TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/31 Ra 2021/01/0322

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Veröffentlicht am 31.01.2022
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Index

E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
19/05 Menschenrechte
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art18 Abs1
MRK Art8
StbG 1985 §10 Abs1
StbG 1985 §10 Abs6
StbG 1985 §27
StbG 1985 §27 Abs1
StbG 1985 §28
StbG 1985 §28 Abs1 Z1
StbG 1985 §28 Abs2
StbG 1985 §34
StbG 1985 §58c
StbG 1985 §58c Abs1
StbG 1985 §58c Abs1a
StbG 1985 §58c Abs1b
StbG 1985 §7
StbGNov 1998
VwRallg
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des T H in N, vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Karlsplatz 3/1, gegen das am 5. Jänner 2021 mündlich verkündete und am 27. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW-152/065/10876/2020-11, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache der Antrag des Revisionswerbers, eines österreichischen Staatsbürgers und israelischen Staatsangehörigen, auf Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbes der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit abgewiesen (I.) und eine Revision für unzulässig erklärt (II.).

2        Begründend stellte das Verwaltungsgericht zunächst im Wesentlichen fest, der Revisionswerber sei Nachkomme (Enkelsohn) in direkter absteigender Linie seines Großvaters L H, welcher österreichischer Staatsbürger und Jude gewesen sei. Seine Familie sei im Frühjahr 1938 gezwungen gewesen, ihre Heimatgemeinde D zu verlassen und nach W zu übersiedeln. Im März 1939 sei die Familie schließlich nach (gemeint: dem heutigen) Israel geflohen. Am 13. Juni 1994 habe der Großvater des Revisionswerbers die österreichische Staatsbürgerschaft durch Anzeige gemäß § 58c Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) wieder erworben.

3        Die Mutter des Revisionswerbers, geboren am X.X. 1966, habe nach ihrem ehelichen Vater, dem genannten Großvater des Revisionswerbers, mit Geburt kraft Abstammung die österreichische Staatsbürgerschaft erworben.

4        Der Revisionswerber sei am X.X. 1996 in Israel geboren. Er sei mit Geburt kraft Abstammung israelischer und österreichischer Staatsbürger. Der Revisionswerber lebe seit 2012 mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten von Amerika, sei im Besitz einer Green Card und beabsichtige, die US-amerikanische Staatsbürgerschaft zu erwerben, weshalb er am 1. April 2020 bei der belangten Behörde die Genehmigung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 28 StbG beantragt habe.

5        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe des § 28 StbG fallbezogen und mit näherer Begründung aus, es sei „nicht mal“ behauptet worden, dass der Revisionswerber „Leistungen“ im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG erbracht habe oder solche von ihm noch zu erwarten seien.

6        Der Revisionswerber habe auch keine „besonders berücksichtigungswürdigen Gründe“ nach § 28 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall nachzuweisen vermocht. In beiden Fällen müsse die Beibehaltung im Interesse der Republik, nicht bloß des Betroffenen selbst liegen. Zum Begriff des Interesses der Republik sei vom Bundesministerium für Inneres ein Kriterienkatalog erarbeitet worden.

7        Dem alleinigen Argument, „besonders berücksichtigungswürdige Gründe“ lägen im Fall des Revisionswerbers „in § 58c Abs. 1a StbG idF BGBl. I Nr. 96/2019“, könne vom Verwaltungsgericht nicht gefolgt werden, zumal die Beweggründe des Gesetzgebers bei der Normierung des § 28 bzw. des § 58c Abs. 1a StbG „komplett unterschiedlich“ gewesen und die Regelungsinhalte nicht zu vergleichen seien. Es sei nicht Intention des Gesetzgebers im Zuge der jüngst erfolgten Novellierung und Ergänzung des § 58c StbG gewesen, Sachverhalte, wie „hier vom“ Revisionswerber aufgezeigt, im bestehenden § 28 StbG als Tatbestand neu zu erfassen und zu subsumieren.

