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E000 EU- Recht allgemeinNorm
ABBAG-G 2014 §3bBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der A GmbH in B, vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 5. Jänner 2021, Zl. VGW-101/007/12856/2020-13, betreffend Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40 - Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 I.1. Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 6. August 2020 den Antrag der revisionswerbenden Partei als Betreiberin eines Gastgewerbebetriebs auf Zuerkennung einer Vergütung für die durch die COVID-19-Pandemie verursachte Behinderung ihres Erwerbs und dadurch entstandene Vermögensnachteile im Zeitraum vom 17. März bis zum 28. April 2020 abgewiesen. Ihren Antrag hatte die revisionswerbende Partei auf „jeden erdenklichen Rechtsgrund“, insbesondere die Bestimmungen des § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) bzw. „analog dazu“ gestützt.
2 I.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde die dagegen von der revisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Relevanz - zusammengefasst und mit näherer Begründung aus, es sei nicht erkennbar, dass ein Tatbestand des § 32 Abs. 1 EpiG erfüllt sei. Die Entschädigungsregelungen des EpiG seien auf den Beschwerdesachverhalt nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz (zeitraumbezogen § 4 Abs. 2, nunmehr § 12 Abs. 2) nicht anzuwenden. Die auf das COVID-19-Maßnahmengesetz gestützten Verordnungen seien von § 32 Abs. 1 EpiG nicht erfasst, die von der revisionswerbenden Partei betriebene Betriebsstätte sei auch nicht durch eine Maßnahme nach dem EpiG betroffen gewesen. Neben § 32 EpiG seien keine anderen Rechtsgrundlagen für die beantragte Entschädigung erkennbar, auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, G 202/2020 und V 408/2020, hielt das Verwaltungsgericht außerdem fest, dass die maßgebliche Rechtslage verfassungskonform sei.
4 Auch unionsrechtlich - so das Verwaltungsgericht weiter - sei kein Entschädigungsanspruch geboten. Zwar könne ein Eingriff in eine unternehmerische Tätigkeit ein Eingriff in die Grundfreiheiten sein, dessen Berechtigung sei aber von einer finanziellen Entschädigung unabhängig. Eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung liege nicht vor. Das Verwaltungsgericht sehe somit auch keine Veranlassung, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unionsrechtliche Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Verweis auf VwGH 8.10.2020, Ra 2020/06/0177).
5 II. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die belangte Behörde erwogen hat:
6 Die revisionswerbende Partei begründet die Zulässigkeit der Revision mit unionsrechtlichen Ausführungen und erblickt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des EuGH noch nicht beantwortet sei, darin, ob aus dem grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot der Dienstleistungsfreiheit bzw. aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GRC), aus dem Grundrecht auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRC) und aus dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 17 GRC) ein „Anspruch auf Entschädigung für die covidrechtliche Betriebssperre abzuleiten“ sei, ferner darin, ob die innerstaatlichen Regelungen wegen des begrenzten Umfanges der Ersatzleistungen gegen unionsrechtliche Vorschriften verstoßen und schließlich ob dies zur Folge habe, dass aufgrund unionsrechtskonformer Analogie zu den Entschädigungsansprüchen nach § 32 EpiG bzw. durch Nichtanwendung der einschränkenden Bestimmungen wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs die begehrte Entschädigung zuzusprechen sei. Die revisionswerbende Partei sei „an der Erbringung ihrer Dienstleistungen an EU-Touristen gehindert“ worden, weshalb in die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit eingegriffen worden sei.
7 III. Die Revision erweist sich als zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt:
8 III.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 (EpiG) BGBl. Nr. 186/1950 (WV), § 32 Abs. 1 bis 5 EpiG in der (nach wie vor in Geltung stehenden) Fassung BGBl. Nr. 702/1974, lauten:
„Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen.
§ 20. (1) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, bakterieller Lebensmittelvergiftung, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest oder Milzbrand kann die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betriebe bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde.
(2) Beim Auftreten einer der im ersten Absatz angeführten Krankheiten kann unter den sonstigen dort bezeichneten Bedingungen der Betrieb einzelner gewerbsmäßig betriebener Unternehmungen mit fester Betriebsstätte beschränkt oder die Schließung der Betriebsstätte verfügt sowie auch einzelnen Personen, die mit Kranken in Berührung kommen, das Betreten der Betriebsstätten untersagt werden.
