TE Vwgh Erkenntnis 1970/6/22 1283/69

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.1970
beobachten
merken

Index

Baurecht - Wien
L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Wien
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien
L82000 Bauordnung
L82009 Bauordnung Wien
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

BauO Wr §129 Abs10
BauRallg
VStG §5 Abs1
VwGG §49 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident, Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Lehne, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Ministerialkommissär Dr. Bily, über die Beschwerde der Dr. ES in W, vertreten durch Dr. Walter Kirchberger, Rechtsanwalt in Wien I, Strobelgasse 2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Mai 1969, Zl. MA 64-54/69/Str., betreffend Übertretung nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Fritz Bourca, und des Vertreters der belangten Behörde, Magistratskommissär Dr. KM, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.250,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird hinsichtlich der Forderung auf Ersatz von S 82,60 Bundesstempel zurückgewiesen und darüber hinaus abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Hauses Wien VI, S-gasse (EZ. nn) des Grundbuches der Katastralgemeinde M). Im Jahre 1931 mietete JL einen Raum als Geschäftslokal für den von ihr betriebenen Gemischtwarenhandel und dazu ein nach dem ursprünglichen Baukonsens zur Hausbesorgerwohnung gehöriges, an das Geschäftslokal unmittelbar anschließendes Zimmer. Bei einer vom Magistrat der Stadt Wien in einem Administrativerfahren nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien am 23. November 1965 abgehaltenen Verhandlung wurde festgestellt, daß dieses Zimmer durch eine Tür mit dem Geschäftslokal verbunden worden war und von der Mieterin als Magazin verwendet wurde, ferner daß in diesem Magazin eine hölzerne Zwischendecke zur Vergrößerung des Lagerraumes eingezogen worden war, wobei die lichte Raumhöhe oberhalb und unterhalb der Zwischendecke je 1,75 m betrug, und schließlich, daß ein Fenster dieses Raumes durch eine Tür ersetzt und davor ein Holzbalkon mit einem hölzernen Stiegenabgang in den Hof errichtet worden war. Bei der erwähnten Verhandlung wurde auch die Feststellung getroffen, daß diese Veränderungen ohne baubehördliche Bewilligung vorgenommen worden sind. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - MA 36 vom 24. November 1965 wurde der nunmehrigen Beschwerdeführerin als Hauseigentümerin gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der Auftrag erteilt, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Bescheides 1.) das hofseitige Zimmer der Hausbesorgerwohnung durch Abmauern der Türöffnung in der Mittelmauer von dem Geschäftslokal an der rechten Grundstücksgrenze zu trennen, 2.) die hölzerne Zwischendecke in dem vorangeführten Zimmer und 3.) den vor diesem Raum befindlichen baufälligen Holzbalkon samt der von diesem Balkon in den Hof führenden Holzstiege abtragen sowie 4.) die Balkontür entfernen und die dadurch freiwerdende Öffnung in der hofseitigen Außenmauer durch Einbau eines Fensters und Errichtung eines ausreichend wärmeisolierten Parapetes verschließen zu lassen. Die Beschwerdeführerin hat diesen Bescheid nicht angefochten. Anläßlich einer Erhebung am 4. April 1968 stellte ein Amtsorgan des Magistrates der Stadt Wien (MA 36) fest, daß - ausgenommen die Entfernung des Holzbalkons und der von diesem Balkon in den Hof führenden Holzstiege (Punkt 3 des Bescheides) - der mit Bescheid vom 24. November 1965 erteilte baupolizeiliche Auftrag noch nicht erfüllt worden sei. Der Magistrat der Stadt Wien - MBA für den VI./VII. Bezirk leitete daraufhin gegen die Beschwerdeführerin ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien ein, wobei ihr zur Last gelegt wurde, als Eigentümerin der vorgenannten Liegenschaft in der Zeit vom 3. Dezember 1965 bis mindestens 4. April 1968 nicht dafür gesorgt zu haben, daß die Abweichung von den Bauvorschriften behoben und der vorschriftswidrige Zustand, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt habe werden können, beseitigt werde; im einzelnen würde ihr vorgeworfen, daß das Abmauern der Türöffnung vom hofseitigen Zimmer der Hausbesorgerwohnung in das Geschäftslokal, die Beseitigung der hölzernen Zwischendecke in diesem als Magazin verwendeten Zimmer und die Beseitigung der Balkontür sowie das Ersetzen der dadurch freiwerdenden Öffnung in der hofseitigen Außenmauer durch Einbau eines Fensters und Errichtung eines wärmeisolierten Parapetes unterblieben seien. Bei der hierüber am 10. Mai 1968 durchgeführten Strafverhandlung verantwortete sich die Beschwerdeführerin als Beschuldigte durch ihren Rechtsvertreter (Hausverwalter) damit, daß am 2. April 1968 das hofseitige Zimmer der Hausbesorgerwohnung durch Abmauern der Türöffnung in der Mittelmauer vom Geschäftslokal getrennt worden sei. Die Erfüllung der übrigen Vorschreibungen (wie sie der Bescheid vom 24. November 1965 getroffen hatte), sei daran gescheitert, daß die Mieterin JL ihr Geschäft an MG verpachtet und letztere den Zutritt zu den Lokalitäten verweigert habe. Vor ca. zwei Jahren sei, da diese Verpachtung ohne Zustimmung der Beschwerdeführerin als Hauseigentümerin erfolgt sei, gegen JL eine Klage wegen Kündigung bzw. Räumung eingebracht worden. Das Verfahren hierüber sei noch anhängig. MG habe die Geschäfteräumlichkeiten in Subpacht an EK vergeben. Letztere habe am 2. April 1968 der Beschwerdeführerin ermöglicht, die Tür vom Geschäftslokal zum Zimmer der Hausbesorgerwohnung vermauern zu lassen; daraufhin habe MG die Besitzstörungsklage erhoben. Seit 2. April 1968 sei das Geschäft wieder gesperrt und es werde der Beschwerdeführerin jeder Zutritt zu diesen Räumlichkeiten verwehrt.

