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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §13Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tscheließnig, über die Revision des Naturschutzanwalts für Vorarlberg, vertreten durch Mag. Martin Künz und Dr. Karoline Rümmele, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Goethestraße 5, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 31. März 2020, Zl. LVwG-327-11/2019-R18, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde iA naturschutzrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz; mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde B, 2. Gemeinde B, beide vertreten durch Mag. Rainer Stemmer, Rechtsanwalt in 6721 Thüringerberg, Thüringerberg 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 9. April 2019, Zl. BHBL-II-960-155/2017-54 (betreffend Erteilung einer naturschutzbehördlichen Bewilligung an die mitbeteiligten Parteien) zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 9. April 2019 erteilte die belangte Behörde den Gemeinden B und B (den im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Parteien) gemäß §§ 25 Abs. 2, 33 Abs. 1 lit. e), 35 Abs. 2 und 37 des Vorarlberger Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung (GNL) die beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung für die „Erweiterung des Bikeparks B sowie den Ausbau des Trailnetzes in B und B“ unter der Vorschreibung näher bezeichneter Auflagen. Mit Spruchpunkt II. des Bescheides wurde weiters eine forstrechtliche Rodungsbewilligung erteilt.
2 Gegen diesen Bescheid erhob - neben der B.-Gesellschaft (einer anerkannten Umweltorganisation) - der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2019, gestützt auf § 46c Abs. 3 lit. f) iVm § 60a GNL, Beschwerde, die sich in der Sache gegen die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung (Spruchpunkt I.) wendet. Durch das gegenständliche Projekt würden erhebliche Beeinträchtigungen im Lebensraum der geschützten Vogelarten Auerhuhn und Birkhuhn entstehen, die als absichtliche Störung dieser Arten zu qualifizieren seien. Eine artenschutzrechtliche Prüfung nach § 12 Naturschutzverordnung (NSchV) sei nicht durchgeführt worden, obwohl diese zwingend erforderlich gewesen wäre. Keiner der Ausnahmetatbestände des § 12 Abs. 1 NSchV sei erfüllt; eine Ausnahmebewilligung hätte nach Durchführung einer korrekten artenschutzrechtlichen Prüfung daher nicht erteilt werden dürfen.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31. März 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 9. April 2019 gerichteten Beschwerden des Revisionswerbers und der B.-Gesellschaft als unzulässig zurück. Weiters sprach es aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dem Naturschutzanwalt komme gemäß § 46c Abs. 2 lit. f) GNL in Angelegenheiten bezüglich Vorhaben, für die eine artenschutzrechtliche Ausnahmebewilligung erforderlich sei (§ 15 Abs. 5 und 6 GNL), das Recht der Beschwerde (Art. 132 B-VG) beim Verwaltungsgericht zu. Im gegenständlichen Verfahren sei ein Antrag auf naturschutzrechtliche Bewilligung nach §§ 25 und 33 GNL gestellt worden; ein Antrag auf Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung gemäß § 15 Abs. 5 GNL iVm § 12 NSchV sei nicht eingereicht worden. Die Behörde sei an den Antrag im Sinne des eingereichten Projekts gebunden; es sei ihr nicht möglich, ein Verfahren zur Erlassung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung abzuführen. Eine derartige Ausnahmebewilligung sei auch nicht erteilt worden. Dem Revisionswerber komme daher keine Beschwerdelegitimation zu, die Beschwerde sei deshalb ohne weitere Prüfung des inhaltlichen Vorbringens als unzulässig zurückzuweisen.
5 Gegen die („wegen Erteilung einer Bewilligung nach dem GNL“ erfolgte) Zurückweisung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Revisionswerbers. Zur Zulässigkeit wird vorgebracht, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob das in § 46c Abs. 2 lit. f) GNL eingeführte Beschwerderecht des Naturschutzanwalts nur für Fälle gelte, in denen eine artenschutzrechtliche Ausnahmebewilligung explizit beantragt worden sei oder ob die artenschutzrechtlichen Bestimmungen im GNL und der NSchV im naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren stets zu prüfen seien bzw. welche Konsequenzen sich daraus für das Rechtsmittelrecht des Naturschutzanwaltes ergebe.