(3) Die Schließung einer Betriebsstätte ist jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.
(4) Inwieweit die in den Abs. 1 bis 3 bezeichneten Vorkehrungen auch beim Auftreten einer anderen anzeigepflichtigen Krankheit getroffen werden können, wird durch Verordnung bestimmt.
...
§ 32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit
1. sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder
2. ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß § 11 untersagt worden ist, oder
3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 17 untersagt worden ist, oder
4. sie in einem gemäß § 20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder
5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß § 20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder
6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß § 22 angeordnet worden ist, oder
7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß § 24 verhängt worden sind,
und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.
(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs. 1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.
(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl. Nr. 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß § 21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl. Nr. 414, ist vom Bund zu ersetzen.
(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.
(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen.“
Mit der auf § 20 Abs. 4 EpiG gestützten Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-CoV-2 („2019 neuartiges Coronavirus“) vom 28. Februar 2020, BGBl. II Nr. 74/2020, wurde die Möglichkeit des Setzens der in § 20 Abs. 1 bis 3 EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS-CoV-2 („2019 neuartiges Coronavirus“) geschaffen.
III.2. § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG), BGBl. I Nr. 12/2020, lautete bis zur Novellierung mit 22. März 2020 durch BGBl. I Nr. 23/2020:
„Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen
§ 1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.“
Durch BGBl. I Nr. 23/2020 wurde dem § 1 folgender Satz mit Wirksamkeit vom 5. April 2020 angefügt:
„Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.“
§ 4 Abs. 2 COVID-19-MG erhielt durch BGBl. I Nr. 16/2020 mit Wirksamkeit vom 16. März 2020 folgende Fassung:
„(2) Hat der Bundesminister gemäß § 1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl. Nr. 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.“
Mit BGBl. I Nr. 104/2020 wurde das COVID-19-MG mit Wirkung vom 26. September 2020 dahin geändert, dass die (Neu)Regelung über das Betreten und Befahren von Betriebsstätten in § 3 getroffen wurde; der frühere § 4 wurde zu § 12, wobei die ursprüngliche Verweisung des Abs. 2 auf § 1 in eine Verweisung auf § 3 angepasst wurde. Durch BGBl. I Nr. 90/2021 erhielt § 12 mit Wirkung vom 28. Mai 2021 die Bezeichnung § 13.
III.3. § 3 der auf Grund des § 1 COVID-19-MG mit Wirksamkeit ab 17. März 2020 erlassenen Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020 (COVID-19-Maßnahmenverordnung-96), lautete:
„§ 3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.
(2) Abs. 1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe, welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:
1. Kranken-und Kuranstalten;
2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;
3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;
4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.
(3) Abs. 1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.
(4) Abs. 1 gilt nicht für Campingplätze und öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw. öffentlicher Verkehrsmitteln verabreicht und ausgeschenkt werden.
(5) Abs. 1 gilt nicht für Lieferservice.“
Durch die Verordnung BGBl. II Nr. 130/2020 wurde dem § 3 mit Wirksamkeit vom 3. April 2020 folgender Abs. 6 angefügt:
„(6) Die Abholung vorbestellter Speisen ist zulässig, sofern diese nicht vor Ort konsumiert werden und sichergestellt ist, dass gegenüber anderen Personen dabei ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird.“
Die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 trat mit 30. April 2020 außer Kraft. Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V 405/2020-14, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass § 3 der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 in der Fassung BGBl. II Nr. 130/2020 gesetzwidrig war, sowie, dass die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Mit Erkenntnis vom 29. September 2021, V 188/2021-11, sprach der Verfassungsgerichtshof ferner aus, dass § 3 in der Fassung BGBl. II Nr. 96/2020 gesetzwidrig war und dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Diese Aussprüche erfolgten im Wesentlichen deshalb, weil die Grundlagen für die getroffenen Anordnungen nicht ausreichend dokumentiert waren.
III.4. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts lauten (auszugsweise):
Artikel 56 (ex-Artikel 49 EGV) im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV):
„Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. ...“
Artikel 15, 16, 17 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC):
„Artikel 15
Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten
(1) Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben.
