TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/25 Ra 2020/09/0077

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1E
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
59/04 EU - EWR
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AuslBG §28 Abs1 Z1 lita idF 2020/I/098
AuslBG §3 Abs1
B-VG Art140 Abs1
B-VG Art7
EURallg
VwRallg
12010E057 AEUV Art57
62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 6. Oktober 2020, LVwG-302743/13/KLe/HK, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land; mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch die Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in 4020 Linz, Landstraße 47), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit dem im Beschwerdeverfahren, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis erkannte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Mitbeteiligten als handelsrechtlichen Geschäftsführer und damit als nach § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer namentlich genannten Gesellschaft mit beschränkter Haftung für schuldig, dass diese als Beschäftigerin neun namentlich genannte, von einem ebenfalls in Oberösterreich ansässigen Unternehmen überlassene Ausländer (nordmazedonische bzw. kosovarische Staatsangehörige) zumindest am 6. August 2019 beschäftigt habe, obwohl für diese keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen erteilt oder Bestätigungen ausgestellt gewesen seien. Für die dadurch begangenen Verwaltungsübertretungen nach § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) verhängte das Verwaltungsgericht über ihn eine Gesamtstrafe von 7.000 Euro sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 117 Stunden. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

2        Die Verhängung einer Gesamtstrafe begründete das Landesverwaltungsgericht im Wesentlichen unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 12. September 2019, Maksimovic, C-64/18, u.a., sowie das daraufhin ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033, 0034. Die Zulässigkeit der Revision verneinte das Verwaltungsgericht, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts.

4        Der revisionswerbende Bundesminister führt zur Zulässigkeit seiner Revision und in der Sache zusammengefasst aus, dass für die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Verhängung einer einzigen Geldstrafe beim Vorliegen von neun Übertretungen nach § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 AuslBG eine gesetzliche Grundlage fehle und das Verwaltungsgericht insoweit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, wonach für jeden unerlaubt beschäftigten Ausländer eine Strafe zu verhängen sei (Hinweis auf VwGH 2.7.2020, Ra 2020/09/0025). Das im Zusammenhang mit der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinn des Art. 56 AEUV in der Rechtssache Maksimovic ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union sei auf reine Inlandssachverhalte nicht anwendbar.

5        Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung. In dieser bringt er unter anderem vor, dass es bei einer allfälligen Nichtanwendbarkeit des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Maksimovic auf seinen Fall zu einer unzulässigen Inländerdiskriminierung käme.

6        Die Revision ist im Hinblick auf die oben dargestellten Ausführungen zulässig. Sie ist auch begründet.

7        Die Bestimmung des § 28 Abs. 1 Z 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 98/2020, lautet:

„Strafbestimmungen

§ 28. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet (§ 28c), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen,

1.  wer

a)   entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung erteilt noch eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder der keine für diese Beschäftigung gültige ‚Rot-Weiß-Rot - Karte‘, ‚Blaue Karte EU, Aufenthaltsbewilligung als unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer (‚ICT‘), Aufenthaltsbewilligung als mobiler unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer (‚mobile ICT‘), Aufenthaltsbewilligung ‚Familiengemeinschaft‘ mit Zugang zum Arbeitsmarkt (§ 20f Abs. 4) oder ‚Niederlassungsbewilligung - Künstler‘ oder keine ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘, keine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘, keinen Befreiungsschein (§ 4c) oder keinen Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger‘ oder ‚Daueraufenthalt - EU‘ besitzt, oder

b)   entgegen § 18 die Arbeitsleistungen eines Ausländers, der von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt wird, in Anspruch nimmt, ohne dass für den Ausländer eine Beschäftigungsbewilligung oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde,

bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis 50 000 Euro;“

8        Mit Beschluss vom 11. März 2021, A 2021/0001-1 (Ra 2020/09/0077), hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 89 Abs. 2 und Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, die Wortfolge „für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer“, in eventu die Wortfolge „von 2 000 Euro“ jeweils in § 28 Abs. 1 Z 1 dritter Strafsatz AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 98/2020, in eventu diese Fassung des § 28 Abs. 1 Z 1 AuslBG zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

