TE Vwgh Erkenntnis 2022/2/3 Ra 2021/19/0079

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs3
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.Seiler, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2021, L519 2193620-3/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: M I in K, vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 70/2/1.1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 12. September 2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte der Mitbeteiligte vor, sein Vater sei ein hoher Offizier in der Regierung Saddam Husseins gewesen und bei einem Anschlag verletzt worden. Der IS habe seinen Vater immer wieder bedroht. Da der Mitbeteiligte Angst vor einer Entführung gehabt habe, habe er den Herkunftsstaat auf Anraten seines Vaters verlassen.

2        Mit Bescheid vom 27. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 29. Jänner 2020 wurde der Mitbeteiligte wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB, des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB und des Vergehens der Aufforderung zu terroristischen Straftaten und der Gutheißung terroristischer Straftaten nach § 282a Abs. 1 und 2 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren verurteilt. Mit Urteil vom 26. Mai 2020 erhöhte das Oberlandesgericht Graz die Freiheitsstrafe auf drei Jahre, wovon zwei Jahre bedingt nachgesehen wurden.

4        Mit Erkenntnis vom 10. August 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den Bescheid des BFA vom 27. März 2018 erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5        Am 11. Dezember 2020 stellte der Mitbeteiligte erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er u.a. damit, dass sein Vater Offizier beim Militär gewesen und getötet worden sei. Zeugen würden im Irak angeben, dass sie den Mitbeteiligten im Irak gesehen hätten und dass er Menschen getötet habe. Deshalb würde er bei einer Rückkehr bestraft werden und habe davor Angst. Der Mitbeteiligte gab außerdem an, dass anonyme Personen im Irak Informationen über die Verurteilung des Mitbeteiligten in Österreich an Regierung und Milizen weitergeben würden, die den Mitbeteiligten töten würden. Alle in Al Anbar hätten bereits Kenntnis von der Verurteilung des Mitbeteiligten in Österreich und würden auf seine Rückkehr warten, um ihn zu töten.

6        Mit Bescheid vom 27. Dezember 2020 wies das BFA den Folgeantrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten in den Irak zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erließ über den Mitbeteiligten ein unbefristetes Einreiseverbot. Begründend hielt das BFA zusammengefasst fest, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt hervorgekommen sei, zumal sich der Mitbeteiligte auf jene Gründe stütze, die er im bereits rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren vorgebracht habe und denen keine Glaubhaftigkeit zukomme. Der Mitbeteiligte habe bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG im Rahmen des Verfahrens über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz den „wichtigsten Grund“, nämlich die Anschuldigungen in Bezug auf seine Verurteilung wegen Terrorismus in Österreich, vorgebracht.

7        Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss behob das BVwG aufgrund der Beschwerde des Mitbeteiligten den Bescheid des BFA vom 27. Dezember 2020 gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

8        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, das BFA habe die notwendige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen, weshalb dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA nicht hinreichend festgestanden habe. Der Mitbeteiligte sei weder näher zu seinem Gesundheitszustand, noch diesbezüglich zu allfälligen Befunden oder Unterlagen befragt worden. Auch zu seinen „neuen Fluchtgründen“ habe das BFA den Mitbeteiligten oberflächlich und offensichtlich völlig desinteressiert befragt. Ebenso sei eine detaillierte Befragung des Mitbeteiligten zu einer behaupteten Lebensgemeinschaft unterblieben. Der Bescheid des BFA vom 27. Dezember 2020 enthalte hinsichtlich des Einreiseverbotes keine geeignete Gefährdungsprognose und keine Ausführungen, weshalb dieses unbefristet zu verhängen gewesen wäre. Das BFA habe es unterlassen, die zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Sicherheitslage im Raum Al Anbar zu erheben und den Mitbeteiligten damit zu konfrontieren. Da der maßgebliche Sachverhalt nicht feststehe, sei der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Amtsrevision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Die Amtsrevision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zum einen vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es seine Zurückverweisung auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützt habe, obwohl das Asylverfahren der mitbeteiligten Partei nicht zugelassen worden sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könnten Zurückverweisungen im Zulassungsverfahren nur auf § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG, nicht aber auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützt werden. Dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG erfüllt wären, lege das BVwG aufgrund der verfehlten Rechtsansicht, dass § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG anzuwenden sei, nicht dar. Die Amtsrevision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zum anderen vor, gravierende Ermittlungsmängel würden nicht vorliegen und das BVwG habe auch nicht dargelegt, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine. Die Ausführungen des BVwG seien daher auch nicht geeignet, eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu rechtfertigen.

