Index
25 Strafprozeß, StrafvollzugNorm
EMRK Art6 Abs2Leitsatz
Kein Verstoß der Bestimmungen des StEG über den Anspruch auf Entschädigung wegen strafgerichtlicher Anhaltung bei Verdachtsentkräftung gegen die Unschuldsvermutung der EMRK; verfassungskonforme Auslegung durch (Haftentschädigungs-)Entscheidung des in der Hauptsache erkennenden Gerichts möglichSpruch
Den Anträgen wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht stellte beim Verfassungsgerichtshof (prot. zu G24/94) - auf Grund seines Beschlusses vom 30. Dezember 1993 - aus Anlaß der bei ihm anhängigen Beschwerde des (freigesprochenen) A R gegen den Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. November 1993, GZ 13 Vr 1025/93-75, mit dem sein Antrag auf Zuerkennung des Anspruchs auf Entschädigung für die strafgerichtliche Anhaltung gemäß §2 Abs1 litb
Strafrechtliches Entschädigungsgesetz - StEG, BGBl. 270/1969, abgelehnt wurde, gemäß Art89 Abs2 (iVm Art140 Abs1) B-VG einen Antrag auf Aufhebung des §2 Abs1 litb StEG als verfassungswidrig (Art6 Abs2 EMRK).
1.1.2. Das antragstellende Oberlandesgericht führte ua. wörtlich aus:
"Gemäß §2 Abs1 litb StEG besteht der Ersatzanspruch dann, wenn der Geschädigte wegen des Verdachts einer im Inland zu verfolgenden strafbaren Handlung von einem inländischen Gericht in vorläufige Verwahrung oder in Untersuchungshaft oder auf dessen Ersuchen in Auslieferungshaft genommen und in der Folge in Ansehung dieser Handlung freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt worden ist und der Verdacht, daß der Geschädigte diese Handlung begangen habe, entkräftet oder die Verfolgung aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, sofern diese schon zur Zeit der Anhaltung bestanden haben. Die Verdachtsentkräftung iS dieser Bestimmung ist gleichbedeutend mit 'erwiesener Unschuld'. Nach der bisher in Österreich geltenden Judikatur ist der Verdacht hingegen erst dann entkräftet, wenn entweder die Unschuld des Verhafteten festgestellt ist oder alle gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe widerlegt worden sind, dh. wenn aufgehört wurde, ein Argument für die Schuld des Verdächtigen zu finden (vgl. 8 Bs 278/72 des OLG Linz vom 28.11.1973). Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 5. April 1978, 3 Bs 108/78, muß erwiesen sein, daß der Angeklagte wegen des Verhaltens, dessentwegen die Verhaftung verfügt worden war, nicht strafbar und verfolgbar ist. Ist es nur zweifelhaft geblieben, so ist die Verdachtsentkräftung nicht gelungen und die Bedingung für den Entschädigungsanspruch nicht erfüllt. Daraus folgt, daß bei einem Freispruch 'mangels Beweisen' eine Tatentkräftung nicht gelungen ist. Aus dieser sich bislang zu §2 Abs1 litb StEG entwickelten Rechtsprechung wird deutlich, daß diese gesetzliche Bestimmung durch die Unterscheidung, ob nun jemand aufgrund der 'Entkräftung des Tatverdachts' oder 'mangels Beweisen' freigesprochen worden ist, zwei Kategorien von Freisprüchen mit unterschiedlicher Folgewirkung schafft. Durch die Nichtberücksichtigung eines Freispruchs 'mangels Beweisen' bei den strafrechtlichen Entschädigungsansprüchen wird dieser zu einem Freispruch zweiter Klasse degradiert. Durch die ungleiche Behandlung dieser 'beiden Arten eines Freispruchs' wird der Verdacht indiziert, daß der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat sehr wohl begangen haben könnte und damit gleichzeitig gegen die in Art6 Abs2 EMRK enthaltene Unschuldsvermutung verstoßen. Gemäß Art6 Abs2 EMRK ist ein Angeklagter bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wegen einer strafbaren Handlung unschuldig und ist jeder Zweifel zu seinen Gunsten auszuwerten... Völlig unbedeutend für die Unschuldsvermutung ist der Grund, weshalb eine Verurteilung unterblieben ist. Vielmehr liegt ihre Bedeutung darin, die Person und das Ansehen des Beschuldigten bis zum gesetzlichen Nachweis eines deliktischen Verhaltens vor ungerechtfertigten Verdächtigungen zu schützen. Auch bei demjenigen, der mangels Beweisen freigesprochen worden ist, ist es nicht gelungen, den Nachweis seiner Schuld zu erbringen, sodaß auch für diesen die Unschuldsvermutung gemäß Art6 Abs2 EMRK unabhängig von den Gründen, deretwegen er freigesprochen worden ist, zu gelten hat. In diesem Zusammenhang ist auf die Entscheidung