8        Auch ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund nach § 28 Abs. 2 StbG liege nicht vor, da der Revisionswerber keine konkreten Gründe vorgebracht habe, die „extreme Beeinträchtigungen seines Privat- und Familienlebens“ im Falle der Nichtannahme der US-Staatsbürgerschaft bzw. im Falle des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft nach sich ziehen würden. Dass der Revisionswerber Nachkomme eines Opfers des NSDAP-Regimes sei, habe nicht als tauglicher Grund gewertet werden können.

9        Die Nichtzulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht textbausteinartig.

Verfahren vor dem VfGH und VwGH

10       Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 22. Juni 2021, E 675/2021-5, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

11       Begründend führte der VfGH aus:

„Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht Wien § 28 StbG in jeder Hinsicht richtig angewendet hat, nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als eine verfassungswidrige Auslegung der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften durch das angefochtene Erkenntnis behauptet wird, lässt ihr Vorbringen die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es wäre dem Gesetzgeber im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht entgegenzutreten, wenn er die in § 58c Abs. 1a StbG vorgesehene Privilegierung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht auch für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft (§ 28 StbG) vorsehen würde, handelt es sich doch jeweils um unterschiedliche Ausgangskonstellationen.“

12       Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

13       Die belangte Behörde erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens trotz Aufforderung keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

14       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle bisher an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Interesse der Republik“ im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG oder ein „im Privat- und Familienleben des Antragstellers gelegener für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG darin liege, dass jene Person, die einen Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG stelle, ein Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person sei, die gemäß § 58c Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft erworben habe oder erwerben hätte können (sogenannte „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“). Das Zusammenspiel von § 58c StbG und § 28 StbG und die Auslegung von § 28 StbG im Hinblick auf den neu geschaffenen § 58c Abs. 1a StbG seien bisher noch nicht vom Verwaltungsgerichtshof beurteilt worden.

15       Begründend führt die Revision zu dieser Rechtsfrage näher aus, nach Auffassung des Revisionswerbers lägen in seinem Fall ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ im Interesse der Republik im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 1 StbG sowie ein in seinem Privat- oder Familienleben gelegener „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG vor. Der Revisionswerber sei ein Nachkomme in direkter absteigender Linie einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“ und dürfe als solcher mehrere fremde Staatsbürgerschaften neben seiner österreichischen Staatsbürgerschaft innehaben, womit es auf den Hinzuerwerb einer weiteren fremden Staatsbürgerschaft aus österreichischer Sicht nicht mehr ankomme.

16       § 58c StbG idF BGBl. I Nr. 96/2019 sei geschaffen worden, weil sich Österreich zu seiner Verantwortung für die Verbrechen während der NS-Zeit bekenne und alle Vertriebenen und ihre Nachkommen „nach Hause holen“ gewollt habe (Verweis auf die Gesetzesmaterialien IA 536/A 26. GP). Der Gesetzgeber habe mit der Novellierung des § 58c StbG aus Gründen der Wiedergutmachung für die Verbrechen des NS-Regimes, der Versöhnung und Verständigung zukünftiger Generationen sowie der historischen Verantwortung Österreichs (Verweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 58c StbG) den Nachkommen von NS-Opfern die österreichische Staatsbürgerschaft sichern wollen, wobei dieser Personengruppe Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaften im Unterschied zu anderen Österreichern ausnahmsweise und explizit erlaubt worden seien. Die genannten Motive belegten das Interesse der Republik Österreich daran, Nachkommen von NS-Opfern hinsichtlich der österreichischen Staatsbürgerschaft zu privilegieren und ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft trotz Besitzes fremder Staatsangehörigkeiten zu erlauben.