11       Die Revision ist aus den vorgebrachten Gründen zulässig, sie ist auch begründet.

12       Gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

13       Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher (vgl. dazu grundlegend VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0208, mwN). Diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren, wozu auch - wie im vorliegenden Fall - Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählt, zur Anwendung (vgl. VwGH 14.1.2020, Ra 2019/18/0311, mwN).

14       Das BVwG hätte im vorliegenden Fall § 21 Abs. 3 BFA-VG als Rechtsgrundlage heranziehen und prüfen müssen, ob die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorlagen. Indem das BVwG den angefochtenen Bescheid jedoch gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behob und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwies, hat es die Rechtslage verkannt und den angefochtenen Beschluss mit Rechtwidrigkeit belastet.

15       Die Begründung des BVwG hätte aber auch eine auf § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG gestützte Stattgabe der Beschwerde nicht zu tragen vermocht. Auf die Frage, ob die Voraussetzungen einer auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gestützten Aufhebung und Zurückweisung vorlagen, kommt es dabei - entgegen den Ausführungen der Amtsrevision - jedoch nicht an.

16       Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. etwa VwGH 29.11.2021, Ra 2020/19/0412, mwN).

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat erkannt, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung des - im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden - Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben. Ist hingegen davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens - samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes - selbst vorzunehmen. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, neben den bereits oben genannten Umständen auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können; etwa wenn es gilt, allein die Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers einer näheren Beurteilung zu unterwerfen (vgl. VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0017, mwN).

18       Einer behebenden Entscheidung iSd § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG muss sohin auch - unter Überbindung der Rechtsansicht - entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde unterlaufen sind. Zudem hat das Verwaltungsgericht in seiner Begründung offenzulegen, warum es nicht in der Lage ist, die Ermittlungsmängel in der für die Erledigung des - im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens - gebotenen Eile zu beseitigen (vgl. erneut VwGH Ra 2017/19/0017, mit Verweis auf VwGH 21.4.2016, Ra 2016/19/0027, mwN).

19       Das BVwG führt zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Mitbeteiligten aus, es würden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die „neuen Fluchtgründe“ nicht asylrelevant bzw. nicht glaubwürdig seien. Es sei zwar richtig, dass der Mitbeteiligte nur vage und oberflächliche Behauptungen in den Raum gestellt habe, die belangte Behörde hätte dieses vage Vorbringen aber hinterfragen müssen. Das BFA habe auch bezüglich des Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten nicht nachgefragt. Auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Erlassung eines Einreiseverbotes sei eine detaillierte Befragung des Mitbeteiligten unterblieben. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

20       Damit legte das BVwG zwar Ermittlungsmängel dar, eine Begründung, warum es nicht in der Lage gewesen sei, die von ihm angenommenen Ermittlungsmängel in der für die Erledigung des Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile selbst - erforderlichenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur ergänzenden Befragung des Mitbeteiligten - zu beseitigen und den allenfalls fehlenden Sachverhalt selbst festzustellen, um über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz entscheiden zu können, fehlt jedoch in dem angefochtenen Beschluss.

21       Der angefochtene Beschluss war aus diesen Gründen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

22       Bei diesem Ergebnis war dem Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190079.L00

Im RIS seit

01.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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