TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/11 95/20/0217

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Veröffentlicht am 11.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. März 1995, Zl. 4.345.790/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 29. Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 2. Jänner 1995 Asyl. In der mit ihm am 2. Jänner 1995 vor dem Bundesasylamt aufgenommenen Niederschrift beschrieb er seine Fluchtgründe - zusammengefaßt - wie folgt:

Er sei als Kurde in seinem Heimatdorf regelmäßig Mißhandlungen ausgesetzt gewesen. Die Soldaten seien ca. 5 bis 6 mal im Monat ins Dorf gekommen und hätten Dorfbewohner mit Stöcken geschlagen und mit kaltem Wasser angeschüttet. Als Grund für diese Folterungen hätten die Soldaten angegeben, daß sie Kurden seien und "die Guerilla" unterstützten. Diese Überfälle von Seiten der Soldaten hätten seit 1979 stattgefunden, wobei diese in den letzte beiden Jahren "besonders schlimm" geworden seien; in dieser Zeit hätten die Überfälle ca. 10 mal im Monat "in meinem Hause" stattgefunden. Am 28. August 1994 habe sich wieder ein Überfall ereignet, bei dem sein Cousin M getötet woren sei. Er sei von den Soldaten aus dem Haus getrieben und auf dem Dorfplatz erschossen worden. Ein anderer Cousin namens B sei bei diesem Vorfall verletzt (ihm sei die Hand von einem Soldaten abgetrennt) worden. Am 16. November 1994 sei "unser Haus" von den Soldaten angezündet worden. Seither hätten "wir in unserem Heimatland kein Quartier" mehr. Damals seien zwei Häuser angezündet worden. Dies seien die Häuser derjenigen Bewohner gewesen, die unter dem Verdacht gestanden seien "die Guerilla am meisten zu unterstützen". Der Beschwerdeführer habe in seinem Heimatland auch keine Möglichkeit gehabt, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Die Soldaten hätten den Kurden regelmäßig die Nahrungsmittel abgenommen.

Einmal sei er von den Soldaten mit verbundenen Augen aus dem Haus geführt und abseits des Dorfes mit Stöcken verprügelt worden. Ein anderes Mal sei er anläßlich einer Straßenkontrolle mit auf die Wachstube geführt und dort verprügelt worden. Als Grund sei ihm erklärt worden, daß er "Kurde" sei und die "PKK unterstützen würde".

Der Beschwerdeführer sei am 22. Dezember 1994 nach Ankara gefahren, wo ihm am 23. Dezember 1994 ein Touristenvisum mit Gültigkeit ab 28. Dezember 1994 ausgestellt worden sei. Er sei dann wieder "nach Hause" gefahren und schließlich am 27. Dezember 1994 mit dem Autobus von T nach Istanbul gefahren, wo er am 28. Dezember 1994 nach Übernachung bei einem Bekannten abgeflogen sei. Auf die Frage, warum er in Istanbul nicht vor Verfolgung sicher gewesen sei, erklärte der Beschwerdeführer, daß man in Istanbul anläßlich einer Kontrolle mit einem Ausweis "mit dem Geburtsort T" in Gefahr sei. Er wisse dies von vielen Kurden, die bereits in Istanbul gewesen seien und von dort wieder in ihr Heimatdorf hätten zurückflüchten müssen. Er sei der Meinung, daß es für einen Kurden in der gesamten Türkei keinen sicheren Ort vor Verfolgung gebe.

Mit Bescheid vom 25. Jänner 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab.

Mit der dagegen erhobenen Berufung legte der Beschwerdeführer eine Urkunde vor, bei der es sich um eine beglaubigte Übersetzung eines Auszuges aus der Zeitung "Atilim" vom 6. bis 14. Jänner 1995 handle. In dieser wöchentlich erscheinenden "revolutionär-sozialistischen Zeitung" sei der Vorfall vom 28. August 1994 beschrieben worden, bei welchem Vorfall sein Onkel M getötet und dessen Sohn B den Arm verloren habe, während er selbst dabei verletzt worden sei. Im übrigen verwies der Beschwerdeführer in seiner Berufung auf die allgemein schwierige Lage der Kurden in der Türkei und wendete sich gegen die Auffassung des Bundesasylamtes, welches entgegen seinen Angaben in erster Instanz keine asylrelevanten Verfolgungen durch die türkischen Behörden festgestellt habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid damit begründet, der Beschwerdeführer habe keine gegen ihn "individuell und konkret" gerichtete Verfolgungshandlung der türkischen Behörden dargelegt, die in ihrer "Intensität und Qualität den Schluß" zuließe, daß er sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht verlassen habe und es ihm unzumutbar wäre, dorthin zurückzukehren. Die dafür gegebene Begründung ist nicht ausreichend.

Mit Recht wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Argument in der Beweiswürdigung der belangten Behörde, eine Verfolgung sei nicht glaubwürdig, wenn der Asylwerber, "nur in untergeordneter Rolle politisch tätig" gewesen oder "allgemein kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat feststellbar" sei, denn "erfahrungsgemäß" gehorche eine Verfolgung "einem rationalen Kosten-Kalkül". Diese in den Bescheiden der belangten Behöre immer wiederkehrende Argumentation hält einer logischen Überprüfung nicht stand (vgl. dazu das Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0806).

Insoweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, daß die geschilderten "Überfälle" durch Soldaten deshalb nicht geeignet seien, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu indizieren, weil sich diesen keine "individuell und konkret" seine Person betreffende Verfolgungsmotivation der Behörden entnehmen lasse, läßt sich diese Begründung vor dem Hintergrund der Angaben des Beschwerdeführers in erster Instanz nicht nachvollziehen. Der Beschwerdeführer hatte nämlich ihn konkret betreffende Mißhandlungen durch Soldaten in einer erheblichen Anzahl behauptet und als Grund für das Vorgehen der Soldaten eine ihm unterstellte "Unterstützung der Guerilla" angegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß es für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausreicht, wenn dem Verfolgten eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1995). Warum die vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen angesichts deren geschilderter Häufigkeit - sofern diesen Glaubwürdigkeit zukommt - nicht jene Intensität erreicht haben sollen, um einen Weiterverbleib des Beschwerdeführers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen zu lassen, ist nicht weiter begründet. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer in der Berufung angab, er selbst sei bei dem Vorfall vom 28. August 1994, bei dem sein Onkel M (nach dem Protokoll in erster Instanz allerdings sein Cousin) erschossen und ein weiterer Cousin verletzt worden sei, trifft es zwar im wesentlichen zu, daß Verfolgungshandlungen gegen die Person des jeweiligen Asylwerbers gerichtet sein müssen und in der Regel gegen Familienangehörige gerichtete Verfolgungshandlungen allein nicht von Asylrelevanz sein können. Jedoch kann auch ein solcher Umstand zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer begründeten Fucht vor Verfolgung sehr wohl herangezogen werden. Selbst wenn man also der in der Berufung aufgestellten Behauptung, der Beschwerdeführer selbst sei bei diesem Vorfall am 28. August 1994 verletzt worden, nicht folgen würde, erschiene der Vorfall mit seinen Verwandten - angesichts des Gesamtzusammenhangs mit den geschilderten "Überfällen" und Mißhandlungen des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf - doch von asylrechtlicher Relevanz. Vor dem Hintergrund dieser Überlegung kann nicht nachvollzogen werden, warum die belangte Behörde § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 als nicht gegeben erachtete, obwohl der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren eine Urkunde vorgelegt hat, die bei Zutreffen seiner Behauptungen eine für ihn günstigere Entscheidung hätte herbeiführen können. Die dazu im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung, die vorgelegte Übersetzung eines Zeitungsartikels einer wöchentlich erscheinenden "revolutionär-sozialistischen Zeitung" vermöge eine "konkrete, ausschließlich gegen ihre Person gerichtete, Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 nicht zu indizieren", reicht demgemäß nicht aus.

Soweit die belangte Behörde die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers betreffend "die von Soldaten initiierte Vertreibung und die Brandlegung" damit begründet, daß gemäß seinen Angaben am 16. November 1994 das von ihm bewohnte Haus in seinem Heimatdorf in Brand gelegt worden sei, er sich bis Ende Dezember 1994 aber dort aufgehalten habe, ist anzumerken, daß der Beschwerdeführer in erster Instanz nicht dazu befragt worden war, wo er nach der angegebenen Brandlegung in seinem Heimatdorf gewohnt habe. Ebensowenig wurde von der Behörde erster Instanz nachgeforscht, wo die sonstige Familie des Beschwerdeführers nach der behaupteten Niederbrennung ihres Hauses Unterkunft gefunden hatte, sodaß daraus keine für die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nachteiligen Schlüsse gezogen werden können. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer nach Erhalt eines Visums für Österreich am 23. Dezember 1994 kurzfristig (bis 27. Dezember 1994) wieder von Ankara in sein Heimatdorf zurückgekehrt war, würde ebenfalls nur dann gegen die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen sprechen, wenn er während dieses Zeitraumes dort mit behördlichen Kontakt hätte rechnen müssen und er keinen Anlaß dafür gesehen hätte, einen solchen durch entsprechende Maßnahmen hintanzuhalten. Die belangte Behörde hat die vom Beschwerdeführer geschilderten Mißhandlungen als Übergriffe von Einzelpersonen gewertet, die nicht dem türkischen Staat zugerechnet werden könnten. Behauptet jedoch ein Asylwerber Mißhandlungen oder Folter, so belastet die Behörde nach ständiger hg. Judikatur ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wenn sie dieses Vorbringen mit der Begründung abtut, die behaupteten Mißhandlungen würden lediglich Übergriffe einzelner Organe darstellen, ohne darzutun, auf welcher Sachverhaltsgrundlage diese Ansicht beruht (vgl. hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1993 und 31. März 1993, Zlen. 92/01/0835 und 92/01/0883). Wenn nicht ein besonders gelagerter Sachverhalt vorliegt, sind aber die Handlungen der Organe grundsätzlich dem Staat selbst zuzurechnen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 26. März 1996, Zl. 95/19/0032).

Die belangte Behörde hat schließlich die Annahme einer inländischen Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Istanbul darauf gestützt, daß sich dieser dort aufgehalten und keine Probleme mit den türkischen Behörden gehabt habe. Demgegenüber hatte der Beschwerdeführer aber lediglich angegeben, eine Nacht in Istanbul bei einem Bekannten verbracht zu haben, im übrigen wäre er in Istanbul nicht vor Verfolgung sicher gewesen, weil er Kurde sei und in seinem Reisepaß als Geburtsort "T" aufscheine. Ihm sei auch von anderen Leuten mitgeteilt worden, daß in Istanbul keine Sicherheit vor Verfolgung durch die türkischen Behörden bestünde. Wenn also die belangte Behörde angesichts dieser Darstellung die angenommene inländische Fluchtalternative in Istanbul dennoch ausschließlich mit der Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Instanbul (hier also nicht länger als ein Tag und eine Nacht) begründete, so ist diese Begründung (da im vorliegenden Fall nicht einmal feststeht, ob der Beschwerdeführer einer Behördenkontrolle unterzogen worden war) nicht ausreichend.

Der angefochtene Bescheid erweist sich vielmehr insofern, als er von den Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen ist, als rechtlich unzutreffend und war schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200217.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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