17       Letztlich könne die Ablehnung des Beibehaltungsantrages des Revisionswerbers nicht verhindern, dass dieser die österreichische Staatsbürgerschaft neben der israelischen und der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft innehaben werde. Sollte der Revisionswerber die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen und damit ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren, könne er jederzeit ein Anzeigeverfahren nach § 58c Abs. 1a StbG durchlaufen, um die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu erwerben. Auch die Vermeidung von unnötigen Verwaltungsverfahren liege zur Ressourcenschonung im Interesse der Republik. Es bringe keinen Mehrwert, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren solle (weil ihm die beantragte Bewilligung der Beibehaltung nicht erteilt werde), um anschließend nach dem Erwerb der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft ein Anzeigeverfahren nach § 58c Abs. 1a StbG zu durchlaufen, in dem er die österreichische Staatsbürgerschaft wieder erwerbe.

18       Die Rechtsfrage sei von grundsätzlicher Bedeutung und gehe über den Einzelfall des Revisionswerbers hinaus. Sie betreffe grundsätzlich die Auslegung des § 28 StbG und sei für alle österreichischen Staatsbürger relevant, die Nachkommen von „§ 58c Abs. 1 StbG-Personen“ seien und die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs einer weiteren fremden Staatsangehörigkeit beantragen möchten.

19       Die Revision erweist sich schon im Hinblick auf die fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 58c StbG als zulässig.

Rechtslage

20       Die vorliegend maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 - StbG), BGBl. Nr. 311/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 146/2020, lauten (auszugsweise):

§ 28. (1) Einem Staatsbürger ist für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn

1.   sie wegen der von ihm bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik liegt, und - soweit Gegenseitigkeit besteht - der fremde Staat, dessen Staatsangehörigkeit er anstrebt, der Beibehaltung zustimmt sowie die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 sinngemäß erfüllt sind, oder

2.   es im Fall von Minderjährigen dem Kindeswohl entspricht.

(2) Dasselbe gilt für Staatsbürger, wenn sie die Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben haben und in ihrem Privat- und Familienleben ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt.

...

§ 58c. (1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.

(1a) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt und durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachweist, dass er Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß Abs. 1 die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können. Die Abs. 2 und 3 gelten sinngemäß.

(1b) Als Nachkommen gemäß Abs. 1a gelten auch Wahlkinder, die als Minderjährige an Kindesstatt angenommen wurden.

(2) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 vor, so hat die Behörde mit schriftlichem Bescheid festzustellen, daß der Einschreiter die Staatsbürgerschaft mit dem Tag des Einlangens der Anzeige bei der Behörde (§ 39) wiedererworben hat.

...“

Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 StbG

21       Zunächst ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 StbG hinzuweisen:

22       § 28 StbG normiert drei Tatbestände für die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft. Nach § 28 Abs. 1 Z 1 StbG muss die Beibehaltung wegen der bereits erbrachten oder noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem anderen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik und nicht bloß des Betroffenen selbst liegen. Der durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 geschaffene Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG wiederum soll Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglichen, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt, um extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben.

Ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ (nach § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StbG) ist auch dann gegeben, wenn der gesetzlich angeordnete Verlust der Staatsbürgerschaft eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens und damit einen Verstoß gegen die Verpflichtung der Republik Österreich zur Gewährleistung dieses Konventionsrechts bedeuten würde (vgl. zu allem VwGH 29.1.2021, Ra 2021/01/0002, sowie VwGH 15.3.2021, Ra 2021/01/0051, mwN und Hinweis auf die gebotene verfassungskonforme Auslegung des § 28 Abs. 2 StbG nach VfGH 17.6.2019, E 1832/2019 = VfSlg. 20.330).

23       Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 28 StbG auch darauf hingewiesen, dass dem österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht die Ordnungsvorstellung zugrunde liegt, mehrfache Staatsangehörigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. nochmals VwGH 29.1.2021, Ra 2021/01/0002, mwN).

