TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/5 95/18/0336

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Veröffentlicht am 05.09.1996
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Index

19/05 Menschenrechte;
20/02 Familienrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §13 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs2;
AufG 1992 §5 Abs1;
EheG §23;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte

Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des D in L, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Oktober 1994, Zl. 100.575/3-III/11/94, betreffend Versagung einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem obzitierten Bescheid wies der aufgrund eines Devolutionsantrages zur Entscheidung zuständig gewordene Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers vom 11. August 1993 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1

Aufenthaltsgesetz - AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4

Fremdengesetz - FrG, ab.

Der Beschwerdeführer sei mit einem für die Bundesrepublik Deutschland gültig gewesenen Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist. Am 13. April 1992 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Sein daraufhin gestellter Sichtvermerksantrag sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 29. Oktober 1992 abgewiesen worden, weil seine Gattin vor der Bezirkshauptmannschaft Bludenz angegeben habe (Niederschrift vom 9. Oktober 1992), daß die Ehe nur zum Schein eingegangen worden sei. Am 11. August 1993 habe der Beschwerdeführer, nachdem er mit einem vom österreichischen Generalkonsulat Istanbul ausgestellten Sichtvermerk in Österreich eingereist sei, bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. Die gegen die Versagung des Sichtvermerkes (Bescheid vom 29. Oktober 1992) erhobene

Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde sei mit Erkenntnis vom 3. Mai 1993, Zl. 93/18/0159, als unbegründet abgewiesen worden. Der Gerichtshof habe darin zum Ausdruck gebracht, daß die Eingehung einer Ehe durch einen Fremden zwecks Beschaffung einer Aufenthaltsbewilligung einen evidenten Rechtsmißbrauch und ein Verhalten darstelle, das als gravierende Beeinträchtigung des geordneten menschlichen Zusammenlebens die Annahme rechtfertige, daß der weitere Aufenthalt des Fremden in Österreich die öffentliche Ordnung gefährden würde. Das Bundesministerium für Inneres könne sich der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes anschließen, zumal der Beschwerdeführer seinen Antrag vom 11. August 1993 mit seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin begründet habe. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde somit nicht nur zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG führen, sondern habe auch tatsächlich dazu geführt. Der § 10 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. finde durch § 5 Abs. 1 AufG "direkte" Anwendung.

Aufgrund des Aufenthaltes seiner Eltern im Bundesgebiet bestünden unabsprechbare private und familiäre Beziehungen des Beschwerdeführers zu Österreich. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen mit den privaten Interessen im Rahmen des Art. 8 MRK habe jedoch den öffentlichen Interessen "absolute Priorität" eingeräumt werden müssen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung von deren Behandlung (Beschluß vom 28. November 1994, B 2041/94-6) dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluß vom 13. Februar 1995, B 2041/94-8).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, allenfalls Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Daß der Beschwerdeführer die von ihm am 13. April 1992 mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossene Ehe ausschließlich zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung eingegangen sei, wird in der Beschwerde nicht bestritten. Der Gerichtshof hegt gegen diese maßgebliche Sachverhaltsannahme der belangten Behörde - insbesondere unter Bedachtnahme auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten - keine Bedenken. Im übrigen sei dazu auf das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 1993, Zl. 93/18/0159, verwiesen, mit dem die gegen den oben I. 1. erwähnten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 29. Oktober 1992, mit welchem dem Beschwerdeführer ein Sichtvermerk versagt worden war, erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde.

2.1. Ungeachtet dessen vertritt die Beschwerde die Auffassung, daß die belangte Behörde ihre den Antrag des Beschwerdeführers vom 9. August 1993 (bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz am 11. August 1993 eingelangt) abweisende Entscheidung nicht (mehr) auf das besagte (Fehl-)Verhalten des Beschwerdeführers und die ihrer Meinung nach dadurch herbeigeführte Gefährdung der öffentlichen Ordnung i. S. ds § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG habe stützen dürfen.