6 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstatteten die mitbeteiligten Parteien eine Revisionsbeantwortung. Ebenso erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung, auf welche der Revisionswerber replizierte.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
8 Dem angefochtenen Beschluss liegt die Auffassung zu Grunde, die gegen Spruchpunkt I. des Bescheids der belangten Behörde vom 9. April 2019 gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers sei zurückzuweisen, weil nach dem Bewilligungsansuchen der mitbeteiligten Parteien keine Angelegenheit nach § 46c Abs. 2 lit. f) GNL, nämlich kein Vorhaben im Sinne des § 15 Abs. 5 GNL, vorliege. Der Revisionswerber vertritt die gegenteilige Ansicht.
I. Zur Revisionslegitimation des Revisionswerbers
9 § 46c Abs. 2 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl. Nr. 22/1997 idF LGBl. Nr. 67/2019 (GNL), lautet auszugsweise:
„§ 46c
Einzelfallentscheidungen, Beschwerde- und Revisionsrecht
(1) ...
(2) In folgenden Angelegenheiten kommt auch dem Naturschutzanwalt und anerkannten Umweltorganisationen das Recht der Beschwerde (Art. 132 B-VG) gegen Entscheidungen beim Landesverwaltungsgericht und dem Naturschutzanwalt überdies - ausgenommen im Falle der lit. j - das Recht der Revision gegen eine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts (Art. 133 B-VG) beim Verwaltungsgerichtshof zu:
a) ...
f) Vorhaben, für die eine artenschutzrechtliche Ausnahmebewilligung erforderlich ist (§ 15 Abs. 5 und 6), ...
...
j) ...“
10 Die Gesetzeserläuterungen zu der mit Gesetz LGBl. Nr. 67/2019 erfolgten Änderung des § 46c GNL (RV Beilage 87/2019-Teil B: Bericht, S. 18) führen aus:
„Weiters sieht der Entwurf zusätzliche Beschwerderechte von Naturschutzanwalt und anerkannten Umweltorganisationen in Verfahren im Anwendungsbereich von EU-Recht vor (Abs. 2 lit. f bis j):
...
Dem Naturschutzanwalt wird neben den bereits bisherigen Beschwerderechten auch ein Beschwerderecht in den neu hinzugefügten Fällen der lit. f bis j eingeräumt. Der Naturschutzanwalt ist bereits seit vielen Jahren mit der Aufgabe betraut, die Interessen von Natur und Landschaft auch im Rahmen von Verwaltungsverfahren wahrzunehmen und hat sich in dieser Funktion bewährt. Daran soll unabhängig von der Umsetzung der Verpflichtungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Aarhus-Konvention festgehalten werden. Dass dem Naturschutzanwalt über die bisherigen Beschwerderechte hinausgehend auch die Beschwerdemöglichkeit in den nunmehr hinzugekommenen Anwendungsfällen des EU-Rechts (lit. f bis j) zugestanden wird, wird in erster Linie mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Gleichschaltung der Verfahrensrechte von Naturschutzanwalt und anerkannten Umweltorganisationen begründet. ...
Abs. 2 lit. f zielt auf jene Bewilligungsverfahren ab, die sich in Umsetzung von Art. 16 der FFH-Richtlinie (RL 92/43/EWG) und Art. 9 der Vogelschutz-Richtlinie (RL 2009/147/EG) ergeben und derzeit in § 12 der Naturschutzverordnung umgesetzt sind.
...“
11 Gemäß § 46c Abs. 2 GNL kommt dem Naturschutzanwalt (und anerkannten Umweltorganisationen) demnach in den dort in den lit. a) bis i) genannten Angelegenheiten das Recht zu, gegen eine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts beim Verwaltungsgerichtshof Revision zu erheben.
12 Zu den „Angelegenheiten“ des § 46c Abs. 2 GNL gehören auch verfahrensrechtliche Entscheidungen (vgl. VwGH 3.7.2000, 2000/10/0002, zum früheren § 50 Abs. 4 GNL).
13 Im Streit um die Beschwerdelegitimation vor dem Verwaltungsgericht - hier infolge eines Streits um die Zuordnung einer Angelegenheit zu einem der in § 46c Abs. 2 lit. a bis j normierten Tatbestände - besteht für den Naturschutzanwalt jedenfalls das Recht, Revision beim Verwaltungsgerichtshof zu erheben, weil die von ihm behauptete Rechtsverletzung diesbezüglich möglich ist (vgl. zum früheren VwGH-Beschwerderecht des Naturschutzanwalts das zitierte Erkenntnis 2000/10/0002, sowie VwGH 5.4.2004, 2004/10/0048).
