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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §66 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 25. Februar 2021, LVwG-700904/2/BP/NF, betreffend Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Braunau), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Strafverfügung der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 18. Mai 2020 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, am 7. Mai 2020 um 11:15 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein Kraftfahrzeug mit drei weiteren, mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden, namentlich genannten Personen benützt zu haben, ohne eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung getragen zu haben, obwohl Fahrgemeinschaften mit Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, gemäß COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl. II Nr. 197/2020, in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis 30. Juni 2020 nur zulässig waren, wenn dabei eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung getragen wurde und in jeder Sitzreihe einschließlich dem Lenker nur zwei Personen befördert wurden. Wegen der dadurch begangenen Übertretung nach den §§ 1, 2 Z 1 und § 3 Abs. 3 COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG) in Verbindung mit § 4 Abs. 1 COVID-19-Lockerungsverordnung (COVID-19-LV) wurde über ihn hiefür gemäß § 3 Abs. 3 COVID-19-MG eine Geldstrafe von 360 Euro sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.
2 Über dem dagegen erhobenen Einspruch sprach die belangte Behörde mit Straferkenntnis vom 8. Juli 2020 folgendermaßen ab:
„Ihrem Einspruch [...] gegen die Strafverfügung [...] wird Folge gegeben und die Geldstrafe mit € 300,00, im Falle der Uneinbringlichkeit die Ersatzfreiheitsstrafe mit 1 Tag(en) 3 Stunde(n) 0 Minute(n) neu bemessen.
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen: € 30,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% für jede einzelne verhängte Strafe, jedoch mindestens € 10,00.
Delikt(e)
§§ 1, 2 Z 1 und 3 Abs. 3 COVID-19-Maßnahmengesetz i.V.m. § 4 Abs. 1 COVID-19-LV, BGBl. II Nr. 197/2020
Strafe(n) neu:
€ 300,00
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher € 330,00.“
3 In der Begründung ihres Bescheids ging die Behörde dabei davon aus, dass sich der Einspruch nur gegen die Strafhöhe gerichtet habe.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aus, dass „aus Anlass der Beschwerde“ das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben werde. Die Revision erkläre es für nicht zulässig.
5 Das Verwaltungsgericht führte begründend zusammengefasst aus, dass die Behörde von einem Einspruch lediglich gegen die Strafhöhe ausgegangen sei. Tatsächlich habe der Revisionswerber jedoch einen vollumfänglichen Einspruch erhoben, weshalb die Strafverfügung ex lege zur Gänze außer Kraft getreten sei. Der Spruch des Straferkenntnisses könne daher nicht an den Schuldspruch der Strafverfügung anknüpfen. Der Spruch hätte inhaltlich den Vorgaben des § 44a VStG zu entsprechen gehabt. Diese Anforderungen erfülle er jedoch deshalb nicht, weil kein Tatvorwurf erkennbar sei. Das Straferkenntnis sei daher aufzuheben.
6 Da Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die von der Behörde im Straferkenntnis verhängte Strafe gewesen sei, und weil die Strafverfügung außer Kraft getreten sei und dazu noch keine Entscheidung der belangten Behörde vorliege, habe das Landesverwaltungsgericht über den Schuldspruch nicht absprechen dürfen.
7 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer grundsätzlichen Rechtsfrage.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof der deren Behandlung mit Beschluss vom 7. Juni 2021, E 1059/2021-5, ablehnte und diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 13. Juli 2021 im Sinn des § 87 Abs. 3 VfGG gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.
9 In der nach § 26 Abs. 4 VwGG eröffneten Frist erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Revisionsbeantwortungen wurden in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren nicht erstattet.
10 Die unter anderem wegen Verletzung im Recht auf Entscheidung durch das Verwaltungsgericht in der Sache erhobene Revision wird zur Zulässigkeit zunächst (mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) damit begründet, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden gehabt hätte und den Strafbescheid nicht bloß hätte aufheben dürfen.
11 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig. Sie ist auch begründet.
12 § 49 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52/1991, in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, lautet:
„§ 49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.
(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.
(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken.“
13 Der in Verwaltungsstrafverfahren vor Verwaltungsgerichten geltende § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, lautet (auszugsweise):
„§ 50. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
...“
14 Nach § 49 Abs. 2 VStG hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, nur dann, wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, bloß über diese zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch die gesamte Strafverfügung außer Kraft und es setzt die Behörde an deren Stelle das auf Grund des Einspruchs ergehende Straferkenntnis.
