TE Vwgh Beschluss 2022/1/18 Ra 2021/11/0110

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Veröffentlicht am 18.01.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
LSD-BG 2016 §22 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Amtes für Betrugsbekämpfung in 4400 Steyr, Handel-Mazzetti-Promenade 14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 18. März 2021, Zl. LVwG-302902/4/KI/CG, betreffend Übertretung des LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Steyr; mitbeteiligte Partei: A B in W (Deutschland)), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 23. November 2020 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als gemäß § 9 VStG nach außen vertretungsbefugtes Organ der A GmbH mit Sitz in Deutschland zu verantworten, dass diese als Arbeitgeberin von zwei näher genannten entsandten Arbeitnehmern bei der Kontrolle am 26. Mai 2020 durch das Finanzamt näher bezeichnete Lohnunterlagen nicht bereitgehalten habe. Dadurch habe der Mitbeteiligte § 22 Abs. 1 LSD-BG verletzt, weswegen über ihn gemäß § 28 Z 1 LSD-BG eine Geldstrafe in Höhe von € 1.500,00 verhängt wurde.

2        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, behob das genannte Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

3        Zusammengefasst führte das Verwaltungsgericht aus, sowohl das revisionswerbende Amt als auch die belangte Behörde seien in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 23. Juli 2020 sowie im Straferkenntnis vom 23. November 2020 davon ausgegangen, dass die Lohnunterlagen „nicht bereitgehalten“ worden seien. Dass auch die alternative Möglichkeit des § 22 Abs. 1 LSD-BG, nämlich die Lohnunterlagen „unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich zu machen“, vom Mitbeteiligten nicht gewährleistet worden sei, sei diesem nicht angelastet worden. Die belangte Behörde sei von der Bereithaltung der Lohnunterlagen in Papierform ausgegangen. Auch wenn die Finanzpolizei anlässlich der Kontrolle am 26. Mai 2020 den Mitbeteiligten zur Vorlage der Lohnunterlagen aufgefordert habe, sei daraus nicht die Zugänglichmachung in elektronischer Form ersichtlich. Da innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist kein entsprechender Tatvorwurf gemacht worden sei, „der Beschwerdeführer aber darauf hinwies, dass jederzeit ein Vorweisen in elektronischer Form durch die Arbeiter möglich gewesen wäre“, sei das Straferkenntnis aufzuheben und das Verfahren einzustellen gewesen.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet, jedoch keinen Kostenersatz beantragt hat.

5        Die Revisionslegitimation des Amtes für Betrugsbekämpfung ergibt sich aus § 8 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über die Schaffung eines Amtes für Betrugsbekämpfung (ABBG), BGBl. I Nr. 104/2019, demzufolge die gesetzlich eingeräumte Parteistellung der Abgabenbehörde mit 1. Jänner 2021 auf das Amt für Betrugsbekämpfung übergegangen ist, und zwar für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängigen Verwaltungs- und Verwaltungsstrafverfahren.

6        Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG), BGBl. I Nr. 44/2016, in der zum angelasteten Tatzeitpunkt geltenden Fassung, BGBl. I Nr. 64/2017, lautete auszugsweise (Hervorhebungen nicht im Original):

„§ 22. (1) Arbeitgeber im Sinne der §§ 3 Abs. 2, 8 Abs. 1 oder 19 Abs. 1 haben während der Dauer der Beschäftigung (im Inland) oder des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 19 Abs. 3 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel im Sinne der Richtlinie 91/533 des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache, ausgenommen den Arbeitsvertrag, am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten oder diese den Abgabebehörden oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich zu machen, auch wenn die Beschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers in Österreich früher geendet hat. Der Arbeitsvertrag ist entweder in deutscher oder in englischer Sprache bereitzuhalten. Bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten sind die Lohnunterlagen am ersten Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten oder in elektronischer Form zugänglich zu machen. Ein Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsendet, gilt in Bezug auf die Verpflichtung nach dieser Bestimmung als Arbeitgeber. § 21 Abs. 2 findet sinngemäß Anwendung.

...

§ 28. Wer als

1.   Arbeitgeber entgegen § 22 Abs. 1 oder Abs. 1a die Lohnunterlagen nicht bereithält, ...

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde ... zu bestrafen.“

7        Soweit das revisionswerbende Amt die Ansicht vertritt, ein Mangel bezüglich der Tatanlastung liege nicht vor, übersieht es, dass der hier maßgebliche § 22 Abs. 1 LSD-BG (idF BGBl. I Nr. 64/2017) als Alternative zur physischen Bereithaltung der Lohnunterlagen am Arbeits(Einsatz)ort die Möglichkeit einräumt, diese den Abgabebehörden unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich zu machen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1589 BlgNR 25. GP, 2) heißt es dazu:

„Zu denken ist dabei an eine unmittelbare visuelle Zugänglich-Machung via elektronischer Geräte des Arbeitgebers (etwa Laptop, Tablet). Der Hinweis, dass diese Daten sich auf einem Server im Ausland befinden - ohne gleichzeitige Zugriffsmöglichkeit vom Arbeitsort aus - genügt nicht.

Wesentlich ist jedenfalls, dass den Organen der Abgabenbehörden die Verifizierung der Echtheit dieser Dokumente im Augenblick der Lohnkontrolle möglich ist bzw. die Unterlagen auf Verlangen dann auch den Kontrollbehörden übermittelt werden können ...“

8        Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der elektronischen Form der Zugänglichmachung erlaubt nach der hg. Judikatur keine im Gegensatz zur physischen Bereithaltung der Unterlagen zeitliche Verzögerung der Einsichtnahme durch die Kontrollbehörde, sondern regelt ausschließlich die technische Form der Bereithaltung der Unterlagen (vgl. VwGH 8.3.2021, Ra 2019/11/0027 bis 0028).

9        Das Verwaltungsgericht kann seine im angefochtenen Erkenntnis vertretene Rechtsansicht, dass innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist kein entsprechender Tatvorwurf getätigt wurde, auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen. Danach sind an Verfolgungshandlungen im Sinn des § 32 Abs. 2 VStG hinsichtlich der Umschreibung der angelasteten Tat die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Tatumschreibung im Spruch des Straferkenntnisses nach § 44a Z 1 VStG (vgl. etwa VwGH 5.12.2017, Ra 2017/02/0186 bis 0195, mwN).

10       Eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG hat sich auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinn des § 44a Z 2 VStG zu beziehen; die (korrekte) rechtliche Qualifikation der Tat ist hingegen nicht erforderlich (vgl. VwGH 13.7.2020, Ra 2018/11/0167 bis 0168, mwN).

11       Im Revisionsfall wurde dem Mitbeteiligten weder in der Aufforderung zur Rechtfertigung noch im Straferkenntnis angelastet, dass die Lohnunterlagen nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht worden seien. Dieses wesentliche Tatbestandselement des § 22 Abs. 1 LSD-BG wurde weder genannt noch durch entsprechende Sachverhaltselemente umschrieben. Im Gegenteil wurde in der Aufforderung zur Rechtfertigung nur vorgehalten, die erforderlichen Lohnunterlagen nicht bereitgehalten zu haben. Dieser Tatvorwurf umfasste nach den bisherigen Ausführungen nicht auch den Vorwurf, die Unterlagen seien nicht elektronisch bereitgehalten worden. Es ist somit nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Aufforderung, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten, von der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre.

12       In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 18. Jänner 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110110.L00

Im RIS seit

24.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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