9        Dieser Antrag wurde wie folgt begründet:

„Der Verwaltungsgerichtshof hegt aus den folgenden Erwägungen im Hinblick auf das aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbare Sachlichkeitsgebot Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Spruch angeführten Wortfolge des § 28 Abs. 1 Z 1 AuslBG:

§ 28 Abs. 1 Z 1 AuslBG stellt seit der Novelle BGBl. Nr. 231/1988 für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer eine eigene Strafdrohung auf (siehe dazu etwa VwGH 13.12.1990, 90/09/0170).

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 12. September 2019, Maksimovic, C-64/18, u.a., in Fällen von Bestrafungen nach § 7i Abs. 4 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) und § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG infolge grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung entschieden, dass der die Dienstleistungsfreiheit gewährleistende Art. 56 AEUV nationalen Regelungen wie den genannten, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen und auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen die Verhängung von Geldstrafen vorsehen, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden, entgegensteht.

Diese Rechtsprechung wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union seitdem auch auf das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) übertragen (EuGH 19.12.2019, NE/Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld, C-645/18; 19.12.2019, EX, C-140/19, u.a.), und in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen Art. 20 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems (‚IMI-Verordnung‘) konstatiert.

Der Verwaltungsgerichtshof judiziert dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12. September 2019, Maksimovic, C-64/18, u.a., folgend in Fällen grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung seither, dass die Wortfolge ‚für jede/n Arbeitnehmer/in‘ in § 7i Abs. 4 AVRAG unangewendet zu bleiben hat (VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033, 0034), und Entsprechendes für § 28 LSD-BG (VwGH 18.2.2020, Ra 2019/11/0195). Einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts sieht auch der Verfassungsgerichtshof in seiner dazu ergangenen Rechtsprechung (VfGH 27.11.2019, E 2047-2049/2019; E 2893-2896/2019; E 3530-3531/2019; 26.6.2020, E 4329/2019).

Liegt ein rein innerstaatlicher Sachverhalt vor, kommt es zu keiner Verdrängung nationalen Rechts durch das Unionsrecht. Dies ist in Fällen, in welchen einer nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unzulässigen Beschäftigung keine Dienstleistung in Form einer Zurverfügungstellung der unerlaubt beschäftigten Arbeitnehmer zugrunde liegt, schon mangels Vorliegens eines vergleichbaren Sachverhalts nicht weiter problematisch (siehe etwa VwGH 13.11.2020, Ra 2020/09/0039; 2.7.2020, Ra 2020/09/0025).

Im vorliegenden Fall legte das Landesverwaltungsgericht seiner Entscheidung jedoch als unstrittigen Sachverhalt zugrunde, dass die neun nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unerlaubt von dem vom Mitbeteiligten vertretenen Unternehmen beschäftigten Ausländer diesem von einer ebenfalls in Österreich ansässigen Gesellschaft überlassen wurden. Abgesehen davon, dass ein reiner Inlandssachverhalt gegeben ist, liegt im Übrigen - insbesondere im Hinblick auf die Dienstleistung der Zurverfügungstellung der Arbeitnehmer durch ein anderes Unternehmen - ein Sachverhalt vor, der jenem gleicht, den der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. September 2019, Maksimovic, C-64/18, u.a., zu entscheiden hatte.