14 Die Revisionslegitimation des Revisionswerbers im vorliegenden Fall nach § 46c Abs. 2 GNL ist daher gegeben.
II. Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung; fallbezogene Beurteilung
15 Die Revision wirft aus den vom Revisionswerber genannten Gründen auch eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.
16 Die Revision ist daher zulässig; sie ist auch begründet.
17 Die weiteren im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des GNL lauten:
„III. Hauptstück
Abwehr besonderer Gefahren
1. Abschnitt
Artenschutz und Schutz von Mineralien und Fossilien
§ 15
Allgemeines
(1) Wildwachsende Pflanzen einschließlich ihrer Lebensräume dürfen nicht mutwillig beschädigt oder vernichtet werden.
(2) Freilebende Tiere in allen ihren Entwicklungsformen dürfen nicht mutwillig beunruhigt, verfolgt, gefangen genommen, verletzt oder getötet werden. Die Ausübung der Jagd und der Fischerei bleiben von dieser Bestimmung unberührt.
(3) Seltene Mineralien und Fossilien dürfen nicht mutwillig zerstört oder beschädigt werden. Das Sammeln von Mineralien und Fossilien unter Verwendung technischer Hilfsmittel, Sprengmittel oder sonstiger chemischer Hilfsmittel ist verboten. Strengere Bestimmungen für Schutzgebiete, Biosphärenparks, Naturparks, Naturdenkmale oder Höhlen gemäß §§ 26 bis 30 bleiben unberührt.
(4) Die Landesregierung kann durch Verordnung unter Berücksichtigung von Rechtsakten im Rahmen der Europäischen Union die zur Erhaltung seltener oder bedrohter Arten sowie von Mineralien erforderlichen Schutzmaßnahmen näher umschreiben. Darin kann auch angeordnet werden, dass bestimmte Maßnahmen zum Schutz des Lebensraumes von Tieren und Pflanzen zu setzen oder zu unterlassen sind, wie etwa Bestimmungen über das Abbrennen der Bodendecke, von Hecken und Gebüsch, oder über die Vornahme von Düngungen im Bereich von besonders schutzwürdigen Waldrändern und Hecken, und können zeitliche Beschränkungen festgesetzt werden.
(5) In einer Verordnung nach Abs. 4 kann festgelegt werden, dass bestimmte Maßnahmen zum Schutz von Tieren und Pflanzen und deren Lebensraum einer Bewilligung der Behörde bedürfen; insbesondere kann die Behörde ermächtigt werden, unter bestimmten Voraussetzungen mit Bescheid eine Ausnahme von den Vorschriften nach Abs. 1, 2 und 4 im Hinblick auf eine nach Art. 12 oder 13 der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (‚FFH-Richtlinie‘) oder nach Art. 5 oder 6 der Richtlinie 2009/147/EG über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (‚Vogelschutzrichtlinie‘) geschützte Art zu bewilligen, soweit dies mit Art. 16 der FFH-Richtlinie bzw. Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie vereinbar ist. In der Verordnung ist zu berücksichtigen, dass die Ausnahmen dem ins Landesrecht umzusetzenden Recht der Europäischen Union nicht widersprechen dürfen.
(6) ...
§ 25
Schutz von Auwäldern, Feuchtgebieten, Quellen und Magerwiesen
(1) Im Bereich von Auwäldern und Mooren, soweit diese nicht landwirtschaftlich genutzt sind, bedürfen Geländeveränderungen, nachhaltige Eingriffe in die gewachsene Bodenstruktur, Entwässerungen und andere den Lebensraum von Tieren und Pflanzen gefährdende Maßnahmen einer Bewilligung.
(2) Im Bereich von landwirtschaftlich genutzten Mooren und Magerwiesen feuchter und trockener Prägung, soweit sie größer als 100 m² sind, bedürfen die Vornahme von Kulturumwandlungen und Geländeveränderungen, nachhaltige Eingriffe in die gewachsene Bodenstruktur, Entwässerungen und Aufforstungen einer Bewilligung.
...
§ 33
Bewilligungspflichtige Vorhaben
(1) Einer Bewilligung der Behörde bedürfen - unbeschadet anderer Bewilligungspflichten nach Vorschriften dieses Gesetzes - die Errichtung und die im Hinblick auf die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung wesentliche Änderung von
...
e) Sportstätten einschließlich ihrer Nebenanlagen wie Parkplätze oder dgl. mit einer nachhaltigen Veränderung des Bodens im Ausmaß von über 2000 m², Anlagen für Schipisten, Klettersteige, Klettergärten, Hochseilgärten und Seilrutschen außerhalb bebauter Gebiete
IV. Hauptstück
Verfahren, Beteiligung und Organisation
§ 34
Antrag
(1) Die Erteilung einer Bewilligung oder eine Feststellung nach diesem Gesetz ist bei der Behörde schriftlich zu beantragen. Der Antrag hat Art, Lage und Umfang des Vorhabens anzugeben. ...
