TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0284

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §7 Abs1;
AsylG 1991 §7 Abs3;
AsylG 1991 §7 Abs4;
AsylG 1991 §8 Abs1;
AVG §56;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in T, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. April 1995, Zl. 4.344.958/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Irak, der am 6. August 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 9. August 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. August 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 9. August 1994 und 10. August 1994 angegeben:

Er sei irakischer Staatsangehöriger, Kurde und Moslem. Sein Heimatdorf Basedkee, welches in unmittelbarer Nähe der Grenze der für die Kurden eingerichteten Sicherheitszone liege, sei 1975 fast zur Gänze zerstört worden. Die Bewohner seien in das Gebirge geflüchtet. Nach einer Amnestie seien sie zurückgekehrt. 1976 seien die Bewohner von Basedkee zwangsweise zum Teil in den Norden und zum Teil in den Süden des Irak deportiert worden. Er sei in das nördlich gelegene Dorf Gundek deportiert worden. 1977 bis 1979 habe er eine Teilorganisation der Kurdischen Demokratischen Partei gegründet. Er habe mit weiteren Mitgliedern Flugblätter regimekritischen Inhaltes ab 1977 verbreitet. 1980 sei er gemeinsam mit fünf anderen Mitgliedern der Kurdischen Demokratischen Partei vom irakischen Geheimdienst festgenommen worden. In der Folge sei er während mehrfacher Einvernahmen schwer mißhandelt und gefoltert worden. Er sei mit Kabeln geschlagen, mit Füßen getreten und mit kaltem Wasser übergossen worden. Schließlich habe eine Gerichtsverhandlung stattgefunden. Der Beschwerdeführer sei geständig gewesen, regimekritische und prokurdische Flugblätter verbreitet zu haben. Er sei zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden, das Urteil sei mit politischer Tätigkeit begründet worden. Nach seiner Verurteilung, welche Ende des Jahres 1980 oder Anfang des Jahres 1981 stattgefunden habe, habe er die Freiheitsstrafe bis Anfang des Jahres 1986 verbüßt. Kurz vor seiner Entlassung habe er von Angehörigen erfahren, daß drei seiner Mitstreiter hingerichtet worden seien. Nach seiner Entlassung habe er sich 1986 zunächst nach Gundek, später nach Dohuk, gleichfalls im Norden des Irak, im Wohngebiet der Kurden gelegen, begeben. Im Jahr 1988 habe er die Einberufung zum Militärdienst verweigert, da er es ablehne, für Saddam Hussein in den Krieg zu ziehen und Menschen zu töten, und er nicht in den Krieg gegen den Iran ziehen wolle. Am 1. Oktober 1989 sei er festgenommen und wegen Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles vom Militärgericht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. Die Strafe sei verhältnismäßig milde gewesen. Aus der Verbüßung dieser Freiheitsstrafe sei er infolge einer generellen Begnadigung am 8. März 1990 vorzeitig entlassen worden. Er sei nach Dohuk zurückgekehrt. Nach einem Monat habe er Dohuk verlassen und sich den kurdischen Freiheitskämpfern angeschlossen. Er habe für das kurdische Volk, für sein Land Kurdistan, für die Rechte der Kurden und gegen die Unterdrückung durch Saddam Hussein kämpfen wollen. Seine Aufgabe bei den Freiheitskämpfern habe zunächst darin bestanden, die Bevölkerung in kurdischen Dörfern aufzufordern, sich der Unterdrückung durch Widerstand zu entziehen, das heißt, sich im Falle eines Angriffes von Armee oder Sicherheitskräften zu verteidigen.

Die irakische Armee habe 1988 und 1989 die Wohngebiete der Kurden von der Luft aus mit Giftgas und mit Landstreitkräften angegriffen, wobei zahlreiche Siedlungen dem Boden gleichgemacht und unzählige Kurden getötet worden seien. Im Frühjahr 1991 sei die Armee infolge des Krieges gegen die Alliierten geschwächt gewesen. Aus Rache für die erlittene Unterdrückung hätten bewaffnete Kurden im Norden des Irak Stationen der Sicherheitskräfte oder Stützpunkte der Armee angegriffen. Der Beschwerdeführer sei im Frühjahr 1991 mehrmals bewaffnet an solchen Angriffen beteiligt gewesen. Anläßlich einer Offensive der irakischen Armee im April 1991 seien sechs seiner Verwandten getötet worden. Schließlich sei Ende April oder Anfang Mai 1991 durch Angehörige der Vereinten Nationen, die im Norden des Irak für die Kurden eine Sicherheitszone eingerichtet hätten, die etappenweise Rückkehr in die Heimatdörfer ermöglicht worden. Er habe ab Juni 1991 wieder in seinem Heimatdorf Basedkee gewohnt. Er sei von Juni 1991 bis zum Verlassen des Irak weiterhin kurdischer Freiheitskämpfer am Stützpunkt in Basedkee gewesen. Seine jetzige Aufgabe sei die Bewachung eines Führers der Freiheitskämpfer gewesen. Zwar sei derzeit die Situation in der Umgebung seines Heimatdorfes ruhig, in vielen anderen Gebieten im Norden des Irak habe es seit etwa April 1994 immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der Kurdischen Demokratischen Partei und Angehörigen der Patriotischen Union Kurdistans gegeben. Diese Auseinandersetzungen hätten zu Feindschaften zwischen den Kurden geführt. Der Beschwerdeführer wolle nicht in diese Auseinandersetzungen hineingezogen werden und gegen Angehörige seines eigenen Volkes kämpfen müssen.