24       In der vorliegenden Rechtssache stellt sich die grundsätzliche Rechtsfrage, ob diese Ordnungsvorstellung betreffend Nachkommen von sogenannten „§ 58c Abs. 1 StbG-Personen“ uneingeschränkt angenommen werden muss oder ob der Gesetzgeber in diesen Fallkonstellationen - wie von der Revision vorgebracht - die Beibehaltung mehrfacher Staatsangehörigkeiten zugelassen hat.

Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 58c StbG

25       § 58c StbG erlangte seinen seit dem 1. September 2020 - und somit auch bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - geltenden Inhalt durch das Staatsbürgerschaftsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 96/2019 (die erst mit 28. Juli 2021 in Kraft getretene - und somit für die vorliegende Rechtssache nicht maßgebliche - Änderung des § 58c StbG durch die Novelle BGBl. I Nr. 162/2021 betraf allein die Bezeichnung „Deutsches Reich“ statt wie bisher „Drittes Reich“; vgl. dazu auch die ErlRV 854 BlgNR 27. GP 3).

26       Wesentlicher Inhalt des § 58c Abs. 1 leg. cit. ist, soweit vorliegend maßgeblich, dass Personen, die auf Grund von nationalsozialistischer Verfolgung aus Österreich fliehen mussten, die Staatsbürgerschaft durch bloße Anzeige wiedererlangen können (vgl. Peyrl in Ecker/Kind/Kvasina/Peyrl, StbG 1985 [2017] 700 Rz 1 zu § 58c; vgl. dazu und zur zweiten anspruchsberechtigten Personengruppe nach Abs. 1 leg. cit., nämlich jenen Menschen, die wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt waren oder solche zu befürchten hatten, Plunger in Plunger/Esztegar/Eberwein, Kommentar zum StbG [2017] 469 Rz 3 zu § 58c). Neben diesen Personen werden auch Nachkommen dieser „§ 58c Abs. 1 StbG-Personen“ in direkter absteigender Linie von dieser Bestimmung erfasst (Abs. 1a und 1b leg. cit.).

27       Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft erfolgt gemäß § 58c Abs. 2 StbG mit dem Tag des Einlangens der Anzeige bei der Behörde, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, was durch die Behörde mit schriftlichem Bescheid festzustellen ist.

28       Wie sich aus den Materialien zu § 58c leg. cit. ergibt, wollte der Gesetzgeber die besondere Situation der Nachkommen von Vertriebenen berücksichtigen:

„Die von der HistorikerInnenkommission der Republik Österreich hervorgehobene besondere Situation der Nachkommen von Vertriebenen wurde bisher im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht nicht berücksichtigt. Diese wären heute österreichische Staatsbürger, wenn ihre vertriebenen Vorfahren die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren hätten. Die Regelungen betreffend den Wiedererwerb der Staatsbürgerschaft für NS-Verfolgte bzw. den Erwerb der Staatsbürgerschaft für deren Nachkommen bedarf dringend einer Reform.

Der Anlass dafür wäre mit 100 Jahre Republik bzw. 80 Jahre ‘Novemberpogrom’ gut gewählt, verbunden mit der Botschaft, dass die Republik alle Vertriebenen und ihre Nachkommen ‘nach Hause holen’ will, dass sie zu uns gehören. Die gesetzliche Privilegierung für Nachkommen soll mit der dritten der eigentlich vertriebenen Person nachfolgenden Generation erlöschen (UrenkelInnen).

... “ (vgl. zu allem IA 536/A 26. GP 3).

29       Weiters wollte der Gesetzgeber

„die ohnehin schon geltende Rechtslage erweitern und den möglichst unbürokratischen Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft auch für jene Nachkommen erleichtern, die nicht in Österreich leben oder deren Vorfahren nicht wieder Österreicher geworden sind“ (vgl. zu der im Plenum geänderten Fassung StenProt NR 26. GP, 88. Sitzung, 330).