des EGMR vom 25. August 1993, 21/1992/366/440, im Fall 'Sekanina gegen die Republik Österreich' zu verweisen, in der zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Bestimmungen des StEG verfassungswidrig seien und die Grund- und Freiheitsrechte verletzen, soweit sie einen Anspruch auf Schadenersatz mit einem allenfalls noch bestehenden Tatverdacht als Abweisungsgrund ablehnen. Demnach ist die Entschädigungsregelung für Inhaftierte unrichtig und widerspricht den Konventionsbestimmungen der EMRK, da es keinen 'Freispruch zweiter Klasse' geben darf. Aus diesen Überlegungen scheint die in §2 Abs1 litb StEG vorgenommene Klassifizierung zwischen den Freisprüchen unter Berücksichtigung der Entscheidung des EGMR einen Verstoß gegen die EMRK darzustellen, weshalb sich der zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde gegen den Beschluß auf Ablehnung des Anspruchs auf Entschädigung wegen strafgerichtlicher Anhaltung berufene Senat des Oberlandesgerichts Graz veranlaßt sieht, die Aufhebung der im Spruch genannten Bestimmung als verfassungswidrig zu beantragen."
1.2.1. Mit Beschluß vom 17. März 1994 stellte das Oberlandesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht in der bei ihm anhängigen Rechtssache (8 Bs 77/94) des (freigesprochenen) M I, der gegen den Beschluß des Landesgerichts Innsbruck vom 11. Jänner 1994, GZ 37 Vr 533/93-62, über die Abweisung eines Antrags auf Feststellung des Ersatzanspruchs nach §2 Abs1 litb StEG Beschwerde führte, gemäß Art89 Abs2 (iVm Art140 Abs1) B-VG den - zu G85/94 protokollierten - Antrag, "§2 Abs1 litb des Bundesgesetzes vom 8. Juli 1969, BGBl. 270, über die Entschädigung für strafgerichtliche Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches Entschädigungsgesetz - StEG) idF BGBl. 1988/233, 1989/343 und 1993/91, als verfassungswidrig (Art6 Abs2 EMRK) aufzuheben".
1.2.2. Der Aufhebungsantrag wurde folgendermaßen begründet:
"Gemäß §2 Abs1 litb StEG besteht ein Ersatzanspruch dann, wenn der Geschädigte wegen des Verdachts einer im Inland zu verfolgenden strafbaren Handlung von einem inländischen Gericht in vorläufige Verwahrung oder in Untersuchungshaft oder auf dessen Ersuchen in Auslieferungshaft genommen und in der Folge in Ansehung dieser Handlung freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt worden ist und der Verdacht, daß der Geschädigte diese Handlung begangen habe, entkräftet oder die Verfolgung aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, sofern diese schon zur Zeit der Anhaltung bestanden haben. Nach der bisherigen Rechtsprechung ist der Verdacht erst dann entkräftet, wenn entweder die Unschuld des Verhafteten festgestellt ist oder alle gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe widerlegt worden sind. Bei einem Freispruch, der im Zweifel erfolgte, ist eine Tatentkräftung in diesem Sinn nicht gelungen. Dies widerspricht aber Art6 Abs2 EMRK, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet wird, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist."
1.3.1. Beim Oberlandesgericht Linz behängen Verfahren über Beschwerden 1. des (freigesprochenen) E S gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichts Steyr vom 8. Oktober 1993, GZ 12 Vr 138/89-377, womit festgestellt wurde, daß ein Ersatzanspruch nach §2 Abs1 litb StEG nicht besteht, 2. des (außer Verfolgung gesetzten) H R gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 31. Jänner 1994, GZ 11 Vr 738/93-27, womit der Anspruch auf Entschädigung für die strafgerichtliche Anhaltung gemäß §2 Abs1 litb StEG abgelehnt wurde, 3. des (freigesprochenen) G L gegen den Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom 14. März 1994,
AZ 40 E Vr 3129/92, womit der Antrag auf Feststellung des Vorliegens der in §2 Abs1 litb StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen für einen Ersatzanspruch abgewiesen wurde, 4. der (freigesprochenen) A Z gegen den Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom 4. Mai 1994, AZ 37 Vr 112/94, womit ein Anspruch gemäß §2 Abs1 litb und Abs3 StEG nicht zuerkannt wurde, und 5. der (freigesprochenen) J S gegen den Beschluß des Landesgerichts Linz vom 22. September 1992, GZ 31 E Vr 2021/91-51, womit ihr Antrag auf Zuerkennung einer Entschädigung für die strafgerichtliche Anhaltung abgewiesen wurde.