Mit anderen Worten: Wären die Arbeitnehmer der vom Mitbeteiligten vertretenen Gesellschaft von einem Unternehmen in einem anderen Mitgliedsstaat überlassen worden, käme es nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu vergleichbaren Bestimmungen zu einer Verdrängung der nationalen Regelung in § 28 Abs. 1 Z 1 dritter Strafsatz AuslBG, dass für jeden Ausländer eine Strafe zu verhängen ist. Ohne diesen Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist jedoch diese Bestimmung anzuwenden und bei mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer eine Geldstrafe von 2.000 Euro bis 20.000 Euro zu verhängen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger im Verhältnis zu Ausländern am Gleichheitssatz zu messen und bedarf daher einer sachlichen Rechtfertigung. Diesen Gedanken hat der Verfassungsgerichtshof - unter Hinweis auf die ‚doppelte Bindung‘ des Gesetzgebers bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht - auch auf die so genannte ‚Inländerdiskriminierung‘ übertragen. Wenn es dabei auch nicht um Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft geht, sondern um die Benachteiligung rein innerstaatlicher Sachverhalte im Verhältnis zu Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug, so sind inländische Staatsbürger davon doch meist besonders betroffen. Dies gilt für Fälle, in denen bereits die österreichischen Normen zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und solchen mit Gemeinschaftsbezug differenzieren, wie für Fälle, wenn sich eine solche Differenzierung erst aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ergibt (vgl. zum Ganzen VfGH 8.6.2005, G 159/04, u.a., VfSlg. 17.554).

Aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofes besteht bei Vorliegen eines vergleichbaren Sachverhalts keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass der Beschäftiger ihm überlassener unberechtigt beschäftigter Ausländer sich einer unterschiedlich hohen Strafdrohung gegenübersieht, je nachdem ob der Überlasser der Arbeitskräfte seinen Sitz im Inland oder in einem anderen Mitgliedsstaat hat. Im ersten Fall ist für jeden Ausländer - ohne Begrenzung der Gesamtstrafen - eine Geldstrafe zu verhängen, im anderen Fall nur eine in ihrer Höhe begrenzte Gesamtstrafe. Durch Aufhebung der angefochtenen Bestimmung könnten auch diese innerstaatlichen Sachverhalte so behandelt werden, wie es für Fälle mit Unionsbezug unionsrechtlich geboten ist.“

10       Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Dezember 2021, G 123/2021-9, wurde der Antrag abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt:

„2.5. Die hier relevanten Bestimmungen des § 28 AuslBG legen fest, dass das dort jeweils geregelte Verhalten eine Verwaltungsübertretung darstellt: Zum einen begeht eine Verwaltungsübertretung, wer einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung erteilt, noch eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder der keines der näher bezeichneten Aufenthaltsrechte besitzt (§ 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG). Zum anderen begeht eine Verwaltungsübertretung, wer einen aus dem EWR überlassenen Ausländer beschäftigt, für den entgegen § 18 Abs. 12 AuslBG keine EU-Überlassungsbestätigung ausgestellt wurde und die Voraussetzungen für die Ausstellung einer derartigen Bestätigung auch nicht vorliegen (§ 28 Abs. 1 Z 4 lit. b AuslBG).

Als Sanktion für die Verwirklichung einer der genannten Verwaltungsübertretungen sehen die betreffenden Bestimmungen jeweils eine Geldstrafe vor, deren Höhe an die Anzahl der Arbeitnehmer geknüpft ist: Für den dem Gerichtsantrag zugrunde liegenden Fall, dass mehr als drei Arbeitnehmer betroffen sind, wird die Geldstrafe mit € 2.000,– bis € 20.000,– pro Arbeitnehmer festgesetzt (§ 28 Abs. 1 Z 1 dritter Strafsatz AuslBG).

In der Rechtssache Maksimovic hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, wie sie in den §§ 7d und 7i Abs. 4 AVRAG und in § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 AuslBG festgelegt ist. Dem Gerichtshof der Europäischen Union zufolge sind derartige Vorschriften, die nicht unmittelbar Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen betreffen, sondern der Wirksamkeit von Kontrollen dienen, die zur Wahrung und Einhaltung dieser Bedingungen durchgeführt werden können, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, weil für den Fall der Nichtbeachtung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorgesehen ist, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung zu verhängen sind, im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden (EuGH 12.9.2019, Rs. C-64/18 ua, Maksimovic, Rz 50; zu den Sanktionsbestimmungen iZm Melde- und Bereithaltungspflichten nach §§ 26 bis 28 LSD-BG, die Nachfolgebestimmungen der zuvor im AVRAG geregelten Pflichten sind, EuGH 19.12.2019, Rs. C-645/18, NE und vom selben Tag, Rs. C-140/19 ua, EX).

