TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/6 96/18/0246

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Veröffentlicht am 06.09.1996
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Index

E2A Assoziierung Türkei;
E2A E02401013;
E2A E11401020;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

21964A1229(01) AssAbk Türkei ;
ARB1/80 Art14 Abs1;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §19;
MRK Art8 Abs2;
SGG §12 Abs1;
SGG §12 Abs2;
StGB §43 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. April 1996, Zl. SD 181/96, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. April 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer, der sich seit September 1985 im Bundesgebiet befinde, sei am 10. Oktober 1995 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 2 des Suchtgiftgesetzes zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG lägen demnach vor. Das der gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers sowie die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit rechtfertigten (auch) die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. In einem solchen Fall sei gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 19 und 20 FrG entgegenstünden.

Auf Grund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und im Hinblick auf seine engen familiären Bindungen (Ehegattin und Kinder) liege ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in sein Privat- und Familienleben vor. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei jedoch die Erlassung dieser Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit - als dringend geboten zu erachten.

Die vom Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht ändere daran nichts. Denn abgesehen davon, daß dieser Umstand keinesfalls - wie der Beschwerdeführer offenbar meine - Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers sein könne, habe die belangte Behörde die Frage der Erforderlichkeit des Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen, ohne an die Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht veranlaßt hätten, die Strafe bedingt nachzusehen.

Für die Behauptung des Beschwerdeführers, der Ausspruch seiner bedingten Freiheitsstrafe wäre nur deshalb erfolgt, weil er aus "achtenswerten Motiven" in "untergeordneter Funktion" an der Straftat beteiligt gewesen und "nur unter Zwang einen Tatbeitrag" geleistet hätte, finde im erwähnten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien keinerlei Deckung. Vielmehr habe das Gericht festgestellt, daß sich der Beschwerdeführer zum Zwecke der Erzielung eines fortlaufenden Einkommens zur Finanzierung seines Unterhalts und den seiner großen Familie entschlossen hätte, einen Mittäter beim Suchtgifthandel zu unterstützen. Schon allein auf Grund der Gewerbsmäßigkeit, mit der der Beschwerdeführer seine Straftaten gesetzt habe, sei für ihn eine positive Zukunftsprognose nicht möglich, zumal gerade bei Suchtgiftdelikten die Wiederholungsgefahr besonders groß sei. Seinem Vorbringen, mit einer Tatwiederholung wäre nicht zu rechnen, sei jedenfalls der Boden entzogen.

Im Lichte dieser Beurteilung habe auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausschlagen müssen. Auch wenn dabei die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie in Anbetracht des hohen Grades an Integration, den sowohl er selbst als auch seine Familie aufwiesen, als erheblich zu werten gewesen seien, sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, daß diese Umstände nicht schwerer wögen als die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen.

In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig sei (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juli 1993, Zl. 93/18/0144). Darüber hinaus sei zu bedenken, daß die aus dem lang dauernden inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbare Integration eine nicht unbeträchtliche Minderung auf Grund der Beeinträchtigung der dafür wesentlichen sozialen Komponente durch die schweren Straftaten erfahre. Im Hinblick auf das dem Beschwerdeführer zur Last liegende Verbrechen des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels falle das Fehlen von Vorstrafen nicht entscheidend ins Gewicht. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich demnach auch im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG als zulässig.

Auch die Bestimmung des § 20 Abs. 2 FrG komme dem Beschwerdeführer nicht zugute, weil im vorliegenden Fall eine Verurteilung wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung vorliege.

Zutreffend habe die Erstbehörde das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit (unbefristet) erlassen. In Anbetracht der mit Suchtgiftdelikten verbundenen großen Wiederholungsgefahr könne derzeit nicht abgeschätzt werden, wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebenden Gründe weggefallen sein würden.

Gleiches gelte für den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung. Im vorliegenden Fall könne wohl kein Zweifel bestehen, daß die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich sei.

Die Einvernahme der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen sei insofern entbehrlich gewesen, als die belangte Behörde ohnehin von einer völligen sozialen Integration des Beschwerdeführers und von engen familiären Bindungen ausgegangen sei. Die diesbezügliche Rüge des Beschwerdeführers sei demnach verfehlt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes "zur Gänze" aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die - zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, daß die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten durch das Landesgericht für Strafsachen Wien den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 (dritter Fall) FrG verwirliche, bleibt in der Beschwerde unbekämpft.

1.2. Die Beurteilung der belangten Behörde, daß im Hinblick auf das dieser Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, entspricht im Hinblick auf die mit der Suchtgiftkriminalität verbundene erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Jänner 1996, Zl. 95/18/1382).