(2) Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.
(3) Die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen.
Artikel 16
Unternehmerische Freiheit
Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.
Artikel 17
Eigentumsrecht
(1) Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.
(2) Geistiges Eigentum wird geschützt.
Artikel 52
Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze
(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
(2) Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, erfolgt im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen.
(3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.
(4) Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.
(5) Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden.
(6) Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.
(7) Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung dieser Charta verfasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“
9 IV. Als Revisionspunkt wird von der revisionswerbenden Partei die Verletzung „in dem gesetzlich (unionsrechtlich) gewährleisteten subjektiven Recht auf Zuerkennung von Entschädigung und Stattgabe ihrer Anträge“ geltend gemacht. Das wesentliche Vorbringen in der Begründung der Revision geht dahin, dass wegen der Betriebseinschränkung, von der die revisionswerbende Partei betroffen gewesen sei, aufgrund der unionsrechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit sowie der in den Art. 15, 16 und 17 GRC garantierten Rechte ein unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch zustünde, dass die innerstaatlichen Regelungen den unionsrechtlichen Anforderungen nicht entsprächen und daher in analoger Anwendung der Entschädigungsregelungen des § 32 EpiG bzw. durch Nichtanwendung der eine Entschädigung ausschließenden Einschränkungen eine Entschädigung nach § 32 EpiG zuzusprechen gewesen wäre.
10 V.1. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes gilt die Regelung über die Unanwendbarkeit des EpiG in Bezug auf Verordnungen auf Grund des COVID-19-MG nicht nur für Betriebsschließungen, sondern für alle mit Verordnungen nach § 1 (später § 3) COVID-19-MG verfügten Maßnahmen, und schließt für diese die Anwendung der Bestimmungen über Betriebsschließungen, sohin auch das diesbezügliche Entschädigungsrecht des EpidemieG 1950, aus. Dies gilt auch, wenn auf Grundlage des COVID-19-MaßnahmenG keine Betretungsverbote, sondern bloß (minder eingreifende) Maßnahmen verfügt werden (vgl. etwa VfGH 26.11.2020, E 3412/2020 und E 3417/2020; VwGH 24.2.2021, Ra 2021/03/0018; 11.3.2021, Ra 2021/09/0028; 26.3.2021, Ra 2021/03/0017). Die Bestimmungen des COVID-19-MaßnahmenG iVm § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bewirken daher im Ergebnis, dass im gegenständlichen Fall keine Betriebsschließung nach § 20 EpiG angeordnet wurde, weshalb Ansprüche auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 Abs. 1 Z 5 EpiG ausgeschlossen sind.
11 Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof mit den genannten Erkenntnissen vom 1. Oktober 2020, V 405/2020-14, sowie vom 29. September 2021, V 188/2021-11, ausgesprochen, dass § 3 der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 (sowohl in der Stammfassung BGBl. II Nr. 96/2020 als auch in der Fassung BGBl. II Nr. 130/2020) gesetzwidrig war und dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist; schon deshalb kann ein im Verwaltungsweg geltend zu machender Entschädigungsanspruch nicht mehr auf diese Bestimmung gestützt werden (vgl. VwGH 7.4.2021, Ra 2021/09/0048; 7.4.2021, Ra 2021/09/0051; 7.4.2021, Ra 2021/09/0073; 23.4.2021, Ra 2021/09/0042; 1.6.2021, Ra 2021/09/0043).
12 V.2. Soweit die Revision unionsrechtliche Argumente für das Bestehen eines Entschädigungsanspruches ins Treffen führt, ist vorweg festzuhalten, dass sowohl für die Anwendbarkeit der ins Treffen geführten Dienstleistungsfreiheit als auch für die Anwendbarkeit der GRC ein Unionsrechtsbezug Voraussetzung ist:
So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Grundrechte der GRC in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben, Anwendung finden (vgl. VwGH 28.1.2016, Ra 2015/07/0146, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Damit der freie Dienstleistungsverkehr nach Art. 56 AEUV zum Tragen kommt, ist ein Sachverhalt, dem eine zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erbrachte Dienstleistung im Sinn des Art. 57 AEUV zugrunde liegt, Voraussetzung (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/09/0025).