Im Norden des Irak existiere eine Geheimorganisation der Baath-Partei. Dieser Geheimorganisation gehörten Kurden an, die aus anderen Gebieten des Irak kämen. Viele Kurden seien von Angehörigen dieser Geheimorganisation bereits umgebracht worden.

In der weiteren Niederschrift zu der Fluchtroute ergänzte der Beschwerdeführer am 10. August 1994, daß ihm für den Fall der Rückkehr in den Irak seitens der Kurden keine Gefahr drohe. Er habe aber Angst, von Geheimdiensten oder Geheimorganisationen des irakischen Regimes umgebracht zu werden, da er zu jenem kurdischen Personenkreis gehöre, der Widerstand gegen das irakische Regime geleistet habe. Den irakischen Behörden und Geheimdiensten seien jene Personen, die Widerstand geleistet hätten, namentlich bekannt. Er gehöre zu diesem Personenkreis.

In seiner aufgrund der abweisenden Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer unter anderem einen Verstoß gegen § 16 Asylgesetz 1991. Es seien keine Ermittlungen darüber angestellt worden, ob der irakische Geheimdienst im Norden des Irak tätig sei, ob Personen mit einem politischen Hintergrund wie dem des Beschwerdeführers im Nordirak gefährdet seien, vom irakischen Geheimdienst ermordet zu werden, weshalb ausreichende Ermittlungen des maßgebenden Sachverhaltes zur Widerlegung seines Antrages nicht vorgenommen worden seien. Er habe bei der Aufnahme der erstinstanzlichen Niederschrift - über die bereits erwähnten Angaben hinaus - angegeben, daß die Angriffe des Jahres 1991, an welchen der Beschwerdeführer teilgenommen habe, von einem Spitzel fotografiert worden seien. Das Fehlen dieser Angaben sei ihm aufgrund der langen Dauer der Einvernahme nicht aufgefallen. Er ergänze nunmehr, daß sein Neffe, welcher 1991 auf kurdischer Seite gekämpft habe, 1993 vom irakischen Geheimdienst in Kurdistan ermordet worden sei. Ein Kind des Beschwerdeführers sei samt vier anderen Kindern 1993 bei einem Bombenanschlag des irakischen Geheimdienstes getötet worden. Dies habe er anläßlich der niederschriftlichen Erstvernehmung deshalb nicht angegeben, weil ihm die Zweifel der erkennenden Behörde an der Tätigkeit des Geheimdienstes in Kurdistan nicht bewußt gewesen seien und von der Behörde auch nicht mitgeteilt worden sei, sodaß er nicht dazu habe Stellung nehmen können. Zum Beweis für die Tätigkeit des irakischen Geheimdienstes in Kurdistan und dafür, daß dieser gezielte Attentate gegen Kurden durchführe, führte der Beschwerdeführer den Regierungskoordinator der österreichischen Kurdenhilfe als Zeugen an.

Gegen die von der Erstbehörde angenommene innerstaatliche Fluchtalternative führte der Beschwerdeführer

