Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Q*, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2021, GZ 10 Rs 59/21a, 10 Rs 60/21y-36, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Schriftsätze des Klägers „Einreichung“ (überreicht am 20. 9. 2021) und „Einreichung (1)“ (überreicht am 23. 9. 2021) werden zurückgewiesen.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] I. Die „Einreichungen“ des Klägers im Nachhang zu der von seinem Verfahrenshelfer eingebrachten außerordentlichen Revision sind zurückzuweisen, weil jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift zusteht. Zusätzliche Äußerungen sind nicht vorgesehen (RS0041666).
[2] II. Mit Schreiben vom 17. 6. 2019 (E-Mail vom 18. 6. 2019) zeigte der Kläger der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an, an einer Kohlenmonoxidvergiftung zu leiden. Körperliche Krankheitssymptome seien Schläfrigkeit, Müdigkeit, Gedächtnisverlust und manchmal leichter Schwindel sowie Kopfschmerzen. Der Kläger beantragte „eine Entschädigung für Unfälle mit Personenschäden“ und „eine finanzielle Hilfe bei der körperlichen Erholung“ (Versicherungsakt SortNr 28).
[3] Mit Bescheid vom 14. 5. 2020 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Beschwerden des Klägers als Berufskrankheit sowie Leistungen aus der Unfallversicherung ab. Eine Berufskrankheit „Erkrankung durch Kohlenmonoxid“ liege nicht vor.
[4] Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrte der Kläger die Anerkennung seiner Kohlenmonoxidvergiftung als Arbeitsunfall und die Zuerkennung einer Versehrtenrente.
[5] Die Beklagte wandte ein, dass eine Berufskrankheit Nr 15 gemäß § 177 Anlage 1 ASVG (Erkrankung durch Kohlenmonoxid) nicht vorliege. Ein Arbeitsunfall sei weder behauptet noch nachgewiesen worden.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Feststellung, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen (Spannungskopfschmerzen, Müdigkeit und Schlafbedürfnis, Hypertonie, Vergesslichkeit) Folge einer Berufskrankheit im Sinn des § 177 Anlage 1 ASVG seien sowie das Begehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente in gesetzlicher Höhe ab 1. 7. 2019 ab. Eine Berufskrankheit liege beim Kläger nicht vor. Über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sei mit dem bekämpften Bescheid nicht abgesprochen worden.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Im Verwaltungsverfahren vor der Beklagten sei von einem Arbeitsunfall als zeitlich begrenztes Ereignis nicht die Rede gewesen, sodass die bescheidmäßige Erledigung des Antrags des Klägers auf Anerkennung einer Berufskrankheit nicht zu beanstanden sei. Behaupte der Kläger nunmehr im gerichtlichen Verfahren das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, sei dies eine unzulässige Erweiterung der Klage und nicht mehr vom Grundsatz der sukzessiven Kompetenz gedeckt, weil Gegenstand des angefochtenen Bescheids nur das Vorliegen einer möglichen Berufskrankheit sei, nicht aber eines Arbeitsunfalls.
[8] In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend:
[9] 1. Nach dem Revisionsvorbringen wäre es Sache der Beklagten und des Gerichts gewesen, auch das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu prüfen. Der Kläger sei nicht verpflichtet, eine rechtliche Qualifikation der von ihm erhobenen Ansprüche vorzunehmen. Aus seiner Darstellung dürfe nicht geschlossen werden, dass er seine Ansprüche nur als Folge einer Berufskrankheit geprüft haben wolle. Die Beklagte habe mit dem angefochtenen Bescheid ohnehin auch über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls entschieden. Sie habe ausgesprochen, dass kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe, sie habe Erhebungen über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls gepflogen und sie habe in der Klagebeantwortung das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bestritten.
[10] 2.1 Der Versicherte darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG eine Klage nur erheben, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. „Darüber“ bedeutet, dass der Bescheid über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch ergangen sein muss. Der mögliche Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist durch den Antrag, den Bescheid und das Klagebegehren dreifach eingegrenzt (10 ObS 53/19w SSV-NF 33/45 ua; RS0105139 [T1]). Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss demnach mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens ident sein (10 ObS 125/18g SSV-NF 33/2 uva).
[11] 2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut auszulegen (RS0008822 [T2]). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (RS0049680 [T1]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid nur über das Vorliegen einer Berufskrankheit und allfällige daraus resultierende Leistungsansprüche entschieden hat, findet schon im Wortlaut des Bescheids Deckung und ist nicht korrekturbedürftig. Mit den Ausführungen, wonach die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid auch über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls entschieden hätte, zeigt der Revisionswerber daher keine Unrichtigkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen auf.
[12] 2.3 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens über die Bescheidklage kann hier – ungeachtet des Inhalts des Antrags des Klägers – nur die Frage sein, ob die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen Folge einer Berufskrankheit sind und allfällige Leistungsansprüche daraus bestehen. Dass eine Berufskrankheit beim Kläger nicht vorliegt, wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
[13] Die Frage einer Säumnis der Beklagten war nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens.
Textnummer
E133947European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00154.21A.1214.000Im RIS seit
28.02.2022Zuletzt aktualisiert am
28.02.2022