Allerdings findet das Unionsrecht auf rein innerstaatliche Sachverhalte, die keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, keine Anwendung (vgl. etwa EuGH 15.5.2003, Rs. C-300/01, Salzmann II, Rz 32).

2.6. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger gegenüber (EU-)Ausländern am Gleichheitssatz zu messen und bedarf daher einer besonderen sachlichen Rechtfertigung (vgl. mwN VfSlg 20.335/2019).

Den Gedanken einer besonderen sachlichen Rechtfertigung hat der Verfassungsgerichtshof - unter Hinweis auf die ‚doppelte Bindung‘ des Gesetzgebers bei der Umsetzung von Unionsrecht - auch auf die sogenannte ‚Inländerdiskriminierung‘ übertragen (VfSlg 14.863/1997, 14.963/1997, 15.683/1999). Wenn es dabei auch nicht um Diskriminierungen nach dem Kriterium der Staatsbürgerschaft geht, sondern um die Benachteiligung rein innerstaatlicher Sachverhalte im Verhältnis zu Sachverhalten mit Unionsbezug, so sind inländische Staatsbürger davon doch meist besonders betroffen (vgl. VfSlg 17.150/2004, mit Verweis auf Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht², [2001], 82 ff.; Holoubek, ‚Inländerdiskriminierung‘ im Wirtschaftsrecht, in: Aicher/Holoubek/Korinek [Hrsg.], Gemeinschaftsrecht und Wirtschaftsrecht [2000], 159 ff.; Baumgartner, EU-Mitgliedschaft und Grundrechtsschutz, 1997, 208 ff.).

Die ‚doppelte Bindung‘ des Gesetzgebers lässt es daher im Allgemeinen nicht zu, den Umstand, dass eine bestimmte Regelung unionsrechtlich geboten ist, als alleinige sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung von Inländern und Unionsbürgern bei Anwendung einer Norm heranzuziehen. Dies gilt entsprechend für die Differenzierung zwischen rein innerstaatlichen Sachverhalten und - jeweils bezogen auf Mitgliedstaaten der EU bzw des EWR - grenzüberschreitenden Sachverhalten bzw Sachverhalten mit Bezügen zum Unionsrecht (vgl. VfSlg 19.529/2011).

2.7. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes liegen bei der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung aus dem Unionsgebiet bzw dem EWR und einer rein innerstaatlichen Arbeitskräfteüberlassung aus dem hier entscheidenden Blickwinkel der Arbeitsmarktpolitik keine gleichen Sachverhalte vor; vielmehr bestehen zwischen den beiden Konstellationen wesentliche Unterschiede, weshalb keine verfassungswidrige Inländerdiskriminierung vorliegt:

2.7.1. Wie dargelegt, darf ein Ausländer in Österreich, der rein innerstaatlich überlassen wird, nur beschäftigt werden, wenn die in § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG taxativ aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sind: Konkret muss für die betreffende Person eine Beschäftigungsbewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt worden sein oder sie muss eine für diese Beschäftigung gültige ‚Rot-Weiß-Rot - Karte‘, ‚Blaue Karte EU‘, Aufenthaltsbewilligung als unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer (‚ICT‘), Aufenthaltsbewilligung als mobiler unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer (‚mobile ICT‘), Aufenthaltsbewilligung ‚Familiengemeinschaft‘ mit Zugang zum Arbeitsmarkt (§ 20f Abs. 4 AuslBG) oder ‚Niederlassungsbewilligung - Künstler‘ oder eine ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘, eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘, einen Befreiungsschein (§ 4c AuslBG) oder einen Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger‘ oder ‚Daueraufenthalt - EU‘ besitzen.