Der Magistrat der Stadt Wien - MBA. VI./VII. Bezirk hat JL - diese als Beschuldigte in einem eigenen Verwaltungsstrafverfahren, das jedoch in der Folge eingestellt worden ist -, MG und EK vernommen. JL brachte teils mündlich, teils in schriftlichen Äußerungen im wesentlichen wir, daß - mit Ausnahme des Vorbaues - bereits im Jahre 1931, als sie die Räumlichkeiten gemietet hätte, der Bauzustand der gleiche gewesen sei wie heute. Im Bauakt erliege ein Genehmigungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 4. Jänner 1889, mit welchem das Ausbrechen einer Tür vom Geschäftslokal zu dem Zimmer der Hausbesorgerwohnung sowie das Vermauern von zwei Türen zur Kenntnis genommen worden seien. Zu diesem Zeitpunkt habe die Bauordnung für Wien in der heutigen Fassung noch gar nicht gegolten. JL habe von dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - MA 36 vom 24. November 1965 im Jahre 1966 Kenntnis erlangt und habe hievon MG informiert. Auch die Pächterin EK habe hievon gewußt. Beide seien jedoch nicht in der Lage gewesen, dem in diesem Bescheid enthaltenen Auftrag zu entsprechen, da sie ansonsten das Geschäft nicht hätten weiterführen können. Die Zwischendecke im Magazin sei von JL im Jahre 1945 mit Wissen der Hauseigentümer errichtet worden. Die Hauseigentümerin habe gar nicht versucht, auf rechtlichem Weg eine Durchsetzung des Bauauftrages zu erlangen, sondern sei sofort mit einer Teilkündigung gegen sie vorgegangen.

MG führte bei ihrer Vernehmung aus, daß die Aussagen von JL im wesentlichen richtig seien. Sie, MG, hätte die Hauseigentümerin nicht gehinderte einem Bauauftrag zu entsprechen, wenn die Baubehörde dies verlangt hätte. Zu einem Mietvertrag zwischen ihr und der Hauseigentümerin sei es nicht gekommen, weil letztere eine zu hohe Ablöse verlangt habe. Sie habe in den vergangenen Jahren den Zins im Namen von JL an die Hausverwaltung bzw. an den Anwalt der Hauseigentümerin bezahlt. Gegen das auch gegen sie ergangene erstinstanzliche Kündigungsurteil habe sie Berufung eingebracht, worüber aber - im Zeitpunkt ihrer Vernehmung - noch nicht entschieden sei.