...
§ 35
Bewilligung
(1) Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn, allenfalls durch die Erteilung von Auflagen, Bedingungen oder Befristungen, gewährleistet ist, dass eine Verletzung der Interessen der Natur oder Landschaft, vor allem im Hinblick auf die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung, nicht erfolgen wird.
(2) Wenn trotz Erteilung von Auflagen, Bedingungen oder Befristungen eine Verletzung der Interessen von Natur oder Landschaft im Sinne des Abs. 1 erfolgen wird, darf die Bewilligung nur dann erteilt werden, wenn eine Gegenüberstellung der sich aus der Durchführung des Vorhabens ergebenden Vorteile für das Gemeinwohl mit den entstehenden Nachteilen für die Natur oder Landschaft ergibt, dass die Vorteile für das Gemeinwohl, allenfalls unter Erteilung von Auflagen, Bedingungen oder Befristungen, überwiegen und dem Antragsteller keine zumutbaren, die Natur oder Landschaft weniger beeinträchtigenden Alternativen zur Verfügung stehen.
...
(5) In Verordnungen nach den §§ 15, 16 und 26 bis 30 dieses Gesetzes können, soweit dies zur Erreichung des Schutzzweckes, insbesondere auch zur Umsetzung des Rechts der Europäischen Union, erforderlich ist, auch strengere als in den vorangegangenen Absätzen enthaltene Voraussetzungen für die Erteilung von Bewilligungen aufgenommen werden. Diese sowie strengere Bewilligungsvoraussetzungen, die sich unmittelbar aus anderen Bestimmungen dieses Gesetzes ergeben, sind zu beachten.
...
§ 37
Befristungen, Auflagen und Bedingungen
(1) Eine Bewilligung ist befristet, mit Auflagen oder unter Bedingungen zu erteilen, soweit dies erforderlich ist, um Beeinträchtigungen von Natur oder Landschaft zu vermeiden oder auf ein möglichst geringes Ausmaß zu beschränken. Als Auflage kann erforderlichenfalls auch eine fachlich geeignete ökologische Bauaufsicht vorgeschrieben werden.
(2) Auflagen und Bedingungen können sich auch auf den Betrieb des ausgeführten Vorhabens oder auf die Ausübung von Tätigkeiten, zu deren Zweck das Vorhaben bewilligt wurde, beziehen. Auflagen und Bedingungen können auch im Interesse der Sicherheit und Gesundheit von Menschen erteilt werden, soweit für diesen Zweck nicht andere Rechtsvorschriften Anwendung finden.
(3) Auflagen und Bedingungen nach Abs. 1 können auch in der Vorschreibung ökologischer Ausgleichsmaßnahmen wie Ersatzlebensräumen bestehen. Solche Ausgleichsmaßnahmen sind jedenfalls bei einem Vorhaben vorzuschreiben, das in den Anwendungsbereich eines Rechtsaktes im Rahmen der Europäischen Union, insbesondere der FFH-Richtlinie oder der Vogelschutzrichtlinie, fällt und das trotz zu erwartender Beeinträchtigung im Hinblick auf die Erhaltungsziele ausnahmsweise bewilligt werden soll. Ist die Vorschreibung eines Ersatzlebensraumes nicht möglich, kann - abgesehen von den Fällen des vorangehenden Satzes - die Auflage auch in der Entrichtung einer Geldsumme für die Schaffung von Ersatzlebensräumen durch das Land bestehen. Die Höhe der Ausgleichssumme ist entsprechend den voraussichtlichen Kosten für die Schaffung eines geeigneten Ersatzlebensraumes für den aufgrund der Bewilligung zerstörten Natur- oder Landschaftsraum festzusetzen.
(4) Die Behörde kann, wenn dies dem Interesse von Natur oder Landschaft besser entspricht als die Setzung hoheitlicher Maßnahmen und dem Interesse der Einfachheit, Raschheit und Kostenersparnis nicht widerspricht, mit dem Antragsteller vertragliche Vereinbarungen über die Erfüllung von Auflagen zur Schaffung von Ersatzlebensräumen schließen.
...
§ 46b
Einzelfallentscheidungen, Beteiligung im Verwaltungsverfahren
(1) ...
(2) Der Naturschutzanwalt ist an allen Verfahren nach diesem Gesetz, mit Ausnahme jener nach dem V. Hauptstück, der Feststellungsverfahren nach § 26a Abs. 5 sowie unbeschadet der Abweichungen nach den §§ 15 Abs. 6 und 41 Abs. 3, zu beteiligen. Er hat das Recht auf Akteneinsicht im Umfang des § 17 AVG, auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung sowie auf Erstattung von Stellungnahmen. Ihm ist auch Gelegenheit zu geben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme innerhalb einer Frist von vier Wochen Stellung zu nehmen. In den Stellungnahmen kann er die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes zur Wahrung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung geltend machen. Die abgegebenen Stellungnahmen sind bei der Entscheidung in angemessener Weise zu berücksichtigen. Schriftlich erlassene Bescheide sind ihm zuzustellen. Hinsichtlich der Zustellung schriftlicher Ausfertigungen mündlich verkündeter Bescheide an den Naturschutzanwalt gilt § 62 Abs. 3 AVG sinngemäß.
...
§ 60a
Übergangsbestimmung zur Novelle LGBl.Nr. 67/2019
Der Naturschutzanwalt und eine anerkannte Umweltorganisation (§ 46b Abs. 5) sind berechtigt, gegen Bescheide gemäß § 46c Abs. 2 lit. f bis i, die nach dem 20. Dezember 2017 in Rechtskraft erwuchsen oder zu diesem Zeitpunkt bereits erlassen worden waren und noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind, zur Wahrung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht (Art. 132 B-VG) zu erheben. Die Beschwerde ist binnen sechs Wochen ab dem Inkrafttreten der Novelle einzureichen und hat keine aufschiebende Wirkung. Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle bis zum Ende der Beschwerdefrist ist einer anerkannten Umweltorganisation Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren.“
18 Die maßgeblichen Bestimmungen der Naturschutzverordnung, LGBl. Nr. 8/1998 idF LGBl. Nr. 76/2009 (NSchV), lauten auszugsweise:
„§ 7
Geschützte Vögel
(1) Alle Arten von frei lebenden Vögeln sind, soweit sich aus dem Abs. 2 nichts anderes ergibt, nach dem 1. Abschnitt dieser Verordnung geschützt.
(2) ...
(3) Es ist verboten,
a) geschützte Vögel absichtlich zu beunruhigen, absichtlich zu verfolgen, absichtlich zu fangen oder absichtlich zu töten,
...
§ 12
Ausnahmen
(1) Hinsichtlich frei lebender geschützter Vögel können von der Bezirkshauptmannschaft von den Vorschriften dieses Abschnittes Ausnahmen aus nachstehenden Gründen zugelassen werden, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt:
a) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit,
b) im Interesse der Sicherheit der Luftfahrt,
c) zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischereigebieten und Gewässern,
d) zum Schutz der Pflanzen- und Tierwelt,
e) zu Forschungs- und Unterrichtszwecken, zur Aufstockung der Bestände, zur Wiederansiedlung und zur Aufzucht im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen,
f) um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen.
...
(4) Ausnahmen gemäß Abs. 1 und Abs. 2 sind auf höchstens drei Jahre zu befristen.
(5) ...“
19 Im vorliegenden Fall haben die mitbeteiligten Parteien als Projektwerberinnen mit Eingabe vom 23. März 2018 unter Vorlage von Plan- und Beschreibungsunterlagen bei der belangten Behörde um die naturschutzrechtliche Bewilligung für das Projekt „Erweiterung des Bikeparks B und Ausbau des Trailnetzes“ angesucht.
20 Dem in Revision gezogenen Beschluss des Verwaltungsgerichts liegt die Auffassung zu Grunde, dass Gegenstand des vorliegenden naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahrens lediglich die Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen nach den §§ 25 und 33 GNL sei, weil die mitbeteiligten Parteien als Projektwerberinnen keinen (expliziten) Antrag auf Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung nach § 15 Abs. 5 GNL gestellt hätten. Die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 15 Abs. 5 GNL iVm § 7 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 NSchV sei daher nicht verfahrensgegenständlich gewesen, weshalb der Naturschutzanwalt auch nicht gemäß § 46c Abs. 2 lit. f) GNL beschwerdeberechtigt sei.
21 Diese Auffassung erweist sich als verfehlt.
22 Vorausgeschickt sei, dass die Einbringung der gegenständlichen Beschwerde durch den Revisionswerber nach der Übergangsbestimmung des § 60a GNL fristgerecht erfolgte.