1.3.2.1. In diesen Verfahren stellte das Oberlandesgericht Linz als Beschwerdegericht gemäß Art89 Abs2 (iVm Art140 Abs1) B-VG beim Verfassungsgerichtshof die zu G 86,159,173,180 und 182/94 protokollierten, gleichlautenden Anträge, "den §2 Abs1 litb des Bundesgesetzes vom 8. Juli 1969, BGBl. 270, über die Entschädigung für strafgerichtliche Anhaltung und Verurteilung (Strafrechtliches Entschädigungsgesetz - StEG) idF BGBl. 1988/233, 1989/343 und 1993/91, jedenfalls aber den Halbsatz 'und der Verdacht, daß der Geschädigte diese Handlung begangen habe, entkräftet ... ist', als verfassungswidrig (Art6 Abs2 EMRK) aufzuheben".
1.3.2.2.1. Im Verfahren G86/94 führte dieses Oberlandesgericht zur Frage der Antragslegitimation aus:
"Gemäß §6 Abs5 StEG steht (ua.) dem Angehaltenen die Beschwerde an den übergeordneten Gerichtshof zu. Das angerufene Oberlandesgericht als Beschwerdegericht hat dabei als Rechtsmittelgericht auch eine Überprüfung iSd. Art89 Abs2 B-VG bezüglich allfälliger Bedenken gegen die Anwendung des hier maßgeblichen Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit vorzunehmen."
Zur Sache selbst heißt es:
"Nach §1 StEG hat der Bund nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen die durch eine strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile dem Geschädigten auf dessen Verlangen in Geld zu ersetzen. Über diesen Anspruch hat das Strafgericht nach §6 StEG dem Grunde nach zu entscheiden und mit Beschluß festzustellen, ob etwa die in §2 Abs1 litb StEG bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind (§6 Abs2 StEG). Voraussetzung für eine solche Feststellungsentscheidung ist, daß der Geschädigte wegen des Verdachts einer im Inland zu verfolgenden strafbaren Handlung von einem inländischen Gericht in vorläufige Verwahrung oder in Untersuchungshaft genommen und in der Folge in Ansehung dieser Handlung freigesprochen worden ist und der Verdacht, daß der Geschädigte diese Handlung begangen habe, entkräftet ist. Entsprechend dem Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung ergibt eine wörtlich-grammatikalische Auslegung, daß zusätzlich zu einem Freispruch noch eine Verdachtsentkräftung dahingehend erfolgen muß, daß die dem Geschädigten angelastete strafbare Handlung von ihm nicht begangen worden ist. Eine andere Auslegung dieser Gesetzespassage, etwa derart, daß der Ersatzanspruch bei jedem Freispruch bestehe und darüberhinaus ein solcher Ersatzanspruch auch bei einer sonstigen Verdachtsentkräftung zustünde, fände keine gesetzliche Stütze. Diese Auslegung manifestiert sich auch in der herrschenden Auffassung, wonach zum Freispruch eine Verdachtsentkräftung iSd. Nachweises der 'erwiesenen Unschuld' als Anspruchsvoraussetzung nach dem StEG gefordert wird (vgl. Mayerhofer/Rieder, Nebenstrafrecht, 3. Auflage, §2 StEG, E 11a, 12, 12a, 12b und 13a; Matouschek, ÖJZ 1969, 347 f, uam.). Der Verdacht iSd. §2 Abs1 litb StEG ist somit erst dann entkräftet, wenn entweder die Unschuld des In-Haft-Genommenen festgestellt wurde oder alle gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe widerlegt worden sind, also aufgehört haben, ein Argument für die Schuld des Verdächtigen zu bilden (vgl. insbesondere Mayerhofer/Rieder, aa0, E 12). Bleibt es hingegen zweifelhaft, ob der Angeklagte das ihm angelastete strafbare Verhalten, dessentwegen die Anhaltung verfügt worden war, begangen hat oder nicht, so ist nach der herrschenden Auffassung eine Verdachtsentkräftung nicht gelungen; in diesem Fall wäre die Bedingung für die Feststellung eines Entschädigungsanspruchs nach dem StEG nicht erfüllt. Wenngleich §2 Abs1 litb StEG für einen Ersatzanspruch voraussetzt, daß zusätzlich zum Freispruch auch noch der Tatverdacht entkräftet wurde, steht dem andererseits die Verfassungsbestimmung