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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag WienNorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und die Hofrätinnen Mag. Liebhart-Mutzl und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache der J GmbH in W, vertreten durch die Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. Juli 2021, VGW-111/072/1271/2021-24, betreffend Versagung einer baubehördlichen Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; weitere Partei: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 1. Dezember 2020 wurde der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Erteilung einer Baubewilligung gemäß § 71 der Bauordnung für Wien (in der Folge: BO für Wien) für den Abbruch und die Neuerrichtung eines Verkaufsstandes auf einer näher bezeichneten, als Verkehrsfläche gewidmeten und im Eigentum der Stadt Wien stehenden Grundfläche in Wien wegen Widerspruches zum örtlichen Stadtbild (§ 85 BO für Wien) abgewiesen.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien (in der Folge: Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Einholung eines Amtssachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet Architektur und Stadtplanung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (I.). Gleichzeitig sprach es aus, dass dagegen eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (II.).
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht dazu mit näheren Ausführungen, soweit hier relevant, zusammengefasst aus, nach den Einreichunterlagen solle ein auf dem A.-Platz (dessen Ausgestaltung näher beschrieben wird) bestehender baubewilligter Verkaufsstand abgebrochen und vergrößert neu errichtet werden.
4 Aufgrund des geplanten Abbruchs des aktuellen Verkaufsstandes gehe der für diesen bestehende Konsens unter. Sowohl der bestehende als auch der geplante Verkaufsstand würden näher beschriebene relevante Blickbeziehungen (u.a. auf den Stephansdom und die Wiener Staatsoper) verstellen, wobei der projektierte Verkaufsstand diese Blickbeziehungen durch eine Vergrößerung des Baukörpers und des Daches mit seinen Auskragungen noch stärker als der derzeit vorhandene beeinträchtige. Dies umso mehr, als die projektierten zusätzlichen Teile des Standes aufgrund ihrer Nutzung als Lager bzw. WC-Anlagen weitgehend nicht transparent ausgeführt werden könnten. Den Ausführungen des von der revisionswerbenden Partei herangezogenen Privatgutachters sei aus näher dargelegten Gründen nicht zu folgen. Der Erteilung der beantragten Baubewilligung stehe somit § 85 BO für Wien entgegen.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es das örtliche Stadtbild nicht nach dem vorhandenen Bestand beurteilt und „spätere Bauführungen nicht als vorhandenen Bestand gleich dem übrigen Stand beurteilt“ habe (Verweis auf VwGH 21.7.2005, 2005/05/0119 und 9.4.1992, 91/06/0153). Außerdem habe das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung einem unschlüssigen Gutachten in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Form mehr Glauben geschenkt (Verweis auf VwGH 11.4.2018, Ra 2017/12/0034) und erkläre es eine näher genannte rechtlich unverbindliche Untersuchung der Stadt Wien für eine geeignete Grundlage des Gutachtens der Amtssachverständigen, wozu keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. für viele VwGH 13.10.2021, Ra 2021/05/0126, mwN).
10 Zentrales Thema des vorliegenden Revisionsfalles ist die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach § 85 BO für Wien der Erteilung der beantragten Baubewilligung entgegenstehe, weil durch das geplante Bauvorhaben das örtliche Stadtbild beeinträchtigt werde.
11 In der Zulässigkeitsbegründung wird dazu zunächst vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum vorhandenen Bestand abgewichen. In diesem Zusammenhang verweist die revisionswerbende Partei - zutreffend - darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Frage einer allfälligen Beeinträchtigung des örtlichen Stadtbildes bereits ausgesprochen hat, dass das Stadtbild anhand des konsentierten Bestandes zu beurteilen ist (vgl. VwGH 30.10.2018, Ra 2016/05/0071, 0072, oder auch 21.7.2005, 2005/05/0119, jeweils mwN). Nicht zutreffend ist fallbezogen jedoch die Behauptung der revisionswerbenden Partei, der vorhandene Bestand sei in die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes nicht einbezogen worden; aufbauend auf dem eingeholten Amtssachverständigengutachten führte das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis vielmehr (auch) aus, aus welchen Gründen das beantragte Bauvorhaben das örtliche Stadtbild (gegenüber dem vorhandenen Verkaufsstand) zusätzlich störe. Dieser Beurteilung setzt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung in der Sache nichts entgegen. Die Tatsache jedenfalls, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis auch ausgeführt hat, dass bei Verwirklichung des geplanten Bauvorhabens (Abbruch des bestehenden Verkaufsstandes und Neuerrichtung eines demgegenüber vergrößerten Verkaufsstandes) der bestehende baurechtliche Konsens im Hinblick auf den beabsichtigten Abbruch untergehen würde, ändert nichts daran, dass bei der erfolgten Beurteilung nach § 85 BO für Wien auch die Frage der zusätzlichen Störung des örtlichen Stadtbildes gegenüber dem derzeit konsentierten Bestand einbezogen wurde. Die diesbezüglich behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt daher nicht vor.