13 Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs außerdem die Freiheit der Dienstleistungsempfänger ein, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen daran gehindert zu werden. Dabei handelt es sich um einen Fall der so genannten „passiven Dienstleistungsfreiheit“ (vgl. EuGH 24.9.2013, Demirkan, C-221/11, Rn. 35). Auch Touristen sind als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen (vgl. EuGH 19.1.1999, Calfa, C-348/96, Rn. 16, und insbesondere EuGH 11.6.2015, Berlington Hungary, C-98/14).
14 Den (unbestrittenen) Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zufolge handelt es sich bei dem von der revisionswerbenden Partei betriebenen Speiselokal um einen Gastronomiebetrieb, der (auch) von einer hohen Zahl ausländischer Gäste besucht wird. Dazu zählen insbesondere (auch) Touristen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Angesichts dieser Feststellungen und vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung des EuGH liegt ein Sachverhalt vor, der unionsrechtlichen Regelungen unterliegt und kann sich die revisionswerbende Partei im konkreten Fall daher auf die Dienstleistungsfreiheit stützen. Damit liegt eine unionsrechtlich geregelte Fallgestaltung vor, weshalb die Grundrechte der GRC zur Anwendung kommen.
15 Unbestritten ist auch, dass der Betrieb der revisionswerbenden Partei im (verfahrensgegenständlich relevanten) Zeitraum vom 17. März bis zum 28. April 2020 wegen des mit § 3 der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 angeordneten Verbotes des Betretens des Kundenbereiches von Betriebsstätten geschlossen war und auch keine Essensabholung oder Vertrieb durch Zustelldienste erfolgte.
16 V.3. Eine Regelung, mit der das Betreten des Kundenbereiches von Betriebsstätten eines Gastgewerbebetriebes verboten wird - und insofern ist der revisionswerbenden Partei zuzustimmen -, ist grundsätzlich geeignet, die Grundrechte der Art. 15, 16 und 17 GRC zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat im gegenständlichen Verfahren allerdings nicht zu beurteilen, ob § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 den Anforderungen des Unionsrechts an Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit bzw. Eingriffe in Unionsgrundrechte entsprach; vor dem Hintergrund des geltend gemachten Revisionspunktes und der in der Revision vorgetragenen Argumentation ist lediglich die Frage zu beantworten, ob wegen der durch das Betretungsverbot des § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bewirkten Betriebsbeschränkungen der revisionswerbenden Partei auf Grund des Unionsrechts ein Entschädigungsanspruch zusteht und daher die Entschädigungsregelungen des § 32 EpiG analog anzuwenden bzw. der einfachgesetzliche Ausschluss von Entschädigungsansprüchen unangewendet zu lassen ist. Festzuhalten ist lediglich, dass die gesetzlichen Ermächtigungen zu Betretungsverboten den Zweck verfolgen, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern und damit die Funktionalität der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten, was jedenfalls ein gewichtiges öffentliches Interesse darstellt und auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann (vgl. VfGH 24.6.2021, V 592/2020 Pkt. 8.4.; 24.6.2021, V 593/2020 Pkt. 7.7.; sowie insb. VfGH 23.9.2021, V 572/2020 Pkt. 4.2. ff zum Verbot des Betretens von Betriebsstätten des Gastgewerbes).
