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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Juni 1996, Zl. UVS-06/V/27/00008/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 31. Mai 1995 war eine Berufung der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen worden, da eine Angabe über die Behörde fehlte, die den bekämpften Bescheid erlassen hatte.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien sei dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin am 19. Mai 1995 zugestellt worden. Die Berufung sei am 26. Mai 1995 in einfacher Ausfertigung von der Mitarbeiterin der Kanzlei des Beschwerdevertreters Margit B. vorbereitet und in die Unterschriftenmappe gelegt worden. Der Berufung sei der Akt angeschlossen worden, in einem Fach dahinter habe sich eine Ablichtung für die Beschwerdeführerin befunden. Weiters sei der Handakt des Vertreters beigelegt gewesen, ebenso das bereits vorbereitete Kuvert. Eine komplette Kopie der Eingabe sei für die Beschwerdeführerin selbst angefertigt worden, die ebenfalls zur Unterschriftsleistung vorgelegt worden sei. Der Beschwerdevertreter habe bei Unterfertigung der Berufung festgestellt, daß diese zwar die richtige Geschäftszahl aufweise, jedoch nicht an die Bundespolizeidirektion adressiert gewesen sei. Ebensowenig sei die Behörde im ersten Absatz der Berufung angeführt worden. Daher habe der Beschwerdevertreter einen Klebezettel mit dem Auftrag, diese Mängel zu beheben, verfaßt und an der Berufung angebracht. "Dies" sei von Frau B. auch durchgeführt worden. Der Schriftsatz sei neuerlich dem Vertreter zur Unterschriftsleistung samt Kuvert vorgelegt worden. Zur Überprüfung, ob der Mangel ordnungsgemäß behoben worden sei, habe Frau B. auch die bereits unterfertigte Berufung, die die beiden Mängel aufgewiesen habe, und den Handakt beigelegt. Bei Unterschriftsleistung habe sich der Vertreter davon überzeugt, daß der Schriftsatz ordnungsgemäß ausgebessert worden sei. Anschließend seien die korrigierte Berufung samt Handakt und die mit Klebezettel versehene alte Fassung an Frau B. mit dem Auftrag übergeben worden, die ordnungsgemäße Kuvertierung der Berufung vorzunehmen. Bei der Kuvertierung der Berufung und dem Versenden einer Ablichtung an die Beschwerdeführerin habe Frau B., abgelenkt durch viele Telefonate, nicht die richtige und korrigierte Berufung an die "Sicherheitsdirektion Wien" kuvertiert, sondern die alte, fehlerhafte Fassung. Ein solcher Fehler sei Frau B. noch nie unterlaufen. Der Vertreter überprüfe bei Unterschriftsleistung die Richtigkeit der Eingabe und auch die angeschlossenen Beilagen, wobei zur besseren Überwachung der ordnungsgemäßen Berichtigung von Eingaben der jeweilige Handakt und der ursprüngliche auszubessernde Schriftsatz vorgelegt werde. Lediglich die Kuvertierung werde nach Kontrolle und erfolgter Anweisung über die Art des Versandes den Mitarbeitern überlassen. Der Mitarbeiterin sei somit lediglich beim rein technischen Vorgang des Abfertigens ein Fehler unterlaufen. Dieser sei nach Unterfertigung der korrigierten Berufung und erfolgter Kontrolle deren Richtigkeit durch den Vertreter passiert. Es liege daher kein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten bzw. allenfalls ein minderer Grad des Versehens vor.
Die belangte Behörde führte eine mündliche Verhandlung durch, in der Margit B. vernommen wurde. Diese legte im wesentlichen dar, in der Kanzlei des Beschwerdevertreters würden Schriftsätze nach Diktat geschrieben und dem Rechtsanwalt gemeinsam mit dem Handakt vorgelegt. Daraufhin gäbe es Anweisungen, wie der Schriftsatz zu ändern sei. Dies erfolge durch das Anbringen von Markierungszetteln auf dem Schriftsatz an der Stelle, wo etwas zu ändern sei. Ergänzend dazu gebe es auch die mündliche Anweisung, was zu ändern sei. Der Schrifsatz werde entsprechend ausgebessert, die Markierungszettel blieben auf dem Entwurf. Dann werde der Schriftsatz neu ausgedruckt und die alte und neue Fassung würden gemeinsam mit dem Handakt neuerlich vorgelegt. Auf dem alten Schriftsatz werde mit Bleistift der Vermerk "alt" festgehalten, der neue Schriftsatz werde unterschrieben. Der alte Schriftsatz bleibe ebenfalls im Akt. Die Versandanweisung werde mündlich erteilt. Zu einer Verwechslung der Schriftsätze könne es dann kommen, wenn der alte Schriftsatz bereits unterschrieben und die Klebezettel entfernt worden seien. Es könne vorkommen, daß ein Schriftsatz bereits vom Vertreter unterschrieben werde und dieser erst im nachhinein feststelle, daß Korrekturen durchzuführen seien. Dann könne der Fall eintreten, daß auch ein noch zu änderndes Schriftstück unterschrieben werde.