EK gab bei ihrer Vernehmung an, daß sie mit Beginn des Jahres 1967 das Lebensmittelgeschäft von MG für die Dauer von drei Jahren gepachtet habe. Ende September 1967 sei ihr von einem Vertreter der Hausverwaltung mitgeteilt worden, daß das von ihr mitgepachtete Zimmer aus dem ehemaligen Bestande der Hausbesorgerwohnung abgemauert werden müsse. Sie habe dies sofort dem Rechtsvertreter von MG mitgeteilt und daraufhin den Pachtvertrag per 1. Dezember 1967 gekündigt. Der Rechtsanwalt von MG habe in einem Schreiben mitgeteilt, daß der Hausverwalter nicht berechtigt sei, irgendwelche Veränderungen im Lokale vorzunehmen. Das habe sie sofort dem Hausverwalter mitgeteilt, der daraufhin erklärt habe, wenn sie - EK - ohnedies im Dezember ausziehe, werde er die entsprechenden Arbeiten im Anschluß daran vornehmen lassen. Hätte die Hauseigentümerin ernstliche Anstalten getroffen, die Tür zum Magazin (Zimmer der Hausbesorgerwohnung) abzumauern, hätte sie dies geduldet.

Der Beschwerdeführerin wurde Gelegenheit gegeben, zu dem Ergebnis des gesamten Ermittlungsverfahrens einschließlich des gegen JL abgeführten Verwaltungsstrafverfahrens Stellung zu nehmen. In dieser Stellungnahme führte ihr Vertreter (Hausverwalter) aus, daß er, als er von JL im Jahre 1964 über ihre Absicht, den Gewerbeschein zurückzulegen und die Geschäftslokalitäten weiter zu vergeben, informiert, worden sei, erklärt habe, es werde einer Weitergabe dieser Räume nicht zugestimmt. Das hinter dem Geschäftslokal gelegene Zimmer gehöre zur Hausbesorgerwohnung und sei nie in ein Magazin umgewidmet worden. Wenn sie, JL, das Geschäftslokal nicht mehr benütze, werde dieser Raum wieder zur Hausbesorgerwohnung einbezogen. Ohne Zustimmung der Hauseigentümerin habe aber JL die Geschäftslokalitäten weiter verpachtet. Dies sei der Anlaß gewesen, daß er selbst den baupolizeilichen Auftrag vom 24. November 1965 erwirkt habe. Dieser Bauauftrag habe aber nur zum Teil erfüllt werden können, weil der Rechtsvertreter von JL mit einer Besitzstörungsklage gedroht habe. Ein solches Verfahren sei auch eingeleitet, in der Folge aber bis zur Erledigung der von der Hauseigentümerin bereits im Jahre 1965 eingebrachten Räumungsklage ausgesetzt worden. Das Räumungsverfahren sei noch nicht rechtskräftig entschieden. Im Jahre 1968 habe die Hauseigentümerin auch eine Räumungsklage wegen des Geschäftslokales eingebracht. Die Abmauerung des Magazines habe er, der Hausverwalter, am 2. April 1968 selbst durchgeführt. Da JL nach den Bestimmungen des Mietvertrages und des Mietengesetzes verpflichtet sei, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen und damit dem Bauauftrag zu entsprechen, habe die Hauseigentümerin in dieser Hinsicht keine Klage gegen sie eingebracht.