30       Wie in den Materialien angesprochen, existierten bereits davor vergleichbare Regelungen im StbG, insbesondere zum Zeitpunkt des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Großvater des Revisionswerbers § 58c StbG in der Fassung BGBl. Nr. 521/1993 (vgl. dazu einzelfallbezogen weiter unten).

31       Wie sich weiter aus den Materialien ergibt, wollte der Gesetzgeber die „§ 58c Abs. 1 StbG-Personen“ und deren Nachkommen - die noch im zitierten Initiativantrag enthaltene Einschränkung auf Nachkommen der „dritten Generation“ fand nicht Eingang in das Gesetz - bewusst gesetzlich privilegieren. Diese Privilegierung erfolgt nach § 58c Abs. 1 und 1a StbG damit, dass der Erwerb der Staatsbürgerschaft „unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7“ ermöglicht wird. Damit werden Erleichterungen bei den nach § 10 Abs. 1 StbG für eine Verleihung zu erfüllenden Voraussetzungen („Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn“) normiert. Insbesondere wird entgegen der dem österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht zugrunde liegenden Ordnungsvorstellung, mehrfache Staatsangehörigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit erlaubt. Einen ähnlichen besonderen Verleihungstatbestand enthält § 10 Abs. 6 StbG (Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der vom Fremden bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden außerordentlichen Leistungen im besonderen Interesse der Republik; vgl. dazu bereits VwGH 20.11.2020, Ra 2020/01/0239, mwN).

32       Nach dem Wortlaut des § 58c StbG betrifft diese Privilegierung aber allein den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nach dieser Bestimmung. Die Voraussetzungen der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Falle des nachträglichen Erwerbes einer weiteren Staatsangehörigkeit sind hingegen - wie oben bereits dargestellt - in § 28 StbG geregelt.

„Besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ nach § 28 StbG bei Nachkommen von „§ 58c Abs. 1 StbG-Personen“

33       Bei dem in § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StbG normierten Tatbestandsmerkmal „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff (vgl. in diesem Zusammenhang etwa in Bezug auf den in § 10 Abs. 3 StbG idF BGB1. Nr. 521/1993 normierten Begriff “besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ VwGH 23.9.1998, 98/01/0291).

34       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes steht die Verwendung von unbestimmten Gesetzesbegriffen durch einen Gesetzgeber, auch wenn er dadurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt, was im Hinblick auf den Regelungsgegenstand erforderlich sein kann, grundsätzlich in Einklang mit dem in Art. 18 Abs. 1 B-VG verankerten rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Ob eine gesetzliche Vorschrift diesem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach der Entstehungsgeschichte, dem Inhalt und dem Zweck der Regelung. Bei der Ermittlung des Inhalts einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen (vgl. etwa VfGH 6.3.2018, G 129/2017, IV.2.1.2., VfSlg. 20.241; vgl. zu Letzterem auch VwGH 9. 12. 2020, Ra 2019/17/0109, Rn. 10, mwN).

35       Zur Ermittlung der Bedeutung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes ist das gesamte Gesetz in seinem Regelungszusammenhang miteinzubeziehen (vgl. dazu nochmals VwGH 23.9.1998, 98/01/0291, mwN).

36       Vorliegend zeigt die Revision zutreffend auf, dass die Frage des Vorliegens eines „besonders berücksichtigungswürdigen Grundes“ im Sinne des § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StbG in Bezug auf einen Nachkommen einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“, der einen Antrag auf Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit stellt, im Rahmen einer teleologischen Auslegung dieser Tatbestandsvoraussetzung des § 28 StbG unter interpretativer Einbeziehung der in § 58c leg. cit. getroffenen Regelungen zu beantworten ist, die zum Ergebnis führt, dass daraus eine Privilegierung von Nachkommen einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“ auch im Anwendungsbereich des § 28 StbG zu folgern ist.