Der Beschwerdevertreter brachte ergänzend vor, daß die Markierungszettel entfernt würden, weil sie beim Handakt "hinausstünden" und beim Einordnen in die Laden störten. Er unterschreibe einen Schriftsatz immer, bevor er ihn durchlese, weil die Unterschrift auf der ersten Seite zu leisten sei. Der Vermerk "alt" werde auf einer Kopie des Entwurfes angebracht.
Nach Wiedergabe von § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG und Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes legte die belangte Behörde dar, nach der sehr glaubwürdigen Aussage der Zeugin B. würden in der Rechtsanwaltskanzlei des Beschwerdevertreters bei der Korrektur fehlerhafter Eingaben Markierungszettel und auf dem ursprünglichen Entwurf mit Bleistift der Vermerk "alt" angebracht. Folge man diesen Angaben der Zeugin, deren Schilderung des Arbeitsablaufes schlüssig sei, so müßte die im vorliegenden Verfahren eingebrachte Berufung genau diese Merkmale (Markierungszettel und Vermerk "alt") aufweisen, wenn es sich tatsächlich um die irrtümlich versendete "alte" Fassung der Berufung handeln würde. Da dies aber nicht der Fall sei, sei eine irrtümliche Versendung einer fehlerhaften Berufung gar nicht erfolgt, sodaß ein diesbezügliches Versehen der Kanzleiangestellten auch nicht vorliege. Zum Vorbringen des Beschwerdevertreters, die Markierungszettel würden entfernt, sei festzustellen, daß selbst in diesem Fall die ursprünglich eingebrachte Berufung den Vermerk "alt" aufweisen müsse. Der Einwand, der Vermerk "alt" werde auf der Kopie des Entwurfes angebracht, könne nicht überzeugen, da er erst in Reaktion auf die Schilderung des Arbeitsablaufes durch die Zeugin in der Verhandlung erhoben worden und mit deren glaubwürdigen Angaben über den Arbeitsablauf nicht in Einklang zu bringen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende
Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Das Fehlen der Bezeichnung des Bescheides, gegen den sich die Berufung richtet, führt zur Zurückweisung (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, § 66 Abs. 4 AVG, E 7d, referierte Rechtsprechung). Der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 46 VwGG (vgl. z.B. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Slg. 12.742/A) liegt die Auffassung zugrunde, daß inhaltliche Mängel einer Prozeßhandlung, die deren meritorische Behandlung hindern, einer Fristversäumung gleichzuhalten sind. Überträgt man diese Auffassung auf den vorliegenden, nach § 71 AVG zu beurteilenden Fall, ergibt sich, daß die Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht schon von vornherein wegen des Fehlens einer Fristversäumung zu verneinen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das Versehen eines Kanzleibediensteten ist für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das ohne sein Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Wenn der Wiedereinsetzungswerber als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Kanzleiangestellten seines bevollmächtigten Rechtsanwalts geltend macht, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch, daß es zur Fehlleistung des Kanzleiangestellten gekommen ist, obwohl die dem Rechtsanwalt obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden (vgl. z.B. den Beschluß vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0153, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Als ein Verstoß gegen Überwachungspflichten wurde in der Rechtsprechung beispielsweise die Unterfertigung eines in einem wesentlichen Punkt noch zu verbessernden Schriftsatzes vor Durchführung und ohne Überwachung der Korrektur angesehen (vgl. z. B. die Beschlüsse vom 11. März 1982, Zl. 82/06/0018, vom 23. Mai 1985, Zl. 85/06/0003, und vom 5. Juni 1987, Zl. 87/18/0064).