Mit Straferkenntnis vom 10. Jänner 1969 wurde sodann die Beschwerdeführerin für schuldig befunden, in der Zeit vom 3. Dezember 1965 bis 2. April 1968 die ihr bereits im Beschuldigtenladungsbescheid vom 3. Mai 1968 zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien begangen zu haben, und gegen sie eine Geldstrafe von S 5.000,-- (bzw. eine Ersatzarreststrafe von 22 Tagen) verhängt. Zur Begründung des Bescheides wurde im wesentlichen ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin mit ihrer im Verwaltungsstrafverfahren vorgebrachten Rechtfertigung nicht durchzudringen vermöge. Auch wenn ihr gegenüber die Mieterin (JL) nach zivilrechtlichen Bestimmungen zur Beseitigung der Abweichungen verpflichtet gewesen wäre, bleibe dennoch die Hauseigentümerin dafür verantwortlich, daß den Bestimmungen der Bauordnung entsprochen werde. Wenn aber die Hauseigentümerin (im Hinblick auf die Drohung mit einer Besitzstörungsklage bei Durchführung der Arbeiten laut Baubescheid) gewußt habe, daß die Mieterin oder eine allfällige Pächterin die Durchführung der Arbeiten hindere, so hätte sie, unabhängig vom Ausgang eines allfälligen Kündigungsverfahrens, die Mieterin auf gerichtlichem Wege zur Duldung der Durchführung der Arbeiten oder zu deren Durchführung zwingen müssen. Da die Beschwerdeführerin dies unterlassen habe, treffe sie die Verantwortung für die Nichtbeseitigung der Abweichungen von den Bauvorschriften.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie im wesentlichen vorbrachte, daß sie dem Auftrag zum Abmauern der Türöffnung zwischen Geschäftslokal und dem hofseitigen Zimmer, der Abtragung der Zwischendecke und der Entfernung der Balkontür nur dann nachkommen hätte können, wenn die Mieterin den Zutritt zu diesem Bestandobjekt gestattet hätte. Die Beschwerdeführerin habe bereits im Jahre 1966 gegen diese Mieterin die gerichtliche Kündigung eingebracht, um nach Rechtskraft der Kündigung den der Bauordnung entsprechenden Zustand wiederherstellen zu können. Eine Klage auf Duldung der im Bauauftrag angeführten Maßnahmen wäre nicht zielführend gewesen. Eine derartige Klage hätte nur dann einen Zweck gehabt, wenn keine wesentliche Beeinträchtigung des Bestandverhältnisses gegeben gewesen wäre. Im vorliegenden Fall würde jedoch nach Abmauern der Türöffnung keine Verbindung mehr zwischen dem Geschäftslokal und dem hofseitigen Raum bestanden haben und dieser Raum wäre für die betroffene Mieterin nicht mehr verwendbar gewesen. Es habe daher die Kündigung eingebracht werden müssen. Das Verfahren vor Gericht sei seit dem Jahre 1966 anhängig gewesen und im Jänner 1969 durch Urteil abgeschlossen worden. In der Zwischenzeit, nämlich am 11. April 1968, sei auch die Türöffnung abgemauert worden. Weitere Maßnahmen wären nur auf Grund einer gerichtlichen Delogierung möglich gewesen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 20. Mai 1969 gab die Wiener Landesregierung der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in der Schuldfrage keine Folge, setzte jedoch gemäß § 51 Abs. 4 VStG 1950 die verhängte Strafe auf S 1.000,-- (bzw. die Ersatzarreststrafe auf drei Tage) herab. (Die Strafhöhe wurde mit der vorliegenden Beschwerde nicht bekämpft.) Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des ganzen Hauses auch „Eigentümerin der einzelnen Räume“ in diesem Hause sei. Durch einen Umbau im Inneren eines Bestandobjektes ändere sich nichts an den Eigentumsverhältnissen. Da für die Einhaltung des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der Eigentümer der Baulichkeit verantwortlich sei, wäre die Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen, alles in ihrer Macht Stehende zur Beseitigung der Bauordnungswidrigkeiten zu unternehmen. Wenn die betroffene Mieterin ihre Zustimmung für die notwendigen Maßnahmen versagt habe, hätte die Beschwerdeführerin zumindest versuchen müssen, diese Zustimmung auf gerichtlichem Wege zu erzwingen. Die gerichtliche Kündigung erscheine jedoch nicht als geeignete Maßnahme zur Durchsetzung eines Bauauftrages. Es würde auch kaum ein Gericht nur zur Durchsetzung eines Bauauftrages eine Kündigung bewilligen. Da zum Tatbestand der Verwaltungsübertretung des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehöre, stelle sich die Nichteinhaltung dieser Verwaltungsvorschrift als Ungehorsamsdelikt dar (§ 5 Abs. 1 VStG). Die Beschwerdeführerin hätte also, um straflos zu bleiben, beweisen müssen, daß ihr die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne ihr Verschulden unmöglich gewesen sei. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht. Da die Abmauerung der Türöffnung laut Angabe der Beschwerdeführerin erst am 11. April 1968 und somit nach Ende der angelasteten Tatzeit erfolgt sei, sei diese Maßnahme für das vorliegende Strafverfahren ohne Bedeutung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Zur Begründung der Beschwerde wird im wesentlichen ausgeführt, daß die Mieterin, in deren Bestandgegenstand die notwendigen Arbeiten vorzunehmen gewesen seien, deren Durchführung nicht gestattet habe, weshalb zur Durchsetzung dieser Arbeiten nur der Rechtsweg offengeblieben sei. Eine Klage auf Duldung der notwendigen Arbeiten wäre jedoch nicht zielführend gewesen, da die Durchführung der Arbeiten zu einer wesentlichen Änderung des Bestandverhältnisses geführt hätte.