12 Wenn die revisionswerbende Partei zur Zulässigkeit der Revision weiters ausführt, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung einem unschlüssigen Gutachten in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Form mehr Glauben geschenkt, so wendet sie sich damit gegen die vom Verwaltungsgericht angestellte Beweiswürdigung (vgl. etwa VwGH 29.11.2017, Ra 2015/04/0014, Rz 12). Auch mit diesem Vorbringen zeigt sie jedoch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht auf:
13 Ob ein Gutachten in seiner konkreten Ausgestaltung zu Recht als schlüssig qualifiziert wurde oder welchem von mehreren, einander widersprechenden Gutachten das Gericht folgt, stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich im Regelfall keine grundsätzliche Rechtsfrage, sondern eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, welche jedenfalls dann keine Zulässigkeit der Revision begründet, wenn sie zumindest vertretbar ist (vgl. etwa VwGH 29.1.2020, Ro 2019/09/0001, oder auch 21.11.2018, Ra 2018/09/0148, jeweils mwN). Vor dem Hintergrund des Umfangs der Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der in einem Einzelfall erfolgten Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer grob fehlerhaften, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte, sodass dadurch die Rechtssicherheit beeinträchtigt wäre (vgl. etwa VwGH 25.4.2018, Ra 2018/09/0027, mwN).
14 Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht in der durchgeführten mündlichen Verhandlung und im angefochtenen Erkenntnis - auch - mit dem von der revisionswerbenden Partei vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt, und sich in seiner Beweiswürdigung mit näherer Begründung dem (im Hinblick auf die Aussagen des Privatgutachters betreffend die gewählten Blickpunkte nach der mündlichen Verhandlung noch ergänzten) Gutachten der beigezogenen Amtssachverständigen angeschlossen. Dass und aus welchem Grund diese im Einzelfall vorgenommene Beurteilung in einer unvertretbaren Weise erfolgt sein sollte, zeigt die revisionswerbende Partei in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf (vgl. zu den Anforderungen der Vorgangsweise des Verwaltungsgerichtes im Fall einander widersprechender Gutachten etwa VwGH 9.5.2019, Ra 2018/02/0187 oder auch 21.4.2021, Ra 2021/03/0046, jeweils mwN). Wenn sie im Zusammenhang damit - lediglich - ausführt, es seien entgegen der Rechtsprechung (Verweis auf VwGH 6.9.2011, 2009/05/0095) „nicht sämtliche Ansichten, sondern nur Blickwinkel in unmittelbarer Nähe zum projektierten Stand“ berücksichtigt worden, tritt sie mit diesem allgemeinen Vorbringen jedenfalls der Argumentation des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Erkenntnis (insbesondere S. 41 bis S. 43), mit der dieses unter Bezugnahme gerade auf die genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt hat, aus welchen Gründen die von der Amtssachverständigen gewählten Blickpunkte (gegenüber jenen vom Privatsachverständigen gewählten) eine repräsentative Auswahl im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darstellen, nicht in so konkreter Weise entgegen, dass daraus eine unvertretbare Beurteilung abzuleiten wäre. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darüber hinaus auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach dieser - da wie dargestellt an sich nur zur Rechtskontrolle berufen - nicht berechtigt ist, eine Beweiswürdigung eines Verwaltungsgerichtes auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d.h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt (oder ein anderer Ablauf der Ereignisse) schlüssig begründbar wäre (vgl. dazu nochmals etwa VwGH 29.11.2017, Ra 2015/04/0014, mwN).
15 Das Zulässigkeitsvorbringen schließlich, das Verwaltungsgericht habe unrichtigerweise eine rechtlich unverbindliche Untersuchung der Stadt Wien („Wiener Kulturgut: Sichtbeziehungen im Stadtbild“) für eine geeignete Grundlage des Gutachtens der Amtssachverständigen erklärt, und es gebe dazu keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, zielt auf die Geltendmachung eines Verfahrensmangels ab. Die Zulässigkeit einer Revision unter Berufung auf einen Verfahrensmangel setzt jedoch voraus, dass schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieses Verfahrensmangels, weshalb also bei Vermeidung desselben in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, aufzuzeigen ist (vgl. für viele VwGH 3.12.2021, Ra 2021/07/0094 oder auch 8.11.2021, Ra 2021/05/0150, jeweils mwN). Dem wird mit dem allgemeinen Zulässigkeitsvorbringen der Revision, das der inhaltlichen Ausführung des Verwaltungsgerichtes (aE S. 36), es handle sich dabei um eine fachkompetente Analyse und damit um eine geeignete Grundlage für eine Beurteilung durch die Amtssachverständige, nicht entgegentritt, nicht entsprochen.
16 In der Revision werden damit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 1. Februar 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021050171.L00Im RIS seit
24.02.2022Zuletzt aktualisiert am
09.03.2022