37       Es entspräche nämlich nicht dem vom Gesetzgeber intendierten Regelungszweck, wenn man - wie von der Revision zutreffend aufgezeigt - annähme, eine „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“ oder deren Nachkomme müsste - mangels einer Bewilligung nach § 28 StbG - zunächst den (aufgrund der Erlangung einer fremden Staatsangehörigkeit nach entsprechender Willenserklärung) gemäß § 27 StbG eintretenden Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft hinnehmen, um sodann im Wege des § 58c StbG neuerlich die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu erlangen (vgl. zum Verlust nach § 27 StbG etwa VwGH 22.3.2021, Ra 2020/01/0293, 0384-0385, mwN).

38       Eine andere Auslegung würde auch den in den Materialien dokumentierten Willen des Gesetzgebers negieren, nach dem § 58c StbG „den möglichst unbürokratischen Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft ...erleichtern“ soll. Vielmehr kann aus den in den Materialien geäußerten Motiven des Gesetzgebers ein nach § 28 iVm § 58c StbG maßgebliches Interesse der Republik wie auch eine Privilegierung von Personen im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG, die als Nachkommen einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“ die Staatsbürgerschaft hätten erwerben können oder (nach deren Verlust neuerlich) erwerben könnten, abgeleitet werden.

39       Die von der Revision aufgeworfene Rechtsfrage ist daher dahin zu beantworten, dass ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund“ im Sinne des § 28 StbG, der jedenfalls (auch) „im Interesse der Republik“ (§ 28 Abs. 1 Z 1 leg. cit.) gelegen ist, darin besteht, dass jene Person, die einen Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG stellt, ein Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß § 58c Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können.

Einzelfallbezogene Beurteilung

40       Im vorliegenden Fall liegt kein Fall des § 58c Abs. 1a StbG vor, weil der Revisionswerber nach Auffassung des Verwaltungsgerichts die österreichische Staatsbürgerschaft nicht selbst durch Anzeige als Nachkomme einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“ erwarb, sondern durch Abstammung von seiner Mutter.

41       Wie die Revision zu Recht vorbringt, ist der Revisionswerber aber Nachkomme einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“, nämlich seines Großvaters.

42       Dieser hatte den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zufolge die österreichische Staatsbürgerschaft am 13. Juni 1994 durch Anzeige gemäß § 58c StbG in der Fassung BGBl. Nr. 521/1993 erworben.

43       Nach Abs. 1 dieser Bestimmung erwarb ein Fremder „unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger vor dem 9. Mai 1945 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte“. Lagen die Voraussetzungen des § 58c Abs. 1 StbG in der Fassung BGBl. Nr. 521/1993 vor, so hatte die Behörde gemäß § 58c Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. Nr. 521/1993 „mit schriftlichem Bescheid festzustellen, daß der Einschreiter die Staatsbürgerschaft mit dem Tag des Einlangens der Anzeige bei der Behörde (§ 39) wiedererworben hat“. Somit ist der Großvater des Revisionswerbers eine Person, die gemäß § 58c Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können.

44       Für die Beurteilung nach § 28 StbG ist es unbeachtlich, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht selbst nach § 58c Abs. 1a StbG erlangt hat. Vielmehr trifft auch in dieser Konstellation für den Revisionswerber als Nachkomme einer „§ 58c Abs. 1 StbG-Person“ das oben angeführte Argument zu, aus den in den Materialien geäußerten Motiven des Gesetzgebers könne ein nach § 28 iVm § 58c StbG maßgebliches Interesse der Republik im oben genannten Sinn abgeleitet werden.

45       Jedoch setzt die Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG begrifflich den Besitz derselben voraus, da nur etwas „beibehalten“ werden kann, was überhaupt besteht. So hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass eine nachträgliche Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG ins Leere geht und den bereits eingetretenen Verlust der Staatsbürgerschaft nicht rückgängig zu machen vermag (vgl. VwGH 11.3.2020, Ra 2020/01/0029, mwN).