des Art6 Abs2 EMRK (Unschuldsvermutung) entgegen. Bereits im Urteil des EGMR vom 25. August 1993, 21/1992/366/440, im Fall Sekanina gegen Österreich (vgl. ÖJZ 1993, 46; Newsletter Nr. 5, 20 f) hat der EGMR in der Begründung der Entscheidung des österreichischen Gerichts über die Haftentschädigung nach §2 Abs1 litb StEG einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 EMRK festgestellt, weil in diesem Beschluß über das Fortbestehen von Verdachtsgründen abgesprochen worden ist. In dieser Begründung vertrat der EGMR die Ansicht, daß es unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung unzulässig sei, in einer gerichtlichen Entscheidung vom Fortbestehen eines Verdachts auch nach einem Freispruch auszugehen. Erwägungen über die Unschuld eines Angeklagten mögen nach Ansicht des EGMR so lange akzeptabel sein, als darüber nicht in einem rechtskräftigen Urteil abgesprochen wurde. Es ist jedoch nicht mehr zulässig, sich auf solche Verdächtigungen zu berufen, sobald ein Freispruch rechtskräftig geworden ist (vgl. ÖJZ 1993, 46). Fehlt in einem Strafverfahren eine solche Verdachtsentkräftung im Freispruch und kann sie aktenmäßig auch nicht nachvollzogen werden, so widerspräche eine nach Abwägung der Verdachts- und Entlastungsmomente allenfalls gezogene Schlußfolgerung nach §2 Abs1 litb StEG, wonach trotz seines rechtskräftigen Freispruchs doch noch Zweifel an der Unschuld des Antragstellers (Geschädigten) vorhanden seien, der Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 EMRK. Im vorliegenden Fall müßte das Oberlandesgericht Linz als Beschwerdegericht bei Anwendung des §2 Abs1 litb StEG trotz des rechtskräftigen Freispruchs hinsichtlich des Antragstellers neuerlich eine Verdachtsprüfung vornehmen, um die Voraussetzungen für eine allfällige Haftentschädigung nach §2 Abs1 litb StEG prüfen zu können. Aus den dargelegten verfassungsmäßigen Bedenken sieht sich daher der zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde berufene Senat des Oberlandesgerichts Linz veranlaßt, die Aufhebung der im Spruch genannten Bestimmung als verfassungswidrig zu beantragen."
1.3.2.2.2. Die übrigen Anträge wurden im wesentlichen gleichartig begründet, der Antrag zu G173/94 enthält zusätzlich folgende Ausführung (s. auch die Anträge zu G 180 und 182/94):
"Dem Oberlandesgericht Linz ist auch bekannt, daß die EKMR in ihrer Zulässigkeitsentscheidung vom 12. Jänner 1994 bei der Beschwerde 20111/92, Kleinlercher gegen Österreich, zur behaupteten Verletzung des Prinzips der Unschuldsvermutung festgestellt hat, daß nach Einstellung eines Verfahrens lediglich Feststellungen, welche der betreffenden Person eine Schuld zuweisen, eine Verletzung des Prinzips der Unschuldsvermutung darstellen können, nicht jedoch Feststellungen, die Aussagen über den Weiterbestand eines Verdachts betreffen (vgl. die Urteile Minelli, A/62, §37, Lutz, A/123, §§58 bis 64 und Sekanina, A/266, §§24 bis 30). In dem zu behandelnden Fall hätten die Gerichte das Entschädigungsbegehren abgewiesen, weil trotz Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer weiterhin ein Verdacht vorlag. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, zu belegen, daß die Argumentation der Gerichte einem Abspruch über seine strafrechtliche Schuld gleichgekommen wäre. Diese anscheinend mit der zitierten Auffassung des EGMR im Fall Sekanina nicht gänzlich übereinstimmende Entscheidung ist nicht geeignet, die aufgezeigten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §2 Abs1 litb StEG zu beseitigen."
1.4.1. Die zur Stellungnahme aufgeforderte Bundesregierung nahm zu allen Anträgen (gleichlautend) Stellung. Sie begehrte, "der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß §2 Abs1 litb des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist".