- zusammengefaßt - ins Treffen, daß der Terror von allen Seiten mit dem Ziel der Destabilisierung geschürt werde, und durch den Ausbruch von Kämpfen zwischen den Kurdenparteien auch von dieser Seite Gefahr ausginge. Diesbezüglich legte der Beschwerdeführer einen Bericht der Caritas Schweiz und Zeitungsberichte vor.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie begründete, daß die Umstände zwischen den Jahren 1975 und 1986 schon lange Zeit vor seiner Ausreise zurücklägen und daher nicht mehr beachtlich seien, weil die wohlbegründete Furcht bis zur Ausreise andauern müsse. Weiters sprach die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer behaupteten Wehrdienstverweigerung die asylrechtliche Relevanz ab. Nunmehr sei der Beschwerdeführer im Nordirak vor "hier bloß angenommener Verfolgung" sicher gewesen, weil im März 1991 von den Alliierten des Golfkrieges nördlich des 36. Breitengrades eine Sicherheitszone eingerichtet worden sei. Das dortige Kurdengebiet sei autonom und die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden ausgeschlossen. Die Verfolgung (bzw. Furcht davor) müsse im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben, was im Beschwerdefall nicht zutreffe, da der Beschwerdeführer für den Zeitraum seines Aufenthaltes in der "Kurdenzone" des Nordirak keine konkrete, asylrelevante und individuelle Verfolgungshandlung behauptet habe. Er habe lediglich auf die Tätigkeit der Geheimorganisation hingewiesen, welche bereits viele Kurden umgebracht habe. Die vom Beschwerdeführer aufgestellten Behauptungen und Vermutungen von Vorfällen könnten nicht als ausreichend angesehen werden. Darüber hinaus fehle "das Element der individuellen Gefährdungslage".

Die belangte Behörde könne in der Erfassung der Angaben des Beschwerdeführers keine Mangelhaftigkeit feststellen. Es könne nicht Zweck der erstinstanzlichen Einvernahme sein, den Beschwerdeführer durch gezielte Fragestellung zu Antworten zu bewegen, welche zur Asylerlangung führen müßten, zumal er seine Fluchtgründe frei vorbringen habe können und durch seine Unterschrift bestätigt habe, daß er seinen Angaben nichts mehr hinzuzufügen habe. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 16 Asylgesetz 1991 liege nicht vor.

Die dem Berufungsvorbringen beigelegten Berichte bzw. Zeitungsartikel seien unbeachtlich, da derart allgemeine Berichte nur einen Auszug der allgemeinen Situation widerspiegeln könnten, in keiner Weise auf die individuelle Situation eingingen und somit für die Feststellung einer konkreten, gegen den Beschwerdeführer persönlich gerichteten Verfolgung nicht genügten. Für eine neuerliche persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers lägen keine gesetzlichen Voraussetzungen vor, zudem habe der Beschwerdeführer im Rahmen des Asylverfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe darzulegen. Von einer solchen Einvernahme sei kein im wesentlichen anders lautender Bescheid zu erwarten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. I Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff in die zu schützende Sphäre geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in den Aufenthaltsstaat zu begründen. Keineswegs ist es erforderlich, daß eine tatsächliche Verfolgung bereits stattgefunden hat. Es reicht hin, daß aufgrund der äußeren Umstände und allenfalls bereits geschehener Ereignisse die Gefahr einer Verfolgung gegeben ist. Dabei ist auch die politische Situation des Heimatlandes zu berücksichtigen. Es ist die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen, einzelne Aspekte seiner Situation in der Heimat dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Im Lichte dieser Grundsätze verkennt die belangte Behörde, daß der Beschwerdeführer eine durchgehende politische Tätigkeit bis zu seiner Ausreise behauptet hat. Insbesondere hat der Beschwerdeführer behauptet, nach wie vor Mitglied der Kurdischen Demokratischen Partei zu sein, im Jahre 1991 aktiv am Kurdenaufstand teilgenommen zu haben und auch seither einer Gruppe von Freiheitskämpfern anzugehören. Damit hat der Beschwerdeführer aber den Zusammenhang mit der im Jahre 1980 erlittenen Verhaftung samt Folter und der daran anschließenden mehrjährigen Haftstrafe wegen politischer Betätigung gegen das irakische Regime hergestellt. Der Beschwerdeführer hat bereits anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 10. August 1994 angegeben, er sei den irakischen Behörden und Geheimdiensten als Widerstandskämpfer namentlich bekannt, weshalb er Angst habe, von Geheimdienstleuten, welche auch in der Sicherheitszone des Nordirak operieren, umgebracht zu werden. Diese Behauptungen sind grundsätzlich geeignet, im Zusammenwirken mit der bereits erfolgten politischen Verfolgung wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aufgrund politischer Gesinnung auszulösen. Da die belangte Behörde den Zusammenhang im Sinne einer Gesamtschau zwischen der bereits stattgefundenen politischen Verfolgung des Jahres 1980 und der derzeitigen Situation des Beschwerdeführers verkannt hat, belastet sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Die in der Folge ausgeführten Verfahrensmängel stellen sich als sekundäre Verfahrensmängel dar. Denn die belangte Behörde verkennt, daß das Bundesasylamt im Sinne des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 gehalten gewesen wäre, durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden. Denn träfe die Behauptung des Beschwerdeführers zu, daß der irakische Geheimdienst in der Lage wäre, auch im Bereich der Sicherheitszone des Nordirak bekannte Widerstandskämpfer gezielt zu verfolgen, wie dies der Beschwerdeführer anläßlich seiner erstinstanzlichen Niederschriften mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht hat, hätte das Bundesasylamt - wenn ihm dieses Vorbringen noch nicht ausreichend genug erschiene - ihn zur Konkretisierung seiner Angaben anhalten müssen. Die in der Berufung bzw. Berufungsergänzung vorgebrachten Angaben stellten daher einen der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dar und waren zu berücksichtigen.