46       Die Frage, ob die österreichische Staatsbürgerschaft mit Geburt durch Abstammung erlangt wurde, ist nach den staatsbürgerschaftsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, die zum betreffenden Zeitpunkt in Geltung standen (vgl. etwa VwGH 18.6.2014, 2013/01/0151, mwN).

47       Danach konnte der Revisionswerber gemäß - dem zum Zeitpunkt seiner Geburt am X.X. 1996 geltenden - § 7 Abs. 1 lit. a StbG in der Stammfassung BGBl. Nr. 311/1985 die österreichische Staatsbürgerschaft als eheliches Kind mit der Geburt erwerben, wenn in diesem Zeitpunkt ein Elternteil Staatsbürger war.

48       Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Mutter des Revisionswerbers mit ihrer Geburt am X.X. 1966 nach ihrem ehelichen Vater, dem Großvater des Revisionswerbers, ebenso kraft Abstammung die österreichische Staatsbürgerschaft erworben.

49       Gemäß - dem zum Zeitpunkt ihrer Geburt am X.X. 1966 geltenden - § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 15. Juli 1965 über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 - StbG. 1965), BGBl. Nr. 250/1965, konnte die Mutter des Revisionswerbers als eheliches Kind mit ihrer Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben, wenn ihr Vater in diesem Zeitpunkt Staatsbürger war oder die Staatsbürgerschaft im Zeitpunkt seines vor der Geburt des Kindes erfolgten Ablebens besessen hat.

50       Jedoch erwarb der Großvater des Revisionswerbers nach Auffassung des Verwaltungsgerichts die österreichische Staatsbürgerschaft erst mit dem Zeitpunkt der Anzeige am 13. Juni 1994 (arg. § 58c Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. Nr. 521/1993: „mit dem Tag des Einlangens der Anzeige bei der Behörde“).

51       Die Revision bringt zu diesen Feststellungen ergänzend vor, nichtsdestotrotz sei der Großvater des Revisionswerbers stets österreichischer Staatsbürger geblieben, „er hatte sich jedoch (wohl aus Vereinfachungsgründen) in den 1990er Jahren dafür entschieden, kein Feststellungsverfahren zu führen, sondern das vereinfachte Anzeigeverfahren zu wählen“.

52       Ausgehend von den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, nach denen der Großvater des Revisionswerbers die österreichische Staatsbürgerschaft erst mit dem Zeitpunkt der Anzeige am 13. Juni 1994 wieder erworben hat, hätten die Mutter des Revisionswerbers und damit auch der Revisionswerber selbst nach der jeweils maßgeblichen Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht durch Abstammung erwerben können.

53       Weil das Verwaltungsgericht die oben dargestellte Rechtslage unrichtig beurteilt hat, hat es zunächst weitere Ermittlungen zur Frage des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Revisionswerber kraft Abstammung, insbesondere zu dem von der Revision angesprochenen Umstand, dass der Großvater des Revisionswerbers stets österreichischer Staatsbürger geblieben sei, unterlassen (vgl. zur historischen Rechtslage Kolonovits, Rechtsfragen des Wiedererwerbs der österreichischen Staatbürgerschaft durch Opfer des Nationalsozialismus [Vertriebene] nach österreichischem Staatsbürgerschaftsrecht, insbesondere S 86, in: Kolonovits/Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung, Band 7 der Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission [Wien 2004]; auf die Historikerkommission beziehen sich im Übrigen auch die - oben angeführten - Materialien zu § 58c StbG).

54       Darauf aufbauend hat das Verwaltungsgericht verkannt, dass - für den Fall, dass der Revisionswerber österreichischer Staatsbürger ist - ein „besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Interesse der Republik“ gemäß § 28 Abs. 1 Z 1 iVm § 58c StbG darin liegt, dass jene Person, die einen Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG stellt, ein Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß § 58c Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können.

Ergebnis

55       Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

56       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. Jänner 2022

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010322.L00

Im RIS seit

24.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

22.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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