1.4.2. Begründend wurde ua. vorgebracht:
"Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Graz hat der EGMR im Fall Sekanina die Frage der prinzipiellen Vereinbarkeit der Prüfung der 'Verdachtsentkräftung' nach §2 Abs1 litb StEG mit der durch Art6 Abs2 EMRK garantierten Unschuldsvermutung bewußt offengelassen. Die Ansicht, daß §2 Abs1 litb StEG mit Art6 Abs2 EMRK nicht schlechterdings unvereinbar sei, bestätigt auch das zustimmende Votum des Richters Matscher, wonach die in den betreffenden Gerichtsentscheidungen enthaltene Begründung über den in §2 Abs1 litb StEG enthaltenen Anspruchsgrund der 'Verdachtsentkräftung' hinausgegangen sei. Unbestritten ist, daß die bisher zu §2 Abs1 litb StEG entwickelte innerstaatliche Rechtsprechung an den Tatbestand der 'Verdachtsentkräftung' einen strengen Maßstab anlegt. Dennoch ist zu fragen, ob - insbesondere im Hinblick auf Art6 Abs2 EMRK und die hiezu entwickelte Judikatur der Straßburger Organe - diese Rechtsprechungslinie aufrechtzuhalten ist und nicht mit herkömmlichen Auslegungsmethoden ein konventions- und damit verfassungskonformes Ergebnis erzielt werden kann. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf zu verweisen, daß der EGMR im Fall Sekanina die Feststellungen in der betreffenden Gerichtsentscheidung weder durch das freisprechende Erkenntnis noch durch das Protokoll über die Beratung der Geschwornen als gestützt erachtete. Es ist daher zu fragen, welche Erkenntnisquellen für die Beurteilung des Anspruchsgrundes nach §2 Abs1 litb StEG herangezogen werden dürfen. Soweit sich nämlich die Entscheidung der betreffenden Gerichte lediglich als eine Auseinandersetzung mit - in der schriftlichen Begründung eines freisprechenden Urteils oder in einem Protokoll über die Beratung der Geschwornen festgehaltenen - Verdachtsmomenten versteht, kann daraus nur dann eine Verletzung des Art6 Abs2 EMRK abgeleitet werden, wenn man einen auf die Grundregel des 'in dubio pro reo' gestützten Freispruch nach §259 Z3 StPO selbst als bedenklich erachtet. Die bloße Feststellung des Nichtgelingens des Schuldbeweises bzw. die Begründung, daß der Freispruch (lediglich) aus Mangel an Beweisen erfolgte, beinhaltet nämlich gleichfalls notwendigerweise eine Aussage über eine (fortbestehende) Verdachtslage. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, daß der EGMR im Fall Sekanina gegen die Republik Österreich die Ansicht vertrat, daß es nicht mehr zulässig ist, 'sich auf solche Verdächtigungen zu berufen, sobald ein Freispruch rechtskräftig geworden ist', weil diese Aussage im Zusammenhang mit den Sachverhaltsfeststellungen des EGMR (und auch der EKMR) gelesen werden muß. Danach war es nämlich entscheidend, daß sich die österreichischen Gerichte im konkreten Fall nicht mit einer Auseinandersetzung mit der in der Niederschrift der Geschwornen enthaltenen Begründung für die Verneinung der Hauptfrage begnügten, sondern die sich aus den Protokollen und einzelnen Zeugenaussagen ergebende Verdachtslage prüften und somit ihre Beweiswürdigung an die Stelle jener der Geschwornen setzten. Dies ist jedoch nicht mit jenem Fall vergleichbar, in dem sich die Begründung der Abweisung des Entschädigungsanspruchs bloß als Wiederholung der - in der schriftlichen Begründung eines freisprechenden Urteils oder in der Niederschrift der Geschwornen festgehaltenen - Beweiswürdigung darstellt. Es ist daher die Auffassung vertretbar, daß, soweit die Begründung eines einen Entschädigungsanspruch ablehnenden Beschlusses lediglich eine solche Wiederholung der (positiven) Umschreibung einer Verdachtslage enthält und jede Wertung zur Schuld des Freigesprochenen vermeidet, darin auch keine Verletzung von Art6 Abs2 EMRK liegt. Würde man hingegen die zitierte Ansicht des EGMR wörtlich verstehen, müßte jedem freisprechenden Erkenntnis absolute Bindungswirkung zukommen und wäre es den Gerichten verwehrt, etwa in einem nachfolgenden Schadenersatzprozeß das als Vorfrage zu beurteilende Verschulden des Freigesprochenen aufgrund der Urteilsbegründung (Niederschrift der Geschwornen) abweichend zu beurteilen. Ein Beschluß nach §2 Abs1 litb StEG, der sich auf die in einem Urteil enthaltene Beweiswürdigung stützt und nicht an die Stelle der Wertungen des erkennenden Gerichts eigene Wertungen und Beurteilungen der Verdachtslage im Hinblick auf die Prüfung der Schuld enthält, vermag daher das Prinzip der Unschuldsvermutung nicht zu berühren. Im vorliegenden Fall hätte daher das Oberlandesgericht Graz prüfen müssen, in welcher Weise der Wahrspruch der Geschwornen 'begründet' wurde (zB an Hand der Niederschrift gemäß §331 Abs3 StPO). Ergibt sich daraus kein Hinweis, daß die Geschwornen den Angeklagten 'weiterhin' für verdächtig halten, so wäre von einer 'Verdachtsentkräftung' iSd. Wahrscheinlichkeit der Unschuld des Angeklagten auszugehen. Im gegenteiligen Fall vermag hingegen die Berufung auf den Wahrspruch bzw. die Niederschrift der Geschwornen bei der Abweisung eines Entschädigungsanspruchs einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nicht zu begründen.
