheid vom 17. März 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig, setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung und erließ ein auf die Dauer von neun Jahren befristetes Einreiseverbot.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28. Juli 2021 mit der Maßgabe, dass die mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. November 2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß §9 Abs4 AsylG 2005 entzogen wird, als unbegründet ab. Betreffend die Aberkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht der Sache nach begründend aus, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Städte Herat oder Mazar-e Sharif nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative habe, wo er sich eine eigene Existenz aufbauen könne.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde entspricht hinsichtlich der Gründe für den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 2021, E3445/2021, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich gegen eine im Wesentlichen gleichlautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wendet.
2. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf Rz 17 ff. der Entscheidungsgründe seines zu E3445/2021 am 30. September 2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung jedenfalls das aktuellste, die jüngsten Entwicklungen – auf Grund derer der Verfassungsgerichtshof davon ausgeht, dass sich spätestens mit 12. Juni 2021 (s dazu VfGH 24.9.2021, E3047/2021) sowie mit 20. Juli 2021 wesentliche Veränderungen der Sachlage abgezeichnet haben – berücksichtigende Berichtsmaterial zur Sicherheitslage in Afghanistan heranziehen und würdigen hätte müssen. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, verletzt die angefochtene Entscheidung, insoweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die damit in Zusammenhang stehende Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, den Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden.
3. Im Übrigen – insoweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, die Nichterteilung des Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Verhängung eines auf die Dauer von neun Jahren befristeten Einreiseverbotes und die Abweisung des Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, die Nichterteilung des Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Verhängung eines auf die Dauer von neun Jahren befristete Einreiseverbot und die Abweisung des Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, insoweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichthof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
6. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3372.2021Zuletzt aktualisiert am
01.03.2022