17 Die revisionswerbende Partei stützt ihr Vorbringen in der Revision hauptsächlich auf eine Verletzung des Art. 17 GRC. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Der revisionswerbenden Partei ist zwar insofern zuzustimmen, dass das Verbot des Betretens des Kundenbereiches ihrer Betriebsstätte in ihr Recht auf Eigentum i.S. des Art. 17 GRC eingreift. Anders als die revisionswerbende Partei vermeint, liegt darin allerdings weder eine formelle Eigentumsentziehung noch eine ihr gleichzuhaltende „materielle Enteignung“, sondern lediglich eine Eigentumsbeschränkung; insofern kann auf die Ausführungen in dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14.7.2020, G 202/2020 u.a., (Punkt 2.3.2.) (zu Betretungsverboten nach § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) verwiesen werden. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser Einschätzung des Verfassungsgerichtshofes (hinsichtlich der im gegenständlichen Fall relevanten Betretungsverbote nach § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) abzugehen, blieb doch das zivilrechtliche Eigentum unangetastet und war auch entgegen der Auffassung der revisionswerbenden Partei durch das Verbot des Betretens ihrer Betriebsstätten nicht jegliche sinnvolle Nutzung ihrer Betriebseinrichtung ausgeschlossen (vgl. zum Vorliegen einer de facto-Enteignung [nur] bei Wegfall jeglicher Verfügungsmöglichkeit etwa EuGH 12.5.2005, Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und Agenzia regionale per lo sviluppo rurale, C-347/03, Rn. 118ff, insb. Rn. 122; EGMR Papamichalopoulos, 24.6.1993, 14556/89, Rn. 42 ff; Henne, 8.12.2009, 28092/07), wie etwa das Anbieten von Speisen und Getränken im Wege eines Lieferservice oder durch die Ermöglichung einer Essensabholung (auch wenn die revisionswerbende Partei von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat). Angesichts dessen sowie der begrenzten Dauer dieses Betretungsverbotes kann somit nicht davon gesprochen werden, dass dieses in seinen Wirkungen einer formellen Enteignung gleichgekommen wäre.
18 Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Anordnung des zeitlich begrenzten Betretungsverbotes durch § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 eine derart gravierende Eigentumsbeschränkung darstellte, die für sich allein schon entschädigungspflichtig wäre: Wie der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis festgehalten hat, erfolgte das Betretungsverbot nach § 1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 nicht isoliert, sondern im Rahmen eines umfangreichen Maßnahmen- und Rettungspaketes, das die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Betretungsverbotes auf die betroffenen Unternehmer abmildern sollte und damit eine vergleichbare Zielsetzung wie die Einräumung von Ansprüchen auf Vergütung des Verdienstentganges nach § 32 EpiG hat; nichts anderes gilt für das Betretungsverbot nach § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, wobei die revisionswerbende Partei auch selbst von diesem Maßnahmen- und Rettungspaket profitierte:
19 Ihren eigenen Angaben zufolge erhielt die revisionswerbende Partei für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum 83.000 Euro an Beihilfe („Kurzarbeit“) im Rahmen des Maßnahmen- und Rettungspaketes, 38.000 Euro an Beihilfe („Fixkostenzuschuss“) erwartete sie im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses (vgl. noch einmal eine ausführliche Darstellung des Maßnahmen- und Rettungspaketes in VfGH 14.7.2020, G 202/2020 u.a., Punkt 2.3.6.2ff). Ihren Verdienstentgang bezifferte die revisionswerbende Partei in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit 179.000 Euro (in ihrem ursprünglichen Antrag auf Entschädigung noch mit 171.000 Euro).
20 Demnach hat die revisionswerbende Partei sohin für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum einen maßgeblichen Betrag aus dem Maßnahmen- und Rettungspaket erhalten. Vor diesem Hintergrund verfängt auch das Vorbringen in der Revision, wonach „die vorhandenen Unterstützungsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 im Hinblick auf ihre bzw. mangelnde Transparenz und im Hinblick auf ihren Umfang keinen adäquaten Ausgleich bewirken bzw. das Fehlen von gesetzlichen Entschädigungsregeln nicht adäquat kompensieren können“ und „eine bloß unzureichende Antwort auf den unionsrechtlichen Entschädigungsanspruch“ seien, nicht. Es ist in diesem Zusammenhang nochmals hervorzuheben, dass es sich im Revisionsfall eben nicht um eine Enteignung (für welche in der Regel eine „angemessene“ Entschädigung zu zahlen ist, vgl. dazu EuGH 21.5.2019, Kommission/Ungarn, C-235/17), sondern (nur) um eine (vorübergehende) Beschränkung des Eigentums gehandelt hat, für die nach Art. 17 Abs. 1 GRC nicht zwingend eine Entschädigung vorzusehen ist.