Die belangte Behörde beantragt in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde und stützt sich im wesentlichen auf die bereits zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Argumente. Ergänzend wird ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin schon lange vor dem angelasteten Tatzeitraum die erforderlichen Schritte zur Beseitigung der Bauordnungswidrigkeiten hätte in die Wege leiten müssen. Die Selbstanzeige bei der Baupolizei sei hiefür kein ausreichendes Mittel gewesen, zumal damit in erster Linie die Auflösung des unliebsam gewordenen Bestandverhältnisses angestrebt worden sei. Zur Beseitigung der Bauordnungswidrigkeit sei es jedenfalls nicht erforderlich gewesen, den Mietvertrag aufzukündigen.

Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Übertretung des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien ist, wie bereits im Erkenntnis vom 13. Jänner 1960, Zl. 598/599/58, ausgeführt worden ist, ein Ungehorsamsdelikt. Bei einem solchen zieht zufolge § 5 Abs. 1 VStG 1950 schon das bloße Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder die Nichtbefolgung eines Gebotes Strafe nach sich, wenn der Täter nicht beweist, daß ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen ist. Den nach dieser Gesetzesstelle geforderten Entlastungsbeweis behauptet die Beschwerdeführerin dahin gehend geführt zu haben, daß ihr die rechtzeitige Erfüllung des baupolizeilichen Auftrages infolge des Widerstandes der Mieterin der betreffenden Räumlichkeiten unmöglich gewesen sei. Der Widerstand eines Dritten, der sich der Erfüllung eines baupolizeilichen Auftrages entgegenstellt, kann, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Jänner 1959, Zl. 1946/58, ausgeführt hat, dann als Entlastung im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG 1950 gewertet werden, wenn der Eigentümer beweist, daß er alle ihm zu Gebote stehenden Mittel angewandt hat, um diesen Widerstand zu brechen, Der Gerichtshof kann der Auffassung der belangten Behörde, daß eine Kündigung gar nicht erforderlich gewesen sei und daß andere, zielführendere Maßnahmen, etwa eine Duldungsklage gegen die Mieterin, die rechtzeitige Behebung des vorschriftswidrigen Zustandes ermöglicht hätten, sodaß sich die Beschwerdeführerin nicht mit der langen Dauer des Kündigungsstreites entschuldigen könne, nicht in vollem Umfange beipflichten.

Es kann zwar der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie annimmt, daß die Verpflichtung zur Duldung der in Erfüllung eines baupolizeilichen Auftrages notwendigen Baumaßnahmen gemäß § 1118 ABGB gegenüber dem Mieter nach den Erfahrungen des täglichen Lebens in der Regel rascher und sicherer durchgesetzt werden kann als die Auflösung des Bestandvertrages. Eine solche Duldungsverpflichtung kann aber nur insoweit ausreichen, als mit der Durchführung der aufgetragenen Maßnahmen nicht endgültig ein Zustand geschaffen wird, der das Mietobjekt in seinem Bestand oder in seiner Benutzbarkeit so verändert, daß der bedungene Gebrauch für die Zukunft vereitelt ist; der Vermieter ist nämlich gemäß § 1096 ABGB verpflichtet, den Bestandnehmer in dem bedungenen Gebrauche nicht zu stören. Eine solche endgültige Änderung im Bestand des Mietobjektes wäre aber bei der Abtrennung des Magazins durch Abmauern der Tür eingetreten.