2.7.2. Bei Beschäftigung im Rahmen einer Arbeitskräfteüberlassung im Inland liegt also typischerweise ein dauerhafter Aufenthalt und eine Eingliederung von Drittstaatsangehörigen in den österreichischen Arbeitsmarkt vor. Dementsprechend sind ihr in aller Regel umfassende behördliche Prüfungen vorgeschaltet: Drittstaatsangehörige dürfen entweder nur nach Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung überlassen werden, im Rahmen derer insbesondere geprüft wird, ob Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulassen (Arbeitsmarktprüfung) und ob wichtige öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen (§ 4 Abs. 1 AuslBG) oder die Drittstaatsangehörigen verfügen über eines der genannten Aufenthaltsrechte, bei deren Erteilung das AMS regelmäßig eingebunden ist: so etwa bei den Aufenthaltstiteln ‚Rot-Weiß-Rot - Karte‘, ‚Blaue Karte EU‘, ‚Niederlassungsbewilligung - Künstler‘ (§ 20d AuslBG), ‚Rot-Weiß-Rot -Karte plus‘ (§ 20e AuslBG) oder bei der Aufenthaltsbewilligung für (mobile) ICT samt Familienangehörige (§ 20f AuslBG). Der Gesetzgeber hat sohin strenge Voraussetzungen für den innerstaatlichen Zugang Drittstaatsangehöriger zum österreichischen Arbeitsmarkt geschaffen.

2.7.3. Demgegenüber gelten für die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung keine derartigen Anforderungen: So ist nach den in §18 Abs12 AuslBG festgelegten Erfordernissen gerade keine Beschäftigungsbewilligung erforderlich. Vielmehr hat der Überlasser die Beschäftigung von nach Österreich überlassenen Arbeitnehmern zu melden (§ 19 LSD-BG), woraufhin das AMS bei Vorliegen aller Voraussetzungen eine EU-Überlassungsbestätigung ausstellt; liegen die Voraussetzungen nicht vor, wird die Überlassung untersagt. Die Regelung trägt der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union Rechnung, wonach die Dienstleistungsfreiheit auch verlangt, dass Drittstaatsangehörige von einem Mitgliedstaat in einen anderen überlassen werden dürfen, ohne dass hiefür eine Beschäftigungsbewilligung eingeholt werden muss (EuGH 11.9.2014, Rs. C-91/13, Essent Energie Productie BV, Rz 56; vgl. auch EuGH 9.8.1994, Rs. C-43/93, Vander Elst). Gleichwohl wird den Mitgliedstaaten eingeräumt, sich zu vergewissern, dass die Arbeitnehmer im Sitzstaat legal aufhältig, arbeitsberechtigt und sozial abgesichert sind (vgl. EuGH 21.9.2006, Rs. C-168/04, Kommission gegen Republik Österreich; RV 215 BlgNR 23. GP, 5). Österreich bleibt es daher verwehrt, eine grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung unter den Vorbehalt einer Arbeitsmarktprüfung zu stellen; es darf lediglich sicherstellen, dass die betreffenden drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, von dem aus sie überlassen werden, über eine Arbeitserlaubnis verfügen. Demgemäß ist die EU-Überlassungsbestätigung nach § 18 Abs. 12 AuslBG auszustellen, wenn die überlassenen Arbeitnehmer in dem jeweiligen Mitgliedstaat, von dem aus sie nach Österreich überlassen werden, über die Dauer der Überlassung hinaus zur Beschäftigung zugelassen sind (Z 1), die österreichischen Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden (Z 2) und kein Untersagungsgrund gemäß § 18 Abs. 1 AÜG vorliegt (Z 3). Unbeschadet der Verpflichtung zur Meldung der Überlassung gemäß § 19 LSD-BG sowie sonstiger Pflichten nach dem AÜG darf die Beschäftigung bei Vorliegen der Voraussetzungen auch ohne EU-Überlassungsbestätigung begonnen werden (§ 18 Abs. 12 AuslBG). Die EU-Überlassungsbestätigung hat daher - wie auch die Bundesregierung anmerkt - im Gegensatz zur konstitutiven Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4 AuslBG eine rein deklarative Wirkung. Strafbar macht sich der inländische Beschäftiger nur, sofern keine EU-Überlassungsbestätigung für die überlassenen Arbeitnehmer ausgestellt wurde und die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Bestätigung auch nicht vorliegen (§ 28 Abs. 1 Z 4 lit. b AuslBG).