Bis zum Inkrafttreten des StEG, BGBl. 270/1969, konnte ein Anspruch auf Entschädigung für den ganzen durch die Verurteilung erlittenen Schaden oder für einen verhältnismäßigen Teil dieses Schadens nach freiem Ermessen des Gerichts auch in den Fällen zugesprochen werden, in denen der Verdacht nicht (zur Gänze) entkräftet, aber doch so sehr erschüttert war, daß die Unschuld des Verurteilten wahrscheinlich geworden war. Diese Regelung wurde nicht zuletzt wegen der inhaltsleeren Formel 'freie(s), durch die Würdigung aller Umstände geleitete(s) Ermessen des Gerichts' als mit der sich aus Art18 B-VG ergebenden Forderung nach gesetzlicher Determiniertheit aller Vollzugsakte unvereinbar angesehen (1197 BlgNR XI. GP, 6). Soweit der EGMR in der zitierten Entscheidung rechtsvergleichend darauf verweist, daß in der Mehrheit der Mitgliedsstaaten des Europarats die Erlangung einer Entschädigung im Fall des Freispruchs einer in Untersuchungshaft angehaltenen Person vom Verhalten des Antragstellers vor oder während des Verfahrens abhängig gemacht oder dem Ermessen der Gerichte überlassen wird, könnten sich nicht nur im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot Bedenken ergeben. In eine derartige Ermessensentscheidung können wiederum Überlegungen einfließen, ob es gerechtfertigt und angemessen ist, in den Fällen einen Entschädigungsanspruch zu bejahen, in denen die Schuld des Angeklagten zwar nicht erwiesen werden konnte, in denen aber die haftbegründenden Verdachtsmomente nicht völlig widerlegt werden konnten. Auch dieser Umstand erweist, daß nicht die generelle Norm schlechthin mit Art6 Abs2 EMRK unvereinbar ist, sondern lediglich im Einzelfall eine mangelhafte Begründung einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellen kann.
Im übrigen bietet auch das nach dem StEG anzuwendende Verfahrensrecht (§6 StEG) eine ausreichende Handhabe für eine konventionsgemäße Auslegung des §2 Abs1 litb StEG. Nach §6 Abs2 StEG hat nämlich das Gericht, das eine Person freispricht oder sonst außer Verfolgung setzt oder ein milderes Urteil fällt (§2 Abs1 litb oder c), von Amts wegen oder auf Antrag des Angehaltenen oder Verurteilten oder des Staatsanwalts durch Beschluß festzustellen, ob die in §2 Abs1 litb oder c und Abs2 und 4 (wohl: 3) leg. cit. bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind oder ob einer der im §3 bezeichneten Ausschlußgründe vorliegt. Ist das Urteil auf Grund eines Wahrspruchs der Geschwornen gefällt worden, so entscheidet der Gerichtshof gemeinsam mit den Geschwornen. Die EB zur RV 1969 (1197 BlgNR IX. GP, 14) führen dazu ausdrücklich aus, daß der Beschluß, ob ein Ersatzanspruch nach §2 Abs1 litb oder c StEG dem Grunde nach besteht, von jenem Gericht zu fassen ist, das den Angehaltenen oder Verurteilten freispricht oder sonst außer Verfolgung setzt oder das ein milderes Urteil fällt. Nur in dem Fall, daß eine sofortige Beschlußfassung über den Ersatzanspruch durch das Geschwornen- oder Schöffengericht nicht möglich ist, soll an Stelle des erkennenden Gerichts der Drei-Richter-Senat nach §13 Abs3 StPO zu entscheiden haben. Die Entscheidung des erkennenden Gerichts, ob das Nichtgelingen des Schuldbeweises einer Verdachtsentkräftung gleichkommt, kann jedoch nur dann Bedenken im Hinblick auf Art6 Abs2 EMRK aufwerfen, wenn der Freispruch aus Mangel an Beweisen selbst mit der Unschuldsvermutung unvereinbar wäre.