Das erkennbar im Zusammenhang auch mit der Frage, ob die besagte Annahme gerechtfertig sei oder nicht, stehende Beschwerdevorbringen, daß vom Landesgericht für Strafsachen

Wien die "bedingte Strafe" ... "deswegen verhängt worden (ist),

da der BF an den Taten nur in untergeordneter Weise und aus achtenswerten Motiven mitgewirkt hatte, da er um das Leben seines Sohnes fürchten mußte und so unter Zwang einen Tatbeitrag leistete", geht somit - ungeachtet der Frage, ob die behaupteten Erwägungen für das Gericht tatsächlich ausschlaggebend gewesen sind - ins Leere.

2.1. Nach Meinung des Beschwerdeführers entspricht der angefochtene Bescheid inhaltlich nicht einer Interessenabwägung, wie sie von Art. 8 MRK verlangt werde.

2.2. Dieser erkennbar die Beurteilung der belangten Behörde nach § 19 und auch § 20 FrG ansprechenden Auffassung des Beschwerdeführers ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein hohes Maß an Integration zugebilligt und die Tatsache, daß sich seine Ehegattin und seine Kinder in Österreich aufhalten, zu seinen Gunsten veranschlagt hat. Ungeachtet des von der belangten Behörde zu Recht als "erheblich" gewerteten Eingriffes in sein Privat- und Familienleben durch das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot hat sie aber diese Maßnahmen ebenso zutreffend als dringend geboten gemäß § 19 FrG angesehen. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof schon in zahlreichen Fällen zum Ausdruck gebracht hat, ist im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen (konkret: mit Rücksicht auf die Verhinderung von strafbaren Handlungen und den Schutz der Gesundheit) notwendig und demnach im Grunde des § 19 FrG zulässig (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis Zl. 95/18/1382).

Auf dem Boden der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist der belangten Behörde auch nicht entgegenzutreten, wenn sie die Frage der Erforderlichkeit eines Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes beurteilt hat, ohne sich an die Erwägungen gebunden zu erachten, die für das Gericht ausschlaggebend waren, eine Strafe bedingt nachzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 1994, Zl. 94/18/0031). Die belangte Behörde ist im Hinblick auf diese Rechtsprechung auch zutreffend davon ausgegangen, daß die vom Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht keinesfalls eine Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers sein könne.

2.3. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG war zwar in erster Linie auf die aus dem etwa elfjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers resultierende Integration Bedacht zu nehmen; allerdings auch darauf, daß die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch das vom Beschwerdeführer begangene Verbrechen des Suchtgifthandels eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. April 1996, Zl. 96/18/0165). Abgesehen davon, daß damit der Integration des Beschwerdeführers kein allzu großes Gewicht mehr zukommt, stünde auf Grund der im hohen Maß sozialschädlichen Suchtgiftdelikte selbst eine ansonsten völlige soziale Integration des Beschwerdeführers der Erlassung des Aufenthaltsverbotes aus der Sicht des § 20 Abs. 1 FrG nicht entgegen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1996, Zl. 96/18/0249). Wenn die belangte Behörde daher zusammenfassend angesichts des sehr großen Gewichts der durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers hervorgerufenen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation und die seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme, so ist dieses Abwägungsergebnis unbeschadet der beachtlichen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich nicht als rechtswidrig anzusehen.

2.4. Vor diesem Hintergrund ist dem Beschwerdevorbringen, daß der Beschwerdeführer einer "sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit" nachgehe und bisher "völlig unbescholten" gewesen sei, und daher nach §§ 19, 20 FrG gegen ihn ein Aufenthaltsverbot nicht hätte verhängt werden dürfen, der Boden entzogen. Dies gilt auch für sein Vorbringen, daß er die Straftat lediglich aus einer Notlage heraus begangen hätte und daß sich durch die Einvernahme von "vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen" durch die belangte Behörde ergeben hätte, daß in Österreich sein "gesamter "Familienkreis" wohnhaft sei" und der Beschwerdeführer, "da er bereits seit über 11 Jahren in

Österreich wohnhaft sei ... hier völlig integriert sei".

3. Mit dem Hinweis des Beschwerdeführers auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei aus dem Jahr 1963 ist für ihn deshalb nichts gewonnen, weil sich weder aus dem Abkommen noch aus dem darauf gestützten Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ableiten läßt, daß die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über einen türkischen Staatsangehörigen unzulässig wäre. Vielmehr macht gerade Art. 14 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses ("Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ind.") deutlich, daß die die Beschäftigung und die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer regelnden Bestimmungen (Abschnitt 1 des Kapitels II des Beschlusses) der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehen, wenn es - wie im Beschwerdefall - aus den genannten Gründen gerechtfertigt ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1996, Zl. 95/18/1354). Dies gilt ungeachtet der Frage, ob für den Beschwerdeführer die Regelungen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach dem genannten Assoziationsratsbeschluß tatsächlich zum Tragen kommen oder nicht.

4. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt und dies bereits der Inhalt der Beschwerdeerkennen läßt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996180246.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

08.09.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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