Die Beschwerde legt dar, aus der Aussage der Zeugin Margit B. ergebe sich, daß bei der Kuvertierung des Schriftsatzes ein Fehler nach der Kontrolle durch den Vertreter unterlaufen sei. Daß die Klebezettel nicht mehr auf der kuvertierten Eingabe angebracht gewesen seien, sei durch deren Entfernung erklärlich. Der Vermerk "alt" befinde sich auf dem im Akt verbleibenden Durchschlag des Schriftsatzes und nicht auf der Ausfertigung, die weggeschickt werde. Daß auf dem im Akt des UVS Wien erliegenden Schriftsatz der Vermerk nicht angebracht sei, zeige neuerlich, daß ein Fehler bei der Kuvertierung passiert sein müsse, da ansonsten nicht der im Akt erliegende Schriftsatz beim UVS eingelangt hätte sein können. Der UVS glaube der Aussage der Zeugin B., wonach ihr ein Fehler bei der Kuvertierung passiert sei. Es sei daher davon auszugehen, daß der Partei und dem Vertreter kein Verschulden angelastet werden könne. Hätte der UVS der Aussage der Zeugin B. nicht geglaubt, dann hätte er die Einvernahme des ausgewiesenen Vertreters durchführen müssen. Das Verfahren sei daher mangelhaft geblieben.
Die Beschwerde verkennt den Inhalt des angefochtenen Bescheides, wenn sie darauf hinweist, die belangte Behörde habe der Aussage der Zeugin Margit B. "geglaubt, wonach ihr ein Fehler bei der Kuvertierung passiert ist"; es sei daher davon auszugehen, daß der Partei und dem Vertreter kein Verschulden angelastet werden könne.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides läßt keinen Zweifel in der Richtung offen, daß die belangte Behörde die Behauptungen des Wiedereinsetzungsantrages als nicht bescheinigt ansah. Die belangte Behörde erachtete die Angaben der Zeugin B. als glaubwürdig, die sich auf jene Vorgangsweise beziehen, wie sie allgemein in der Kanzlei des Beschwerdevertreters bei der "Korrektur fehlerhafter Eingaben" eingehalten werden. Davon ausgehend nahm sie - weil Anhaltspunkte für die Einhaltung dieser Vorgangsweise im Beschwerdefall fehlten - an, daß eine solche Korrektur im vorliegenden Fall nicht erfolgt sei und somit auch kein Versehen der Kanzleiangestellten bei der Absendung vorliege.
Die Verfahrensrüge kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Allfälligen Verfahrensmängeln fehlt die Relevanz, weil der Wiedereinsetzungsantrag selbst dann hätte abgewiesen werden müssen, wenn die belangte Behörde ihrer Entscheidung jene Sachverhaltsbehauptungen zugrunde gelegt hätte, die im Wiedereinsetzungsantrag enthalten und in der mündlichen Verhandlung ergänzt worden waren. Diese sind dahin zusammenzufassen, daß der Beschwerdevertreter seiner Kanzleiangestellten ein Konvolut, bestehend aus mindestens drei (jeweils vom Rechtsanwalt unterfertigten) Ausfertigungen eines Schriftsatzes, von denen wenigstens eine die Bezeichnung des bekämpften Bescheides enthielt, (mindestens) zwei hingegen (bei sonst identem Erscheinungsbild) nicht, wobei auf einer der letztgenannten der Vermerk "alt" und Klebezettel angebracht gewesen seien, zur Abfertigung übergeben und die Abfertigung nicht mehr überwacht habe. Dies stellt eine Vorgangsweise dar, bei der eine fehlerhafte Abfertigung leicht möglich ist; von einer ordnungsgemäßen Organisation des Kanzleibetriebes und der Einhaltung der nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht kann beim behaupteten Sachverhalt nicht die Rede sein. Die belangte Behörde hätte den Wiedereinsetzungsantrag somit auch dann abweisen müssen, wenn sie jenen Sachverhalt festgestellt hätte, den die Beschwerdeführerin behauptet hat.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Die Einleitung eines Verfahrens zur Behebung der dem Beschwerdeschriftsatz anhaftenden Mängel und eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, erübrigen sich.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996100140.X00Im RIS seit
20.11.2000