Insgesamt ist die Bundesregierung daher der Auffassung, daß die in der angefochtenen Gesetzesstelle im Hinblick auf Art6 Abs2 EMRK bestehende Problematik - auf die auch der EGMR mit Urteil vom 25. August 1993 im Fall Sekanina gegen Österreich hingewiesen hat - nicht nur durch die Aufhebung der angefochtenen Gesetzesstelle, sondern auch durch ihre verfassungskonforme Auslegung gelöst werden kann."
1.5. Der am Verfahren G24/94 beteiligte A R trat in einer Stellungnahme dem Antrag des Oberlandesgerichts Graz bei, der Verfahrensbeteiligte zu G85/94, M I, dem Antrag des Oberlandesgerichts Innsbruck sowie die beteiligten Parteien H R (G159/94) und A Z (G180/94) dem Antrag des Oberlandesgerichts Linz. Die übrigen verfahrensbeteiligten Parteien gaben keine Äußerung ab.
1.6. §1 und §2 Abs1 lita und b des mit "Ersatzpflicht" überschriebenen I. Abschnitts des StEG haben folgenden Wortlaut:
"§1. Der Bund hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen die durch eine strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile dem Geschädigten auf dessen Verlangen in Geld zu ersetzen.
§2. (1) Der Ersatzanspruch besteht, wenn
a) die Anhaltung des Geschädigten von einem inländischen Gericht gesetzwidrig angeordnet oder verlängert oder durch dessen gesetzwidriges Auslieferungsersuchen veranlaßt worden ist;
b) der Geschädigte wegen des Verdachtes einer im Inland zu verfolgenden strafbaren Handlung von einem inländischen Gericht in vorläufige Verwahrung oder in Untersuchungshaft oder auf dessen Ersuchen in Auslieferungshaft genommen und in der Folge in Ansehung dieser Handlung freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt worden ist und der Verdacht, daß der Geschädigte diese Handlung begangen habe, entkräftet oder die Verfolgung aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, sofern diese schon zur Zeit der Anhaltung bestanden haben; ..."
2. Über die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Anträge wurde erwogen:
2.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:
Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist ein zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenes Gericht zur Stellung eines Antrags iSd. Art140 Abs1 B-VG dann legitimiert, wenn die - angefochtene - Norm denkmöglicherweise eine Voraussetzung der (gerichtlichen) Entscheidung im Anlaßfall bildet (vgl. zB VfSlg. 9911/1983, 10640/1985, 11027/1986, 13273/1992).
Dies trifft hier auf sämtliche Anträge zu.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsanträge der Oberlandesgerichte Graz, Innsbruck und Linz nach Art140 Abs1 B-VG zulässig.
2.2. Zur Sache selbst:
Die auf Verfassungsstufe stehende Vorschrift des Art6 Abs2 EMRK lautet:
"Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist."
Die hier ausgesprochene Unschuldsvermutung kann nur durch ein rechtmäßiges Urteil eines Gerichts iSd. Art6 Abs1 EMRK widerlegt werden; sie gilt zufolge des gebotenen Größenschlusses umso mehr für Personen, die von einer Anklage rechtskräftig freigesprochen wurden (s. Klecatsky-Morscher, Die österreichische Bundesverfassung6, 1993, S. 273, Anm. 3).
Der EGMR führte in seiner Entscheidung im Fall Sekanina gegen die Republik Österreich (zu den Fragen Haftentschädigung und Unschuldsvermutung) vom 25. August 1993, Nr. 21/1992/366/440 (= ÖJZ 1993, 816) ua. aus, daß die Gerichte (bei ihren Entscheidungen über eine Haftentschädigung) die Schuld des damaligen Beschwerdeführers ungeachtet seines bereits in Rechtskraft erwachsenen Freispruchs auf Grund des Inhalts des Strafakts in der Hauptsache (selbst) beurteilt hatten.
Der EGMR fügte dem hinzu:
"Der Ausspruch der Verdächtigungen, was die Unschuld eines Angeklagten anlangt, ist denkbar, solange ein Strafverfahren nicht mit einer Entscheidung über die Begründetheit der Anklage geendet hat. Es ist jedoch nicht mehr zulässig, sich auf solche Verdächtigungen zu berufen, sobald ein Freispruch rechtskräftig
geworden ist. Dementsprechend ist daher die Begründung ... (der Gerichte) unvereinbar mit der Unschuldsvermutung ... Es hat daher
eine Verletzung des Art6 Abs2 (EMRK) stattgefunden ..."