2.2.1. Das von der Beschwerde dafür ins Treffen geführte erste Argument ist nicht zielführend: Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer eine gültige Ehe geschlossen hat, die "weder für nichtig erklärt, aufgehoben noch geschieden (ist)", vermag nichts daran zu ändern, daß die (bloß) zwecks Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen geschlossene Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin als rechtsmißbräuchlich eingegangen zu qualifizieren ist und dieser Rechtsmißbrauch für sich allein eine i.S. des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG relevante Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung darstellt; einer Nichtigerklärung der Ehe (nach § 23 Ehegesetz) bedarf es für diese rechtliche Beurteilung nicht (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/0438, und Zl. 95/18/0757). Gleiches gilt in bezug auf eine Eheaufhebung und eine Ehescheidung.

2.2.2. Nicht anders verhält es sich mit dem von der Beschwerde für ihren Standpunkt herangezogenen zweiten Argument: Es ist zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht strittig (und findet in den Verwaltungsakten Deckung), daß dem Beschwerdeführer vom österreichischen Generalkonsulat in Instanbul am 17. Juni 1993, also nach Schließung der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin (am 13. April 1992) und auch nach der auf die rechtsmißbräuchliche Eingehung dieser Ehe gestützten Abweisung eines Sichtvermerksantrages mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 29. Oktober 1992, ein bis 16. September 1993 gültig gewesener Sichtvermerk erteilt worden war. Mit der unter Bezugnahme auf diesen Sachverhalt vertretenen Ansicht, daß die belangte Behörde aufgrund seit Erlassung des den Beschwerdeführer betreffenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 1993 "geänderter Sach- und Rechtslage" nicht ohne weiteres die Annahme hätte zugrunde legen dürfen, es sei durch die besagte Eheschließung der Versagungstatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erfüllt, vermag die Beschwerde keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit aufzuzeigen.

2.2.3. Unter der Voraussetzung, daß sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes (gemäß § 15 Abs. 1 leg. cit.: mit 1. Juli 1993) rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hätte, wäre im Hinblick auf den ihm mit einer Gültigkeitsdauer bis 16. September 1993 ausgestellten Sichtvermerk vom 17. Juni 1993 auf seinen mit 9. August 1993 datierten und am 11. August 1993 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz eingelangten "Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung" die Übergangsregelung des § 13 Abs. 1 AufG anzuwenden gewesen. Der Beschwerdeführer wäre somit rechtens in der Lage gewesen, "mit Ablauf der Geltungsdauer dieser Berechtigung die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften (§ 4 Abs. 2)" zu beantragen (§ 13 Abs. 1 zweiter Satz AufG). Gemäß dem verwiesenen § 4 Abs. 2 AufG (idF vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995) kann die Bewilligung um höchstens sechs Monate und nach einem Jahr um höchstens jeweils zwei weitere Jahre verlängert werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) eingetreten ist. Schon der Wortsinn ("eingetreten ist") läßt im gegebenen Zusammenhang keinen Zweifel daran, daß der - einer Verlängerung hinderliche - Ausschließungsgrund des § 5 (hier:

der dort (u.a.) in Bezug genommene Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG) erst NACH Erteilung der Bewilligung entstanden, also nicht bereits vor diesem Zeitpunkt existent gewesen sein darf. Gerade dies war aber vorliegend nicht der Fall: Das österreichische Generalkonsulat in Istanbul erteilte dem Beschwerdeführer den mit 17. Juni 1993 datierten Sichtvermerk (die Berechtigung zum Aufenthalt i.S. des § 13 Abs. 1 AufG), obwohl zu diesem Zeitpunkt die rechtsmißbräuchlich eingegangene Ehe (vgl. oben II.2.2.1.) schon geschlossen und damit der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG bereits verwirklicht war. Von daher gesehen wäre es der belangten Behörde unter der eingangs genannten Voraussetzung, daß sich der Beschwerdeführer am 1. Juli 1993 tatsächlich (auf der Grundlage des mehrfach erwähnten Sichtvermerkes) in Österreich aufgehalten hätte, verwehrt gewesen, den diesfalls als Verlängerungsantrag zu wertenden verfahrensgegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers unter Berufung auf den dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Rechtsmißbrauch gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abzuweisen.