15 Die Verwaltungsgerichte haben in Verwaltungsstrafsachen sodann jedenfalls, also ohne dass die ausnahmsweise nach § 28 VwGVG bestehende Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheids zum Tragen kommen könnte, in der Sache selbst zu entscheiden (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist). Diese grundsätzliche Verpflichtung zu einer reformatorischen Entscheidung ist schon verfassungsgesetzlich vorgesehen (Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG) und wird einfachgesetzlich in § 50 VwGVG wiederholt und konkretisiert. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt mithin in Verwaltungsstrafsachen gemäß § 50 VwGVG eine (bloße) Aufhebung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheids nicht in Betracht. Es macht dabei keinen Unterschied, ob das Verwaltungsgericht das angefochtene Straferkenntnis nur (ersatzlos) behebt oder zusätzlich ausspricht, dass die Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheids zurückverwiesen wird; in beiden Fällen wird die Verwaltungsstrafsache nicht abschließend erledigt (siehe zum Ganzen VwGH 8.10.2020, Ra 2018/11/0086, mwN).
16 Zutreffend sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall insofern, als der Spruch des Bescheids in einer Verwaltungsstrafsache nach § 44a VStG, wenn er nicht auf Einstellung lautet, 1. die als erwiesen angenommene Tat; 2. die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist; 3. die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung; 4. den etwaigen Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche; 5. im Falle eines Straferkenntnisses die Entscheidung über die Kosten, zu enthalten hat. Anders als das Verwaltungsgericht jedoch annahm, ist „Sache“ des Verwaltungsstrafverfahrens die dem Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist zur Last gelegte Tat mit ihren wesentlichen Sachverhaltselementen (siehe etwa VwGH 11.9.2019, Ra 2019/02/0094, mwN). Wurde aber durch die Strafverfügung eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG gesetzt und dem Revisionswerber als Beschuldigtem ein ausreichend konkreter Tatvorwurf gemacht, hat das Verwaltungsgericht, wenn der Spruch des behördlichen Strafbescheids unvollständig ist, diesen in seinem Ausspruch zu ergänzen (vgl. auch dazu VwGH 11.9.2019, Ra 2019/02/0094; sowie etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2018/09/0069; 1.8.2018, Ra 2018/09/0085; 20.3.2018, Ra 2017/03/0092, je mwN).
17 Wenn nun - wie es das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall annahm - sich der Einspruch sowohl gegen den Schuld- als auch gegen den Strafausspruch der Strafverfügung wendete, sprach die Behörde mit ihrem Straferkenntnis, mit dem es ausdrücklich nur die Strafe herabsetzte, mit seinem oben wiedergegebenen Spruch zumindest implizit bestätigend auch über den Schuldspruch ab, konnte sie sich in diesem Fall bei der Entscheidung über die Strafe doch nicht auf einen rechtskräftig gewordenen Schuldspruch stützen. Das Verwaltungsgericht hätte in diesem Fall in der Verwaltungsstrafsache selbst zu entscheiden, sowohl über die Schuld wie auch über die Strafe abzusprechen und in seiner Entscheidung einen unvollständigen Spruch des behördlichen Strafbescheids zu ergänzen gehabt (vgl. nochmals VwGH 11.9.2019, Ra 2019/02/0094; anders, jedoch vereinzelt geblieben VwGH 17.9.2021, Ra 2021/02/0175).
18 Für den Fall, dass jedoch der Einspruch auf die Strafhöhe eingeschränkt gewesen sein sollte, hätte die Behörde zu Recht nur mehr über diese entschieden. In diesem Fall hätte auch das Verwaltungsgericht inhaltlich über die Strafe zu entscheiden gehabt. Eine Aufhebung wäre auch in diesem Fall nicht in Betracht gekommen.
19 Da das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall jedoch weder die Beschwerde zurückgewiesen noch in der Sache selbst - sei es durch Einstellung des Strafverfahrens oder im Sinn eines Schuldspruchs - entschieden hat, sondern das angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde lediglich aufgehoben hat (siehe zum Vorgehen bei einem verspäteten Einspruch etwa VwGH 23.10.2020, Ra 2020/02/0206), belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzugeben.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. Jänner 2022
Schlagworte
Allgemein Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090221.L00Im RIS seit
01.03.2022Zuletzt aktualisiert am
01.03.2022