Der Verfassungsgerichtshof tritt dieser Rechtsauffassung des EGMR vollinhaltlich bei:
Die Bundesregierung hebt in ihrer Äußerung zutreffend hervor, daß im Fall Sekanina gegen Österreich die österreichischen (Straf-)Gerichte sich nicht, wie verfassungsgesetzlich geboten, auf eine Auseinandersetzung mit der in der Niederschrift der Geschwornen gegebenen Begründung für die Verneinung der Hauptfrage beschränkten (vgl. §331 Abs3 StPO), sondern in eine eigenständige Prüfung der Beweisergebnisse anhand der gesamten Akten eintraten und damit ihre Beweiswürdigung an die Stelle jener der Geschwornen setzten.
Damit unterstellten diese Gerichte aber dem §2 Abs1 litb StEG einen verfassungswidrigen, nämlich dem Art6 Abs2 EMRK widersprechenden Inhalt. Denn der Wortlaut dieser Gesetzesstelle läßt eine - verfassungskonforme - Auslegung des Gesetzes im Sinn der Rechtsmeinung des EGMR und des Verfassungsgerichtshofs sowie des Obersten Gerichtshofs (s. E v. 7.4.1994, 15 Os 40,41/94-7, insbesondere S. 6 f) ohne weiters zu, wenn berücksichtigt wird, daß nach §6 Abs2 StEG das Gericht, das eine Person freispricht oder sonst außer Verfolgung setzt oder milder verurteilt (§2 Abs1 litb oder c), ua. von Amts wegen durch Beschluß festzustellen hat, ob die in §2 Abs1 litb oder c und Abs2 und 3 StEG näher umschriebenen Anspruchsvoraussetzungen zutreffen oder ob einer der in §3 StEG genannten Ausschlußgründe vorliegt. Erging das Urteil aufgrund eines Wahrspruchs der Geschwornen, so entscheidet der Gerichtshof gemeinsam mit den Geschwornen. Auch die EB zur RV 1197 BlgNR XI. GP, 14 kehren in diesem Zusammenhang besonders hervor, daß der Beschluß, ob ein Ersatzanspruch "dem Grunde nach" besteht, (grundsätzlich) von jenem Gericht zu fassen sein soll, das den Angehaltenen oder Verurteilten freispricht oder sonst außer Verfolgung setzt oder gelinder verurteilt. Es trifft zu, wenn die Bundesregierung in diesem Zusammenhang ausführt, daß die (Haftentschädigungs-)Entscheidung des (in der Hauptsache) erkennenden Gerichts, ob das Nichtgelingen des Schuldbeweises einer Verdachtsentkräftung gleichkomme, Bedenken im Hinblick auf Art6 Abs2 EMRK überhaupt nur dann entstehen lassen könnte, wenn ein Freispruch aus Mangel an Beweisen ("in dubio pro reo") selbst mit der Unschuldsvermutung unvereinbar (und damit die zugrundeliegende Gesetzesbestimmung (§259 Z3 StPO) verfassungswidrig) wäre. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm des §259 Z3 StPO hegt der Verfassungsgerichtshof jedoch nicht.
Unrichtig ist - wie abschließend bemerkt sei - die Auffassung des Oberlandesgerichts Graz in seiner Anfechtungsschrift, der EGMR habe im Fall Sekanina gegen Österreich zum Ausdruck gebracht, (nicht bloß die Vollziehung des StEG, sondern auch) das StEG selbst sei unter dem Aspekt des Art6 Abs2 EMRK verfassungswidrig. Diese - der Meinung des Oberlandesgerichts zuwiderlaufende - Ansicht des Verfassungsgerichtshofs vertrat im übrigen schon der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 7. April 1994, 15 Os 40,41/94-7 (S. 5).
Insgesamt ist der Verfassungsgerichtshof daher der Auffassung, daß §2 Abs1 litb StEG nicht aus den von den anfechtenden Rechtsmittelgerichten geltend gemachten Gründen der Verfassungsbestimmung des Art6 Abs2 EMRK widerspricht: Nicht die Verneinung des Anspruchs auf Entschädigung für eine nach Art5 EMRK verhängte Haft iSd. Vorschriften des StEG an sich ist konventionswidrig, sondern die (gerichtliche) Neuaufrollung und eigenständige Beurteilung der Schuldfrage nach bereits rechtskräftigem Freispruch in den Entscheidungsgründen eines späteren (Haftentschädigungs-)Verfahrens. Daran ändert nichts, daß eine Novellierung der bekämpften Gesetzesstelle, wie sich aus dem (zustimmenden) Sondervotum des Richters Matscher zu der schon zitierten Entscheidung des EGMR ergibt, im Interesse der Rechtsklarheit wünschenswert wäre.
Die Anträge waren darum als unbegründet abzuweisen.
2.3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Strafrecht, Entschädigung Haft-, Haftentschädigung, Auslegung verfassungskonforme, UnschuldsvermutungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:G24.1994Dokumentnummer
JFT_10059071_94G00024_00