Die belangte Behörde hat keine Ermittlungen zu der vom Beschwerdeführer behaupteten, ihm auch in der Sicherheitszone des Nordirak drohenden Gefahr der Verfolgung durch den Irak angestellt. Ohne nähere Ermittlungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß dem Beschwerdeführer eine solche Gefahr nicht drohte. In diesem Zusammenhang erlangen auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel trotz ihrer allgemeinen Darstellung Bedeutung. Damit deutet der Beschwerdeführer hinreichend deutlich an, daß die kurdischen Behörden in der autonomen Sicherheitszone überhaupt nicht in der Lage gewesen wären, den Beschwerdeführer gegen die vom Irak ausgehende Verfolgungsgefahr zu schützen. Die durch die vorgelegten Beweismittel aufgezeigte allgemeine Destabilisierung läßt es - mangels entgegenstehender konkreter Ermittlungsergebnisse - nicht als unwahrscheinlich erscheinen, daß der irakische Geheimdienst auch in der Sicherheitszone des Nordirak zielgerichtete Aktivitäten gegen bekannte Widerstandskämpfer unternehme, ohne daß dies von kurdischer Seite verhindert werden könnte. Damit läge aber auch für den Beschwerdeführer keine inländische Fluchtalternative vor.

Lediglich in der Frage der asylrechtlichen Relevanz der Militärdienstverweigerung des Beschwerdeführers und ihrer Folgen ist der belangten Behörde Recht zu geben, daß aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht erkennbar ist, daß es im Irak bei der Einberufung zum Militärdienst zur zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen komme, weshalb darin keine Verfolgung aufgrund eines in § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Grundes liege (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, ua). Doch kommt diesem Begründungselement der belangten Behörde im gegenständlichen Fall aufgrund der oben aufgezeigten Rechtswidrigkeit keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu.

Wenn der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde hätte seine Anträge auf Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 und auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Asylgesetz 1991 nicht "abweisen" dürfen, ist ihm zu entgegnen, daß die belangte Behörde die Anträge des Beschwerdeführers nicht abgewiesen, sondern als "Anregung" gewertet hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 8 Asylgesetz 1991 mit ausführlicher Begründung bereits entschieden (vgl. das Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, Zl. 94/20/0800, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird), daß keine Berechtigung zur Erhebung eines auf die Erlangung einer auf § 8 Asylgesetz 1991 gestützten Aufenthaltsberechtigung gerichteten Antrages besteht, sodaß der Beschwerdeführer durch den seinen diesbezüglichen Antrag betreffenden Hinweis nicht in seinen Rechten verletzt werden konnte. Hinsichtlich der Bescheinigung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung - welcher kein Bescheidcharakter zukommt, weil das Recht der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung ex lege eintritt; sie hat rein deklarative Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. November 1995, Zl. 95/20/0033) - hat die belangte Behörde aufgrund des Umstandes, daß sie den Antrag in den Spruch des angefochtenen Bescheides nicht aufgenommen hat (abgewiesen wurde nur die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid; die in der Berufung gestellten Anträge gemäß § 7 und § 8 Asylgesetz 1991 waren nicht Sache des erstinstanzlichen Bescheides) und in der Begründung den Antrag nur als "Anregung" gewertet hat, rechtswirksam noch keine Entscheidung getroffen. Diesbezüglich ist die belangte Behörde jedoch darauf hinzuweisen, daß über die Verweigerung der Ausstellung der Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung auf Antrag des Asylwerbers ein Bescheid zu erlassen ist (vgl. auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 270 Blg NR 18. GP; sowie das hg. Erkenntnis vom 28. November 1995, Zl. 95/20/0033).

Da eine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Umfang des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betreffend "Bundesstempel" war abzuweisen, da zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vorlage der Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung sowie des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung notwendig war.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Beurkundungen und Bescheinigungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200284.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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