2.3. Obgleich sich zu dieser mithin wesentlichen Voraussetzung im bekämpften Bescheid keine Feststellungen finden, handelt es sich bei diesem Versäumnis um keinen relevanten Verfahrensmangel. Denn der Beschwerdeführer selbst gab, und zwar in seinem mit 9. August 1993 datierten Antrag, ausdrücklich an, "(a)nfangs Juli 1993" nach Österreich eingereist zu sein. Damit aber steht, ohne daß es weiterer Ermittlungen bedürfte, fest, daß sich der Beschwerdeführer "zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes" (§ 13 Abs. 1 erster Satz AufG) nicht im Bundesgebiet aufhielt, trat doch das Aufenthaltsgesetz "mit 1. Juli 1993" (§ 15 Abs. 1 erster Satz leg. cit.), also um 0.00 Uhr dieses Tages in Kraft.

Auf dem Boden der Ausführungen unter II. 2.2.3. folgt daraus, daß der nach dem Aufenthaltsgesetz gestellte Antrag des Beschwerdeführers nicht dem § 13 Abs. 1 dieses Gesetzes subsumierbar und demnach nicht als Antrag zu werten war, auf den die für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften sinngemäß Anwendung finden.

2.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die belangte Behörde im Rahmen ihrer Entscheidung über den sohin als sog. Erstantrag zu qualifizierenden Antrag des Beschwerdeführers das mehrfach erwähnte Fehlverhalten des Beschwerdeführers als Grund für die Versagung der begehrten Aufenthaltsbewilligung heranziehen durfte (§ 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG). Abgesehen davon wäre die belangte Behörde rechtens in der Lage gewesen, den Antrag im Grunde des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG (idF vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995), demzufolge ein (Erst-)Antrag auf Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen ist, abzuweisen.

3.1. Der Beschwerdeführer bekämpft schließlich das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung mit dem - nochmaligen - Hinweis darauf, daß nach wie vor eine gültige Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin bestehe, die weder für nichtig erklärt worden noch aufgehoben worden sei. Im "Verfahren zur Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung" sei es der belangten Behörde verwehrt gewesen, "den Umstand, daß eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht erfolgt ist", zu seinen Ungunsten zu werten.

3.2. Auch diese Rüge versagt. Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG hatte die belangte Behörde auf die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen, und zwar derart, daß bei Vorliegen von privaten oder familiären Beziehungen des Fremden im Bundesgebiet die Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz aufgrund dieser Bestimmung nur dann zulässig ist, wenn die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. dazu etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 95/18/0757, mwN). Die belangte Behörde berücksichtigte zu Gunsten des Beschwerdeführers den Aufenthalt seiner Eltern in Österreich sowie seine Beschäftigung, nicht hingegen seine Ehe. Letzteres stößt auf keine Bedenken, ist es doch einem Fremden, der eine Ehe rechtsmißbräuchlich schließt und eine "eheliche Lebensgemeinschaft" tatsächlich nicht führt, verwehrt, eine solche Ehe - auch wenn sie formal noch aufrecht ist - unter dem Gesichtspunkt einer familiären Bindung für sich ins Treffen zu führen. Wenn die belangte Behörde den somit keineswegs stark ausgeprägten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Aufenthalt in Österreich geringeres Gewicht beimaß als dem gegenläufigen öffentlichen Interesse, so kann dies angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Einhaltung der das Fremdenwesen regelnden Vorschriften aus der Sicht der Wahrung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) zukommt, nicht als rechtswidrig angesehen werden.

4. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 VwGG iVm der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995180336.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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