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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. April 1995, Zl. 4.323.563/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesh, der am 31. Mai 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 6. Juni 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Jänner 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.
Der Beschwerdeführer hatte bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 16. Jänner 1992 angegeben, er sei in seiner Heimat sowohl aus politischen als auch aus religiösen Gründen als Hindu verfolgt worden. Er sei von 1987 bis 1990 Studentenführer einer der Jatiya-Partei (JP) nahen Studentenunion gewesen. Ab 3. März 1991 sei er Exekutivmitglied der Studentenunion zur Befreiung Ershads und vom 1. Juni 1990 bis 30. Dezember 1990 Vorsitzender der Hindu Studentenorganisation gewesen. Nach dem Rücktritt des Staatspräsidenten Ershad (von der JP) hätten Studenten des nachfolgenden provisorischen Präsidenten Shahabuddin die "Macht" übernommen. An der Universität Dhaka sei es für den Beschwerdeführer lebensgefährlich geworden, sein Studium fortzusetzen. Er wäre als ehemaliger Studentenführer der JP vermutlich getötet worden. Die Situation käme praktisch dem Ausschluß aus dem Hochschulstudium gleich. Er habe sich von Februar 1991 bis zu seiner Ausreise am 27. Mai 1991 in Dhaka versteckt gehalten. Es habe zwar keinen unmittelbaren Anlaß gegeben, daß er am 27. Mai 1991 seine Heimat verlassen habe, er sei jedoch von seinem Bruder in Kenntnis gesetzt worden, daß nach ihm gefahndet werde und daß ein Haftbefehl seiner Familie zugestellt worden sei. Dieser Haftbefehl sei ihm samt mehreren Dokumenten und den die Mitgliedschaft zu den Studentenverbänden belegenden Beweismittel während seines Aufenthaltes in Österreich durch einen Verwandten geschickt worden. Aus dem Haftbefehl des Gerichtes erster Klasse der Stadt Dhaka, ausgestellt am 16. Jänner 1991, gehe hervor, daß er wegen staatsfeindlicher Tätigkeiten und der Zugehörigkeit zu verbotenen politischen Parteien im Gefängnis Hajat inhaftiert hätte werden sollen. Sein Bruder habe die Ausreise organisiert, er selbst habe durch Bezahlung von Bestechungsgeld ausreisen können.
Zur religiösen Verfolgung gab der Beschwerdeführer an, daß nach einem Kampf bezüglich des Gebetsplatzes in Ajutta (Anm.: Indien) zwischen Hindus und Moslems sich die Abneigung zwischen Moslems und Hindus auch in Bangladesh verstärkt hätte. Da er Vorsitzender der hinduistischen Studentenorganisation gewesen sei, sei er nach diesem Vorfall verstärkt durch moslemische Mitbürger einer Verfolgung ausgesetzt gewesen. Als er gemeinsam mit hinduistischen Mitbürgern den Anschlag auf ihren hinduistischen Tempel und ihre Wohnhäuser teilweise bekämpft habe und dermaßen gegen die moslemischen Mitbürger vorgegangen sei, hätten sich die Auseinandersetzungen verstärkt. Er wäre in seiner Heimat seines Lebens bzw. seiner körperlichen Unversehrtheit nicht mehr sicher gewesen. Für sein Vorbringen bot der Beschwerdeführer die Vorlage von Beweismitteln in englischer Sprache bzw. deren Übersetzung in die deutsche Sprache an.
In der Berufung gegen den - formularmäßig abgefaßten - Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wiederholte er sein bereits in den Grundzügen in der erstinstanzlichen Niederschrift erstattetes Vorbringen, welches er durch die Nennung von Details und die Vorlage der bereits im erstinstanzlichen Verfahren angebotenen Beweismittel ergänzte. Diese Details erläuterten im wesentlichen seine politischen Funktionen und seine Tätigkeit teilweise in gehobenen Positionen. Zu den Vorfällen nach dem Rücktritt des Präsidenten Ershad gab er an, daß oppositionelle studentische Gruppen offen und mit Gewalt gegen die Studentenorganisation des Beschwerdeführers vorgegangen seien. Sie hätten die Räumlichkeiten in den Studentenheimen zerstört, Bücher verbrannt und seien tätlich geworden, wobei ein Studienkollege ein Auge verloren habe. Der Beschwerdeführer habe ohne Mitnahme seiner Habseligkeiten das Heim sofort verlassen. Diese Gruppen hätten ihn dann im Haus seiner Familie gesucht und beträchtlichen Schaden angerichtet. Seit dieser Zeit habe er in Dhaka im Untergrund gelebt. Er habe im Zuge des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen am 27. Februar 1991 an einer Demonstrationsveranstaltung für die Freilassung von Ex-Präsident Ershad am 15. Jänner 1991 teilgenommen. Es hätte eine friedliche Protestkundgebung sein sollen, die Teilnehmer seien unbewaffnet gewesen. Es wäre zu einem Zusammenstoß mit oppositionellen Gruppen gekommen, welche mit Handgranaten und Molotow-Cocktails ausgerüstet gewesen seien. Im Zuge der Auseinandersetzung sei ein Teilnehmer aus deren Reihen ums Leben gekommen. Die Demonstration sei behördlich nicht genehmigt gewesen. Wegen dieser Veranstaltung sei er mit vier anderen Personen angeklagt worden, drei seien gefangengenommen worden, er und ein weiterer Angeklagter hätten fliehen können. Diesbezüglich legte der Beschwerdeführer das Protokoll über die Demonstration, die Anklageschrift und den Haftbefehl des Gerichtes erster Klasse in Dhaka vor. Zudem sei ein anderes leitendes Mitglied der Studentenorganisation festgenommen worden.
Hinsichtlich der religiös motivierten Verfolgung ergänzte der Beschwerdeführer, daß die Hindus gegen die Gewaltanwendung der Moslems demonstriert und - solange Ershad Präsident gewesen sei - dies auch unter dem Schutz der Polizei getan hätten. Später habe sich die Polizei immer mehr herausgehalten, da viele Polizisten Moslems gewesen seien. Im Zuge der weiteren Kämpfe, bei denen die Hindus stets unbewaffnet gewesen seien, sei sein Obmannstellvertreter und Freund von Moslems getötet worden.
In Berufungsergänzungen vom 3. August 1993 und 22. Oktober 1993 wies der Beschwerdeführer auf die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus (letztere seien die Minderheit und stellten rund 12 % der Bevölkerung) hin und legte einen Brief seines Rechtsanwaltes vom 5. Oktober 1993 vor, welcher die Aktualität der dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgungen zu belegen imstande sei. In diesem Brief ist unter anderem enthalten, daß dem Beschwerdeführer aufgrund des weiterhin laufenden staatlichen Verfahrens eine Verurteilung zu 14 Jahren strengem Gefängnis drohe.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 8. Februar 1994, welcher aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof infolge Anwendung einer verfassungswidrigen Norm (Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) mit Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/1060, aufgehoben wurde.
Der Beschwerdeführer brachte daraufhin zu seiner Berufung eine Ergänzung vom 20. Dezember 1994 ein, in welcher er als Verfahrensmängel rügte, die Behörde lasse außer acht, daß gegen ihn aus politischen Gründen ein Strafverfahren eingeleitet und ein Haftbefehl erlassen worden sei. Zudem habe die Behörde hinsichtlich der drohenden religiösen Verfolgung verkannt, daß die Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus deshalb für den Beschwerdeführer verfolgungsrelevant seien, da die Regierungs- und staatlichen Stellen die Position der Moslems einnehmen, und die Moslems die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung stellten. Funktionäre der politischen Opposition würden deshalb angegriffen, da diesen die Unterstützung der Religionsgemeinschaft der Hindu unterstellt werde.
Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, weitere Ermittlungen anzustellen, soferne sie der Meinung wäre, die erbrachten Hinweise auf die Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner politischen Gesinnung oder seiner Religion seien nicht ausreichend. Der Ergänzung waren weitere (zum Teil bereits vorgelegte) Beweismittel angeschlossen.
Im fortgesetzten Verfahren räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz zu relevieren. Darüber hinaus teilte sie mit, daß sie es als notorische Tatsache ansehe, daß der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Ungarn sicher vor Verfolgung gewesen sei. Denn der UNHCR habe in seinem Gutachten vom 4. Juli 1994 festgestellt, daß in Ungarn (trotz des territorialen Vorbehaltes zur Genfer Flüchtlingskonvention) faktisch lückenlose Abschiebungssicherheit für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber bestehe. Die Verfahren betreffend außereuropäische Asylwerber würden gemäß einem "Arrangement" zwischen den ungarischen Behörden und dem UNHCR von letzterem durchgeführt. Bis zur Finalisierung des Asylverfahrens bzw. im Falle der Anerkennung als Flüchtling durch den UNHCR genieße der Asylwerber Schutz vor Abschiebung in sein Heimatland.
Der Beschwerdeführer antwortete hierauf mit Schreiben vom 28. März 1995. Er rügte die Fehlerhaftigkeit der Niederschrift vom 16. Jänner 1992 aufgrund des Umstandes, daß die Befragung in englischer Sprache durchgeführt worden sei, welche der Beschwerdeführer nur bedingt umgangssprachlich spreche. Als unrichtig rügte er eine Passage betreffend des "Abhandenkommens" seines Reisepasses in Ungarn und die Passage, warum er in Ungarn keinen Asylantrag eingebracht habe. Zu der von der Behörde angenommenen Verfolgungssicherheit in Ungarn führte der Beschwerdeführer einerseits aus, daß ihm sein Bruder mitgeteilt habe, er möge Ungarn so rasch wie möglich verlassen, da die moslemischen Fundamentalisten ihn bis nach Ungarn verfolgen und um jeden Preis töten wollten, andererseits aber auch, daß dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers aufgrund seiner Kontakte mit dem UNHCR bekannt sei, daß in Ungarn für Flüchtlinge bzw. Asylwerber kein Asylverfahren eingerichtet sei; des weiteren, daß Flüchtlinge bzw. Asylwerber aus außereuropäischen Staaten immer wieder aus Ungarn in die Verfolgerstaaten zurückgeschoben würden und daher der Beschwerdeführer damit habe rechnen müssen, daß er aus Ungarn nach Bangladesh zurückgeschoben worden wäre, ohne daß zuvor seine Flüchtlingseigenschaft geprüft worden wäre. Er bot hiezu als Beweismittel eine einzuholende Stellungnahme des UNHCR an. Der Stellungnahme legte er eine eigenhändig in ENGLISCHER SPRACHE verfaßte Darlegung bei und weitere Beweismittel (von welchen Teile bereits vorher vorgelegt waren).
Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid, in welchem sie die Ausführungen des Bescheides vom 8. Februar 1994 sowohl hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen als auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung übernahm. Zur Berufungsergänzung vom 20. Dezember 1994 führte die belangte Behörde aus, daß die vom Beschwerdeführer relevierte Anklage "offensichtlich aus ihrer Teilnahme an der Demonstration vom 15. Jänner 1991, bei der es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen ist - die Demonstranten führten Waffen, Handgranaten, Molotow-Cocktail usw. mit sich -", resultiere und daher nicht im Zusammenhang mit der politischen Gesinnung des Beschwerdeführers gesehen werden könne. Die gegen ihn erhobenen Strafvorwürfe "erfolgten vielmehr aufgrund des Verdachtes, sich an den Ausschreitungen in strafrechtlicher relevanter Form beteiligt zu haben". Asylrechtlich entscheidend sei immer die Motivation der einschreitenden Staatsorgane; wenn diese "subjektiv ehrlich davon überzeugt" seien, ein gemeinstrafrechtliches Delikt zu untersuchen, so verschlage es auch nichts, wenn sie "verleumderisch dazu angeregt worden sein sollten". Das Asylrecht schütze "vor illegitim motiviertem Staatshandeln, aber nicht vor Verleumdung oder Justizirrtümern, welche ein ubiquitäres Risiko jedes Rechtsunterworfenen in allen Rechtskulturen darstellen". Sollte man gegen den Beschwerdeführer, wie es dieser behaupte, das Mittel der Verleumdung angewendet haben, so zeige dies, daß es nicht möglich gewesen sei, die staatliche Gewalt direkt - und deren Organe bewußt - "zu Zwecken politischer Nachstellung zu instrumentalisieren". Daß der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr inhaftiert würde, sei insofern naheliegend, als er zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen noch nicht habe gehört werden können. Es gäbe keine Anhaltspunkte, daß der Beschwerdeführer kein faires Gerichtsverfahren bekäme. Es hätten "anscheinend Ihnen nahestehende Personen" in den Gerichtsakt Einsicht nehmen und jene Schriftstücke anfertigen lassen bzw. jene Ablichtungen herstellen können, die der Beschwerdeführer an die belangte Behörde übersendet habe.
Die belangte Behörde begründete des weiteren, daß die behauptete Fehlerhaftigkeit der Niederschrift vom 16. Jänner 1992 nicht vorliege, daß die vorgelegten Kopien von Zeitungsartikeln nicht relevant seien, weil diese Artikel auf die allgemeine Lage abstellten, und daß Vorfälle, die den Bruder des Beschwerdeführers bzw. Kollegen betroffen hätten, nicht zur Asylgewährung führen könnten.
Überdies sei der Beschwerdeführer bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen. Diesbezüglich wiederholte die belangte Behörde die im Vorhalt vom 9. März 1995 ausgedrückte Ansicht. Der Beschwerdeführer habe diesen Ausführungen der Behörde jedoch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht etwas entgegengehalten, das darauf hinweisen könnte, daß er in Ungarn nicht "Verfolgungssicherheit" erlangt habe. Die Behauptung, daß er Ungarn hätte verlassen müssen, weil die moslemischen Fundamentalisten ihn bis nach Ungarn verfolgen würden, sei unglaubwürdig. Selbst bei deren Glaubwürdigkeit beeinträchtige dies nicht die Sicherheit vor Verfolgung in Ungarn, da er in keiner Weise angeführt habe, daß die ungarischen Behörden ihn nicht vor allfälligen Übergriffen dieser moslemischen Fundamentalisten beschützt hätten. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dartun können, daß ihm etwa eine Abschiebung in sein Heimatland seitens der ungarischen Behörden gedroht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. I Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff in die zu schützende Sphäre geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in den Aufenthaltsstaat zu begründen. Keineswegs ist es erforderlich, daß eine tatsächliche Verfolgung bereits stattgefunden hat. Es reicht hin, daß aufgrund der äußeren Umstände und allenfalls bereits geschehener Ereignisse die Gefahr einer Verfolgung gegeben ist. Dabei ist auch die politische Situation des Heimatlandes zu berücksichtigen. Verhaftungen und Verfahren in Ländern, für welche nicht feststeht, daß sie nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handeln, sind in einem anderen Licht zu beurteilen als in demokratischen Rechtsstaaten. Es ist die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen, einzelne Aspekte seiner Situation in der Heimat dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. Die Verfolgung muß dem Heimatstaat des Asylwerbers zurechenbar sein. Sie muß entweder vom Heimatstaat selbst ausgehen oder ist im Falle einer von anderer Seite ausgehenden Verfolgungsgefahr dem Heimatstaat zurechenbar, wenn die Behörden des Heimatlandes nicht in der Lage oder nicht willens sind, den Asylwerber vor der von anderen Stellen ausgehenden Verfolgung zu schützen.