2.7.4. Zwar gebietet die Dienstleistungsfreiheit, dass eine Prüfung der heimischen Arbeitsmarktlage bei grenzüberschreitend überlassenen Drittstaatsangehörigen zu unterbleiben hat, sofern diese im Mitgliedstaat, von dem aus sie nach Österreich überlassen werden, über einen legalen Arbeitsmarktzugang verfügen. Es bleibt dem Gesetzgeber jedoch unbenommen, die rein innerstaatliche Beschäftigung Drittstaatsangehöriger - gleichgültig, ob in direkter Anstellung oder im Wege der Arbeitskräfteüberlassung - unter strengere Voraussetzungen zu stellen, um einen funktionierenden Arbeitsmarkt und die dafür erforderliche Begrenzung der Beschäftigung Drittstaatsangehöriger zu gewährleisten. Rein inländische Arbeitskräfteüberlassungen und jene aus dem Unionsgebiet bzw. dem EWR betreffen unterschiedliche Personenkreise und Sachverhalte, für die der Gesetzgeber unterschiedliche Regelungsregime geschaffen hat. Insofern bestehen auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die unterschiedliche Bemessung der Strafhöhe, zumal die verschiedenen Verwaltungsübertretungen - den divergierenden Regelungsregimen entsprechend - einen unterschiedlichen Unrechtsgehalt aufweisen. Es liegt sohin kein Fall einer verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung vor.“

11       Ausgehend von dieser rechtlichen Beurteilung und anknüpfend an die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe VwGH 5.3.2021, Ra 2020/09/0061; 13.11.2020, Ra 2020/09/0039; 2.7.2020, Ra 2020/09/0025) hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine Gesamtstrafe verhängt:

12       Auch in dem hier zu beurteilenden Fall liegt kein Sachverhalt vor, dem eine zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erbrachte Dienstleistung im Sinn des Art. 57 AEUV zugrunde liegt, und bei dem es deshalb zu einer Verdrängung nationalen Rechts kommen könnte. So wurden die neun Drittstaatsangehörigen von einem im Inland ansässigen Unternehmen überlassen und von dem vom Mitbeteiligten vertretenen inländischen Unternehmen im Inland beschäftigt.

13       Bei einer solchen, einen reinen Inlandssachverhalt darstellenden, unberechtigten Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer nach § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG kommt es - wie bereits ausgeführt - nicht zu einer aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2019, Maksimovic, C-64/18, u.a., ableitbaren Verdrängung nationalen Rechts.

14       Die vom Mitbeteiligten in seiner Revisionsbeantwortung geltend gemachte Inländerdiskriminierung liegt - wie dargestellt - nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Dezember 2021, G 123/2021-9, nicht vor.

15       Das in der Revisionsbeantwortung unter Hinweis auf VwGH 30.4.1987, 86/09/0088, erstattete Vorbringen, dass auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Gesamtstrafe zu verhängen gewesen wäre, übersieht, dass dieses Erkenntnis zu einer früheren Rechtslage ergangen ist und § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBG seit der Novelle BGBl. Nr. 231/1988 für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer eine eigene Strafdrohung aufstellt (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2020/09/0053; 13.12.1990, 90/09/0170).

16       Das Landesverwaltungsgericht hätte daher für jeden unerlaubt beschäftigten Ausländer eine Strafe zu verhängen gehabt. Indem es dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

17       Das angefochtene Erkenntnis war somit bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 24. Jänner 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Schlagworte

Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020090077.L00

Im RIS seit

01.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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