Der Inhalt der Verwaltungsakten gibt indes zu Zweifeln Anlaß, ob die Einbeziehung des Magazins zum Bestandobjekt wirklich ein bauordnungswidriger Zustand im Sinne des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien ist, da von der Bestandnehmerin ja, wie bereits ausgeführt, in dem gegen sie anhängig gewesenen Verwaltungsstrafverfahren die konkrete Behauptung aufgestellt worden war, diese Baumaßnahme sei mit „Genehmigungsbescheid“ im Jahre 1889 „zur Kenntnis genommen“ worden. Hierüber hätte sich die belangte Behörde Gewißheit verschaffen müssen. Liegt nämlich insoweit keine Konsenswidrigkeit vor, so war zwar die Kündigung der Mieterin nicht erforderlich, um die restlichen Bauordnungswidrigkeiten zu beheben, diesbezüglich also der subjektive Tatbestand gegeben, jedoch hinsichtlich des Vorwurfes, die Tür zum Magazin nicht abgemauert zu haben, der objektive Tatbestand nicht erfüllt. Die belangte Behörde durfte im Verwaltungsstrafverfahren auch nicht die Rechtskraft des Administrativ-auftrages vom 24. November 1965 als maßgeblich betrachten, da den Gegenstand einer Übertretung des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien nicht das Zuwiderhandeln gegen einen Bauauftrag, sondern die Nichterfüllung der gesetzlichen Verpflichtung bildet (siehe das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1969, Zl. 766/68, auf welches unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen wird). Die Frage der Bewilligungspflicht der erwähnten Baumaßnahme wird nach den zum Zeitpunkt ihrer Vornahme geltenden Rechtsvorschriften zu beurteilen sein ('siehe Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. April 1960, Slg. N. F. Nr. 5257/A).

Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Der Gerichtshof hatte diese Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ungeachtet des Umstandes, daß in der Beschwerde nur Ausführungen über die unrichtige Beurteilung des subjektiven Tatbestandes enthalten sind, schön wegen der vorhin dargestellten Verknüpfung mit der Frage, welches Mittel zur Überwindung des Widerstandes der Mieterin angezeigt war, im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG 1965 aufzugreifen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 1 VwGG 1965 aufzuheben.

Die Zuerkennung des Kostenersatzes gründet sich auf §§ 47 ff VwGG 1965, ferner auf die Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 1965, BGBl. Nr. 4. Die Forderung auf Ersatz der Stempelgebühren in Höhe von S 82,60 war zurückzuweisen, da sie in bestimmter Höhe erst bei der mündlichen Verhandlung, nicht aber, entsprechend § 59 Abs. 2 lit. c VwGG 1965, binnen einer Woche nach dem Entstehen der Leistungspflicht erhoben wurde. Die Zuerkennung von Fahrtkosten in Höhe von S 4,-- war abzulehnen, weil solche gemäß § 48 Abs. 1 lit. c VwGG 1965 nur im Fall einer Reise, also einer Fahrt, die über die Ortsgrenze hinausgeht, zu ersetzen sind. Die Umsatzsteuer von S 123,70 und die verzeichneten Barauslagen von S 86,60 konnten nicht zuerkannt werden, weil die in der vorzitierten Verordnung des Bundeskanzleramtes vorgesehenen Ersätze für Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand Pauschalvergütungen sind.

Wien, am 22. Juni 1970

Schlagworte

Andere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Baurecht Fahrtkosten Reisekosten Öffentliches Verkehrsmittel in Wien und in den Bundesländern Kilometergeld Mehrmaliger Zuspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1970:1969001283.X00

Im RIS seit

28.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten