TE Vfgh Erkenntnis 2007/6/12 B1944/06

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Veröffentlicht am 12.06.2007
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Index

L2 Dienstrecht
L2400 Gemeindebedienstete

Norm

B-VG Art133 Z4
Wr DienstO 1994 §74a
Wr UnfallfürsorgeG 1967

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durchVersagung einer Versehrtenrente bzw eines Versehrtengeldes für einenBeamten der Stadt Wien nach einem Dienstunfall

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien.

1.1. Mit Bescheid vom 16. Juni 2005 stellte der Magistrat der Stadt Wien fest, der Beschwerdeführer habe dadurch einen Dienstunfall erlitten, dass er sich durch einen Sturz über fünf Stufen eine Prellung der Wirbelsäule und der linken Beckenhälfte zugezogen habe; eine Versehrtenrente gebühre jedoch nicht, auch ein Versehrtengeld werde nicht zuerkannt. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde im Wesentlichen aus, dass aufgrund eines eingeholten unfallchirurgischen Gutachtens feststehe, dass der Sturz in Anbetracht eines Vorschadens nicht geeignet gewesen sei, einen Bandscheibenvorfall hervorzurufen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die mit dem angefochtenen Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom 28. September 2006 (unter Konkretisierung des Spruchpunktes betreffend den Dienstunfall) als unbegründet abgewiesen wurde. Die belangte Behörde stützte sich dabei in ihrer Begründung im Wesentlichen auf ein von ihr eingeholtes (weiteres) unfallchirurgisches Gutachten, aus dem sich ebenfalls ergebe, dass der Dienstunfall des Beschwerdeführers nicht geeignet gewesen sei, einen Bandscheibenvorfall hervorzurufen. Eine - für die Zuerkennung einer Versehrtenrente bzw. eines Versehrtengeldes nach dem Unfallfürsorgegesetz 1967 erforderliche - Minderung der Erwerbsfähigkeit von zumindest 20 vH habe daher jedenfalls nicht über drei Monate nach dem Eintritt der Versehrtheit hinaus bestanden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§74a Abs3 Dienstordnung 1994) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. §74a des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994 - DO 1994), LGBl. 56/1994, lautet:

"§74a. (1) Dem Dienstrechtssenat obliegt

1. die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide, die vom Magistrat in den zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörenden Angelegenheiten unter Anwendung des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29, erlassen worden sind,

2. die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide der Disziplinarkommission,

3. die Erlassung sonstiger Bescheide, zu deren Erlassung der Dienstrechtssenat nach dem 8. Abschnitt berufen ist.

(2) ...

(3) Die Bescheide des Dienstrechtssenates unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Hat der Dienstrechtssenat eine Kündigung ausgesprochen, eine Verfügung gemäß §10 Abs2 oder 4 oder eine Feststellung gemäß §74 Z2 getroffen oder einen Bescheid nach dem 8. Abschnitt erlassen, ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig."

§10 Abs2 und 4 DO 1994 betrifft das Verfahren bei ungenügender Beschreibung, §74 Z2 DO 1994 bestimmte Fälle der Auflösung des Dienstverhältnisses durch Entlassung; der 8. Abschnitt der DO 1994 regelt das Disziplinarrecht.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Die Beschwerde behauptet zunächst die Anwendung einer verfassungswidrigen Norm; §74a Abs3 DO 1994 widerspreche dem Gleichheitssatz und dem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, da im Fall der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Unfallfürsorgegesetz 1967 die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sei, während sie etwa beim Ausspruch einer Kündigung oder in Disziplinarsachen für zulässig erklärt werde. Dies stelle einen "Wertungswiderspruch" dar, weil die Entscheidung über Ansprüche aufgrund eines Arbeitsunfalls für den Dienstnehmer von elementarer Wichtigkeit und im Hinblick auf die Folgen für die Ausübung seines Erwerbes mit einer Kündigung oder einem Disziplinarerkenntnis vergleichbar sei. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren sei bei einer Entscheidung über die Gewährung einer Versehrtenrente ein "dreigliedriger Instanzenzug" gewährleistet.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat schon mit Erkenntnis VfSlg. 16.176/2001, S 819, ausgesprochen, dass die Einrichtung des Dienstrechtssenates als Behörde nach Art133 Z4 B-VG, dem in bestimmten Angelegenheiten des Dienstrechts der Beamten der Gemeinde Wien als Berufungsinstanz die nachprüfende Kontrolle anstelle des Verwaltungsgerichtshofes auf dem Gebiet des Dienstrechts übertragen ist, zulässig ist. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Berufungsentscheidung des Dienstrechtssenates nicht mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann, ist daher jedenfalls nicht geeignet, eine Verfassungswidrigkeit des §74a Abs3 DO 1994 darzutun (so auch VfSlg. 17.428/2004).

2. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, dass die belangte Behörde seinen Beweisanträgen willkürlich nicht nachgekommen sei und im Besonderen nicht weitere von ihm beantragte Sachverständigengutachten eingeholt habe.

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Da gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften - aus dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles - keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen und kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.2. Keiner dieser Mängel liegt hier jedoch vor. Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, dass das Ermittlungsverfahren mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet wäre. Insbesondere könnte ein solcher Mangel nicht darin erblickt werden, dass die belangte Behörde - nachdem sie bereits ein weiteres Gutachten eingeholt hatte - auf die Einholung eines vom Beschwerdeführer beantragten "Obergutachtens" verzichtet hat, weil sie - wie im angefochtenen Bescheid auf S 13 für den Verfassungsgerichtshof nachvollziehbar dargelegt - vom Beschwerdeführer behauptete "Widersprüche" zwischen dem Gutachten des erstinstanzlichen Verfahrens und dem von ihr eingeholten Gutachten nicht zu erkennen vermochte.

Aufgrund der insoweit übereinstimmenden Ergebnisse beider Gutachter entspricht auch die entscheidende Feststellung der belangten Behörde, dass das traumatische Ereignis des als Dienstunfall anerkannten Sturzes nicht geeignet gewesen sei, den beim Beschwerdeführer diagnostizierten massiven Bandscheibenvorfall hervorzurufen, den Denkgesetzen. Angesichts dessen kann der Behörde nicht Willkür vorgeworfen werden, wenn sie auf die - mit dieser Feststellung gedanklich nicht vereinbare - Frage, ob der Sturz zu einer "Verfrühung" des Bandscheibenvorfalls geführt hat, nicht weiter eingegangen ist.

3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Das Verfahren hat nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Dienstrecht, Unfallversicherung, Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B1944.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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