Im Lichte dieser Grundsätze sind der belangten Behörde bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft Verfahrensfehler unterlaufen, die auf das mangelhafte Ermittlungsverfahren der Behörde erster Instanz zurückzuführen sind.
a) Zur politisch motivierten Verfolgung:
Der Beschwerdeführer hatte in der erstinstanzlichen Niederschrift auf den aus politischen Gründen erstellten Haftbefehl gegen ihn hingewiesen. Dieser Hinweis ist hinreichend deutlich im Sinne des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991, sodaß die belangte Behörde die im erstinstanzlichen Verfahren diesbezüglich unterlaufene Mangelhaftigkeit infolge Unterbleibens näherer Fragen dadurch saniert hat, als sie auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers in dieser Frage Rücksicht genommen hat. Die belangte Behörde ist aber - im Gegensatz zu den ausdrücklich sowohl in der vorgelegten Anklageschrift ("Charge Sheet") als auch dem Verfügungsblatt des Gerichtes erster Klasse Dhaka ("Order Sheet") enthaltenen Hinweisen auf ein politisches Verfahren ("The case is political murder, anti-Govt. and anti-state. activities") aus Anlaß einer politischen Demonstration enthaltenen Hinweise - davon ausgegangen, daß es sich nur um die Verfolgung eines gemeinstrafrechtlichen Deliktes handle. Die belangte Behörde stützt diese bereits im Bescheid vom 8. Februar 1994 enthaltene Ansicht, welche vom angefochtenen Bescheid übernommen und näher ausgeführt wurde, auf keine Ermittlungsergebnisse. Ohne solche den Behauptungen und auch dem Inhalt der vorgelegten Gerichtsurkunden entgegenstehende Ermittlungsergebnisse kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß die Behörden des Heimatlandes "subjektiv ehrlich davon überzeugt" seien, ein gemeinstrafrechtliches Delikt zu untersuchen. Die Ausführungen der belangten Behörde, warum den Beschwerdeführer - entgegen seinen Behauptungen - ein faires Gerichtsverfahren erwarte, stimmen mit der Aktenlage nicht überein. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, daß die zitierten Gerichtsurkunden seiner Familie in Bangladesh zugestellt worden, und seine Verwandten bezüglich seines Aufenthaltes einem Verhör unterzogen worden seien. Somit entbehrt die Ansicht, nahestehende Personen hätten in den Gerichtsakt Einsicht nehmen und jene Schriftstücke anfertigen lassen bzw. jene Ablichtungen herstellen können, die der Beschwerdeführer vorgelegt habe, ihrer Grundlage im Akteninhalt. Selbst bei Richtigkeit dieser Begründung könnte daraus aber noch nicht ohne nähere Ermittlungen über die in Bangladesh stattfindende Gerichtsbarkeit ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß den Beschwerdeführer ein faires Gerichtsverfahren erwarte.
Im Zuge der Gesamtschau aus der vom Beschwerdeführer ausgeübten politischen Tätigkeit, seiner Teilnahme an einer politischen Demonstration, dem laufenden Gerichtsverfahren samt Haftbefehl und der dem Beschwerdeführer drohenden langjährigen Haftstrafe könnten diese Umstände aber grundsätzlich asylrechtliche Relevanz erlangen, weshalb ihm ohne entgegenstehende Ermittlungsergebnisse die Flüchtlingseigenschaft nicht abgesprochen werden kann.