23 „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der belangten Behörde gebildet hat. Dabei bestimmt der Antrag grundsätzlich den Umfang der Sache (vgl. VwGH 5.10.2021, Ra 2020/10/0134, mwN).
24 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an; Parteierklärungen und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Dabei kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. etwa VwGH 2.10.2019, Ra 2019/12/0040, mwN).
25 Der verfahrenseinleitende Antrag (im Sinne des § 34 Abs. 1 GNL) der Gemeinden war auf Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für das erwähnte Projekt gerichtet. „Sache“ des Verfahrens war somit die Bewilligungsfähigkeit dieses Vorhabens nach Maßgabe der Vorschriften des GNL. Danach war die belangte Behörde verpflichtet, (von Amts wegen) das Vorliegen sämtlicher Bewilligungsvoraussetzungen, sohin gegebenenfalls auch das Vorliegen der Erfordernisse für die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung nach § 15 Abs. 5 GNL iVm § 12 NaturschutzVO, zu prüfen. Dies erhellt insbesondere auch aus den Bestimmungen des § 35 Abs. 5 und 37 Abs. 3 GNL, aus denen sich ergibt, dass ua. auch die in § 15 leg. cit. geregelten Ausnahmebewilligungen lediglich einen Fall der im GNL vorgesehenen „Bewilligung“ darstellen (für die insbesondere die Bestimmungen des IV. Hauptstückes „Verfahren, Beteiligung und Organisation“ gelten). Aus dem System der Bewilligungsvoraussetzungen ergibt sich sohin, dass über den Bewilligungsantrag des Projektwerbers eine (einheitliche) Entscheidung zu ergehen hat, die auf die Bewilligungsvoraussetzungen nach allen in Betracht kommenden gesetzlichen Tatbeständen kumulativ Bedacht nimmt (vgl. VwGH 1.3.2021, Ra 2019/10/0164, mit Hinweis auf VwSlg. 16.335 A, Pkt. 26.2.2., jeweils zum Nö NSchG 2000). Dass die antragstellenden mitbeteiligten Parteien nicht ausdrücklich um Erteilung einer (allenfalls) erforderlichen artenschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung angesucht haben, ändert am solcherart definierten - weiten - Verfahrensgegenstand nichts.
26 § 46c Abs. 2 lit. f) GNL räumt dem Revisionswerber aber - wie erwähnt - das Recht zur Erhebung einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht (sowie in weiterer Folge das Revisionsrecht) hinsichtlich jener Vorhaben ein, für die eine artenschutzrechtliche Ausnahmebewilligung nach § 15 Abs. 5 und 6 GNL erforderlich ist.
27 Dem Beschwerderecht des Revisionswerbers unterliegt damit nicht nur die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmebewilligung nach § 15 Abs. 5 oder 6 GNL.
28 Der Revisionswerber ist auf der Grundlage des § 46c Abs. 2 lit. f) GNL gegebenenfalls auch berechtigt, die von der Behörde der Bewilligungserteilung (nach § 35 GNL) - implizit oder explizit - zugrunde gelegte Auffassung, dass kein ausnahmebewilligungspflichtiges „Vorhaben“ vorliege, zu bekämpfen.
29 Das Verwaltungsgericht wäre daher im vorliegenden Fall verpflichtet gewesen, die Frage, ob das gegenständliche Projekt allenfalls dem Tatbestand des § 15 Abs. 5 GNL zuzuordnen ist, zu prüfen und dazu entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl. die Vorgangsweise der Berufungsbehörde im zitierten Erkenntnis 2000/10/0002). Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdelegitimation des Revisionswerbers sei von der Formulierung des Bewilligungsantrags abhängig, greift zu kurz.
30 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, hat es den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
31 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
32 Für das weitere Verfahren sei das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Prüfung von Ausnahmetatbeständen im Sinne der VogelschutzRL bereits klargestellt hat, dass eine Beurteilung am Maßstab der Ausnahmebestimmungen lediglich dann nicht zu erfolgen hat, wenn die Verwirklichung der Verbotstatbestände verneint wird (vgl. VwGH 15.10.2020, Ro 2019/04/0021 ua., Rz 510).
Wien, am 14. Jänner 2022
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Inhalt des Spruches Diverses Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen RechtspersönlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020100082.L00Im RIS seit
24.02.2022Zuletzt aktualisiert am
24.02.2022