21 Das Revisionsvorbringen zu Art. 1 1. ZPEMRK („Schutz des Eigentums“) und der Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vermögen daran nichts zu ändern: Im bereits zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020, G 202/2020 u.a., hat sich der Gerichtshof mit der Frage befasst, ob die durch das Betretungsverbot des § 1 der COVID-19-Maßnahmenverordnung bewirkte Eigentumsbeschränkung entschädigungslos vorgesehen werden konnte und unter Hinweis auf das umfangreiche Maßnahmen- und Rettungspaket, in das der Gesetzgeber das Betretungsverbot eingebettet hat, eine Verfassungswidrigkeit im Lichte des Grundrechts auf Eigentum gemäß Art. 5 StGG und Art. 1 1. ZP EMRK letztlich verneint (siehe dazu näher Punkt 2.3.3.ff des zitierten Erkenntnisses; siehe auch die dort angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Zulässigkeit von Eigentumsbeschränkungen). Zwar kann nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 1 1. ZPEMRK - die nach Art. 52 Abs. 3 GRC auch für die Auslegung des Art. 17 GRC maßgeblich ist - auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Eigentumsbeschränkungen zu berücksichtigen sein, ob eine Entschädigung vorgesehen ist; das Fehlen einer solchen Entschädigung bei einer Eigentumsbeschränkung führt aber nicht automatisch zu einem Verstoß gegen die Eigentumsgarantie, wenn dem Betroffenen nicht eine individuelle und exzessive Last auferlegt wird (vgl. neben der vom Verfassungsgerichtshof zitierten Rechtsprechung etwa EGMR Antunes Rodrigues, 26.4.2011, 18070/08 Rn. 32ff, sowie EuGH 10.7.2003, Booker Aquaculture Ltd ua., C-20/00 ua, Rn. 85; 27.1.2022, C-238/20, Satini-S, Rn. 36). Selbst im Zusammenhang mit Enteignungsentschädigungen gesteht der EGMR den Staaten einen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum zu und hat ausgesprochen, dass nicht unter allen Umständen eine volle Entschädigung geleistet werden muss, wenn entsprechende öffentliche Interessen dies rechtfertigen (vgl. etwa EGMR Kozacioglu, 19.2.2009, 2334/03 Rn. 64 [Große Kammer]). Dabei sind Entschädigungen nicht isoliert, sondern im Kontext aller staatlichen Maßnahmen zu beurteilen (vgl. etwa EGMR JH ua, 24.11.2009, 49637/09). Auch Art. 17 GRC garantiert nicht eine volle Entschädigung für Eigentumsentziehungen (vgl. Ziniel in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage, 2019, Rn. 47 zu Art. 17). Vor dem Hintergrund des genannten Maßnahmen- und Rettungspaketes - aufgrund dessen substanzielle finanzielle Ausgleichsleistungen vorgesehen waren und sind - und des Umstandes, dass die vorgesehenen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie nicht einzelnen Personen individuelle und exzessive Lasten aufbürdeten, sondern eine große Zahl von Unternehmen und unselbständig Erwerbstätiger betraf, hegt der Verwaltungsgerichtshof daher weiterhin und auch im Lichte des Vorbringens der revisionswerbenden Partei keine Bedenken, wenn nicht für alle Maßnahmen im Zuge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, die Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb eines Unternehmens haben, eine Entschädigung nach § 32 EpiG vorgesehen wird (vgl. bereits VwGH 24.2.2021, Ra 2021/03/0018).
22 Hinsichtlich der beiden weiteren ins Treffen geführten Grundrechte der Art. 15 und Art. 16 GRC sowie der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit beschränkt sich das Vorbringen der revisionswerbenden Partei im Wesentlichen auf eine Wiedergabe von Rechtsprechung des EuGH dazu, ohne konkret aufzuzeigen, worauf ein allfälliger daraus resultierender Entschädigungsanspruch gründen sollte. Aus den bereits im Zusammenhang mit der Eigentumsgarantie angestellten Erwägungen ist nicht zu ersehen, warum wegen der Einschränkung dieser Grundrechte und der Dienstleistungsfreiheit angesichts der vorgesehenen Ausgleichmaßnahmen aus unionsrechtlichen Gründen ein weitergehender Entschädigungsanspruch bestehen soll.
23 Abgesehen davon, dass die Argumentation der revisionswerbenden Partei - wie schon ausgeführt - schon deshalb nicht verfängt, weil sie von der unzutreffenden Qualifikation des sie betreffenden Betretungsverbotes als Eigentumsentziehung ausgeht, ist nur der Vollständigkeit halber auf Folgendes hinzuweisen: Der unter Hinweis auf die gesetzliche Grundlage für die Gewährung finanzieller Maßnahmen in § 3b des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Abbaubeteiligungsaktiengesellschaft des Bundes - ABBAG-Gesetz, BGBl. I Nr. 51/2014 idF BGBl. I Nr. 23/2020, erhobene Vorwurf mangelnder Transparenz der finanziellen Ausgleichsmaßnahmen ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil es nicht darauf ankommt, ob schon unmittelbar aus dem Gesetz alle Fördermaßnahmen ersichtlich sein müssen; die aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmungen erlassenen Richtlinien sind als Verordnungen im BGBl. kundgemacht (vgl. etwa BGBl. II Nr. 225/2020 oder BGBl. II Nr. 497/2020) und regeln inhaltlich die näheren Voraussetzungen der Förderungen, sodass diese allgemein zugänglich und bekannt sind. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof kürzlich mit näherer Begründung ausgesprochen, dass die Verordnungsermächtigung des § 3b Abs. 3 ABBAG-Gesetz im Hinblick auf Art. 18 B-VG nicht zu beanstanden sei (VfGH 15.12.2021, G 323/2021, Pkt. 2.1.5.ff). Der weitere Vorwurf, dass diese im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährten Leistungen im öffentlichrechtlichen Rechtsschutzsystem nicht durchgesetzt werden können, verkennt, dass zur Durchsetzung dieser Leistungen der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offensteht. Wie der VfGH erst jüngst zu den Leistungen nach § 3b Abs. 2 ABBAG-Gesetz ausgeführt hat, folgt aus der Fiskalgeltung der Grundrechte, dass Betroffene bei im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erbrachten Leistungen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass ihnen solche Förderungen in gleichheitskonformer Weise und nach sachlichen Kriterien ebenso wie anderen Förderungswerbern gewährt werden, dass sich auch Förderungswerber hinsichtlich der Förderungen nach § 3b ABBAG-Gesetz auf die Fiskalgeltung der Grundrechte berufen können und ihnen daher der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offensteht (VfGH 7.10.2021, G 88/2021 Nr. 4.2.; vgl. auch VfGH 14.7.2020, G 202/2020 ua Pkt. 2.4.2.3. sowie VfGH 15.12.2021, G 233/2021 Pkt. 2.2.3.6.). Der weitere Hinweis der revisionswerbenden Partei auf das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip geht schließlich schon deshalb fehl, weil es dabei nur um die gleichartige Durchsetzbarkeit unionsrechtlicher Ansprüche im Vergleich zu rein innerstaatlichen Ansprüchen geht, ein unionsrechtlicher Entschädigungsanspruch nach dem Vorgesagten aber gerade nicht besteht.
24 Der Vollständigkeit halber ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass auch Ersatzansprüche, die sich darauf stützen sollten, dass der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit von § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 festgestellt und ausgesprochen hat, dass dieser nicht mehr anzuwenden ist, nicht im Verwaltungsweg geltend gemacht werden können, sondern allenfalls im Wege der Amtshaftung.
25 Dem Verwaltungsgericht ist im Übrigen zuzustimmen, wenn es - mit näherer Begründung - ausführt, dass im Revisionsfall angesichts des klaren Gesetzeswortlautes gerade nicht von einer „planwidrigen“ Lücke auszugehen ist, die im Wege der Analogie zu schließen ist. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte (vgl. VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0081; 1.10.2014, Ro 2014/09/0052). Aus den angeführten Gründen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen auch nicht veranlasst, eine Vorabentscheidung beim EuGH zu beantragen.
26 Die Revision erweist sich aus diesen Gründen insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am 3. Februar 2022
Gerichtsentscheidung
EuGH 61996CJ0348 Calfa VORABSchlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Organisationsrecht Justiz - Verwaltung Verweisung auf den Zivilrechtsweg VwRallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090101.L00Im RIS seit
28.02.2022Zuletzt aktualisiert am
14.03.2022