b) Zur religiös motivierten Verfolgung:
Der Beschwerdeführer hat zwar in der erstinstanzlichen Niederschrift nur angegeben, daß er "durch moslemische Mitbürger" durch deren Anschläge auf einen hinduistischen Tempel und die Wohnhäuser des Beschwerdeführers und seiner Mitkämpfer verfolgt werde, er hat damit aber im Hinblick auf die offenkundige Tatsache, daß die Moslems in Bangladesh die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darstellen, im Sinne der amtswegigen Ermittlungspflicht die erstinstanzliche Behörde zumindest verpflichtet, nachzufragen, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer daraus eine Gefahr ableitete, welcher er sich nur durch Flucht entziehen hätte können. Der Beschwerdeführer hat in der Berufung diesbezüglich die Antwort selbst gegeben, indem er darlegte, daß die staatlichen Behörden aufgrund ihrer Dominanz durch Moslems den Hindus gegen Übergriffe der Moslems keinen Schutz böten. Einem solchen Vorbringen ist nicht von vornherein die asylrechtliche Relevanz im Sinne einer mittelbaren staatlichen Verfolgung abzusprechen. Die belangte Behörde hat sich im Bescheid vom 8. Februar 1994 nur insoweit mit der befürchteten religiös motivierten Verfolgung auseinandergesetzt, daß "wäre es tatsächlich zu Angriffen" auf die Person des Beschwerdeführers "gekommen, diese als selbständige Handlungen von Einzelpersonen zu qualifizieren" wären, die "nicht als vom Staat initiiert betrachtet werden können". Die belangte Behörde belastet den angefochtenen Bescheid, mit welchem sie diese Beurteilung des Bescheides vom 8. Februar 1994 übernahm und darüber hinaus keine Ausführungen zur behaupteten religiös motivierten Verfolgung des Beschwerdeführers traf, mit einem Begründungsmangel.
Diese Verfahrensmängel, auf die der Beschwerdeführer in der Beschwerde zutreffend hinweist und auch ihre Relevanz darlegt, sind derart, daß die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
c) Zur Verfolgungssicherheit:
Trotz Vorliegens der Flüchtlingseigenschaft wäre jedoch für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, wenn der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorläge, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.
Zur Frage der "Verfolgungssicherheit" verwies die belangte Behörde darauf, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen wäre, konkrete Anhaltspunkte dafür zu liefern, daß ihm während seines Aufenthaltes in Ungarn eine Abschiebung in sein Heimatland durch die ungarischen Behörden gedroht habe.
Dazu ist zunächst auf die zahlreichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, in welchen dargelegt wurde, daß die Mitwirkungspflicht einer Partei nicht so weit geht, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß § 11 und § 16 Asylgesetz 1991 iVm den §§ 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. als Beispiel für viele das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 95/20/0043). Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft - wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat - auf die im allgemeinen in Ungarn beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchtlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu. Bei ihrer Argumentation übersieht die belangte Behörde, daß sie sich zur Stützung ihrer Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn einer generellen Stellungnahme des UNHCR bedient. Der Beschwerdeführer ist seiner Pflicht zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren dadurch nachgekommen, daß er in seiner Berufungsergänzung vom 28. März 1995 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß ihm bekannt sei, daß Flüchtlinge bzw. Asylwerber aus außereuropäischen Staaten immer wieder aus Ungarn in die Verfolgerstaaten zurückgeschoben würden und der Beschwerdeführer daher damit habe rechnen müssen, aus Ungarn nach Bangladesh zurückgeschoben zu werden, ohne daß zuvor seine Flüchtlingseigenschaft geprüft worden wäre, und daß er als Beweismittel eine einzuholende Stellungnahme des UNHCR angeboten hat. Es kann dem einzelnen Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, konkrete Fälle von Verletzungen des Refoulement-Verbotes nachzuweisen, ganz davon abgesehen, daß auch die belangte Behörde ihrerseits eine Stellungnahme des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht zitiert und darauf die Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn zu stützen sucht, welche Stellungnahme im Akt nicht aufzufinden ist. Daher hätte das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 28. März 1995 die Behörde zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens darüber verpflichtet, ob ihre Annahme der "Verfolgungssicherheit", welche sich auf die zitierte Stellungnahme vom 4. Juli 1994 stützt, für den Zeitraum der Durchreise des Beschwerdeführers (diese erfolgte bereits vor dem 31. Mai 1991) schon zutraf.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Umfang des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200288.X00Im RIS seit
20.11.2000